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Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Faust. Der Tragödie zweiter Teil
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    Dreyzack -> Dreizack
    Riesen-Schildkröte -> Riesenschildkröte
    Thürflügel -> Thürflügel

    Johann Wolfgang von GoetheFaust

    Der Tragödie zweiter Teil

    ERSTER AKT

    ANMUTIGE GEGEND

    Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, Schlaf suchend.
    Dämmerung.
    Geisterkreis schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.

    ARIEL

    Gesang von Äolsharfen begleitet.
    1
    Wenn der Blüten Frühlingsregen
    Über alle schwebend sinkt,
    Wenn der Felder grüner Segen
    Allen Erdgebornen blinkt,
    5
    Kleiner Elfen Geistergröße
    Eilet, wo sie helfen kann;
    Ob er heilig, ob er böse,
    Jammert sie der Unglücksmann.
    Die ihr dies Haupt umschwebt im luft'gen Kreise,
    10
    Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise:
    Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
    Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
    Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.
    Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
    15
    Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus!
    Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,
    Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut!
    Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
    Wenn er gestärkt dem Tag entgegenruht.
    20
    Vollbringt der Elfen schönste Pflicht:
    Gebt ihn zurück dem heiligen Licht!

    CHOR

    einzeln, zu zweien und vielen, abwechselnd und gesammelt.
    Wenn sich lau die Lüfte füllen
    Um den grünumschränkten Plan,
    Süße Düfte, Nebelhüllen
    25
    Senkt die Dämmerung heran,
    Lispelt leise süßen Frieden,
    Wiegt das Herz in Kindesruh
    Und den Augen dieses Müden
    Schließt des Tages Pforte zu.
    30
    Nacht ist schon hereingesunken,
    Schließt sich heilig Stern an Stern,
    Große Lichter, kleine Funken
    Glitzern nah und glänzen fern;
    Glitzern hier im See sich spiegelnd,
    35
    Glänzen droben klarer Nacht;
    Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
    Herrscht des Mondes volle Pracht.
    Schon verloschen sind die Stunden,
    Hingeschwunden Schmerz und Glück;
    40
    Fühl' es vor! Du wirst gesunden;
    Traue neuem Tagesblick!
    Täler grünen, Hügel schwellen,
    Buschen sich zu Schattenruh;
    Und in schwanken Silberwellen
    45
    Wogt die Saat der Ernte zu.
    Wunsch um Wünsche zu erlangen,
    Schaue nach dem Glanze dort!
    Leise bist du nur umfangen,
    Schlaf ist Schale, wirf sie fort!
    50
    Säume nicht dich zu erdreisten,
    Wenn die Menge zaudernd schweift;
    Alles kann der Edle leisten,
    Der versteht und rasch ergreift.
    Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.

    ARIEL

    Horchet! horcht dem Sturm der Horen!
    55
    Tönend wird für Geistesohren
    Schon der neue Tag geboren.
    Felsentore knarren rasselnd,
    Phöbus' Räder rollen prasselnd,
    Welch Getöse bringt das Licht!
    60
    Es trommetet, es posaunet,
    Auge blinzt und Ohr erstaunet,
    Unerhörtes hört sich nicht.
    Schlüpfet zu den Blumenkronen,
    Tiefer, tiefer, still zu wohnen,
    65
    In die Felsen, unters Laub;
    Trifft es euch, so seid ihr taub.

    FAUST

    Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,
    Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen.
    Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig
    70
    Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen,
    Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben.
    Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
    Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. —
    In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
    75
    Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,
    Tal aus, Tal ein ist Nebelstreif ergossen,
    Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
    Und Zweig' und Äste, frisch erquickt, entsprossen
    Dem duft'gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen.
    80
    Auch Farb' an Farbe klärt sich los vom Grunde,
    Wo Blum und Blatt von Zitterperle triefen —
    Ein Paradies wird um mich her die Runde.
    Hinaufgeschaut! — Der Berge Gipfelriesen
    Verkünden schon die feierlichste Stunde;
    85
    Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen,
    Das später sich zu uns hernieder wendet.
    Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen
    Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,
    Und stufenweis herab ist es gelungen —
    90
    Sie tritt hervor! — und leider schon geblendet,
    Kehr ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
    So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
    Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
    Erfüllungspforten findet flügeloffen;
    95
    Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
    Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen.
    Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
    Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!
    Ist's Lieb? ist's Haß? die glühend uns umwinden,
    100
    Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
    So daß wir wieder nach der Erde blicken,
    Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier?
    So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
    Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
    105
    Ihn schau ich an mit wachsendem Entzücken.
    Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend,
    Dann abertausend Strömen sich ergießend,
    Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
    Allein wie herrlich diesem Sturm entsprießend,
    110
    Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,
    Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
    Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
    Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
    Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
    115
    Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

    KAISERLICHE PFALZ — SAAL DES THRONES

    Staatsrat in Erwartung des Kaisers. Trompeten.
    Hofgesinde aller Art, prächtig gekleidet, tritt vor. Der Kaiser gelangt auf den Thron, zu seiner Rechten der Astrolog.

    KAISER

    Ich grüße die Getreuen, Lieben,
    Versammelt aus der Näh und Weite; —
    Den Weisen seh' ich mir zur Seite,
    Allein wo ist der Narr geblieben?

    JUNKER

    120
    Gleich hinter deiner Mantelschleppe
    Stürzt' er zusammen auf der Treppe,
    Man trug hinweg das Fettgewicht,
    Tot oder trunken? weiß man nicht.

    ZWEITER JUNKER

    Sogleich mit wunderbarer Schnelle
    125
    Drängt sich ein andrer an die Stelle.
    Gar köstlich ist er aufgeputzt,
    Doch fratzenhaft, daß jeder stutzt.
    Die Wache hält ihm an der Schwelle
    Kreuzweis die Hellebarden vor —
    130
    Da ist er doch, der kühne Tor!

    MEPHISTOPHELES

    am Throne kniend.
    Was ist verwünscht und stets willkommen?
    Was ist ersehnt und stets verjagt?
    Was immerfort in Schutz genommen?
    Was hart gescholten und verklagt?
    135
    Wen darfst du nicht herbeiberufen?
    Wen höret jeder gern genannt?
    Was naht sich deines Thrones Stufen?
    Was hat sich selbst hinweggebannt?

    KAISER

    Für diesmal spare deine Worte!
    140
    Hier sind die Rätsel nicht am Orte,
    Das ist die Sache dieser Herrn. —
    Da löse du! das hört' ich gern.
    Mein alter Narr ging, fürcht ich, weit ins Weite;
    Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.
    Mephistopheles steigt hinauf und stellt sich zur Linken.

    GEMURMEL DER MENGE

    145
    Ein neuer Narr — Zu neuer Pein —
    Wo kommt er her? — Wie kam er ein? —
    Der alte fiel — Der hat vertan —
    Es war ein Faß — Nun ist's ein Span —

    KAISER

    Und also, ihr Getreuen, Lieben,
    150
    Willkommen aus der Näh und Ferne!
    Ihr sammelt euch mit günstigem Sterne,
    Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.
    Doch sagt, warum in diesen Tagen,
    Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
    155
    Schönbärte mummenschänzlich tragen
    Und Heitres nur genießen wollten,
    Warum wir uns ratschlagend quälen sollten?
    Doch weil ihr meint, es ging' nicht anders an —
    Geschehen ist's, so sei's getan.

    KANZLER

    160
    Die höchste Tugend, wie ein Heiligenschein,
    Umgibt des Kaisers Haupt; nur er allein
    Vermag sie gültig auszuüben:
    Gerechtigkeit! — Was alle Menschen lieben,
    Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,
    165
    Es liegt an ihm, dem Volk es zu gewähren.
    Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,
    Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,
    Wenn's fieberhaft durchaus im Staate wütet
    Und Übel sich in Übeln überbrütet?
    170
    Wer schaut hinab von diesem hohen Raum
    Ins weite Reich, ihm scheint's ein schwerer Traum,
    Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,
    Das Ungesetz gesetzlich überwaltet
    Und eine Welt des Irrtums sich entfaltet.
    175
    Der raubt sich Herden, der ein Weib,
    Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,
    Berühmt sich dessen manche Jahre
    Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib.
    Jetzt drängen Kläger sich zur Halle,
    180
    Der Richter prunkt auf hohem Pfühl,
    Indessen wogt in grimmigem Schwalle
    Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.
    Der darf auf Schand und Frevel pochen,
    Der auf Mitschuldigste sich stützt,
    185
    Und: Schuldig! hörst du ausgesprochen,
    Wo Unschuld nur sich selber schützt.
    So will sich alle Welt zerstückeln,
    Vernichtigen, was sich gebührt;
    Wie soll sich da der Sinn entwickeln,
    190
    Der einzig uns zum Rechten führt?
    Zuletzt ein wohlgesinnter Mann
    Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher,
    Ein Richter, der nicht strafen kann,
    Gesellt sich endlich zum Verbrecher.
    195
    Ich malte schwarz, doch dichtern Flor
    Zög ich dem Bilde lieber vor.
    Pause.
    Entschlüsse sind nicht zu vermeiden;
    Wenn alle schädigen, alle leiden,
    Geht selbst die Majestät zu Raub.

    HEERMEISTER

    200
    Wie tobt's in diesen wilden Tagen!
    Ein jeder schlägt und wird erschlagen,
    Und fürs Kommando bleibt man taub.
    Der Bürger hinter seinen Mauern,
    Der Ritter auf dem Felsennest
    205
    Verschwuren sich, uns auszudauern,
    Und halten ihre Kräfte fest.
    Der Mietsoldat wird ungeduldig,
    Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,
    Und wären wir ihm nichts mehr schuldig,
    210
    Er liefe ganz und gar davon.
    Verbiete wer, was alle wollten,
    Der hat ins Wespennest gestört;
    Das Reich, das sie beschützen sollten,
    Es liegt geplündert und verheert.
    215
    Man läßt ihr Toben wütend hausen,
    Schon ist die halbe Welt vertan;
    Es sind noch Könige da draußen,
    Doch keiner denkt, es ging ihn irgend an.

    SCHATZMEISTER

    Wer wird auf Bundsgenossen pochen!
    220
    Subsidien, die man uns versprochen,
    Wie Röhrenwasser bleiben aus.
    Auch, Herr, in deinen weiten Staaten
    An wen ist der Besitz geraten?
    Wohin man kommt, da hält ein Neuer Haus,
    225
    Und unabhängig will er leben,
    Zusehen muß man, wie er's treibt;
    Wir haben so viel Rechte hingegeben,
    Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt.
    Auch auf Parteien, wie sie heißen,
    230
    Ist heutzutage kein Verlaß;
    Sie mögen schelten oder preisen,
    Gleichgültig wurden Lieb und Haß.
    Die Ghibellinen wie die Guelfen
    Verbergen sich, um auszuruhn;
    235
    Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
    Ein jeder hat für sich zu tun.
    Die Goldespforten sind verrammelt,
    Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt,
    Und unsre Kassen bleiben leer.

    MARSCHALK

    240
    Welch Unheil muß auch ich erfahren!
    Wir wollen alle Tage sparen
    Und brauchen alle Tage mehr,
    Und täglich wächst mir neue Pein.
    Den Köchen tut kein Mangel wehe;
    245
    Wildschweine, Hirsche, Hasen, Rehe,
    Welschhühner, Hühner, Gäns und Enten,
    Die Deputate, sichre Renten,
    Sie gehen noch so ziemlich ein.
    Jedoch am Ende fehlt's an Wein.
    250
    Wenn sonst im Keller Faß an Faß sich häufte,
    Der besten Berg' und Jahresläufte,
    So schlürft unendliches Gesäufte
    Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus.
    Der Stadtrat muß sein Lager auch verzapfen,
    255
    Man greift zu Humpen, greift zu Napfen,
    Und unterm Tische liegt der Schmaus.
    Nun soll ich zahlen, alle lohnen;
    Der Jude wird mich nicht verschonen,
    Der schafft Antizipationen,
    260
    Die speisen Jahr um Jahr voraus.
    Die Schweine kommen nicht zu Fette,
    Verpfändet ist der Pfühl im Bette,
    Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.

    KAISER

    nach einigem Nachdenken zu Mephistopheles.
    Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?

    MEPHISTOPHELES

    265
    Ich? Keineswegs. Den Glanz umher zu schauen,
    Dich und die Deinen! — Mangelte Vertrauen,
    Wo Majestät unweigerlich gebeut,
    Bereite Macht Feindseliges zerstreut?
    Wo guter Wille, kräftig durch Verstand,
    270
    Und Tätigkeit, vielfältige, zur Hand?
    Was könnte da zum Unheil sich vereinen,
    Zur Finsternis, wo solche Sterne scheinen?

    GEMURMEL

    Das ist ein Schalk — Der's wohl versteht —
    Er lügt sich ein — So lang es geht —
    275
    Ich weiß schon — Was dahinter steckt —
    Und was denn weiter? — Ein Projekt —

    MEPHISTOPHELES

    Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt?
    Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
    Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
    280
    Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
    In Bergesadern, Mauergründen
    Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
    Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft:
    Begabten Manns Natur– und Geisteskraft.

    KANZLER

    285
    Natur und Geist — so spricht man nicht zu Christen.
    Deshalb verbrennt man Atheisten,
    Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
    Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
    Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
    290
    Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
    Uns nicht so! — Kaisers alten Landen
    Sind zwei Geschlechter nur entstanden,
    Sie stützen würdig seinen Thron:
    Die Heiligen sind es und die Ritter;
    295
    Sie stehen jedem Ungewitter
    Und nehmen Kirch und Staat zum Lohn.
    Dem Pöbelsinn verworrner Geister
    Entwickelt sich ein Widerstand:
    Die Ketzer sind's! die Hexenmeister!
    300
    Und sie verderben Stadt und Land.
    Die willst du nun mit frechen Scherzen
    In diese hohen Kreise schwärzen;
    Ihr hegt euch an verderbtem Herzen,
    Dem Narren sind sie nah verwandt.

    MEPHISTOPHELES

    305
    Daran erkenn ich den gelehrten Herrn!
    Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
    Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,
    Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
    Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
    310
    Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.

    KAISER

    Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
    Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?
    Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
    Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.

    MEPHISTOPHELES

    315
    Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
    Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
    Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,
    Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?
    Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,
    320
    Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
    Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
    Sein Liebstes da– und dortwohin versteckte.
    So war's von je in mächtiger Römer Zeit,
    Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
    325
    Das alles liegt im Boden still begraben,
    Der Boden ist des Kaisers, der soll's haben.

    SCHATZMEISTER

    Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,
    Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.

    KANZLER

    Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen:
    330
    Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.

    MARSCHALK

    Schafft er uns nur zu Hof willkommne Gaben,
    Ich wollte gern ein bißchen Unrecht haben.

    HEERMEISTER

    Der Narr ist klug, verspricht, was jedem frommt;
    Fragt der Soldat doch nicht, woher es kommt.

    MEPHISTOPHELES

    335
    Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen,
    Hier steht ein Mann! da, fragt den Astrologen!
    In Kreis um Kreise kennt er Stund und Haus;
    So sage denn: wie sieht's am Himmel aus?

    GEMURMEL

    Zwei Schelme sind's — Verstehn sich schon —
    340
    Narr und Phantast — So nah dem Thron —
    Ein mattgesungen — Alt Gedicht —
    Der Tor bläst ein — Der Weise spricht —

    ASTROLOG

    spricht, Mephistopheles bläst ein.
    Die Sonne selbst, sie ist ein lautres Gold,
    Merkur, der Bote, dient um Gunst und Sold,
    345
    Frau Venus hat's euch allen angetan,
    So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
    Die keusche Luna launet grillenhaft;
    Mars, trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.
    Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
    350
    Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.
    Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
    An Wert gering, doch im Gewichte schwer.
    Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
    Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt;
    355
    Das übrige ist alles zu erlangen:
    Paläste, Gärten, Brüstlein, rote Wangen,
    Das alles schafft der hochgelahrte Mann,
    Der das vermag, was unser keiner kann.

    KAISER

    Ich höre doppelt, was er spricht,
    360
    Und dennoch überzeugt's mich nicht.

    GEMURMEL

    Was soll uns das? — Gedroschner Spaß —
    Kalenderei — Chymisterei —
    Das hört' ich oft — Und falsch gehofft —
    Und kommt er auch — So ist's ein Gauch —

    MEPHISTOPHELES

    365
    Da stehen sie umher und staunen,
    Vertrauen nicht dem hohen Fund,
    Der eine faselt von Alraunen,
    Der andre von dem schwarzen Hund.
    Was soll es, daß der eine witzelt,
    370
    Ein andrer Zauberei verklagt,
    Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt,
    Wenn ihm der sichre Schritt versagt.
    Ihr alle fühlt geheimes Wirken
    Der ewig waltenden Natur,
    375
    Und aus den untersten Bezirken
    Schmiegt sich herauf lebend'ge Spur.
    Wenn es in allen Gliedern zwackt,
    Wenn es unheimlich wird am Platz,
    Nur gleich entschlossen grabt und hackt,
    380
    Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz!

    GEMURMEL

    Mir liegt's im Fuß wie Bleigewicht —
    Mir krampft's im Arme — Das ist Gicht —
    Mir krabbelt's an der großen Zeh —
    Mir tut der ganze Rücken weh —
    385
    Nach solchen Zeichen wäre hier
    Das allerreichste Schatzrevier.

    KAISER

    Nur eilig! du entschlüpfst nicht wieder,
    Erprobe deine Lügenschäume
    Und zeig uns gleich die edlen Räume.
    390
    Ich lege Schwert und Zepter nieder
    Und will mit eignen hohen Händen,
    Wenn du nicht lügst, das Werk vollenden,
    Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden!

    MEPHISTOPHELES

    Den Weg dahin wüßt allenfalls zu finden —
    395
    Doch kann ich nicht genug verkünden,
    Was überall besitzlos harrend liegt.
    Der Bauer, der die Furche pflügt,
    Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,
    Salpeter hofft er von der Leimenwand
    400
    Und findet golden-goldne Rolle
    Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.
    Was für Gewölbe sind zu sprengen,
    In welchen Klüften, welchen Gängen
    Muß sich der Schatzbewußte drängen,
    405
    Zur Nachbarschaft der Unterwelt!
    In weiten, altverwahrten Kellern
    Von goldnen Humpen, Schüsseln, Tellern
    Sieht er sich Reihen aufgestellt;
    Pokale stehen aus Rubinen,
    410
    Und will er deren sich bedienen,
    Daneben liegt uraltes Naß.
    Doch — werdet ihr dem Kundigen glauben?
    Verfault ist längst das Holz der Dauben,
    Der Weinstein schuf dem Wein ein Faß.
    415
    Essenzen solcher edlen Weine,
    Gold und Juwelen nicht alleine
    Umhüllen sich mit Nacht und Graus.
    Der Weise forscht hier unverdrossen;
    Am Tag erkennen, das sind Possen,
    420
    Im Finstern sind Mysterien zu Haus.

    KAISER

    Die lass ich dir! Was will das Düstre frommen?
    Hat etwas Wert, es muß zu Tage kommen.
    Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau?
    Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.
    425
    Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht —
    Zieh deinen Pflug und ackre sie ans Licht.

    MEPHISTOPHELES

    Nimm Hack und Spaten, grabe selber,
    Die Bauernarbeit macht dich groß,
    Und eine Herde goldner Kälber,
    430
    Sie reißen sich vom Boden los.
    Dann ohne Zaudern, mit Entzücken
    Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken;
    Ein leuchtend Farb– und Glanzgestein erhöht
    Die Schönheit wie die Majestät.

    KAISER

    435
    Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!

    ASTROLOG

    wie oben.
    Herr, mäßige solch dringendes Begehren,
    Laß erst vorbei das bunte Freudenspiel;
    Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel.
    Erst müssen wir in Fassung uns versühnen,
    440
    Das Untre durch das Obere verdienen.
    Wer Gutes will, der sei erst gut;
    Wer Freude will, besänftige sein Blut;
    Wer Wein verlangt, der keltre reife Trauben;
    Wer Wunder hofft, der stärke seinen Glauben.

    KAISER

    445
    So sei die Zeit in Fröhlichkeit vertan!
    Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
    Indessen feiern wir, auf jeden Fall,
    Nur lustiger das wilde Karneval.
    Trompeten. Exeunt.

    MEPHISTOPHELES

    Wie sich Verdienst und Glück verketten,
    450
    Das fällt den Toren niemals ein;
    Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
    Der Weise mangelte dem Stein.

    WEITLÄUFIGER SAAL

    mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz.

    HEROLD

    Denkt nicht, ihr seid in deutschen Grenzen
    Von Teufels–, Narren– und Totentänzen;
    455
    Ein heitres Fest erwartet euch.
    Der Herr, auf seinen Römerzügen,
    Hat, sich zu Nutz, euch zum Vergnügen,
    Die hohen Alpen überstiegen,
    Gewonnen sich ein heitres Reich.
    460
    Der Kaiser, er, an heiligen Sohlen
    Erbat sich erst das Recht zur Macht,
    Und als er ging, die Krone sich zu holen,
    Hat er uns auch die Kappe mitgebracht.
    Nun sind wir alle neugeboren;
    465
    Ein jeder weltgewandte Mann
    Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
    Sie ähnelt ihn verrückten Toren,
    Er ist darunter weise, wie er kann.
    Ich sehe schon, wie sie sich scharen,
    470
    Sich schwankend sondern, traulich paaren;
    Zudringlich schließt sich Chor an Chor.
    Herein, hinaus, nur unverdrossen;
    Es bleibt doch endlich nach wie vor
    Mit ihren hunderttausend Possen
    475
    Die Welt ein einzig großer Tor.

    GÄRTNERINNEN

    Gesang, begleitet von Mandolinen.
    Euren Beifall zu gewinnen,
    Schmückten wir uns diese Nacht,
    Junge Florentinerinnen
    Folgten deutschen Hofes Pracht;
    480
    Tragen wir in braunen Locken
    Mancher heitern Blume Zier;
    Seidenfäden, Seidenflocken
    Spielen ihre Rolle hier.
    Denn wir halten es verdienstlich,
    485
    Lobenswürdig ganz und gar,
    Unsere Blumen, glänzend künstlich,
    Blühen fort das ganze Jahr.
    Allerlei gefärbten Schnitzeln
    Ward symmetrisch Recht getan;
    490
    Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln,
    Doch das Ganze zieht euch an.
    Niedlich sind wir anzuschauen,
    Gärtnerinnen und galant;
    Denn das Naturell der Frauen
    495
    Ist so nah mit Kunst verwandt.

    HEROLD

    Laßt die reichen Körbe sehen,
    Die ihr auf den Häupten traget,
    Die sich bunt am Arme blähen,
    Jeder wähle, was behaget.
    500
    Eilig, daß in Laub und Gängen
    Sich ein Garten offenbare!
    Würdig sind sie zu umdrängen,
    Krämerinnen wie die Ware.

    GÄRTNERINNEN

    Feilschet nun am heitern Orte,
    505
    Doch kein Markten finde statt!
    Und mit sinnig kurzem Worte
    Wisse jeder, was er hat.

    OLIVENZWEIG MIT FRÜCHTEN

    Keinen Blumenflor beneid ich,
    Allen Widerstreit vermeid ich;
    510
    Mir ist's gegen die Natur:
    Bin ich doch das Mark der Lande
    Und, zum sichern Unterpfande,
    Friedenszeichen jeder Flur.
    Heute, hoff ich, soll mir's glücken,
    515
    Würdig schönes Haupt zu schmücken.

    ÄHRENKRANZ

    golden
    Ceres' Gaben, euch zu putzen,
    Werden hold und lieblich stehn:
    Das Erwünschteste dem Nutzen
    Sei als eure Zierde schön.

    PHANTASIEKRANZ

    520
    Bunte Blumen, Malven ähnlich,
    Aus dem Moos ein Wunderflor!
    Der Natur ist's nicht gewöhnlich,
    Doch die Mode bringt's hervor.

    PHANTASIESTRAUSS

    Meinen Namen euch zu sagen,
    525
    Würde Theophrast nicht wagen;
    Und doch hoff ich, wo nicht allen,
    Aber mancher zu gefallen,
    Der ich mich wohl eignen möchte,
    Wenn sie mich ins Haar verflöchte,
    530
    Wenn sie sich entschließen könnte,
    Mir am Herzen Platz vergönnte.

    ROSENKNOSPEN

    Mögen bunte Phantasieen
    Für des Tages Mode blühen,
    Wunderseltsam sein gestaltet,
    535
    Wie Natur sich nie entfaltet;
    Grüne Stiele, goldne Glocken,
    Blickt hervor aus reichen Locken! —
    Doch wir — halten uns versteckt:
    Glücklich, wer uns frisch entdeckt.
    540
    Wenn der Sommer sich verkündet,
    Rosenknospe sich entzündet,
    Wer mag solches Glück entbehren?
    Das Versprechen, das Gewähren,
    Das beherrscht in Florens Reich
    545
    Blick und Sinn und Herz zugleich.
    Unter grünen Laubkränzen putzen die Gärtnerinnen zierlich ihren Kram auf.

    GÄRTNER

    Gesang begleitet von Theorben.
    Blumen sehet ruhig sprießen,
    Reizend euer Haupt umzieren;
    Früchte wollen nicht verführen,
    Kostend mag man sie genießen.
    550
    Bieten bräunliche Gesichter
    Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,
    Kauft! denn gegen Zung und Gaumen
    Hält sich Auge schlecht als Richter.
    Kommt, von allerreifsten Früchten
    555
    Mit Geschmack und Lust zu speisen!
    über Rosen läßt sich dichten,
    In die Äpfel muß man beißen.
    Sei's erlaubt, uns anzupaaren
    Eurem reichen Jugendflor,
    560
    Und wir putzen reifer Waren
    Fülle nachbarlich empor.
    Unter lustigen Gewinden,
    In geschmückter Lauben Bucht,
    Alles ist zugleich zu finden:
    565
    Knospe, Blätter, Blume, Frucht.
    Unter Wechselgesang, begleitet von Guitarren und Theorben, fahren beide Chöre fort ihre Waren stufenweis in die Höhe zu schmücken und anzubieten.
    Mutter und Tochter.

    MUTTER

    Mädchen, als du kamst ans Licht,
    Schmückt' ich dich im Häubchen;
    Warst so lieblich von Gesicht
    Und so zart am Leibchen.
    570
    Dachte dich sogleich als Braut,
    Gleich dem Reichsten angetraut,
    Dachte dich als Weibchen.
    Ach! Nun ist schon manches Jahr
    Ungenützt verflogen,
    575
    Der Sponsierer bunte Schar
    Schnell vorbeigezogen;
    Tanztest mit dem einen flink,
    Gabst dem andern feinen Wink
    Mit dem Ellenbogen.
    580
    Welches Fest man auch ersann,
    Ward umsonst begangen,
    Pfänderspiel und dritter Mann
    Wollten nicht verfangen;
    Heute sind die Narren los,
    585
    Liebchen, öffne deinen Schoß,
    Bleibt wohl einer hangen.
    Gespielinnen, jung und schön, gesellen sich hinzu, ein vertrauliches Geplauder wird laut.
    Fischer und Vogelsteller mit Netzen, Angeln und Leimruthen, auch sonstigem Geräte, treten auf, mischen sich unter die schönen Kinder. Wechselseitige Versuche zu gewinnen, zu fangen, zu entgehen und festzuhalten geben zu den angenehmsten Dialogen Gelegenheit.

    HOLZHAUER

    treten ein, ungestüm und ungeschlacht.
    Nur Platz! nur Blöße!
    Wir brauchen Räume,
    Wir fällen Bäume,
    590
    Die krachen, schlagen;
    Und wenn wir tragen,
    Da gibt es Stöße.
    Zu unserm Lobe
    Bringt dies ins reine;
    595
    Denn wirkten Grobe
    Nicht auch im Lande,
    Wie kämen Feine
    Für sich zustande,
    So sehr sie witzten?
    600
    Des seid belehret!
    Denn ihr erfröret,
    Wenn wir nicht schwitzten.

    PULCINELLE

    täppisch, fast läppisch.
    Ihr seid die Toren,
    Gebückt geboren.
    605
    Wir sind die Klugen,
    Die nie was trugen;
    Denn unsre Kappen,
    Jacken und Lappen
    Sind leicht zu tragen;
    610
    Und mit Behagen
    Wir immer müßig,
    Pantoffelfüßig,
    Durch Markt und Haufen
    Einher zu laufen,
    615
    Gaffend zu stehen,
    Uns anzukrähen;
    Auf solche Klänge
    Durch Drang und Menge
    Aalgleich zu schlüpfen,
    620
    Gesamt zu hüpfen,
    Vereint zu toben.
    Ihr mögt uns loben,
    Ihr mögt uns schelten,
    Wir lassen's gelten.

    PARASITEN

    schmeichelnd-lüstern.
    625
    Ihr wackern Träger
    Und eure Schwäger,
    Die Kohlenbrenner,
    Sind unsre Männer.
    Denn alles Bücken,
    630
    Bejahndes Nicken,
    Gewundne Phrasen,
    Das Doppelblasen,
    Das wärmt und kühlet,
    Wie's einer fühlet,
    635
    Was könnt es frommen?
    Es möchte Feuer
    Selbst ungeheuer
    Vom Himmel kommen,
    Gäb es nicht Scheite
    640
    Und Kohlentrachten,
    Die Herdesbreite
    Zur Glut entfachten.
    Da brät's und prudelt's,
    Da kocht's und strudelt's.
    645
    Der wahre Schmecker,
    Der Tellerlecker,
    Er riecht den Braten,
    Er ahnet Fische;
    Das regt zu Taten
    650
    An Gönners Tische.

    TRUNKNER

    unbewußt.
    Sei mir heute nichts zuwider!
    Fühle mich so frank und frei;
    Frische Lust und heitre Lieder,
    Holt' ich selbst sie doch herbei.
    655
    Und so trink ich! Trinke, trinke!
    Stoßet an, ihr! Tinke, Tinke!
    Du dorthinten, komm heran!
    Stoßet an, so ist's getan.
    Schrie mein Weibchen doch entrüstet,
    660
    Rümpfte diesem bunten Rock,
    Und, wie sehr ich mich gebrüstet,
    Schalt mich einen Maskenstock.
    Doch ich trinke! Trinke, trinke!
    Angeklungen! Tinke, Tinke!
    665
    Maskenstöcke, stoßet an!
    Wenn es klingt, so ist's getan.
    Saget nicht, daß ich verirrt bin,
    Bin ich doch, wo mir's behagt.
    Borgt der Wirt nicht, borgt die Wirtin,
    670
    Und am Ende borgt die Magd.
    Immer trink ich! Trinke, trinke!
    Auf, ihr andern! Tinke, Tinke!
    Jeder jedem! so fortan!
    Dünkt mich's doch, es sei getan.
    675
    Wie und wo ich mich vergnüge,
    Mag es immerhin geschehn;
    Laß mich liegen, wo ich liege,
    Denn ich mag nicht länger stehn.

    CHOR

    Jeder Bruder trinke, trinke!
    680
    Toastet frisch ein Tinke, Tinke!
    Sitzet fest auf Bank und Span!
    Unterm Tisch dem ist's getan.
    Der Herold kündigt verschiedene Poeten an, Naturdichter, Hof- und Rittersänger, zärtliche so wie Enthusiasten. Im Gedräng von Mitwerbern aller Art läßt keiner den andern zum Vortrag kommen. Einer schleicht mit wenigen Worten vorüber.

    SATIRIKER

    Wißt ihr, was mich Poeten
    Erst recht erfreuen sollte?
    685
    Dürft ich singen und reden,
    Was niemand hören wollte.
    Die Nacht und Grabdichter lassen sich entschuldigen, weil sie soeben im interessantesten Gespräch mit einen frischerstandenen Vampyren begriffen seien, woraus eine neue Dichtart sich vielleicht entwickeln könnte; der Herold muß es gelten lassen und ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.
    Die Grazien.

    AGLAIA

    Anmut bringen wir ins Leben;
    Leget Anmut in das Geben!

    HEGEMONE

    Leget Anmut ins Empfangen,
    690
    Lieblich ist's, den Wunsch erlangen.

    EUPHRASYNE

    Und in stiller Tage Schranken
    Höchst anmutig sei das Danken.
    Die Parzen.

    ATROPOS

    Mich, die älteste, zum Spinnen
    Hat man diesmal eingeladen;
    695
    Viel zu denken, viel zu sinnen
    Gibt's beim zarten Lebensfaden.
    Daß er euch gelenk und weich sei,
    Wußt' ich feinsten Flachs zu sichten;
    Daß er glatt und schlank und gleich sei,
    700
    Wird der kluge Finger schlichten.
    Wolltet ihr bei Lust und Tänzen
    Allzu üppig euch erweisen,
    Denkt an dieses Fadens Grenzen,
    Hütet euch! Er möchte reißen.

    KLOTHO

    705
    Wißt, in diesen letzten Tagen
    Ward die Schere mir vertraut;
    Denn man war von dem Betragen
    Unsrer Alten nicht erbaut.
    Zerrt unnützeste Gespinste
    710
    Lange sie an Licht und Luft,
    Hoffnung herrlichster Gewinste
    Schleppt sie schneidend zu der Gruft.
    Doch auch ich im Jugendwalten
    Irrte mich schon hundertmal;
    715
    Heute mich im Zaum zu halten,
    Schere steckt im Futteral.
    Und so bin ich gern gebunden,
    Blicke freundlich diesem Ort;
    Ihr in diesen freien Stunden
    720
    Schwärmt nur immer fort und fort.

    LACHESIS

    Mir, die ich allein verständig,
    Blieb das Ordnen zugeteilt;
    Meine Weife, stets lebendig,
    Hat noch nie sich übereilt.
    725
    Fäden kommen, Fäden weifen,
    Jeden lenk ich seine Bahn,
    Keinen lass ich überschweifen,
    Füg er sich im Kreis heran.
    Könnt ich einmal mich vergessen,
    730
    Wär es um die Welt mir bang;
    Stunden zählen, Jahre messen,
    Und der Weber nimmt den Strang.

    HEROLD

    Die jetzo kommen, werdet ihr nicht kennen,
    Wärt ihr noch so gelehrt in alten Schriften;
    735
    Sie anzusehn, die so viel übel stiften,
    Ihr würdet sie willkommne Gäste nennen.
    Die Furien sind es, niemand wird uns glauben,
    Hübsch, wohlgestaltet, freundlich, jung von Jahren;
    Laßt euch mit ihnen ein, ihr sollt erfahren,
    740
    Wie schlangenhaft verletzen solche Tauben.
    Zwar sind sie tückisch, doch am heutigen Tage,
    Wo jeder Narr sich rühmet seiner Mängel,
    Auch sie verlangen nicht den Ruhm als Engel,
    Bekennen sich als Stadt– und Landesplage.
    Die Furien.

    ALEKTO

    745
    Was hilft es euch? ihr werdet uns vertrauen,
    Denn wir sind hübsch und jung und Schmeichelkätzchen;
    Hat einer unter euch ein Liebeschätzchen,
    Wir werden ihm so lang die Ohren krauen,
    Bis wir ihm sagen dürfen, Aug in Auge:
    750
    Daß sie zugleich auch dem und jenem winke,
    Im Kopfe dumm, im Rücken krumm, und hinke
    Und, wenn sie seine Braut ist, gar nichts tauge.
    So wissen wir die Braut auch zu bedrängen:
    Es hat sogar der Freund, vor wenig Wochen,
    755
    Verächtliches von ihr zu der gesprochen! —
    Versöhnt man sich, so bleibt doch etwas hängen.

    MEGÄRA

    Das ist nur Spaß! denn, sind sie erst verbunden,
    Ich nehm es auf und weiß, in allen Fällen,
    Das schönste Glück durch Grille zu vergällen;
    760
    Der Mensch ist ungleich, ungleich sind die Stunden.
    Und niemand hat Erwünschtes fest in Armen,
    Der sich nicht nach Erwünschterem törig sehnte,
    Vom höchsten Glück, woran er sich gewöhnte;
    Die Sonne flieht er, will den Frost erwarmen.
    765
    Mit diesem allen weiß ich zu gebaren
    Und führe her Asmodi, den Getreuen,
    Zu rechter Zeit Unseliges auszustreuen,
    Verderbe so das Menschenvolk in Paaren.

    TISIPHONE

    Gift und Dolch statt böser Zungen
    770
    Misch ich, schärf ich dem Verräter;
    Liebst du andre, früher, später
    Hat Verderben dich durchdrungen.
    Muß der Augenblicke Süßtes
    Sich zu Gischt und Galle wandeln!
    775
    Hier kein Markten, hier kein Handeln,
    Wie er es beging, er büßt es.
    Singe keiner vom Vergeben!
    Felsen klag ich meine Sache,
    Echo! horch! erwidert: Rache!
    780
    Und wer wechselt, soll nicht leben.

    HEROLD

    Belieb es euch, zur Seite wegzuweichen,
    Denn was jetzt kommt, ist nicht von euresgleichen.
    Ihr seht, wie sich ein Berg herangedrängt,
    Mit bunten Teppichen die Weichen stolz behängt,
    785
    Ein Haupt mit langen Zähnen, Schlangenrüssel,
    Geheimnisvoll, doch zeig ich euch den Schlüssel.
    Im Nacken sitzt ihm zierlich-zarte Frau,
    Mit feinem Stäbchen lenkt sie ihn genau;
    Die andre, droben stehend herrlich-hehr,
    790
    Umgibt ein Glanz, der blendet mich zu sehr.
    Zur Seite gehn gekettet edle Frauen,
    Die eine bang, die andre froh zu schauen;
    Die eine wünscht, die andre fühlt sich frei.
    Verkünde jede, wer sie sei.

    FURCHT

    795
    Dunstige Fackeln, Lampen, Lichter
    Dämmern durchs verworrne Fest;
    Zwischen diese Truggesichter
    Bannt mich, ach! die Kette fest.
    Fort, ihr lächerlichen Lacher!
    800
    Euer Grinsen gibt Verdacht;
    Alle meine Widersacher
    Drängen mich in dieser Nacht.
    Hier! ein Freund ist Feind geworden,
    Seine Maske kenn ich schon;
    805
    Jener wollte mich ermorden,
    Nun entdeckt schleicht er davon.
    Ach wie gern in jeder Richtung
    Flöh ich zu der Welt hinaus;
    Doch von drüben droht Vernichtung,
    810
    Hält mich zwischen Dunst und Graus.

    HOFFNUNG

    Seid gegrüßt, ihr lieben Schwestern!
    Habt ihr euch schon heut und gestern
    In Vermummungen gefallen,
    Weiß ich doch gewiß von allen:
    815
    Morgen wollt ihr euch enthüllen.
    Und wenn wir bei Fackelscheine
    Uns nicht sonderlich behagen,
    Werden wir in heitern Tagen
    Ganz nach unserm eignen Willen
    820
    Bald gesellig, bald alleine
    Frei durch schöne Fluren wandeln,
    Nach Belieben ruhn und handeln
    Und in sorgenfreiem Leben
    Nie entbehren, stets erstreben;
    825
    überall willkommne Gäste,
    Treten wir getrost hinein:
    Sicherlich, es muß das Beste
    Irgendwo zu finden sein.

    KLUGHEIT

    Zwei der größten Menschenfeinde,
    830
    Furcht und Hoffnung, angekettet,
    Halt ich ab von der Gemeinde;
    Platz gemacht! ihr seid gerettet.
    Den lebendigen Kolossen
    Führ ich, seht ihr, turmbeladen,
    835
    Und er wandelt unverdrossen
    Schritt vor Schritt auf steilen Pfaden.
    Droben aber auf der Zinne
    Jene Göttin, mit behenden
    Breiten Flügeln, zum Gewinne
    840
    Allerseits sich hinzuwenden.
    Rings umgibt sie Glanz und Glorie,
    Leuchtend fern nach allen Seiten;
    Und sie nennet sich Viktorie,
    Göttin aller Tätigkeiten.

    ZOILO-THERSITES

    845
    Hu! Hu! da komm ich eben recht,
    Ich schelt euch allzusammen schlecht!
    Doch was ich mir zum Ziel ersah,
    Ist oben Frau Viktoria.
    Mit ihrem weißen Flügelpaar
    850
    Sie dünkt sich wohl, sie sei ein Aar,
    Und wo sie sich nur hingewandt,
    Gehör ihr alles Volk und Land;
    Doch, wo was Rühmliches gelingt,
    Es mich sogleich in Harnisch bringt.
    855
    Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
    Das Schiefe grad, das Grade schief,
    Das ganz allein macht mich gesund,
    So will ich's auf dem Erdenrund.

    HEROLD

    So treffe dich, du Lumpenhund,
    860
    Des frommen Stabes Meisterstreich!
    Da krümm und winde dich sogleich! —
    Wie sich die Doppelzwerggestalt
    So schnell zum eklen Klumpen ballt! —
    — Doch Wunder! — Klumpen wird zum Ei,
    865
    Das bläht sich auf und platzt entzwei.
    Nun fällt ein Zwillingspaar heraus,
    Die Otter und die Fledermaus;
    Die eine fort im Staube kriecht,
    Die andre schwarz zur Decke fliegt.
    870
    Sie eilen draußen zum Verein;
    Da möcht ich nicht der dritte sein.

    GEMURMEL

    Frisch! dahinten tanzt man schon —
    Nein! Ich wollt, ich wär davon —
    Fühlst du, wie uns das umflicht,
    875
    Das gespenstische Gezücht? —
    Saust es mir doch übers Haar —
    Ward ich's doch am Fuß gewahr —
    Keiner ist von uns verletzt —
    Alle doch in Furcht gesetzt —
    880
    Ganz verdorben ist der Spaß —
    Und die Bestien wollten das.

    HEROLD

    Seit mir sind bei Maskeraden
    Heroldspflichten aufgeladen,
    Wach ich ernstlich an der Pforte,
    885
    Daß euch hier am lustigen Orte
    Nichts Verderbliches erschleiche,
    Weder wanke, weder weiche.
    Doch ich fürchte, durch die Fenster
    Ziehen luftige Gespenster,
    890
    Und von Spuk und Zaubereien
    Wüßt ich euch nicht zu befreien.
    Machte sich der Zwerg verdächtig,
    Nun! dort hinten strömt es mächtig.
    Die Bedeutung der Gestalten
    895
    Möcht ich amtsgemäß entfalten.
    Aber was nicht zu begreifen,
    Wüßt ich auch nicht zu erklären;
    Helfet alle mich belehren! —
    Seht ihr's durch die Menge schweifen?
    900
    Vierbespannt ein prächtiger Wagen
    Wird durch alles durchgetragen;
    Doch er teilet nicht die Menge,
    Nirgend seh ich ein Gedränge.
    Farbig glitzert's in der Ferne,
    905
    Irrend leuchten bunte Sterne
    Wie von magischer Laterne,
    Schnaubt heran mit Sturmgewalt.
    Platz gemacht! Mich schaudert's!

    KNABE WAGENLENKER

    Halt!
    910
    Rosse, hemmet eure Flügel,
    Fühlet den gewohnten Zügel,
    Meistert euch, wie ich euch meistre,
    Rauschet hin, wenn ich begeistre —
    Diese Räume laßt uns ehren!
    915
    Schaut umher, wie sie sich mehren,
    Die Bewundrer, Kreis um Kreise.
    Herold auf! nach deiner Weise,
    Ehe wir von euch entfliehen,
    Uns zu schildern, uns zu nennen;
    920
    Denn wir sind Allegorien,
    Und so solltest du uns kennen.

    HEROLD

    Wüßte nicht, dich zu benennen;
    Eher könnt ich dich beschreiben.

    KNABE LENKER

    So probier's!

    HEROLD

    925
    Man muß gestehn:
    Erstlich bist du jung und schön.
    Halbwüchsiger Knabe bist du; doch die Frauen,
    Sie möchten dich ganz ausgewachsen schauen.
    Du scheinest mir ein künftiger Sponsierer,
    930
    Recht so von Haus aus ein Verführer.

    KNABE LENKER

    Das läßt sich hören! fahre fort,
    Erfinde dir des Rätsels heitres Wort.

    HEROLD

    Der Augen schwarzer Blitz, die Nacht der Locken,
    Erheitert von juwelnem Band!
    935
    Und welch ein zierliches Gewand
    Fließt dir von Schultern zu den Socken,
    Mit Purpursaum und Glitzertand!
    Man könnte dich ein Mädchen schelten;
    Doch würdest du, zu Wohl und Weh,
    940
    Auch jetzo schon bei Mädchen gelten,
    Sie lehrten dich das ABC.

    KNABE LENKER

    Und dieser, der als Prachtgebilde
    Hier auf dem Wagenthrone prangt?

    HEROLD

    Er scheint ein König reich und milde,
    945
    Wohl dem, der seine Gunst erlangt!
    Er hat nichts weiter zu erstreben,
    Wo's irgend fehlte, späht sein Blick,
    Und seine reine Lust zu geben
    Ist größer als Besitz und Glück.

    KNABE LENKER

    950
    Hiebei darfst du nicht stehen bleiben,
    Du mußt ihn recht genau beschreiben.

    HEROLD

    Das Würdige beschreibt sich nicht.
    Doch das gesunde Mondgesicht,
    Ein voller Mund, erblühte Wangen,
    955
    Die unterm Schmuck des Turbans prangen;
    Im Faltenkleid ein reich Behagen!
    Was soll ich von dem Anstand sagen?
    Als Herrscher scheint er mir bekannt.

    KNABE LENKER

    Plutus, des Reichtums Gott genannt!
    960
    Derselbe kommt in Prunk daher,
    Der hohe Kaiser wünscht ihn sehr.

    HEROLD

    Sag von dir selber auch das Was und Wie!

    KNABE LENKER

    Bin die Verschwendung, bin die Poesie;
    Bin der Poet, der sich vollendet,
    965
    Wenn er sein eigenst Gut verschwendet.
    Auch ich bin unermeßlich reich
    Und schätze mich dem Plutus gleich,
    Beleb und schmück ihm Tanz und Schmaus,
    Das, was ihm fehlt, das teil ich aus.

    HEROLD

    970
    Das Prahlen steht dir gar zu schön,
    Doch laß uns deine Künste sehn.

    KNABE LENKER

    Hier seht mich nur ein Schnippchen schlagen,
    Schon glänzt's und glitzert's um den Wagen.
    Da springt eine Perlenschnur hervor!
    975
    Immerfort umherschnippend.
    Nehmt goldne Spange für Hals und Ohr;
    Auch Kamm und Krönchen ohne Fehl,
    In Ringen köstlichstes Juwel;
    Auch Flämmchen spend ich dann und wann,
    980
    Erwartend, wo es zünden kann.

    HEROLD

    Wie greift und hascht die liebe Menge!
    Fast kommt der Geber ins Gedränge.
    Kleinode schnippt er wie ein Traum,
    Und alles hascht im weiten Raum.
    985
    Doch da erleb ich neue Pfiffe:
    Was einer noch so emsig griffe,
    Des hat er wirklich schlechten Lohn,
    Die Gabe flattert ihm davon.
    Es löst sich auf das Perlenband,
    990
    Ihm krabbeln Käfer in der Hand,
    Er wirft sie weg, der arme Tropf,
    Und sie umsummen ihm den Kopf.
    Die andern statt solider Dinge
    Erhaschen frevle Schmetterlinge.
    995
    Wie doch der Schelm so viel verheißt
    Und nur verleiht, was golden gleißt!

    KNABE LENKER

    Zwar Masken, merk ich, weißt du zu verkünden,
    Allein der Schale Wesen zu ergründen,
    Sind Herolds Hofgeschäfte nicht;
    1000
    Das fordert schärferes Gesicht.
    Doch hüt ich mich vor jeder Fehde;
    An dich, Gebieter, wend ich Frag und Rede.
    Zu Plutus gewendet.
    Hast du mir nicht die Windesbraut
    1005
    Des Viergespannes anvertraut?
    Lenk ich nicht glücklich, wie du leitest?
    Bin ich nicht da, wohin du deutest?
    Und wußt' ich nicht auf kühnen Schwingen
    Für dich die Palme zu erringen?
    1010
    Wie oft ich auch für dich gefochten,
    Mir ist es jederzeit geglückt:
    Wenn Lorbeer deine Stirne schmückt,
    Hab ich ihn nicht mit Sinn und Hand geflochten?

    PLUTUS

    Wenn's nötig ist, daß ich dir Zeugnis leiste,
    1015
    So sag ich gern: Bist Geist von meinem Geiste.
    Du handelst stets nach meinem Sinn,
    Bist reicher, als ich selber bin.
    Ich schätze, deinen Dienst zu lohnen,
    Den grünen Zweig vor allen meinen Kronen.
    1020
    Ein wahres Wort verkünd ich allen:
    Mein lieber Sohn, an dir hab ich Gefallen.

    KNABE LENKER

    zur Menge.
    Die größten Gaben meiner Hand,
    Seht! hab ich rings umher gesandt.
    Auf dem und jenem Kopfe glüht
    1025
    Ein Flämmchen, das ich angesprüht;
    Von einem zu dem andern hüpft's,
    An diesem hält sich's, dem entschlüpft's,
    Gar selten aber flammt's empor,
    Und leuchtet rasch in kurzem Flor;
    1030
    Doch vielen, eh man's noch erkannt,
    Verlischt es, traurig ausgebrannt.

    WEIBERGEKLATSCH

    Da droben auf dem Viergespann
    Das ist gewiß ein Scharlatan;
    Gekauzt da hintendrauf Hanswurst,
    1035
    Doch abgezehrt von Hunger und Durst,
    Wie man ihn niemals noch erblickt;
    Er fühlt wohl nicht, wenn man ihn zwickt.

    DER ABGEMAGERTE

    Vom Leibe mir, ekles Weibsgeschlecht!
    Ich weiß, dir komm ich niemals recht. —
    1040
    Wie noch die Frau den Herd versah,
    Da hieß ich Avaritia;
    Da stand es gut um unser Haus:
    Nur viel herein und nichts hinaus!
    Ich eiferte für Kist und Schrein;
    1045
    Das sollte wohl gar ein Laster sein.
    Doch als in allerneusten Jahren
    Das Weib nicht mehr gewohnt zu sparen,
    Und, wie ein jeder böser Zahler,
    Weit mehr Begierden hat als Taler,
    1050
    Da bleibt dem Manne viel zu dulden,
    Wo er nur hinsieht, da sind Schulden.
    Sie wendet's, kann sie was erspulen,
    An ihren Leib, an ihren Buhlen;
    Auch speist sie besser, trinkt noch mehr
    1055
    Mit der Sponsierer leidigem Heer;
    Das steigert mir des Goldes Reiz:
    Bin männlichen Geschlechts, der Geiz!

    HAUPTWEIB

    Mit Drachen mag der Drache geizen;
    Ist's doch am Ende Lug und Trug!
    1060
    Er kommt, die Männer aufzureizen,
    Sie sind schon unbequem genug.

    WEIBER IN MASSE

    Der Strohmann! Reich ihm eine Schlappe!
    Was will das Marterholz uns dräun?
    Wir sollen seine Fratze scheun!
    1065
    Die Drachen sind von Holz und Pappe,
    Frisch an und dringt auf ihn hinein!

    HEROLD

    Bei meinem Stabe! Ruh gehalten! —
    Doch braucht es meiner Hülfe kaum;
    Seht, wie die grimmen Ungestalten,
    1070
    Bewegt im rasch gewonnenen Raum,
    Das Doppel-Flügelpaar entfalten.
    Entrüstet schütteln sich der Drachen
    Umschuppte, feuerspeiende Rachen;
    Die Menge flieht, rein ist der Platz.
    Plutus steigt vom Wagen.

    HEROLD

    1075
    Er tritt herab, wie königlich!
    Er winkt, die Drachen rühren sich,
    Die Kiste haben sie vom Wagen
    Mit Gold und Geiz herangetragen,
    Sie steht zu seinen Füßen da:
    1080
    Ein Wunder ist es, wie's geschah.

    PLUTUS

    zum Lenker.
    Nun bist du los der allzulästigen Schwere,
    Bist frei und frank, nun frisch zu deiner Sphäre!
    Hier ist sie nicht! Verworren, scheckig, wild
    Umdrängt uns hier ein fratzenhaft Gebild.
    1085
    Nur wo du klar ins holde Klare schaust,
    Dir angehörst und dir allein vertraust,
    Dorthin, wo Schönes, Gutes nur gefällt,
    Zur Einsamkeit! — Da schaffe deine Welt.

    KNABE LENKER

    So acht ich mich als werten Abgesandten,
    1090
    So lieb ich dich als nächsten Anverwandten.
    Wo du verweilst, ist Fülle; wo ich bin,
    Fühlt jeder sich im herrlichsten Gewinn.
    Auch schwankt er oft im widersinnigen Leben:
    Soll er sich dir? soll er sich mir ergeben?
    1095
    Die Deinen freilich können müßig ruhn,
    Doch wer mir folgt, hat immer was zu tun.
    Nicht insgeheim vollführ ich meine Taten,
    Ich atme nur, und schon bin ich verraten.
    So lebe wohl! Du gönnst mir ja mein Glück;
    1100
    Doch lisple leis, und gleich bin ich zurück.
    Ab, wie er kam.

    PLUTUS

    Nun ist es Zeit, die Schätze zu entfesseln!
    Die Schlösser treff ich mit des Herolds Rute.
    Es tut sich auf! schaut her! in ehrnen Kesseln
    Entwickelt sich's und wallt von goldnem Blute,
    1105
    Zunächst der Schmuck von Kronen, Ketten, Ringen;
    Es schwillt und droht, ihn schmelzend zu verschlingen.

    WECHSELGESCHREI DER MENGE

    Seht hier, o hin! wie's reichlich quillt,
    Die Kiste bis zum Rande füllt. —
    Gefäße, goldne, schmelzen sich,
    1110
    Gemünzte Rollen wälzen sich. —
    Dukaten hüpfen wie geprägt,
    O wie mir das den Busen regt —
    Wie schau ich alle mein Begehr!
    Da kollern sie am Boden her. —
    1115
    Man bietet's euch, benutzt's nur gleich
    Und bückt euch nur und werdet reich. —
    Wir andern, rüstig wie der Blitz,
    Wir nehmen den Koffer in Besitz.

    HEROLD

    Was soll's, ihr Toren? soll mir das?
    1120
    Es ist ja nur ein Maskenspaß.
    Heut abend wird nicht mehr begehrt;
    Glaubt ihr, man geb euch Gold und Wert?
    Sind doch für euch in diesem Spiel
    Selbst Rechenpfennige zu viel.
    1125
    Ihr Täppischen! ein artiger Schein
    Soll gleich die plumpe Wahrheit sein.
    Was soll euch Wahrheit? — Dumpfen Wahn
    Packt ihr an allen Zipfeln an. —
    Vermummter Plutus, Maskenheld,
    1130
    Schlag dieses Volk mir aus dem Feld.

    PLUTUS

    Dein Stab ist wohl dazu bereit,
    Verleih ihn mir auf kurze Zeit. —
    Ich tauch ihn rasch in Sud und Glut. —
    Nun, Masken, seid auf eurer Hut!
    1135
    Wie's blitzt und platzt, in Funken sprüht!
    Der Stab, schon ist er angeglüht.
    Wer sich zu nah herangedrängt,
    Ist unbarmherzig gleich versengt. —
    Jetzt fang ich meinen Umgang an.

    GESCHREI UND GEDRÄNG

    1140
    O weh! Es ist um uns getan. —
    Entfliehe, wer entfliehen kann! —
    Zurück, zurück, du Hintermann! —
    Mir sprüht er heiß ins Angesicht. —
    Mich drückt des glühenden Stabs Gewicht —
    1145
    Verloren sind wir all und all. —
    Zurück, zurück, du Maskenschwall!
    Zurück, zurück, unsinniger Hauf! —
    O hätt ich Flügel, flög ich auf. —

    PLUTUS

    Schon ist der Kreis zurückgedrängt,
    1150
    Und niemand, glaub ich, ist versengt.
    Die Menge weicht,
    Sie ist verscheucht. —
    Doch solcher Ordnung Unterpfand
    Zieh ich ein unsichtbares Band.

    HEROLD

    1155
    Du hast ein herrlich Werk vollbracht,
    Wie dank ich deiner klugen Macht!

    PLUTUS

    Noch braucht es, edler Freund, Geduld:
    Es droht noch mancherlei Tumult.

    GEIZ

    So kann man doch, wenn es beliebt,
    1160
    Vergnüglich diesen Kreis beschauen;
    Denn immerfort sind vornenan die Frauen,
    Wo's was zu gaffen, was zu naschen gibt.
    Noch bin ich nicht so völlig eingerostet!
    Ein schönes Weib ist immer schön;
    1165
    Und heute, weil es mich nichts kostet,
    So wollen wir getrost sponsieren gehn.
    Doch weil am überfüllten Orte
    Nicht jedem Ohr vernehmlich alle Worte,
    Versuch ich klug und hoff, es soll mir glücken,
    1170
    Mich pantomimisch deutlich auszudrücken.
    Hand, Fuß, Gebärde reicht mir da nicht hin,
    Da muß ich mich um einen Schwank bemühn.
    Wie feuchten Ton will ich das Gold behandeln,
    Denn dies Metall läßt sich in alles wandeln.

    HEROLD

    1175
    Was fängt der an, der magre Tor!
    Hat so ein Hungermann Humor?
    Er knetet alles Gold zu Teig,
    Ihm wird es untern Händen weich;
    Wie er es drückt und wie es ballt,
    1180
    Bleibt's immer doch nur ungestalt.
    Er wendet sich zu den Weibern dort,
    Sie schreien alle, möchten fort,
    Gebärden sich gar widerwärtig;
    Der Schalk erweist sich übelfertig.
    1185
    Ich fürchte, daß er sich ergetzt,
    Wenn er die Sittlichkeit verletzt.
    Dazu darf ich nicht schweigsam bleiben,
    Gib meinen Stab, ihn zu vertreiben.

    PLUTUS

    Er ahnet nicht, was uns von außen droht;
    1190
    Laß ihn die Narrenteidung treiben!
    Ihm wird kein Raum für seine Possen bleiben;
    Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die Not.

    GETÜMMEL UND GESANG

    Das wilde Heer, es kommt zumal
    Von Bergeshöh und Waldestal,
    1195
    Unwiderstehlich schreitet's an:
    Sie feiern ihren großen Pan.
    Sie wissen doch, was keiner weiß,
    Und drängen in den leeren Kreis.

    PLUTUS

    Ich kenn euch wohl und euren großen Pan!
    1200
    Zusammen habt ihr kühnen Schritt getan.
    Ich weiß recht gut, was nicht ein jeder weiß,
    Und öffne schuldig diesen engen Kreis.
    Mag sie ein gut Geschick begleiten!
    Das Wunderlichste kann geschehn;
    1205
    Sie wissen nicht, wohin sie schreiten,
    Sie haben sich nicht vorgesehn.

    WILDGESANG

    Geputztes Volk du, Flitterschau!
    Sie kommen roh, sie kommen rauh,
    In hohem Sprung, in raschem Lauf,
    1210
    Sie treten derb und tüchtig auf.

    FAUNEN

    Die Faunenschar
    Im lustigen Tanz,
    Den Eichenkranz
    Im krausen Haar,
    1215
    Ein feines zugespitztes Ohr
    Dringt an dem Lockenkopf hervor,
    Ein stumpfes Näschen, ein breit Gesicht,
    Das schadet alles bei Frauen nicht:
    Dem Faun, wenn er die Patsche reicht,
    1220
    Versagt die Schönste den Tanz nicht leicht.

    SATYR

    Der Satyr hüpft nun hinterdrein
    Mit Ziegenfuß und dürrem Bein,
    Ihm sollen sie mager und sehnig sein,
    Und gemsenartig auf Bergeshöhn
    1225
    Belustigt er sich, umherzusehn.
    In Freiheitsluft erquickt alsdann,
    Verhöhnt er Kind und Weib und Mann,
    Die tief in Tales Dampf und Rauch
    Behaglich meinen, sie lebten auch,
    1230
    Da ihm doch rein und ungestört
    Die Welt dort oben allein gehört.

    GNOMEN

    Da trippelt ein die kleine Schar,
    Sie hält nicht gern sich Paar und Paar;
    Im moosigen Kleid mit Lämplein hell
    1235
    Bewegt sich's durcheinander schnell,
    Wo jedes für sich selber schafft,
    Wie Leucht-Ameisen wimmelhaft;
    Und wuselt emsig hin und her,
    Beschäftigt in die Kreuz und Quer.
    1240
    Den frommen Gütchen nah verwandt,
    Als Felschirurgen wohlbekannt;
    Die hohen Berge schröpfen wir,
    Aus vollen Adern schöpfen wir;
    Metalle stürzen wir zuhauf,
    1245
    Mit Gruß getrost: Glück auf! Glück auf!
    Das ist von Grund aus wohlgemeint:
    Wir sind der guten Menschen Freund.
    Doch bringen wir das Gold zu Tag,
    Damit man stehlen und kuppeln mag,
    1250
    Nicht Eisen fehle dem stolzen Mann,
    Der allgemeinen Mord ersann.
    Und wer die drei Gebot' veracht't,
    Sich auch nichts aus den andern macht.
    Das alles ist nicht unsre Schuld;
    1255
    Drum habt so fort, wie wir, Geduld.

    RIESEN

    Die wilden Männer sind s' genannt,
    Am Harzgebirge wohlbekannt;
    Natürlich nackt in aller Kraft,
    Sie kommen sämtlich riesenhaft.
    1260
    Den Fichtenstamm in rechter Hand
    Und um den Leib ein wulstig Band,
    Den derbsten Schurz von Zweig und Blatt,
    Leibwacht, wie der Papst nicht hat.

    NYMPHEN IM CHOR

    Sie umschließen den großen Pan.
    Auch kommt er an! —
    1265
    Das All der Welt
    Wird vorgestellt
    Im großen Pan.
    Ihr Heitersten, umgebet ihn,
    Im Gaukeltanz umschwebet ihn:
    1270
    Denn weil er ernst und gut dabei,
    So will er, daß man fröhlich sei.
    Auch unterm blauen Wölbedach
    Verhielt er sich beständig wach;
    Doch rieseln ihm die Bäche zu,
    1275
    Und Lüftlein wiegen ihn mild in Ruh.
    Und wenn er zu Mittage schläft,
    Sich nicht das Blatt am Zweige regt;
    Gesunder Pflanzen Balsamduft
    Erfüllt die schweigsam stille Luft;
    1280
    Die Nymphe darf nicht munter sein,
    Und wo sie stand, da schläft sie ein.
    Wenn unerwartet mit Gewalt
    Dann aber seine Stimm erschallt,
    Wie Blitzes Knattern, Meergebraus,
    1285
    Dann niemand weiß, wo ein noch aus,
    Zerstreut sich tapfres Heer im Feld,
    Und im Getümmel bebt der Held.
    So Ehre dem, dem Ehre gebührt!
    Und Heil ihm, der uns hergeführt!

    DEPUTATION DER GNOMEN

    an den großen Pan.
    1290
    Wenn das glänzend reiche Gute
    Fadenweis durch Klüfte streicht,
    Nur der klugen Wünschelrute
    Seine Labyrinthe zeigt,
    Wölben wir in dunklen Grüften
    1295
    Troglodytisch unser Haus,
    Und an reinen Tageslüften
    Teilst du Schätze gnädig aus.
    Nun entdecken wir hieneben
    Eine Quelle wunderbar,
    1300
    Die bequem verspricht zu geben,
    Was kaum zu erreichen war.
    Dies vermagst du zu vollenden,
    Nimm es, Herr, in deine Hut:
    Jeder Schatz in deinen Händen
    1305
    Kommt der ganzen Welt zu gut.

    PLUTUS

    zum Herold.
    Wir müssen uns im hohen Sinne fassen
    Und, was geschieht, getrost geschehen lassen,
    Du bist ja sonst des stärksten Mutes voll.
    Nun wird sich gleich ein Greulichstes eräugnen,
    1310
    Hartnäckig wird es Welt und Nachwelt leugnen:
    Du schreib es treulich in dein Protokoll.

    HEROLD

    den Stab anfassend, welchen Plutus in der Hand behält.
    Die Zwerge führen den großen Pan
    Zur Feuerquelle sacht heran;
    Sie siedet auf vom tiefsten Schlund,
    1315
    Dann sinkt sie wieder hinab zum Grund,
    Und finster steht der offne Mund;
    Wallt wieder auf in Glut und Sud,
    Der große Pan steht wohlgemut,
    Freut sich des wundersamen Dings,
    1320
    Und Perlenschaum sprüht rechts und links.
    Wie mag er solchem Wesen traun?
    Er bückt sich tief hinein zu schaun. —
    Nun aber fällt sein Bart hinein! —
    Wer mag das glatte Kinn wohl sein?
    1325
    Die Hand verbirgt es unserm Blick. —
    Nun folgt ein großes Ungeschick:
    Der Bart entflammt und fliegt zurück,
    Entzündet Kranz und Haupt und Brust,
    Zu Leiden wandelt sich die Lust. —
    1330
    Zu löschen läuft die Schar herbei,
    Doch keiner bleibt von Flammen frei,
    Und wie es patscht und wie es schlägt,
    Wird neues Flammen aufgeregt;
    Verflochten in das Element,
    1335
    Ein ganzer Maskenklump verbrennt.
    Was aber, hör ich wird uns kund
    Von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund!
    O ewig unglücksel'ge Nacht,
    Was hast du uns für Leid gebracht!
    1340
    Verkünden wird der nächste Tag,
    Was niemand willig hören mag;
    Doch hör ich aller Orten schrein:
    „Der Kaiser leidet solche Pein.”
    O wäre doch ein andres wahr!
    1345
    Der Kaiser brennt und seine Schar.
    Sie sei verflucht, die ihn verführt,
    In harzig Reis sich eingeschnürt,
    Zu toben her mit Brüllgesang
    Zu allerseitigem Untergang.
    1350
    O Jugend, Jugend, wirst du nie
    Der Freude reines Maß bezirken?
    O Hoheit, Hoheit, wirst du nie
    Vernünftig wie allmächtig wirken?
    Schon geht der Wald in Flammen auf,
    1355
    Sie züngeln leckend spitz hinauf
    Zum holzverschränkten Deckenband;
    Uns droht ein allgemeiner Brand.
    Des Jammers Maß ist übervoll,
    Ich weiß nicht, wer uns retten soll.
    1360
    Ein Aschenhaufen einer Nacht
    Liegt morgen reiche Kaiserpracht.

    PLUTUS

    Schrecken ist genug verbreitet,
    Hilfe sei nun eingeleitet! —
    Schlage, heil'gen Stabs Gewalt,
    1365
    Daß der Boden bebt und schallt!
    Du, geräumig weite Luft,
    Fülle dich mit kühlem Duft!
    Zieht heran, umherzuschweifen,
    Nebeldünste, schwangre Streifen,
    1370
    Deckt ein flammendes Gewühl!
    Rieselt, säuselt, Wölkchen kräuselt,
    Schlüpfet wallend, leise dämpfet,
    Löschend überall bekämpfet,
    Ihr, die lindernden, die feuchten,
    1375
    Wandelt in ein Wetterleuchten
    Solcher eitlen Flamme Spiel! —
    Drohen Geister, uns zu schädigen,
    Soll sich die Magie betätigen.

    LUSTGARTEN

    Morgensonne.
    Der Kaiser, Hofleute. Faust, Mephistopheles, anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet, beide knieen.

    FAUST

    Verzeihst du, Herr, das Flammengaukelspiel?

    KAISER

    zum Aufstehen winkend.
    1380
    Ich wünsche mir dergleichen Scherze viel. —
    Auf einmal sah ich mich in glühnder Sphäre,
    Es schien mir fast, als ob ich Pluto wäre.
    Aus Nacht und Kohlen lag ein Felsengrund,
    Von Flämmchen glühend. Dem und jenem Schlund
    1385
    Aufwirbelten viel tausend wilde Flammen
    Und flackerten in ein Gewölb zusammen.
    Zum höchsten Dome züngelt' es empor,
    Der immer ward und immer sich verlor.
    Durch fernen Raum gewundner Feuersäulen
    1390
    Sah ich bewegt der Völker lange Zeilen,
    Sie drängten sich im weiten Kreis heran
    Und huldigten, wie sie es stets getan.
    Vom meinem Hof erkannt' ich ein und andern,
    Ich schien ein Fürst von tausend Salamandern.

    MEPHISTOPHELES

    1395
    Das bist du, Herr! weil jedes Element
    Die Majestät als unbedingt erkennt.
    Gehorsam Feuer hast du nun erprobt;
    Wirf dich ins Meer, wo es am wildsten tobt,
    Und kaum betrittst du perlenreichen Grund,
    1400
    So bildet wallend sich ein herrlich Rund;
    Siehst auf und ab lichtgrüne schwanke Wellen,
    Mit Purpursaum, zur schönsten Wohnung schwellen
    Um dich, den Mittelpunkt. Bei jedem Schritt,
    Wohin du gehst, gehn die Paläste mit.
    1405
    Die Wände selbst erfreuen sich des Lebens,
    Pfeilschnellen Wimmlens, Hin– und Widerstrebens.
    Meerwunder drängen sich zum neuen milden Schein,
    Sie schießen an, und keines darf herein.
    Da spielen farbig goldbeschuppte Drachen,
    1410
    Der Haifisch klafft, du lachst ihm in den Rachen.
    Wie sich auch jetzt der Hof um dich entzückt,
    Hast du doch nie ein solch Gedräng erblickt.
    Doch bleibst du nicht vom Lieblichsten geschieden:
    Es nahen sich neugierige Nereiden
    1415
    Der prächt'gen Wohnung in der ew'gen Frische,
    Die jüngsten scheu und lüstern wie die Fische,
    Die spätern klug. Schon wird es Thetis kund,
    Dem zweiten Peleus reicht sie Hand und Mund. —
    Den Sitz alsdann auf des Olymps Revier …

    KAISER

    1420
    Die luft'gen Räume, die erlass ich dir:
    Noch früh genug besteigt man jenen Thron.

    MEPHISTOPHELES

    Und, höchster Herr! die Erde hast du schon.

    KAISER

    Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht,
    Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht?
    1425
    Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
    Versichr' ich dich der höchsten aller Gnaden.
    Sei stets bereit, wenn eure Tageswelt,
    Wie's oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.

    MARSCHALK

    tritt eilig auf.
    Durchlauchtigster, ich dacht' in meinem Leben
    1430
    Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
    Als diese, die mich hoch beglückt,
    In deiner Gegenwart entzückt:
    Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
    Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
    1435
    Los bin ich solcher Höllenpein;
    Im Himmel kann's nicht heitrer sein.

    HEERMEISTER

    folgt eilig.
    Abschläglich ist der Sold entrichtet,
    Das ganze Heer aufs neu verpflichtet,
    Der Landsknecht fühlt sich frisches Blut,
    1440
    Und Wirt und Dirnen haben's gut.

    KAISER

    Wie atmet eure Brust erweitert!
    Das faltige Gesicht erheitert!
    Wie eilig tretet ihr heran!

    SCHATZMEISTER

    der sich einfindet.
    Befrage diese, die das Werk getan.

    FAUST

    1445
    Dem Kanzler ziemt's, die Sache vorzutragen.

    KANZLER

    der langsam herankommt.
    Beglückt genug in meinen alten Tagen. —
    So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
    Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
    Er liest.
    1450
    „Zu wissen sei es jedem, der's begehrt:
    Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
    Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
    Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
    Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
    1455
    Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.”

    KAISER

    Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
    Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
    Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?

    SCHATZMEISTER

    Erinnre dich! hast selbst es unterschrieben;
    1460
    Erst heute nacht. Du standst als großer Pan,
    Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
    „Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
    Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.”
    Du zogst sie rein, dann ward's in dieser Nacht
    1465
    Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht.
    Damit die Wohltat allen gleich gedeihe,
    So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
    Zehn, Dreißig, Funfzig, Hundert sind parat.
    Ihr denkt euch nicht, wie wohl's dem Volke tat.
    1470
    Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
    Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
    Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
    Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
    Das Alphabet ist nun erst überzählig,
    1475
    In diesem Zeichen wird nun jeder selig.

    KAISER

    Und meinen Leuten gilt's für gutes Gold?
    Dem Heer, dem Hofe gnügt's zu vollem Sold?
    So sehr mich's wundert, muß ich's gelten lassen.

    MARSCHALK

    Unmöglich wär's, die Flüchtigen einzufassen;
    1480
    Mit Blitzeswink zerstreute sich's im Lauf.
    Die Wechslerbänke stehen sperrig auf:
    Man honoriert daselbst ein jedes Blatt
    Durch Gold und Silber, freilich mit Rabatt.
    Nun geht's von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
    1485
    Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
    Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
    Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.
    Bei „Hoch dem Kaiser!” sprudelt's in den Kellern,
    Dort kocht's und brät's und klappert mit den Tellern.

    MEPHISTOPHELES

    1490
    Wer die Terrassen einsam abspaziert,
    Gewahrt die Schönste, herrlich aufgeziert,
    Ein Aug verdeckt vom stolzen Pfauenwedel,
    Sie schmunzelt uns und blickt nach solcher Schedel;
    Und hurt'ger als durch Witz und Redekunst
    1495
    Vermittelt sich die reichste Liebesgunst.
    Man wird sich nicht mit Börs und Beutel plagen,
    Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,
    Mit Liebesbrieflein paart's bequem sich hier.
    Der Priester trägt's andächtig im Brevier,
    1500
    Und der Soldat, um rascher sich zu wenden,
    Erleichtert schnell den Gürtel seiner Lenden.
    Die Majestät verzeihe, wenn ins Kleine
    Das hohe Werk ich zu erniedern scheine.

    FAUST

    Das Übermaß der Schätze, das, erstarrt,
    1505
    In deinen Landen tief im Boden harrt,
    Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke
    Ist solchen Reichtums kümmerlichste Schranke;
    Die Phantasie, in ihrem höchsten Flug,
    Sie strengt sich an und tut sich nie genug.
    1510
    Doch fassen Geister, würdig, tief zu schauen,
    Zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen.

    MEPHISTOPHELES

    Ein solch Papier, an Gold und Perlen statt,
    Ist so bequem, man weiß doch, was man hat;
    Man braucht nicht erst zu markten, noch zu tauschen,
    1515
    Kann sich nach Lust in Lieb und Wein berauschen.
    Will man Metall, ein Wechsler ist bereit,
    Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit.
    Pokal und Kette wird verauktioniert,
    Und das Papier, sogleich amortisiert,
    1520
    Beschämt den Zweifler, der uns frech verhöhnt.
    Man will nichts anders, ist daran gewöhnt.
    So bleibt von nun an allen Kaiserlanden
    An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.

    KAISER

    Das hohe Wohl verdankt euch unser Reich;
    1525
    Wo möglich sei der Lohn dem Dienste gleich.
    Vertraut sei euch des Reiches innrer Boden,
    Ihr seid der Schätze würdigste Kustoden.
    Ihr kennt den weiten, wohlverwahrten Hort,
    Und wenn man gräbt, so sei's auf euer Wort.
    1530
    Vereint euch nun, ihr Meister unsres Schatzes,
    Erfüllt mit Lust die Würden eures Platzes,
    Wo mit der obern sich die Unterwelt,
    In Einigkeit beglückt, zusammenstellt.

    SCHATZMEISTER

    Soll zwischen uns kein fernster Zwist sich regen,
    1535
    Ich liebe mir den Zaubrer zum Kollegen.
    Ab mit Faust.

    KAISER

    Beschenk ich nun bei Hofe Mann für Mann,
    Gesteh er mir, wozu er's brauchen kann.

    PAGE

    empfangend.
    Ich lebe lustig, heiter, guter Dinge.

    EIN ANDRER

    gleichfalls.
    Ich schaffe gleich dem Liebchen Kett' und Ringe.

    KÄMMERER

    annehmend.
    1540
    Von nun an trink ich doppelt bessre Flasche.

    EIN ANDRER

    gleichfalls.
    Die Würfel jucken mich schon in der Tasche.

    BANNERHERR

    mit Bedacht.
    Mein Schloß und Feld, ich mach es schuldenfrei.

    EIN ANDRER

    gleichfalls.
    Es ist ein Schatz, den leg ich Schätzen bei.

    KAISER

    Ich hoffte Lust und Mut zu neuen Taten;
    1545
    Doch wer euch kennt, der wird euch leicht erraten.
    Ich merk es wohl: bei aller Schätze Flor,
    Wie ihr gewesen, bleibt ihr nach wie vor.

    NARR

    herbeikommend.
    Ihr spendet Gnaden, gönnt auch mir davon!

    KAISER

    Und lebst du wieder, du vertrinkst sie schon.

    NARR

    1550
    Die Zauberblätter! ich versteh's nicht recht.

    KAISER

    Das glaub ich wohl, denn du gebrauchst sie schlecht.

    NARR

    Da fallen andere; weiß nicht, was ich tu.

    KAISER

    Nimm sie nur hin, sie fielen dir ja zu.
    Ab.

    NARR

    Fünftausend Kronen wären mir zu Handen!

    MEPHISTOPHELES

    1555
    Zweibeiniger Schlauch, bist wieder auferstanden?

    NARR

    Geschieht mir oft, doch nicht so gut als jetzt.

    MEPHISTOPHELES

    Du freust dich so, daß dich's in Schweiß versetzt.

    NARR

    Da seht nur her, ist das wohl Geldes wert?

    MEPHISTOPHELES

    Du hast dafür, was Schlund und Bauch begehrt.

    NARR

    1560
    Und kaufen kann ich Acker, Haus und Vieh?

    MEPHISTOPHELES

    Versteht sich! Biete nur, das fehlt dir nie.

    NARR

    Und Schloß, mit Wald und Jagd und Fischbach?

    MEPHISTOPHELES

    Traun!
    Ich möchte dich gestrengen Herrn wohl schaun!

    NARR

    1565
    Heut abend wieg ich mich im Grundbesitz! —
    Ab.

    MEPHISTOPHELES

    solus.
    Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz!

    FINSTERE GALERIE

    Faust. Mephistopheles.

    MEPHISTOPHELES

    Was ziehst du mich in diese düstern Gänge?
    Ist nicht da drinnen Lust genug,
    Im dichten, bunten Hofgedränge
    1570
    Gelegenheit zu Spaß und Trug?

    FAUST

    Sag mir das nicht, du hast's in alten Tagen
    Längst an den Sohlen abgetragen;
    Doch jetzt dein Hin– und Widergehn
    Ist nur, um mir nicht Wort zu stehn.
    1575
    Ich aber bin gequält zu tun:
    Der Marschalk und der Kämmrer treibt mich nun.
    Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn,
    Will Helena und Paris vor sich sehn;
    Das Musterbild der Männer so der Frauen
    1580
    In deutlichen Gestalten will er schauen.
    Geschwind ans Werk! ich darf mein Wort nicht brechen.

    MEPHISTOPHELES

    Unsinnig war's, leichtsinnig zu versprechen.

    FAUST

    Du hast, Geselle, nicht bedacht,
    Wohin uns deine Künste führen;
    1585
    Erst haben wir ihn reich gemacht,
    Nun sollen wir ihn amüsieren.

    MEPHISTOPHELES

    Du wähnst, es füge sich sogleich;
    Hier stehen wir vor steilern Stufen,
    Greifst in ein fremdestes Bereich,
    1590
    Machst frevelhaft am Ende neue Schulden,
    Denkst Helenen so leicht hervorzurufen
    Wie das Papiergespenst der Gulden. —
    Mit Hexen-Fexen, mit Gespenst-Gespinsten,
    Kielkröpfigen Zwergen steh ich gleich zu Diensten;
    1595
    Doch Teufels-Liebchen, wenn auch nicht zu schelten,
    Sie können nicht für Heroinen gelten.

    FAUST

    Da haben wir den alten Leierton!
    Bei dir gerät man stets ins Ungewisse.
    Der Vater bist du aller Hindernisse,
    1600
    Für jedes Mittel willst du neuen Lohn.
    Mit wenig Murmeln, weiß ich, ist's getan;
    Wie man sich umschaut, bringst du sie zur Stelle.

    MEPHISTOPHELES

    Das Heidenvolk geht mich nichts an,
    Es haust in seiner eignen Hölle;
    1605
    Doch gibt's ein Mittel.

    FAUST

    Sprich, und ohne Säumnis!

    MEPHISTOPHELES

    Ungern entdeck ich höheres Geheimnis.
    Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
    Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit;
    1610
    Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
    Die Mütter sind es!

    FAUST

    aufgeschreckt.
    Mütter!

    MEPHISTOPHELES

    Schaudert's dich?

    FAUST

    Die Mütter! Mütter! — 's klingt so wunderlich!

    MEPHISTOPHELES

    1615
    Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
    Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
    Nach ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen;
    Du selbst bist schuld, daß ihrer wir bedürfen.

    FAUST

    Wohin der Weg?

    MEPHISTOPHELES

    1620
    Kein Weg! Ins Unbetretene,
    Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene,
    Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? —
    Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,
    Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
    1625
    Hast du Begriff von Öd und Einsamkeit?

    FAUST

    Du spartest, dächt ich, solche Sprüche;
    Hier wittert's nach der Hexenküche,
    Nach einer längst vergangnen Zeit.
    Mußt' ich nicht mit der Welt verkehren?
    1630
    Das Leere lernen, Leeres lehren? —
    Sprach ich vernünftig, wie ich's angeschaut,
    Erklang der Widerspruch gedoppelt laut;
    Mußt' ich sogar vor widerwärtigen Streichen
    Zur Einsamkeit, zur Wildernis entweichen
    1635
    Und, um nicht ganz versäumt, allein zu leben,
    Mich doch zuletzt dem Teufel übergeben.

    MEPHISTOPHELES

    Und hättest du den Ozean durchschwommen,
    Das Grenzenlose dort geschaut,
    So sähst du dort doch Well auf Welle kommen,
    1640
    Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
    Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
    Gestillter Meere streichende Delphine;
    Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne —
    Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
    1645
    Den Schritt nicht hören, den du tust,
    Nichts Festes finden, wo du ruhst.

    FAUST

    Du sprichst als erster aller Mystagogen,
    Die treue Neophyten je betrogen;
    Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
    1650
    Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre;
    Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze,
    Dir die Kastanien aus den Gluten kratze.
    Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
    In deinem Nichts hoff ich das All zu finden.

    MEPHISTOPHELES

    1655
    Ich rühme dich, eh du dich von mir trennst,
    Und sehe wohl, daß du den Teufel kennst;
    Hier diesen Schlüssel nimm.

    FAUST

    Das kleine Ding!

    MEPHISTOPHELES

    Erst faß ihn an und schätz ihn nicht gering.

    FAUST

    1660
    Er wächst in meiner Hand! er leuchtet, blitzt!

    MEPHISTOPHELES

    Merkst du nun bald, was man an ihm besitzt?
    Der Schlüssel wird die rechte Stelle wittern,
    Folg ihm hinab, er führt dich zu den Müttern.

    FAUST

    schaudernd.
    Den Müttern! Trifft's mich immer wie ein Schlag!
    1665
    Was ist das Wort, das ich nicht hören mag?

    MEPHISTOPHELES

    Bist du beschränkt, daß neues Wort dich stört?
    Willst du nur hören, was du schon gehört?
    Dich störe nichts, wie es auch weiter klinge,
    Schon längst gewohnt der wunderbarsten Dinge.

    FAUST

    1670
    Doch im Erstarren such ich nicht mein Heil,
    Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil;
    Wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure,
    Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.

    MEPHISTOPHELES

    Versinke denn! Ich könnt auch sagen: steige!
    1675
    's ist einerlei. Entfliehe dem Entstandnen
    In der Gebilde losgebundne Reiche!
    Ergetze dich am längst nicht mehr Vorhandnen;
    Wie Wolkenzüge schlingt sich das Getreibe,
    Den Schlüssel schwinge, halte sie vom Leibe!

    FAUST

    begeistert.
    1680
    Wohl! fest ihn fassend fühl ich neue Stärke,
    Die Brust erweitert, hin zum großen Werke.

    MEPHISTOPHELES

    Ein glühnder Dreifuß tut dir endlich kund,
    Du seist im tiefsten, allertiefsten Grund.
    Bei seinem Schein wirst du die Mütter sehn,
    1685
    Die einen sitzen, andre stehn und gehn,
    Wie's eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
    Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung.
    Umschwebt von Bildern aller Kreatur;
    Sie sehn dich nicht, denn Schemen sehn sie nur.
    1690
    Da faß ein Herz, denn die Gefahr ist groß,
    Und gehe grad auf jenen Dreifuß los,
    Berühr ihn mit dem Schlüssel!
    Faust macht eine entschieden gebietende Attiude mit dem Schlüssel.

    MEPHISTOPHELES

    ihn betrachtend.
    So ist's recht!
    Er schließt sich an, er folgt als treuer Knecht;
    1695
    Gelassen steigst du, dich erhebt das Glück,
    Und eh sie's merken, bist mit ihm zurück.
    Und hast du ihn einmal hierher gebracht,
    So rufst du Held und Heldin aus der Nacht,
    Der erste, der sich jener Tat erdreistet;
    1700
    Sie ist getan, und du hast es geleistet.
    Dann muß fortan, nach magischem Behandeln,
    Der Weihrauchsnebel sich in Götter wandeln.

    FAUST

    Und nun was jetzt?

    MEPHISTOPHELES

    Dein Wesen strebe nieder;
    1705
    Versinke stampfend, stampfend steigst du wieder.
    Faust stampft und versinkt.

    MEPHISTOPHELES

    Wenn ihm der Schlüssel nur zum besten frommt!
    Neugierig bin ich, ob er wiederkommt.

    HELL ERLEUCHTETE SÄLE

    Kaiser und Fürsten. Hof in Bewegung.

    KÄMMERER

    zu Mephistopheles.
    Ihr seid uns noch die Geisterszene schuldig;
    Macht Euch daran! der Herr ist ungeduldig.

    MARSCHALK

    1710
    Soeben fragt der Gnädigste darnach;
    Ihr! zaudert nicht der Majestät zur Schmach.

    MEPHISTOPHELES

    Ist mein Kumpan doch deshalb weggegangen;
    Er weiß schon, wie es anzufangen,
    Und laboriert verschlossen still,
    1715
    Muß ganz besonders sich befleißen;
    Denn wer den Schatz, das Schöne, heben will,
    Bedarf der höchsten Kunst, Magie der Weisen.

    MARSCHALK

    Was ihr für Künste braucht, ist einerlei:
    Der Kaiser will, daß alles fertig sei.

    BLONDINE

    zu Mephistopheles.
    1720
    Ein Wort, mein Herr! Ihr seht ein klar Gesicht,
    Jedoch so ist's im leidigen Sommer nicht!
    Da sprossen hundert bräunlich rote Flecken,
    Die zum Verdruß die weiße Haut bedecken.
    Ein Mittel!

    MEPHISTOPHELES

    1725
    Schade! so ein leuchtend Schätzchen
    Im Mai getupft wie eure Pantherkätzchen.
    Nehmt Froschlaich, Krötenzungen, kohobiert,
    Im vollsten Mondlicht sorglich distilliert
    Und, wenn er abnimmt, reinlich aufgestrichen,
    1730
    Der Frühling kommt, die Tupfen sind entwichen.

    BRAUNE

    Die Menge drängt heran, Euch zu umschranzen.
    Ich bitt um Mittel! Ein erfrorner Fuß
    Verhindert mich am Wandeln wie am Tanzen,
    Selbst ungeschickt beweg ich mich zum Gruß.

    MEPHISTOPHELES

    1735
    Erlaubet einen Tritt von meinem Fuß.

    BRAUNE

    Nun, das geschieht wohl unter Liebesleuten.

    MEPHISTOPHELES

    Mein Fußtritt, Kind! hat Größres zu bedeuten.
    Zu Gleichem Gleiches, was auch einer litt;
    Fuß heilet Fuß, so ist's mit allen Gliedern.
    1740
    Heran! Gebt acht! Ihr sollt es nicht erwidern.

    BRAUNE

    schreiend.
    Weh! Weh! das brennt! das war ein harter Tritt,
    Wie Pferdehuf.

    MEPHISTOPHELES

    Die Heilung nehmt Ihr mit.
    Du kannst nunmehr den Tanz nach Lust verüben,
    1745
    Bei Tafel schwelgend füßle mit dem Lieben.

    DAME

    herandringend.
    Laßt mich hindurch! Zu groß sind meine Schmerzen,
    Sie wühlen siedend mir im tiefsten Herzen;
    Bis gestern sucht' Er Heil in meinen Blicken,
    Er schwatzt mit ihr und wendet mir den Rücken.

    MEPHISTOPHELES

    1750
    Bedenklich ist es, aber höre mich.
    An ihn heran mußt du dich leise drücken;
    Nimm diese Kohle, streich ihm einen Strich
    Auf Ärmel, Mantel, Schulter, wie sich's macht;
    Er fühlt im Herzen holden Reuestich.
    1755
    Die Kohle doch mußt du sogleich verschlingen,
    Nicht Wein, nicht Wasser an die Lippen bringen;
    Er seufzt vor deiner Tür noch heute nacht.

    DAME

    Ist doch kein Gift?

    MEPHISTOPHELES

    entrüstet.
    Respekt, wo sich's gebührt!
    1760
    Weit müßtet Ihr nach solcher Kohle laufen;
    Sie kommt von einem Scheiterhaufen,
    Den wir sonst emsiger angeschürt.

    PAGE

    Ich bin verliebt, man hält mich nicht für voll.

    MEPHISTOPHELES

    bei Seite.
    Ich weiß nicht mehr, wohin ich hören soll.
    1765
    Zum Pagen.
    Müßt Euer Glück nicht auf die Jüngste setzen.
    Die Angejahrten wissen Euch zu schätzen. —
    Andere drängen herzu.
    Schon wieder Neue! Welch ein harter Strauß!
    1770
    Ich helfe mir zuletzt mit Wahrheit aus;
    Der schlechteste Behelf! Die Not ist groß. —
    O Mütter, Mütter! Laßt nur Fausten los!
    Umherschauend.
    Die Lichter brennen trübe schon im Saal,
    1775
    Der ganze Hof bewegt sich auf einmal.
    Anständig seh' ich sie in Folge ziehn
    Durch lange Gänge, ferne Galerien.
    Nun! sie versammeln sich im weiten Raum
    Des alten Rittersaals, er faßt sie kaum.
    1780
    Auf breite Wände Teppiche spendiert,
    Mit Rüstung Eck' und Nischen ausgeziert.
    Hier braucht es, dächt ich, keine Zauberworte;
    Die Geister finden sich von selbst zum Orte.

    RITTERSAAL

    Dämmernde Beleuchtung.
    Kaiser und Hof sind eingezogen.

    HEROLD

    Mein alt Geschäft, das Schauspiel anzukünden,
    1785
    Verkümmert mir der Geister heimlich Walten;
    Vergebens wagt man, aus verständigen Gründen
    Sich zu erklären das verworrene Schalten.
    Die Sessel sind, die Stühle schon zur Hand;
    Den Kaiser setzt man grade vor die Wand;
    1790
    Auf den Tapeten mag er da die Schlachten
    Der großen Zeit bequemlichstens betrachten.
    Hier sitzt nun alles, Herr und Hof im Runde,
    Die Bänke drängen sich im Hintergrunde;
    Auch Liebchen hat, in düstern Geisterstunden,
    1795
    Zur Seite Liebchens lieblich Raum gefunden.
    Und so, da alle schicklich Platz genommen,
    Sind wir bereit; die Geister mögen kommen!
    Posaunen.

    ASTROLOG

    Beginne gleich das Drama seinen Lauf,
    Der Herr befiehlt's, ihr Wände tut euch auf!
    1800
    Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand:
    Die Teppiche schwinden, wie gerollt vom Brand;
    Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,
    Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
    Geheimnisvoll ein Schein uns zu erhellen,
    1805
    Und ich besteige das Proscenium.

    MEPHISTOPHELES

    aus dem Soufleurloche auftauchend.
    Von hier aus hoff ich allgemeine Gunst,
    Einbläsereien sind des Teufels Redekunst.
    Zum Astrologen.
    Du kennst den Takt, in dem die Sterne gehn,
    1810
    Und wirst mein Flüstern meisterlich verstehn.

    ASTROLOG

    Durch Wunderkraft erscheint allhier zur Schau,
    Massiv genug, ein alter Tempelbau.
    Dem Atlas gleich, der einst den Himmel trug,
    Stehn reihenweis der Säulen hier genug;
    1815
    Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,
    Da zweie schon ein groß Gebäude trügen.

    ARCHITEKT

    Das wär antik! Ich wüßt es nicht zu preisen,
    Es sollte plump und überlästig heißen.
    Roh nennt man edel, unbehülflich groß.
    1820
    Schmalpfeiler lieb ich, strebend, grenzenlos;
    Spitzbögiger Zenit erhebt den Geist;
    Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist.

    ASTROLOG

    Empfangt mit Ehrfurcht sterngegönnte Stunden;
    Durch magisch Wort sei die Vernunft gebunden;
    1825
    Dagegen weit heran bewege frei
    Sich herrliche verwegne Phantasei.
    Mit Augen schaut nun, was ihr kühn begehrt,
    Unmöglich ist's, drum eben glaubenswert.
    Faust steigt auf der andern Seite des Prosceniums herauf.

    ASTROLOG

    Im Priesterkleid, bekränzt, ein Wundermann,
    1830
    Der nun vollbringt, was er getrost begann.
    Ein Dreifuß steigt mit ihm aus hohler Gruft,
    Schon ahn ich aus der Schale Weihrauchduft.
    Er rüstet sich, das hohe Werk zu segnen;
    Es kann fortan nur Glückliches begegnen.

    FAUST

    großartig.
    1835
    In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
    Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt,
    Und doch gesellig. Euer Haupt umschweben
    Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
    Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
    1840
    Es regt sich dort; denn es will ewig sein.
    Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte,
    Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
    Die einen faßt des Lebens holder Lauf,
    Die andern sucht der kühne Magier auf;
    1845
    In reicher Spende läßt er, voll Vertrauen,
    Was jeder wünscht, das Wunderwürdige schauen.

    ASTROLOG

    Der glühnde Schlüssel rührt die Schale kaum,
    Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum;
    Er schleicht sich ein, er wogt nach Wolkenart,
    1850
    Gedehnt, geballt, verschränkt, geteilt, gepaart.
    Und nun erkennt ein Geister-Meisterstück!
    So wie sie wandeln, machen sie Musik.
    Aus luft'gen Tönen quillt ein Weißnichtwie,
    Indem sie ziehn, wird alles Melodie.
    1855
    Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt,
    Ich glaube gar, der ganze Tempel singt.
    Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor
    Ein schöner Jüngling tritt im Takt hervor.
    Hier schweigt mein Amt, ich brauch ihn nicht zu nennen,
    1860
    Wer sollte nicht den holden Paris kennen!
    Paris hervortrelend.

    DAME

    O! welch ein Glanz aufblühender Jugendkraft!

    ZWEITE

    Wie eine Pfirsche frisch und voller Saft!

    DRITTE

    Die fein gezognen, süß geschwollnen Lippen!

    VIERTE

    Du möchtest wohl an solchem Becher nippen?

    FÜNFTE

    1865
    Er ist gar hübsch, wenn auch nicht eben fein.

    SECHSTE

    Ein bißchen könnt er doch gewandter sein.

    RITTER

    Den Schäferknecht glaub ich allhier zu spüren,
    Vom Prinzen nichts und nichts von Hofmanieren.

    ANDRER

    Eh nun! halb nackt ist wohl der Junge schön,
    1870
    Doch müßten wir ihn erst im Harnisch sehn!

    DAME

    Er setzt sich nieder, weichlich, angenehm.

    RITTER

    Auf seinem Schoße wär Euch wohl bequem?

    ANDRE

    Er lehnt den Arm so zierlich übers Haupt.

    KÄMMERER

    Die Flegelei! Das find ich unerlaubt!

    DAME

    1875
    Ihr Herren wißt an allem was zu mäkeln.

    DERSELBE

    In Kaisers Gegenwart sich hinzuräkeln!

    DAME

    Er stellt's nur vor! Er glaubt sich ganz allein.

    DERSELBE

    Das Schauspiel selbst, hier sollt es höflich sein.

    DAME

    Sanft hat der Schlaf den Holden übernommen.

    DERSELBE

    1880
    Er schnarcht nun gleich; natürlich ist's, vollkommen!

    JUNGE DAME

    entzückt.
    Zum Weihrauchsdampf was duftet so gemischt,
    Das mir das Herz zum innigsten erfrischt?

    ÄLTERE

    Fürwahr! Es dringt ein Hauch tief ins Gemüte,
    Er kommt von ihm!

    ÄLTESTE

    1885
    Es ist des Wachstums Blüte,
    Im Jüngling als Ambrosia bereitet
    Und atmosphärisch ringsumher verbreitet.
    Helena hervortretend.

    MEPHISTOPHELES

    Das wär sie denn! Vor dieser hätt ich Ruh;
    Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.

    ASTROLOG

    1890
    Für mich ist diesmal weiter nichts zu tun,
    Als Ehrenmann gesteh, bekenn ich's nun.
    Die Schöne kommt, und hätt ich Feuerzungen! —
    Von Schönheit ward von jeher viel gesungen —
    Wem sie erscheint, wird aus sich selbst entrückt,
    1895
    Wem sie gehörte, ward zu hoch beglückt.

    FAUST

    Hab ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sinn
    Der Schönheit Quelle reichlichstens ergossen?
    Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn.
    Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!
    1900
    Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
    Erst wünschenswert, gegründet, dauerhaft!
    Verschwinde mir des Lebens Atemkraft,
    Wenn ich mich je von dir zurückgewöhne! —
    Die Wohlgestalt, die mich voreinst entzückte,
    1905
    In Zauberspiegelung beglückte,
    War nur ein Schaumbild solcher Schöne! —
    Du bist's, der ich die Regung aller Kraft,
    Den Inbegriff der Leidenschaft,
    Dir Neigung, Lieb, Anbetung, Wahnsinn zolle.

    MEPHISTOPHELES

    aus dem Kasten.
    1910
    So faßt Euch doch und fallt nicht aus der Rolle!

    ÄLTERE DAME

    Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.

    JÜNGERE

    Seht nur den Fuß! Wie könnt er plumper sein!

    DIPLOMAT

    Fürstinnen hab ich dieser Art gesehn,
    Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.

    HOFMANN

    1915
    Sie nähert sich dem Schläfer listig mild.

    DAME

    Wie häßlich neben jugendreinem Bild!

    POET

    Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.

    DAME

    Endymion und Luna! wie gemalt!

    DERSELBE

    Ganz recht! Die Göttin scheint herabzusinken,
    1920
    Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken;
    Beneidenswert! — Ein Kuß! — Das Maß ist voll.

    DUENNA

    Vor allen Leuten! Das ist doch zu toll!

    FAUST

    Furchtbare Gunst dem Knaben! —

    MEPHISTOPHELES

    Ruhig! still!
    1925
    Laß das Gespenst doch machen was es will.

    HOFMANN

    Sie schleicht sich weg, leichtfüßig; er erwacht.

    DAME

    Sie sieht sich um! Das hab ich wohl gedacht.

    HOFMANN

    Er staunt! Ein Wunder ist's, was ihm geschieht.

    DAME

    Ihr ist kein Wunder, was sie vor sich sieht.

    HOFMANN

    1930
    Mit Anstand kehrt sie sich zu ihm herum.

    DAME

    Ich merke schon, sie nimmt ihn in die Lehre;
    In solchem Fall sind alle Männer dumm,
    Er glaubt wohl auch, daß er der erste wäre.

    RITTER

    Laßt mir sie gelten! Majestätisch fein! —

    DAME

    1935
    Die Buhlerin! Das nenn ich doch gemein!

    PAGE

    Ich möchte wohl an seiner Stelle sein!

    HOFMANN

    Wer würde nicht in solchem Netz gefangen?

    DAME

    Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen,
    Auch die Verguldung ziemlich abgebraucht.

    ANDRE

    1940
    Vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt.

    RITTER

    Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste;
    Ich hielte mich an diese schönen Reste.

    GELAHRTER

    Ich seh sie deutlich, doch gesteh ich frei:
    Zu zweiflen ist, ob sie die rechte sei.
    1945
    Die Gegenwart verführt ins Übertriebne,
    Ich halte mich vor allem ans Geschriebne.
    Da les ich denn, sie habe wirklich allen
    Graubärten Trojas sonderlich gefallen;
    Und wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier:
    1950
    Ich bin nicht jung, und doch gefällt sie mir.

    ASTROLOG

    Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann,
    Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
    Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor,
    Entführt er sie wohl gar?

    FAUST

    1955
    Verwegner Tor!
    Du wagst! Du hörst nicht! halt! das ist zu viel!

    MEPHISTOPHELES

    Machst du's doch selbst, das Fratzengeisterspiel!

    ASTROLOG

    Nur noch ein Wort! Nach allem, was geschah,
    Nenn ich das Stück den Raub der Helena.

    FAUST

    1960
    Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!
    Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!
    Er führte mich, durch Graus und Wog und Welle
    Der Einsamkeiten, her zum festen Strand.
    Hier fass ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
    1965
    Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
    Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
    So fern sie war, wie kann sie näher sein!
    Ich rette sie, und sie ist doppelt mein.
    Gewagt! Ihr Mütter! Mütter! müßt's gewähren!
    1970
    Wer sie erkannt, der darf sie nicht entbehren.

    ASTROLOG

    Was tust du, Fauste! Fauste! — Mit Gewalt
    Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
    Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
    Berührt ihn! — Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
    Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.

    MEPHISTOPHELES

    der Fausten auf die Schulter nimmt.
    1975
    Da habt ihr's nun! mit Narren sich beladen,
    Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
    Finsternis, Tumult.

    ZWEITER AKT

    HOCHGEWÖLBTES, ENGES GOTISCHES ZIMMER

    1977

    ehemals Faustens, unverändert.

    MEPHISTOPHELES

    hinter einem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und zurücksieht, erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterlichen Bette.
    Hier lieg, Unseliger! verführt
    Zu schwergelöstem Liebesbande!
    1980
    Wen Helena paralysiert,
    Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
    Sich umschauend.
    Blick ich hinauf, hierher, hinüber,
    Allunverändert ist es, unversehrt;
    1985
    Die bunten Scheiben sind, so dünkt mich, trüber,
    Die Spinneweben haben sich vermehrt;
    Die Tinte starrt, vergilbt ist das Papier;
    Doch alles ist am Platz geblieben;
    Sogar die Feder liegt noch hier,
    1990
    Mit welcher Faust dem Teufel sich verschrieben.
    Ja! tiefer in dem Rohre stockt
    Ein Tröpflein Blut, wie ich's ihm abgelockt.
    Zu einem solchen einzigen Stück
    Wünscht ich dem größten Sammler Glück.
    1995
    Auch hängt der alte Pelz am alten Haken,
    Erinnert mich an jene Schnaken,
    Wie ich den Knaben einst belehrt,
    Woran er noch vielleicht als Jüngling zehrt.
    Es kommt mir wahrlich das Gelüsten,
    2000
    Rauchwarme Hülle, dir vereint
    Mich als Dozent noch einmal zu erbrüsten,
    Wie man so völlig recht zu haben meint.
    Gelehrte wissen's zu erlangen,
    Dem Teufel ist es längst vergangen.
    Er schüttelt den herabgenommenen Pelz; Cicaden, Käfer und Farfarellen fahren heraus.

    CHOR DER INSEKTEN

    2005
    Willkommen! willkommen,
    Du alter Patron!
    Wir schweben und summen
    Und kennen dich schon.
    Nur einzeln im Stillen
    2010
    Du hast uns gepflanzt;
    Zu Tausenden kommen wir,
    Vater, getanzt.
    Der Schalk in dem Busen
    Verbirgt sich so sehr,
    2015
    Vom Pelze die Läuschen
    Enthüllen sich eh'r.

    MEPHISTOPHELES

    Wie überraschend mich die junge Schöpfung freut!
    Man säe nur, man erntet mit der Zeit.
    Ich schüttle noch einmal den alten Flaus,
    2020
    Noch eines flattert hier und dort hinaus. —
    Hinauf! umher! in hunderttausend Ecken
    Eilt euch, ihr Liebchen, zu verstecken.
    Dort, wo die alten Schachteln stehn,
    Hier im bebräunten Pergamen,
    2025
    In staubigen Scherben alter Töpfe,
    Dem Hohlaug jener Totenköpfe.
    In solchem Wust und Moderleben
    Muß es für ewig Grillen geben.
    Schlüpft in den Pelz.
    2030
    Komm, decke mir die Schultern noch einmal!
    Heut bin ich wieder Prinzipal.
    Doch hilft es nichts, mich so zu nennen;
    Wo sind die Leute, die mich anerkennen?
    Er zieht die Glocke die einen gellenden, durchdringenden Ton erschallen läßt, wovon die Hallen erbeben und die Türen aufspringen.

    FAMULUS

    den langen finstern Gang herwankend.
    Welch ein Tönen! welch ein Schauer!
    2035
    Treppe schwankt, es bebt die Mauer;
    Durch der Fenster buntes Zittern
    Seh ich wetterleuchtend Wittern.
    Springt das Estrich, und von oben
    Rieselt Kalk und Schutt verschoben.
    2040
    Und die Türe, fest verriegelt,
    Ist durch Wunderkraft entsiegelt. —
    Dort! Wie fürchterlich! Ein Riese
    Steht in Faustens altem Vliese!
    Seinen Blicken, seinem Winken
    2045
    Möcht ich in die Kniee sinken.
    Soll ich fliehen? Soll ich stehn?
    Ach, wie wird es mir ergehn!

    MEPHISTOPHELES

    winkend.
    Heran, mein Freund! — Ihr heißet Nikodemus.

    FAMULUS

    Hochwürdiger Herr! so ist mein Nam' — Oremus.

    MEPHISTOPHELES

    2050
    Das lassen wir!

    FAMULUS

    Wie froh, daß Ihr mich kennt!

    MEPHISTOPHELES

    Ich weiß es wohl, bejahrt und noch Student,
    Bemooster Herr! Auch ein gelehrter Mann
    Studiert so fort, weil er nicht anders kann.
    2055
    So baut man sich ein mäßig Kartenhaus,
    Der größte Geist baut's doch nicht völlig aus.
    Doch Euer Meister, das ist ein Beschlagner:
    Wer kennt ihn nicht, den edlen Doktor Wagner,
    Den Ersten jetzt in der gelehrten Welt!
    2060
    Er ist's allein, der sie zusammenhält,
    Der Weisheit täglicher Vermehrer.
    Allwißbegierige Horcher, Hörer
    Versammeln sich um ihn zuhauf.
    Er leuchtet einzig vom Katheder;
    2065
    Die Schlüssel übt er wie Sankt Peter,
    Das Untre so das Obre schließt er auf.
    Wie er vor allen glüht und funkelt,
    Kein Ruf, kein Ruhm hält weiter stand;
    Selbst Faustus' Name wird verdunkelt,
    2070
    Er ist es, der allein erfand.

    FAMULUS

    Verzeiht, hochwürdiger Herr! wenn ich Euch sage,
    Wenn ich zu widersprechen wage:
    Von allem dem ist nicht die Frage;
    Bescheidenheit ist sein beschieden Teil.
    2075
    Ins unbegreifliche Verschwinden
    Des hohen Manns weiß er sich nicht zu finden;
    Von dessen Wiederkunft erfleht er Trost und Heil.
    Das Zimmer, wie zu Doktor Faustus' Tagen,
    Noch unberührt seitdem er fern,
    2080
    Erwartet seinen alten Herrn.
    Kaum wag ich's, mich herein zu wagen.
    Was muß die Sternenstunde sein? —
    Gemäuer scheint mir zu erbangen;
    Türpfosten bebten, Riegel sprangen,
    2085
    Sonst kamt Ihr selber nicht herein.

    MEPHISTOPHELES

    Wo hat der Mann sich hingetan?
    Führt mich zu ihm, bringt ihn heran!

    FAMULUS

    Ach! sein Verbot ist gar zu scharf,
    Ich weiß nicht, ob ich's wagen darf.
    2090
    Monatelang, des großen Werkes willen,
    Lebt' er im allerstillsten Stillen.
    Der zarteste gelehrter Männer,
    Er sieht aus wie ein Kohlenbrenner,
    Geschwärzt vom Ohre bis zur Nasen,
    2095
    Die Augen rot vom Feuerblasen,
    So lechzt er jedem Augenblick;
    Geklirr der Zange gibt Musik.

    MEPHISTOPHELES

    Sollt er den Zutritt mir verneinen?
    Ich bin der Mann, das Glück ihm zu beschleunen.
    2100
    Der Famulus geht ab, Mephistopheles setzt sich gravitätisch nieder.
    Kaum hab ich Posto hier gefaßt,
    Regt sich dort hinten, mir bekannt, ein Gast.
    Doch diesmal ist er von den Neusten,
    Er wird sich grenzenlos erdreusten.

    BACCALAUREUS

    den Gang herstürmend.
    2105
    Tor und Türe find ich offen!
    Nun, da läßt sich endlich hoffen,
    Daß nicht, wie bisher, im Moder
    Der Lebendige wie ein Toter
    Sich verkümmere, sich verderbe
    2110
    Und am Leben selber sterbe.
    Diese Mauern, diese Wände
    Neigen, senken sich zum Ende,
    Und wenn wir nicht bald entweichen,
    Wird uns Fall und Sturz erreichen.
    2115
    Bin verwegen, wie nicht einer,
    Aber weiter bringt mich keiner.
    Doch was soll ich heut erfahren!
    War's nicht hier, vor so viel Jahren,
    Wo ich, ängstlich und beklommen,
    2120
    War als guter Fuchs gekommen?
    Wo ich diesen Bärtigen traute,
    Mich an ihrem Schnack erbaute?
    Aus den alten Bücherkrusten
    Logen sie mir, was sie wußten,
    2125
    Was sie wußten, selbst nicht glaubten,
    Sich und mir das Leben raubten.
    Wie? — Dort hinten in der Zelle
    Sitzt noch einer dunkel-helle!
    Nahend seh ich's mit Erstaunen,
    2130
    Sitzt er noch im Pelz, dem braunen,
    Wahrlich, wie ich ihn verließ,
    Noch gehüllt im rauhen Vlies!
    Damals schien er zwar gewandt,
    Als ich ihn noch nicht verstand.
    2135
    Heute wird es nichts verfangen,
    Frisch an ihn herangegangen!
    Wenn, alter Herr, nicht Lethes trübe Fluten
    Das schiefgesenkte, kahle Haupt durchschwommen,
    Seht anerkennend hier den Schüler kommen,
    2140
    Entwachsen akademischen Ruten.
    Ich find Euch noch, wie ich Euch sah;
    Ein anderer bin ich wieder da.

    MEPHISTOPHELES

    Mich freut, daß ich Euch hergeläutet.
    Ich schätzt' Euch damals nicht gering;
    2145
    Die Raupe schon, die Chrysalide deutet
    Den künftigen bunten Schmetterling.
    Am Lockenkopf und Spitzenkragen
    Empfandet Ihr ein kindliches Behagen. —
    Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? —
    2150
    Heut schau ich Euch im Schwedenkopf.
    Ganz resolut und wacker seht Ihr aus;
    Kommt nur nicht absolut nach Haus.

    BACCALAUREUS

    Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte;
    Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf
    2155
    Und sparet doppelsinnige Worte;
    Wir passen nun ganz anders auf.
    Ihr hänseltet den guten treuen Jungen;
    Das ist Euch ohne Kunst gelungen,
    Was heutzutage niemand wagt.

    MEPHISTOPHELES

    2160
    Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt,
    Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
    Sie aber hinterdrein nach Jahren
    Das alles derb an eigner Haut erfahren,
    Dann dünkeln sie, es käm aus eignem Schopf;
    2165
    Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.

    BACCALAUREUS

    Ein Schelm vielleicht! — denn welcher Lehrer spricht
    Die Wahrheit uns direkt ins Angesicht?
    Ein jeder weiß zu mehren wie zu mindern,
    Bald ernst, bald heiter klug zu frommen Kindern.

    MEPHISTOPHELES

    2170
    Zum Lernen gibt es freilich eine Zeit;
    Zum Lehren seid Ihr, merk ich, selbst bereit.
    Seit manchen Monden, einigen Sonnen
    Erfahrungsfülle habt Ihr wohl gewonnen.

    BACCALAUREUS

    Erfahrungswesen! Schaum und Dust!
    2175
    Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.
    Gesteht! was man von je gewußt,
    Es ist durchaus nicht wissenswürdig.

    MEPHISTOPHELES

    nach einer Pause.
    Mich deucht es längst. Ich war ein Tor,
    Nun komm ich mir recht schal und albern vor.

    BACCALAUREUS

    2180
    Das freut mich sehr! Da hör ich doch Verstand;
    Der erste Greis, den ich vernünftig fand!

    MEPHISTOPHELES

    Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze,
    Und schauerliche Kohlen trug ich fort.

    BACCALAUREUS

    Gesteht nur, Euer Schädel, Eure Glatze
    2185
    Ist nicht mehr wert als jene hohlen dort?

    MEPHISTOPHELES

    gemütlich.
    Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?

    BACCALAUREUS

    Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.

    MEPHISTOPHELES

    der mit seinem Rollstuhle immer näher in's Proscenium rückt, zum Parterre.
    Hier oben wird mir Licht und Luft benommen;
    Ich finde wohl bei euch ein Unterkommen?

    BACCALAUREUS

    2190
    Anmaßlich find ich, daß zur schlechtsten Frist
    Man etwas sein will, wo man nichts mehr ist.
    Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
    Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?
    Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
    2195
    Das neues Leben sich aus Leben schafft.
    Da regt sich alles, da wird was getan,
    Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.
    Indessen wir die halbe Welt gewonnen,
    Was habt Ihr denn getan? genickt, gesonnen,
    2200
    Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.
    Gewiß! das Alter ist ein kaltes Fieber
    Im Frost von grillenhafter Not.
    Hat einer dreißig Jahr vorüber,
    So ist er schon so gut wie tot.
    2205
    Am besten wär's, euch zeitig totzuschlagen.

    MEPHISTOPHELES

    Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.

    BACCALAUREUS

    Wenn ich nicht will, so darf kein Teufel sein.

    MEPHISTOPHELES

    abseits.
    Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein.

    BACCALAUREUS

    Dies ist der Jugend edelster Beruf!
    2210
    Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf;
    Die Sonne führt ich aus dem Meer herauf;
    Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
    Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
    Die Erde grünte, blühte mir entgegen.
    2215
    Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
    Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
    Wer, außer mir, entband euch aller Schranken
    Philisterhaft einklemmender Gedanken?
    Ich aber frei, wie mir's im Geiste spricht,
    2220
    Verfolge froh mein innerliches Licht,
    Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
    Das Helle vor mir, Finsternis im Rücken.
    Ab.

    MEPHISTOPHELES

    Original, fahr hin in deiner Pracht! —
    Wie würde dich die Einsicht kränken:
    2225
    Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,
    Das nicht die Vorwelt schon gedacht? —
    Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,
    In wenig Jahren wird es anders sein:
    Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
    2230
    Es gibt zuletzt doch noch e' Wein.
    Zu dem jüngern Parterre das nicht applaudiert.
    Ihr bleibt bei meinem Worte kalt,
    Euch guten Kindern laß ich's gehen;
    Bedenkt: der Teufel, der ist alt,
    2235
    So werdet alt, ihn zu verstehen!

    LABORATORIUM

    im Sinne des Mittelalters, weitläufige, unbehülfliche Apparate, zu phantastischen Zwecken.

    WAGNER

    am Herde.
    Die Glocke tönt, die fürchterliche,
    Durchschauert die berußten Mauern.
    Nicht länger kann das Ungewisse
    Der ernstesten Erwartung dauern.
    2240
    Schon hellen sich die Finsternisse;
    Schon in der innersten Phiole
    Erglüht es wie lebendige Kohle,
    Ja wie der herrlichste Karfunkel,
    Verstrahlend Blitze durch das Dunkel.
    2245
    Ein helles weißes Licht erscheint!
    O daß ich's diesmal nicht verliere! —
    Ach Gott! was rasselt an der Türe?

    MEPHISTOPHELES

    eintretend.
    Willkommen! es ist gut gemeint.

    WAGNER

    ängstlich.
    Willkommen zu dem Stern der Stunde!
    2250
    Leise.
    Doch haltet Wort und Atem fest im Munde,
    Ein herrlich Werk ist gleich zustand gebracht.

    MEPHISTOPHELES

    leiser.
    Was gibt es denn?

    WAGNER

    leiser.
    Es wird ein Mensch gemacht.

    MEPHISTOPHELES

    2255
    Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar
    Habt ihr ins Rauchloch eingeschlossen?

    WAGNER

    Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war,
    Erklären wir für eitel Possen.
    Der zarte Punkt, aus dem das Leben sprang,
    2260
    Die holde Kraft, die aus dem Innern drang
    Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu zeichnen,
    Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueignen,
    Die ist von ihrer Würde nun entsetzt;
    Wenn sich das Tier noch weiter dran ergetzt,
    2265
    So muß der Mensch mit seinen großen Gaben
    Doch künftig höhern, höhern Ursprung haben.
    Zum Herd gewendet.
    Es leuchtet! seht! — Nun läßt sich wirklich hoffen,
    Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
    2270
    Durch Mischung — denn auf Mischung kommt es an —
    Den Menschenstoff gemächlich komponieren,
    In einen Kolben verlutieren
    Und ihn gehörig kohobieren,
    So ist das Werk im Stillen abgetan.
    2275
    Zum Herd gewendet.
    Es wird! die Masse regt sich klarer!
    Die Überzeugung wahrer, wahrer:
    Was man an der Natur Geheimnisvolles pries,
    Das wagen wir verständig zu probieren,
    2280
    Und was sie sonst organisieren ließ,
    Das lassen wir kristallisieren.

    MEPHISTOPHELES

    Wer lange lebt, hat viel erfahren,
    Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn.
    Ich habe schon in meinen Wanderjahren
    2285
    Kristallisiertes Menschenvolk gesehn.

    WAGNER

    bisher immer aufmerksam auf die Phiole.
    Es steigt, es blitzt, es häuft sich an,
    Im Augenblick ist es getan.
    Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll;
    Doch wollen wir des Zufalls künftig lachen,
    2290
    Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,
    Wird künftig auch ein Denker machen.
    Entzückt die Phiole betrachtend.
    Das Glas erklingt von lieblicher Gewalt,
    Es trübt, es klärt sich; also muß es werden!
    2295
    Ich seh in zierlicher Gestalt
    Ein artig Männlein sich gebärden.
    Was wollen wir, was will die Welt nun mehr?
    Denn das Geheimnis liegt am Tage.
    Gebt diesem Laute nur Gehör,
    2300
    Er wird zur Stimme, wird zur Sprache.

    HOMUNCULUS

    in der Philole zu Wagner.
    Nun Väterchen! wie steht's? es war kein Scherz.
    Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz!
    Doch nicht zu fest, damit das Glas nicht springe.
    Das ist die Eigenschaft der Dinge:
    2305
    Natürlichem genügt das Weltall kaum,
    Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum.
    Zu Mephistopheles.
    Du aber, Schalk, Herr Vetter, bist du hier
    Im rechten Augenblick? ich danke dir.
    2310
    Ein gut Geschick führt dich zu uns herein;
    Dieweil ich bin, muß ich auch tätig sein.
    Ich möchte mich sogleich zur Arbeit schürzen.
    Du bist gewandt, die Wege mir zu kürzen.

    WAGNER

    Nur noch ein Wort! Bisher mußt' ich mich schämen,
    2315
    Denn alt und jung bestürmt mich mit Problemen.
    Zum Beispiel nur: noch niemand konnt' es fassen,
    Wie Seel und Leib so schön zusammenpassen,
    So fest sich halten, als um nie zu scheiden,
    Und doch den Tag sich immerfort verleiden.
    2320
    Sodann —

    MEPHISTOPHELES

    Halt ein! ich wollte lieber fragen:
    Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen?
    Du kommst, mein Freund, hierüber nie ins Reine.
    Hier gibt's zu tun, das eben will der Kleine.

    HOMUNCULUS

    2325
    Was gibt's zu tun?

    MEPHISTOPHELES

    auf eine Seitentüre deutend.
    Hier zeige deine Gabe!

    WAGNER

    immer in die Phiole schauend.
    Fürwahr, du bist ein allerliebster Knabe!
    Die Seitentür öffnet sich, man sieht Faust auf dem Lager hingestreckt.

    HOMUNCULUS

    Bedeutend! —
    Die Phiole entschlüpft aus Wagners Händen, schwebt über Faust und beleuchtet ihn.
    2330
    Schön umgeben! — Klar Gewässer
    Im dichten Haine! Fraun, die sich entkleiden,
    Die allerliebsten! — Das wird immer besser.
    Doch eine läßt sich glänzend unterscheiden,
    Aus höchstem Helden–, wohl aus Götterstamme.
    2335
    Sie setzt den Fuß in das durchsichtige Helle;
    Des edlen Körpers holde Lebensflamme
    Kühlt sich im schmiegsamen Kristall der Welle. —
    Doch welch Getöse rasch bewegter Flügel,
    Welch Sausen, Plätschern wühlt im glatten Spiegel?
    2340
    Die Mädchen fliehn verschüchtert; doch allein
    Die Königin, sie blickt gelassen drein
    Und sieht mit stolzem weiblichem Vergnügen
    Der Schwäne Fürsten ihrem Knie sich schmiegen,
    Zudringlich-zahm. Er scheint sich zu gewöhnen. —
    2345
    Auf einmal aber steigt ein Dunst empor
    Und deckt mit dichtgewebtem Flor
    Die lieblichste von allen Szenen.

    MEPHISTOPHELES

    Was du nicht alles zu erzählen hast!
    So klein du bist, so groß bist du Phantast.
    2350
    Ich sehe nichts —

    HOMUNCULUS

    Das glaub ich. Du aus Norden,
    Im Nebelalter jung geworden,
    Im Wust von Rittertum und Pfäfferei,
    Wo wäre da dein Auge frei!
    2355
    Im Düstern bist du nur zu Hause.
    Umherschauend.
    Verbräunt Gestein, bemodert, widrig,
    Spitzbögig, schnörkelhaftest, niedrig! —
    Erwacht uns dieser, gibt es neue Not,
    2360
    Er bleibt gleich auf der Stelle tot.
    Waldquellen, Schwäne, nackte Schönen,
    Das war sein ahnungsvoller Traum;
    Wie wollt' er sich hierher gewöhnen!
    Ich, der Bequemste, duld es kaum.
    2365
    Nun fort mit ihm!

    MEPHISTOPHELES

    Der Ausweg soll mich freuen.

    HOMUNCULUS

    Befiehl den Krieger in die Schlacht,
    Das Mädchen führe du zum Reihen,
    So ist gleich alles abgemacht.
    2370
    Jetzt eben, wie ich schnell bedacht,
    Ist klassische Walpurgisnacht;
    Das Beste, was begegnen könnte.
    Bringt ihn zu seinem Elemente!

    MEPHISTOPHELES

    Dergleichen hab ich nie vernommen.

    HOMUNCULUS

    2375
    Wie wollt' es auch zu euren Ohren kommen?
    Romantische Gespenster kennt ihr nur allein;
    Ein echt Gespenst, auch klassisch hat's zu sein.

    MEPHISTOPHELES

    Wohin denn aber soll die Fahrt sich regen?
    Mich widern schon antikische Kollegen.

    HOMUNCULUS

    2380
    Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier,
    Südöstlich diesmal aber segeln wir —
    An großer Fläche fließt Peneios frei,
    Umbuscht, umbaumt, in still– und feuchten Buchten;
    Die Ebne dehnt sich zu der Berge Schluchten,
    2385
    Und oben liegt Pharsalus, alt und neu.

    MEPHISTOPHELES

    O weh! hinweg! und laßt mir jene Streite
    Von Tyrannei und Sklaverei beiseite.
    Mich langeweilt's; denn kaum ist's abgetan,
    So fangen sie von vorne wieder an;
    2390
    Und keiner merkt: er ist doch nur geneckt
    Vom Asmodeus, der dahinter steckt.
    Sie streiten sich, so heißt's, um Freiheitsrechte;
    Genau besehn, sind's Knechte gegen Knechte.

    HOMUNCULUS

    Den Menschen laß ihr widerspenstig Wesen,
    2395
    Ein jeder muß sich wehren, wie er kann,
    Vom Knaben auf, so wird's zuletzt ein Mann.
    Hier fragt sich's nur, wie dieser kann genesen.
    Hast du ein Mittel, so erprob es hier,
    Vermagst du's nicht, so überlaß es mir.

    MEPHISTOPHELES

    2400
    Manch Brockenstückchen wäre durchzuproben,
    Doch Heidenriegel find ich vorgeschoben.
    Das Griechenvolk, es taugte nie recht viel!
    Doch blendet's euch mit freiem Sinnenspiel,
    Verlockt des Menschen Brust zu heitern Sünden;
    2405
    Die unsern wird man immer düster finden.
    Und nun, was soll's?

    HOMUNCULUS

    Du bist ja sonst nicht blöde;
    Und wenn ich von thessalischen Hexen rede,
    So denk ich, hab ich was gesagt.

    MEPHISTOPHELES

    lüstern.
    2410
    Thessalische Hexen! Wohl! das sind Personen,
    Nach denen hab ich lang gefragt.
    Mit ihnen Nacht für Nacht zu wohnen,
    Ich glaube nicht, daß es behagt;
    Doch zum Besuch, Versuch —

    HOMUNCULUS

    2415
    Den Mantel her,
    Und um den Ritter umgeschlagen!
    Der Lappen wird euch, wie bisher,
    Den einen mit dem andern tragen;
    Ich leuchte vor.

    WAGNER

    ängstlich.
    2420
    Und ich?

    HOMUNCULUS

    Eh nun,
    Du bleibst zu Hause, Wichtigstes zu tun.
    Entfalte du die alten Pergamente,
    Nach Vorschrift sammle Lebenselemente
    2425
    Und füge sie mit Vorsicht eins ans andre.
    Das Was bedenke, mehr bedenke Wie.
    Indessen ich ein Stückchen Welt durchwandre,
    Entdeck ich wohl das Tüpfchen auf das i.
    Dann ist der große Zweck erreicht;
    2430
    Solch einen Lohn verdient ein solches Streben:
    Gold, Ehre, Ruhm, gesundes langes Leben,
    Und Wissenschaft und Tugend — auch vielleicht.
    Leb wohl!

    WAGNER

    betrübt.
    Leb wohl! Das drückt das Herz mir nieder.
    2435
    Ich fürchte schon, ich seh dich niemals wieder.

    MEPHISTOPHELES

    Nun zum Peneios frisch hinab!
    Herr Vetter ist nicht zu verachten.
    Ad Spectatores.
    Am Ende hängen wir doch ab
    2440
    Von Kreaturen, die wir machten.

    KLASSISCHE WALPURGISNACHT

    Pharsalische Felder.
    Finsternis.

    ERICHTHO

    Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,
    Tret ich einher, Erichtho, ich, die düstere;
    Nicht so abscheulich, wie die leidigen Dichter mich
    Im Übermaß verlästern … Endigen sie doch nie
    2445
    In Lob und Tadel … überbleicht erscheint mir schon
    Von grauer Zelten Woge weit das Tal dahin,
    Als Nachgesicht der sorg– und grauenvollsten Nacht.
    Wie oft schon wiederholt' sich's! wird sich immerfort
    Ins Ewige wiederholen … Keiner gönnt das Reich
    2450
    Dem andern; dem gönnt's keiner, der's mit Kraft erwarb
    Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst
    Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
    Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß …
    Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:
    2455
    Wie sich Gewalt Gewaltigerem entgegenstellt,
    Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt,
    Der starre Lorbeer sich ums Haupt des Herrschers biegt.
    Hier träumte Magnus früher Größe Blütentag,
    Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
    2460
    Das wird sich messen. Weiß die Welt doch, wem's gelang.
    Wachfeuer glühen, rote Flammen spendende,
    Der Boden haucht vergoßnen Blutes Widerschein,
    Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
    Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
    2465
    Um alle Feuer schwankt unsicher oder sitzt
    Behaglich alter Tage fabelhaft Gebild …
    Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
    Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
    Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
    2470
    Doch über mir! welch unerwartet Meteor?
    Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
    Ich wittre Leben. Da geziemen will mir's nicht,
    Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;
    Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
    2475
    Schon sinkt es nieder. Weich ich aus mit Wohlbedacht!
    Entfernt sich.
    Die Luftfahrer oben.

    HOMUNCULUS

    Schwebe noch einmal die Runde
    über Flamm– und Schaudergrauen;
    Ist es doch in Tal und Grunde
    Gar gespenstisch anzuschauen.

    MEPHISTOPHELES

    2480
    Seh ich, wie durchs alte Fenster
    In des Nordens Wust und Graus,
    Ganz abscheuliche Gespenster,
    Bin ich hier wie dort zu Haus.

    HOMUNCULUS

    Sieh! da schreitet eine Lange
    2485
    Weiten Schrittes vor uns hin.

    MEPHISTOPHELES

    Ist es doch, als wär ihr bange;
    Sah uns durch die Lüfte ziehn.

    HOMUNCULUS

    Laß sie schreiten! setz ihn nieder,
    Deinen Ritter, und sogleich
    2490
    Kehret ihm das Leben wieder,
    Denn er sucht's im Fabelreich.

    FAUST

    den Boden berührend.
    Wo ist sie? —

    HOMUNCULUS

    Wüßten's nicht zu sagen,
    Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.
    2495
    In Eile magst du, eh' es tagt,
    Von Flamm zu Flamme spürend gehen:
    Wer zu den Müttern sich gewagt,
    Hat weiter nichts zu überstehen.

    MEPHISTOPHELES

    Auch ich bin hier an meinem Teil;
    2500
    Doch wüßt ich Besseres nicht zu unserm Heil,
    Als: jeder möge durch die Feuer
    Versuchen sich sein eigen Abenteuer.
    Dann, um uns wieder zu vereinen,
    Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.

    HOMUNCULUS

    2505
    So soll es blitzen, soll es klingen.
    Das Glas dröhnt und leuchtet gewaltig.
    Nun frisch zu neuen Wunderdingen!

    FAUST

    allein.
    Wo ist sie? — Frage jetzt nicht weiter nach …
    Wär's nicht die Scholle, die sie trug,
    2510
    Die Welle nicht, die ihr entgegenschlug,
    So ist's die Luft, die ihre Sprache sprach.
    Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!
    Ich fühlte gleich den Boden, wo ich stand;
    Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,
    2515
    So steh ich, ein Antäus an Gemüte.
    Und find ich hier das Seltsamste beisammen,
    Durchforsch ich ernst dies Labyrinth der Flammen.
    Entfernt sich.

    AM OBERN PENEIOS

    MEPHISTOPHELES

    umherspürend.
    Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
    So find' ich mich doch ganz und gar entfremdet,
    2520
    Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
    Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
    Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
    Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt …
    Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
    2525
    Doch das Antike find' ich zu lebendig;
    Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
    Und mannigfaltig modisch überkleistern …
    Ein widrig Volk! Doch darf mich's nicht verdrießen,
    Als neuer Gast anständig sie zu grüßen …
    2530
    Glück zu den schönen Fraun, den klugen Greisen!

    GREIF

    schnarrend.
    Nicht Greisen! Greifen! — Niemand hört es gern,
    Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt
    Der Ursprung nach, wo es sich her bedingt:
    Grau, grämlich, griesgram, greulich, Gräber, grimmig,
    2535
    Etymologisch gleicherweise stimmig,
    Verstimmen uns.

    MEPHISTOPHELES

    Und doch, nicht abzuschweifen,
    Gefällt das Grei im Ehrentitel Greifen.

    GREIF

    wie oben und immer so fort.
    Natürlich! Die Verwandtschaft ist erprobt,
    2540
    Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
    Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
    Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.

    AMEISEN

    von der kolossalen Art.
    Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,
    In Fels– und Höhlen heimlich eingerammelt;
    2545
    Das Arimaspen-Volk hat's ausgespürt,
    Sie lachen dort, wie weit sie's weggeführt.

    GREIFE

    Wir wollen sie schon zum Geständnis bringen.

    ARIMASPEN

    Nur nicht zur freien Jubelnacht.
    Bis morgen ist's alles durchgebracht,
    2550
    Es wird uns diesmal wohl gelingen.

    MEPHISTOPHELES

    hat sich zwischen die Spinxe gesetzt.
    Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne,
    Denn ich verstehe Mann für Mann.

    SPHINX

    Wir hauchen unsre Geistertöne,
    Und ihr verkörpert sie alsdann.
    2555
    Jetzt nenne dich, bis wir dich weiter kennen.

    MEPHISTOPHELES

    Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen —
    Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
    Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
    Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen;
    2560
    Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
    Sie zeugten auch: Im alten Bühnenspiel
    Sah man mich dort als Old Iniquity.

    SPHINX

    Wie kam man drauf?

    MEPHISTOPHELES

    Ich weiß es selbst nicht wie.

    SPHINX

    2565
    Mag sein! Hast du von Sternen einige Kunde?
    Was sagst du zu der gegenwärt'gen Stunde?

    MEPHISTOPHELES

    aufschauend.
    Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle,
    Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
    Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
    2570
    Hinauf sich zu versteigen, wär' zum Schaden;
    Gib Rätsel auf, gib allenfalls Scharaden.

    SPHINX

    Sprich nur dich selbst aus, wird schon Rätsel sein.
    Versuch einmal, dich innigst aufzulösen:
    „Dem frommen Manne nötig wie dem bösen,
    2575
    Dem ein Plastron, aszetisch zu rapieren,
    Kumpan dem andern, Tolles zu vollführen,
    Und beides nur, um Zeus zu amüsieren.”

    ERSTER GREIF

    schnarrend.
    Den mag ich nicht!

    ZWEITER GREIF

    stärker schnarrend.
    Was will uns der?

    BEIDE

    2580
    Der Garstige gehöret nicht hierher!

    MEPHISTOPHELES

    brutal.
    Du glaubst vielleicht, des Gastes Nägel krauen
    Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
    Versuch's einmal!

    SPHINX

    milde.
    Du magst nur immer bleiben,
    2585
    Wird dich's doch selbst aus unsrer Mitte treiben;
    In deinem Lande tust dir was zugute,
    Doch, irr' ich nicht, hier ist dir schlecht zumute.

    MEPHISTOPHELES

    Du bist recht appetitlich oben anzuschauen,
    Doch unten hin die Bestie macht mir Grauen.

    SPHINX

    2590
    Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
    Denn unsre Tatzen sind gesund;
    Dir mit verschrumpftem Pferdefuße
    Behagt es nicht in unserem Bund.
    Sirenen präludieren oben.

    MEPHISTOPHELES

    Wer sind die Vögel, in den Ästen
    2595
    Des Pappelstromes hingewiegt?

    SPHINX

    Gewahrt euch nur! Die Allerbesten
    Hat solch ein Singsang schon besiegt.

    SIRENEN

    Ach was wollt ihr euch verwöhnen
    In dem Häßlich-Wunderbaren!
    2600
    Horcht, wir kommen hier zu Scharen
    Und in wohlgestimmten Tönen;
    So geziemet es Sirenen.

    SPHINXE

    sie verspottend in der selben Melodie.
    Nötigt sie, herabzusteigen!
    Sie verbergen in den Zweigen
    2605
    Ihre garstigen Habichtskrallen,
    Euch verderblich anzufallen,
    Wenn ihr euer Ohr verleiht.

    SIRENEN

    Weg das Hassen! weg das Neiden!
    Sammeln wir die klarsten Freuden,
    2610
    Unterm Himmel ausgestreut!
    Auf dem Wasser, auf der Erde
    Sei's die heiterste Gebärde,
    Die man dem Willkommnen beut.

    MEPHISTOPHELES

    Das sind die saubern Neuigkeiten,
    2615
    Wo aus der Kehle, von den Saiten
    Ein Ton sich um den andern flicht.
    Das Trallern ist bei mir verloren:
    Es krabbelt wohl mir um die Ohren,
    Allein zum Herzen dringt es nicht.

    SPHINXE

    2620
    Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel;
    Ein lederner verschrumpfter Beutel,
    Das paßt dir eher zu Gesicht.

    FAUST

    herantretend.
    Wie wunderbar! das Anschaun tut mir Gnüge,
    Im Widerwärtigen große, tüchtige Züge.
    2625
    Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
    Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
    Auf Sphinxe bezüglich.
    Vor solchen hat einst Ödipus gestanden;
    Auf Sirenen bezüglich.
    2630
    Vor solchen krümmte sich Ulyß in hänfnen Banden;
    Auf Ameisen bezüglich.
    Von solchen ward der höchste Schatz gespart,
    Auf Greife bezüglich.
    Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
    2635
    Vom frischen Geiste fühl ich mich durchdrungen;
    Gestalten groß, groß die Erinnerungen.

    MEPHISTOPHELES

    Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
    Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
    Denn wo man die Geliebte sucht,
    2640
    Sind Ungeheuer selbst willkommen.

    FAUST

    zu den Sphinxen.
    Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
    Hat eins der Euren Helena gesehn?

    SPHINXE

    Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
    Die letztesten hat Herkules erschlagen.
    2645
    Von Chiron könntest du's erfragen;
    Der sprengt herum in dieser Geisternacht;
    Wenn er dir steht, so hast du's weit gebracht.

    SIRENEN

    Sollte dir's doch auch nicht fehlen! …
    Wie Ulyß bei uns verweilte,
    2650
    Schmähend nicht vorübereilte,
    Wußt' er vieles zu erzählen;
    Würden alles dir vertrauen,
    Wolltest du zu unsern Gauen
    Dich ans grüne Meer verfügen.

    SPHINX

    2655
    Laß dich, Edler, nicht betrügen.
    Statt daß Ulyß sich binden ließ,
    Laß unsern guten Rat dich binden;
    Kannst du den hohen Chiron finden,
    Erfährst du, was ich dir verhieß.
    Faust entfernt sich.

    MEPHISTOPHELES

    verdrießlich.
    2660
    Was krächzt vorbei mit Flügelschlag?
    So schnell, daß man's nicht sehen mag,
    Und immer eins dem andern nach,
    Den Jäger würden sie ermüden.

    SPHINX

    Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,
    2665
    Alcides' Pfeilen kaum erreichbar;
    Es sind die raschen Stymphaliden,
    Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
    Mit Geierschnabel und Gänsefuß.
    Sie möchten gern in unsern Kreisen
    2670
    Als Stammverwandte sich erweisen.

    MEPHISTOPHELES

    wie verschüchtert.
    Noch andres Zeug zischt zwischen drein.

    SPHINX

    Vor diesen sei Euch ja nicht bange!
    Es sind die Köpfe der lernäischen Schlange,
    Vom Rumpf getrennt, und glauben was zu sein.
    2675
    Doch sagt, was soll nur aus Euch werden?
    Was für unruhige Gebärden?
    Wo wollt Ihr hin? Begebt Euch fort! …
    Ich sehe, jener Chorus dort
    Macht Euch zum Wendehals. Bezwingt Euch nicht,
    2680
    Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht!
    Die Lamien sind's, lustfeine Dirnen,
    Mit Lächelmund und frechen Stirnen,
    Wie sie dem Satyrvolk behagen;
    Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.

    MEPHISTOPHELES

    2685
    Ihr bleibt doch hier, daß ich euch wiederfinde?

    SPHINXE

    Ja! Mische dich zum luftigen Gesinde.
    Wir, von Ägypten her, sind längst gewohnt,
    Daß unsereins in tausend Jahre thront.
    Und respektiert nur unsre Lage,
    2690
    So regeln wir die Mond– und Sonnentage.
    Sitzen vor den Pyramiden,
    Zu der Völker Hochgericht;
    Überschwemmung, Krieg und Frieden —
    Und verziehen kein Gesicht.

    AM UNTERN PENEIOS

    Peneios, umgeben von Gewässern und Nymphen.

    PENEIOS

    2695
    Rege dich, du Schilfgeflüster!
    Hauche leise, Rohregeschwister,
    Säuselt, leichte Weidensträuche,
    Lispelt, Pappelzitterzweige,
    Unterbrochnen Träumen zu! …
    2700
    Weckt mich doch ein grauslich Wittern,
    Heimlich allbewegend Zittern
    Aus dem Wallestrom und Ruh.

    FAUST

    aus dem Fluß tretend.
    Hör ich recht, so muß ich glauben:
    Hinter den verschränkten Lauben
    2705
    Dieser Zweige, dieser Stauden
    Tönt ein menschenähnlichs Lauten.
    Scheint die Welle doch ein Schwätzen,
    Lüftlein wie — ein Scherzergetzen.

    NYMPHEN

    zu Faust.
    Am besten geschäh dir,
    2710
    Du legtest dich nieder,
    Erholtest im Kühlen
    Ermüdete Glieder,
    Genössest der immer
    Dich meidenden Ruh;
    2715
    Wir säuseln, wir rieseln,
    Wir flüstern dir zu.

    FAUST

    Ich wache ja! O laßt sie walten,
    Die unvergleichlichen Gestalten,
    Wie sie dorthin mein Auge schickt.
    2720
    So wunderbar bin ich durchdrungen!
    Sind's Träume? Sind's Erinnerungen?
    Schon einmal warst du so beglückt.
    Gewässer schleichen durch die Frische
    Der dichten, sanft bewegten Büsche,
    2725
    Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;
    Von allen Seiten hundert Quellen
    Vereinen sich im reinlich hellen,
    Zum Bade flach vertieften Raum.
    Gesunde junge Frauenglieder,
    2730
    Vom feuchten Spiegel doppelt wieder
    Ergetztem Auge zugebracht!
    Gesellig dann und fröhlich badend,
    Erdreistet schwimmend, furchtsam watend;
    Geschrei zuletzt und Wasserschlacht.
    2735
    Begnügen sollt ich mich an diesen,
    Mein Auge sollte hier genießen,
    Doch immer weiter strebt mein Sinn.
    Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,
    Das reiche Laub der grünen Fülle
    2740
    Verbirgt die hohe Königin.
    Wundersam! auch Schwäne kommen
    Aus den Buchten hergeschwommen,
    Majestätisch rein bewegt.
    Ruhig schwebend, zart gesellig,
    2745
    Aber stolz und selbstgefällig,
    Wie sich Haupt und Schnabel regt …
    Einer aber scheint vor allen
    Brüstend kühn sich zu gefallen,
    Segelnd rasch durch alle fort;
    2750
    Sein Gefieder bläht sich schwellend,
    Welle selbst, auf Wogen wellend,
    Dringt er zu dem heiligen Ort …
    Die andern schwimmen hin und wider
    Mit ruhig glänzendem Gefieder,
    2755
    Bald auch in regem prächtigen Streit,
    Die scheuen Mädchen abzulenken,
    Daß sie an ihren Dienst nicht denken,
    Nur an die eigne Sicherheit.

    NYMPHEN

    Leget, Schwestern, euer Ohr
    2760
    An des Ufers grüne Stufe;
    Hör ich recht, so kommt mir's vor
    Als der Schall von Pferdes Hufe.
    Wüßt ich nur, wer dieser Nacht
    Schnelle Botschaft zugebracht.

    FAUST

    2765
    Ist mir doch, als dröhnt die Erde,
    Schallend unter eiligem Pferde.
    Dorthin mein Blick!
    Ein günstiges Geschick,
    Soll es mich schon erreichen?
    2770
    O Wunder ohnegleichen!
    Ein Reuter kommt herangetrabt,
    Er scheint von Geist und Mut begabt,
    Von blendend-weißem Pferd getragen …
    Ich irre nicht, ich kenn ihn schon,
    2775
    Der Philyra berühmter Sohn! —
    Halt, Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen …

    CHIRON

    Was gibt's? Was ist's?

    FAUST

    Bezähme deinen Schritt!

    CHIRON

    Ich raste nicht.

    FAUST

    2780
    So bitte! nimm mich mit!

    CHIRON

    Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:
    Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,
    Ich bin bereit, dich durch den Fluß zu tragen.

    FAUST

    aufsitzend.
    Wohin du willst. Für ewig dank ich's dir …
    2785
    Der große Mann, der edle Pädagog,
    Der, sich zum Ruhm, ein Heldenvolk erzog,
    Den schönen Kreis der edlen Argonauten
    Und alle, die des Dichters Welt erbauten.

    CHIRON

    Das lassen wir an seinem Ort!
    2790
    Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;
    Am Ende treiben sie's nach ihrer Weise fort,
    Als wenn sie nicht erzogen wären.

    FAUST

    Den Arzt, der jede Pflanze nennt,
    Die Wurzeln bis ins tiefste kennt,
    2795
    Dem Kranken Heil, dem Wunden Linderung schafft,
    Umarm ich hier in Geist– und Körperkraft!

    CHIRON

    Ward neben mir ein Held verletzt,
    Da wußt' ich Hülf und Rat zu schaffen;
    Doch ließ ich meine Kunst zuletzt
    2800
    Den Wurzelweibern und den Pfaffen.

    FAUST

    Du bist der wahre große Mann,
    Der Lobeswort nicht hören kann.
    Er sucht bescheiden auszuweichen
    Und tut, als gäb es seinesgleichen.

    CHIRON

    2805
    Du scheinest mir geschickt zu heucheln,
    Dem Fürsten wie dem Volk zu schmeicheln.

    FAUST

    So wirst du mir denn doch gestehn:
    Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,
    Dem Edelsten in Taten nachgestrebt,
    2810
    Halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt.
    Doch unter den heroischen Gestalten
    Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?

    CHIRON

    Im hehren Argonautenkreise
    War jeder brav nach seiner eignen Weise,
    2815
    Und nach der Kraft, die ihn beseelte,
    Konnt' er genügen, wo's den andern fehlte.
    Die Dioskuren haben stets gesiegt,
    Wo Jugendfüll und Schönheit überwiegt.
    Entschluß und schnelle Tat zu andrer Heil,
    2820
    Den Boreaden ward's zum schönsten Teil.
    Nachsinnend, kräftig, klug, im Rat bequem,
    So herrschte Jason, Frauen angenehm.
    Dann Orpheus: zart und immer still bedächtig,
    Schlug er die Leier allen übermächtig.
    2825
    Scharfsichtig Lynceus, der bei Tag und Nacht
    Das heil'ge Schiff durch Klipp und Strand gebracht …
    Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:
    Wenn einer wirkt, die andern alle loben …

    FAUST

    Von Herkules willst nichts erwähnen?

    CHIRON

    2830
    O weh! errege nicht mein Sehnen …
    Ich hatte Phöbus nie gesehn,
    Noch Ares, Hermes, wie sie heißen;
    Da sah ich mir vor Augen stehn,
    Was alle Menschen göttlich preisen.
    2835
    So war er ein geborner König,
    Als Jüngling herrlichst anzuschaun;
    Dem ältern Bruder untertänig
    Und auch den allerliebsten Fraun.
    Den zweiten zeugt nicht Gäa wieder,
    2840
    Nicht führt ihn Hebe himmelein;
    Vergebens mühen sich die Lieder,
    Vergebens quälen sie den Stein.

    FAUST

    So sehr auch Bildner auf ihn pochen,
    So herrlich kam er nie zur Schau.
    2845
    Vom schönsten Mann hast du gesprochen,
    Nun sprich auch von der schönsten Frau!

    CHIRON

    Was!… Frauenschönheit will nichts heißen,
    Ist gar zu oft ein starres Bild;
    Nur solch ein Wesen kann ich preisen,
    2850
    Das froh und lebenslustig quillt.
    Die Schöne bleibt sich selber selig;
    Die Anmut macht unwiderstehlich,
    Wie Helena, da ich sie trug.

    FAUST

    Du trugst sie?

    CHIRON

    2855
    Ja, auf diesem Rücken.

    FAUST

    Bin ich nicht schon verwirrt genug?
    Und solch ein Sitz muß mich beglücken!

    CHIRON

    Sie faßte so mich in das Haar,
    Wie du es tust.

    FAUST

    2860
    O ganz und gar
    Verlier ich mich! Erzähle, wie?
    Sie ist mein einziges Begehren!
    Woher, wohin, ach, trugst du sie?

    CHIRON

    Die Frage läßt sich leicht gewähren.
    2865
    Die Dioskuren hatten jener Zeit
    Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit.
    Doch diese, nicht gewohnt, besiegt zu sein,
    Ermannten sich und stürmten hintendrein.
    Da hielten der Geschwister eiligen Lauf
    2870
    Die Sümpfe bei Eleusis auf;
    Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;
    Da sprang sie ab und streichelte
    Die feuchte Mähne, schmeichelte
    Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt.
    2875
    Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!

    FAUST

    Erst zehen Jahr!…

    CHIRON

    Ich seh, die Philologen,
    Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.
    Ganz eigen ist's mit mythologischer Frau,
    2880
    Der Dichter bringt sie, wie er's braucht, zur Schau:
    Nie wird sie mündig, wird nicht alt,
    Stets appetitlicher Gestalt,
    Wird jung entführt, im Alter noch umfreit;
    Gnug, den Poeten bindet keine Zeit.

    FAUST

    2885
    So sei auch sie durch keine Zeit gebunden!
    Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,
    Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:
    Errungen Liebe gegen das Geschick!
    Und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
    2890
    Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?
    Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,
    So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?
    Du sahst sie einst; heut hab ich sie gesehn,
    So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
    2895
    Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen;
    Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.

    CHIRON

    Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt;
    Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.
    Nun trifft sich's hier zu deinem Glücke;
    2900
    Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,
    Pfleg ich bei Manto vorzutreten,
    Der Tochter Äskulaps; im stillen Beten
    Fleht sie zum Vater, daß, zu seiner Ehre,
    Er endlich doch der Ärzte Sinn verkläre
    2905
    Und vom verwegnen Totschlag sie bekehre…
    Die liebste mir aus der Sibyllengilde,
    Nicht fratzenhaft bewegt, wohltätig milde;
    Ihr glückt es wohl, bei einigem Verweilen,
    Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.

    FAUST

    2910
    Geheilt will ich nicht sein, mein Sinn ist mächtig;
    Da wär ich ja wie andre niederträchtig.

    CHIRON

    Versäume nicht das Heil der edlen Quelle!
    Geschwind herab! Wir sind zur Stelle.

    FAUST

    Sag an! Wohin hast du, in grauser Nacht,
    2915
    Durch Kiesgewässer mich ans Land gebracht?

    CHIRON

    Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,
    Peneios rechts, links den Olymp zur Seite,
    Das größte Reich, das sich im Sand verliert;
    Der König flieht, der Bürger triumphiert.
    2920
    Blick auf! hier steht, bedeutend nah,
    Im Mondenschein der ewige Tempel da.

    MANTO

    inwendig träumend.
    Von Pferdes Hufe
    Erklingt die heilige Stufe,
    Halbgötter treten heran.

    CHIRON

    2925
    Ganz recht!
    Nur die Augen aufgetan!

    MANTO

    erwachend.
    Willkommen! ich seh, du bleibst nicht aus.

    CHIRON

    Steht dir doch auch dein Tempelhaus!

    MANTO

    Streiftst du noch immer unermüdet?

    CHIRON

    2930
    Wohnst du doch immer still umfriedet,
    Indes zu kreisen mich erfreut.

    MANTO

    Ich harre, mich umkreist die Zeit.
    Und dieser?

    CHIRON

    Die verrufene Nacht
    2935
    Hat strudelnd ihn hierher gebracht.
    Helenen, mit verrückten Sinnen,
    Helenen will er sich gewinnen
    Und weiß nicht, wie und wo beginnen;
    Asklepischer Kur vor andern wert.

    MANTO

    2940
    Den lieb ich, der Unmögliches begehrt.
    Chiron ist schon weit weg.

    MANTO

    Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen!
    Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.
    In des Olympus hohlem Fuß
    Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.
    2945
    Hier hab ich einst den Orpheus eingeschwärzt;
    Benutz es besser! frisch! beherzt!
    Sie steigen hinab.

    AM OBERN PENEIOS

    wie zuvor.

    SIRENEN

    Stürzt euch in Peneios' Flut!
    Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
    Lied um Lieder anzustimmen,
    2950
    Dem unseligen Volk zugut.
    Ohne Wasser ist kein Heil!
    Führen wir mit hellem Heere
    Eilig zum ägäischen Meere,
    Würd uns jede Lust zu teil.
    Erdbeben.

    SIRENEN

    2955
    Schäumend kehrt die Welle wieder,
    Fließt nicht mehr im Bett darnieder;
    Grund erbebt, das Wasser staucht,
    Kies und Ufer berstend raucht.
    Flüchten wir! Kommt alle, kommt!
    2960
    Niemand, dem das Wunder frommt.
    Fort! ihr edlen frohen Gäste,
    Zu dem seeisch heitern Feste,
    Blinkend, wo die Zitterwellen,
    Ufernetzend, leise schwellen;
    2965
    Da, wo Luna doppelt leuchtet,
    Uns mit heil'gem Tau befeuchtet.
    Dort ein freibewegtes Leben,
    Hier ein ängstlich Erdebeben;
    Eile jeder Kluge fort!
    2970
    Schauderhaft ist's um den Ort.

    SEISMOS

    in der Tiefe brummend und polternd.
    Einmal noch mit Kraft geschoben,
    Mit den Schultern brav gehoben!
    So gelangen wir nach oben,
    Wo uns alles weichen muß.

    SPHINXE

    2975
    Welch ein widerwärtig Zittern,
    Häßlich grausenhaftes Wittern!
    Welch ein Schwanken, welches Beben,
    Schaukelnd Hin– und Widerstreben!
    Welch unleidlicher Verdruß!
    2980
    Doch wir ändern nicht die Stelle,
    Bräche los die ganze Hölle.
    Nun erhebt sich ein Gewölbe
    Wundersam. Es ist derselbe,
    Jener Alte, längst Ergraute,
    2985
    Der die Insel Delos baute,
    Einer Kreißenden zulieb
    Aus der Wog empor sie trieb.
    Er, mit Streben, Drängen, Drücken,
    Arme straff, gekrümmt den Rücken,
    2990
    Wie ein Atlas an Gebärde,
    Hebt er Boden, Rasen, Erde,
    Kies und Grieß und Sand und Letten,
    Unsres Ufers stille Betten.
    So zerreißt er eine Strecke
    2995
    Quer des Tales ruhige Decke.
    Angestrengtest, nimmer müde,
    Kolossale Karyatide,
    Trägt ein furchtbar Steingerüste,
    Noch im Boden bis zur Büste;
    3000
    Weiter aber soll's nicht kommen,
    Sphinxe haben Platz genommen.

    SEISMOS

    Das hab ich ganz allein vermittelt,
    Man wird mir's endlich zugestehn;
    Und hätt ich nicht geschüttelt und gerüttelt,
    3005
    Wie wäre diese Welt so schön? —
    Wie ständen eure Berge droben
    In prächtig-reinem Ätherblau,
    Hätt ich sie nicht hervorgeschoben
    Zu malerisch-entzückter Schau?
    3010
    Als, angesichts der höchsten Ahnen,
    Der Nacht, des Chaos, ich mich stark betrug
    Und, in Gesellschaft von Titanen,
    Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug,
    Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,
    3015
    Bis überdrüssig noch zuletzt
    Wir dem Parnaß, als eine Doppelmütze,
    Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt …
    Apollen hält ein froh Verweilen
    Dort nun mit seliger Musen Chor.
    3020
    Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen
    Hob ich den Sessel hoch empor.
    Jetzt so, mit ungeheurem Streben,
    Drang aus dem Abgrund ich herauf
    Und fordre laut, zu neuem Leben,
    3025
    Mir fröhliche Bewohner auf.

    SPHINXE

    Uralt, müßte man gestehen,
    Sei das hier Emporgebürgte,
    Hätten wir nicht selbst gesehen,
    Wie sich's aus dem Boden würgte.
    3030
    Bebuschter Wald verbreitet sich hinan,
    Noch drängt sich Fels auf Fels bewegt heran;
    Ein Sphinx wird sich daran nicht kehren:
    Wir lassen uns im heiligen Sitz nicht stören.

    GREIFE

    Gold in Blättchen, Gold in Flittern
    3035
    Durch die Ritzen seh ich zittern.
    Laßt euch solchen Schatz nicht rauben,
    Imsen, auf! es auszuklauben.

    CHOR DER AMEISEN

    Wie ihn die Riesigen
    Emporgehoben,
    3040
    Ihr Zappelfüßigen,
    Geschwind nach oben!
    Behendest aus und ein!
    In solchen Ritzen
    Ist jedes Bröselein
    3045
    Wert zu besitzen.
    Das Allermindeste
    Müßt ihr entdecken
    Auf das geschwindeste
    In allen Ecken.
    3050
    Allemsig müßt ihr sein,
    Ihr Wimmelscharen;
    Nur mit dem Gold herein!
    Den Berg laßt fahren.

    GREIFE

    Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf!
    3055
    Wir legen unsre Klauen drauf;
    Sind Riegel von der besten Art,
    Der größte Schatz ist wohlverwahrt.

    PYGMÄEN

    Haben wirklich Platz genommen,
    Wissen nicht, wie es geschah.
    3060
    Fraget nicht, woher wir kommen,
    Denn wir sind nun einmal da!
    Zu des Lebens lustigem Sitze
    Eignet sich ein jedes Land;
    Zeigt sich eine Felsenritze,
    3065
    Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
    Zwerg und Zwergin, rasch zum Fleiße,
    Musterhaft ein jedes Paar;
    Weiß nicht, ob es gleicher Weise
    Schon im Paradiese war.
    3070
    Doch wir finden's hier zum besten,
    Segnen dankbar unsern Stern;
    Denn im Osten wie im Westen
    Zeugt die Mutter Erde gern.

    DAKTYLE

    Hat sie in einer Nacht
    3075
    Die Kleinen hervorgebracht,
    Sie wird die Kleinsten erzeugen;
    Finden auch ihresgleichen.

    PYGMÄEN-ÄLTESTE

    Eilet, bequemen
    Sitz einzunehmen!
    3080
    Eilig zum Werke!
    Schnelle für Stärke!
    Noch ist es Friede;
    Baut euch die Schmiede,
    Harnisch und Waffen
    3085
    Dem Heer zu schaffen.
    Ihr Imsen alle,
    Rührige im Schwalle,
    Schafft uns Metalle!
    Und ihr Daktyle,
    3090
    Kleinste, so viele,
    Euch sei befohlen,
    Hölzer zu holen!
    Schlichtet zusammen
    Heimliche Flammen,
    3095
    Schaffet uns Kohlen.

    GENERALISSIMUS

    Mit Pfeil und Bogen
    Frisch ausgezogen!
    An jenem Weiher
    Schießt mir die Reiher,
    3100
    Unzählig nistende,
    Hochmütig brüstende,
    Auf einen Ruck,
    Alle wie einen!
    Daß wir erscheinen
    3105
    Mit Helm und Schmuck.

    IMSEN UND DAKTYLE

    Wer wird uns retten!
    Wir schaffen 's Eisen,
    Sie schmieden Ketten.
    Uns loszureißen,
    3110
    Ist noch nicht zeitig,
    Drum seid geschmeidig.

    DIE KRANICHE DES IBYKUS

    Mordgeschrei und Sterbeklagen!
    ängstlich Flügelflatterschlagen!
    Welch ein Ächzen, welch Gestöhn
    3115
    Dringt herauf zu unsern Höhn!
    Alle sind sie schon ertötet,
    See von ihrem Blut gerötet,
    Mißgestaltete Begierde
    Raubt des Reihers edle Zierde.
    3120
    Weht sie doch schon auf dem Helme
    Dieser Fettbauch-Krummbein-Schelme.
    Ihr Genossen unsres Heeres,
    Reihenwanderer des Meeres,
    Euch berufen wir zur Rache
    3125
    In so nahverwandter Sache.
    Keiner spare Kraft und Blut!
    Ewige Feindschaft dieser Brut!
    Zerstreuen sich krächzend in den Lüften.

    MEPHISTOPHELES

    in der Ebene.
    Die nordischen Hexen wußt' ich wohl zu meistern,
    Mir wird's nicht just mit diesen fremden Geistern.
    3130
    Der Blocksberg bleibt ein gar bequem Lokal,
    Wo man auch sei, man findet sich zumal.
    Frau Ilse wacht für uns auf ihrem Stein,
    Auf seiner Höh wird Heinrich munter sein,
    Die Schnarcher schnauzen zwar das Elend an,
    3135
    Doch alles ist für tausend Jahr getan.
    Wer weiß denn hier nur, wo er geht und steht,
    Ob unter ihm sich nicht der Boden bläht? …
    Ich wandle lustig durch ein glattes Tal,
    Und hinter mir erhebt sich auf einmal
    3140
    Ein Berg, zwar kaum ein Berg zu nennen,
    Von meinen Sphinxen mich jedoch zu trennen
    Schon hoch genug — hier zuckt noch manches Feuer
    Das Tal hinab und flammt ums Abenteuer …
    Noch tanzt und schwebt mir lockend, weichend vor,
    3145
    Spitzbübisch gaukelnd, der galante Chor.
    Nur sachte drauf! Allzugewohnt ans Naschen,
    Wo es auch sei, man sucht was zu erhaschen.

    LAMIEN

    Mephistopheles nach sich ziehend.
    Geschwind, geschwinder!
    Und immer weiter!
    3150
    Dann wieder zaudernd,
    Geschwätzig plaudernd.
    Es ist so heiter,
    Den alten Sünder
    Uns nachzuziehen,
    3155
    Zu schwerer Buße.
    Mit starrem Fuße
    Kommt er geholpert,
    Einher gestolpert;
    Er schleppt das Bein,
    3160
    Wie wir ihn fliehen,
    Uns hinterdrein!

    MEPHISTOPHELES

    stillstehend.
    Verflucht Geschick! Betrogne Mannsen!
    Von Adam her verführte Hansen!
    Alt wird man wohl, wer aber klug?
    3165
    Warst du nicht schon vernarrt genug!
    Man weiß, das Volk taugt aus dem Grunde nichts,
    Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts.
    Nichts haben sie Gesundes zu erwidern,
    Wo man sie anfaßt, morsch in allen Gliedern.
    3170
    Man weiß, man sieht's, man kann es greifen,
    Und dennoch tanzt man, wenn die Luder pfeifen!

    LAMIEN

    innehaltend.
    Halt! er besinnt sich, zaudert, steht;
    Entgegnet ihm, daß er euch nicht entgeht!

    MEPHISTOPHELES

    fortschreitend.
    Nur zu! und laß dich ins Gewebe
    3175
    Der Zweifelei nicht törig ein;
    Denn wenn es keine Hexen gäbe,
    Wer Teufel möchte Teufel sein!

    LAMIEN

    anmutigst.
    Kreisen wir um diesen Helden!
    Liebe wird in seinem Herzen
    3180
    Sich gewiß für eine melden.

    MEPHISTOPHELES

    Zwar bei ungewissem Schimmer
    Scheint ihr hübsche Frauenzimmer,
    Und so möcht ich euch nicht schelten.

    EMPUSE

    eindringend.
    Auch nicht mich! als eine solche
    3185
    Laßt mich ein in eure Folge.

    LAMIEN

    Die ist in unserm Kreis zuviel,
    Verdirbt doch immer unser Spiel.

    EMPUSE

    zu Mephistopheles.
    Begrüßt von Mühmichen Empuse,
    Der Trauten mit dem Eselsfuße!
    3190
    Du hast nur einen Pferdefuß,
    Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!

    MEPHISTOPHELES

    Hier dacht' ich lauter Unbekannte
    Und finde leider Nahverwandte;
    Es ist ein altes Buch zu blättern:
    3195
    Vom Harz bis Hellas immer Vettern!

    EMPUSE

    Entschieden weiß ich gleich zu handeln,
    In vieles könnt ich mich verwandeln;
    Doch Euch zu Ehren hab ich jetzt
    Das Eselsköpfchen aufgesetzt.

    MEPHISTOPHELES

    3200
    Ich merk, es hat bei diesen Leuten
    Verwandtschaft Großes zu bedeuten;
    Doch mag sich, was auch will, eräugnen,
    Den Eselskopf möcht ich verleugnen.

    LAMIEN

    Daß diese Garstige, sie verscheucht,
    3205
    Was irgend schön und lieblich deucht;
    Was irgend schön und lieblich wär —
    Sie kommt heran, es ist nicht mehr!

    MEPHISTOPHELES

    Auch diese Mühmchen zart und schmächtig,
    Sie sind mir allesamt verdächtig;
    3210
    Und hinter solcher Wänglein Rosen
    Fürcht ich doch auch Metamorphosen.

    LAMIEN

    Versuch es doch! sind unsrer viele.
    Greif zu! Und hast du Glück im Spiele,
    Erhasche dir das beste Los.
    3215
    Was soll das lüsterne Geleier?
    Du bist ein miserabler Freier,
    Stolzierst einher und tust so groß! —
    Nun mischt er sich in unsre Scharen;
    Laßt nach und nach die Masken fahren
    3220
    Und gebt ihm euer Wesen bloß.

    MEPHISTOPHELES

    Die Schönste hab ich mir erlesen …
    Sie umfassend.
    O weh mir! welch ein dürrer Besen!
    Ein andere ergreifend.
    3225
    Und diese? … Schmähliches Gesicht!

    LAMIEN

    Verdienst du's besser? dünkt es nicht.

    MEPHISTOPHELES

    Die Kleine möcht ich mir verpfänden…
    Lacerte schlüpft mir aus den Händen!
    Und schlangenhaft der glatte Zopf.
    3230
    Dagegen fass ich mir die Lange…
    Da pack ich eine Thyrsusstange,
    Den Pinienapfel als den Kopf!
    Wo will's hinaus?… Noch eine Dicke,
    An der ich mich vielleicht erquicke;
    3235
    Zum letztenmal gewagt! Es sei!
    Recht quammig, quappig, das bezahlen
    Mit hohem Preis Orientalen…
    Doch ach! der Bovist platzt entzwei!

    LAMIEN

    Fahrt auseinander, schwankt und schwebet
    3240
    Blitzartig, schwarzen Flugs umgebet
    Den eingedrungnen Hexensohn!
    Unsichre, schauderhafte Kreise!
    Schweigsamen Fittichs, Fledermäuse!
    Zu wohlfeil kommt er doch davon.

    MEPHISTOPHELES

    sich schüttelnd.
    3245
    Viel klüger, scheint es, bin ich nicht geworden;
    Absurd ist's hier, absurd im Norden,
    Gespenster hier wie dort vertrackt,
    Volk und Poeten abgeschmackt.
    Ist eben hier eine Mummenschanz
    3250
    Wie überall, ein Sinnentanz.
    Ich griff nach holden Maskenzügen
    Und faßte Wesen, daß mich's schauerte…
    Ich möchte gerne mich betrügen,
    Wenn es nur länger dauerte.
    3255
    Sich zwischen dem Gestein verlierend.
    Wo bin ich denn? Wo will's hinaus?
    Das war ein Pfad, nun ist's ein Graus.
    Ich kam daher auf glatten Wegen,
    Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
    3260
    Vergebens klettr' ich auf und nieder,
    Wo find ich meine Sphinxe wieder?
    So toll hätt ich mir's nicht gedacht,
    Ein solch Gebirge in einer Nacht!
    Das heiß ich frischen Hexenritt,
    3265
    Die bringen ihren Blocksberg mit.

    OREAS

    vom Naturfels.
    Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
    Steht in ursprünglicher Gestalt.
    Verehre schroffe Felsensteige,
    Des Pindus letztgedehnte Zweige!
    3270
    Schon stand ich unerschüttert so,
    Als über mich Pompejus floh.
    Daneben das Gebild des Wahns
    Verschwindet schon beim Krähn des Hahns.
    Dergleichen Märchen seh ich oft entstehn
    3275
    Und plötzlich wieder untergehn.

    MEPHISTOPHELES

    Sei Ehre dir, ehrwürdiges Haupt,
    Von hoher Eichenkraft umlaubt!
    Der allerklarste Mondenschein
    Dringt nicht zur Finsternis herein. —
    3280
    Doch neben am Gebüsche zieht
    Ein Licht, das gar bescheiden glüht.
    Wie sich das alles fügen muß!
    Fürwahr, es ist Homunculus!
    Woher des Wegs, du Kleingeselle?

    HOMUNCULUS

    3285
    Ich schwebe so von Stell zu Stelle
    Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
    Voll Ungeduld, mein Glas entzweizuschlagen;
    Allein, was ich bisher gesehn,
    Hinein da möcht ich mich nicht wagen.
    3290
    Nur, um dir's im Vertraun zu sagen:
    Zwei Philosophen bin ich auf der Spur,
    Ich horchte zu, es hieß: Natur, Natur!
    Von diesen will ich mich nicht trennen,
    Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;
    3295
    Und ich erfahre wohl am Ende,
    Wohin ich mich am allerklügsten wende.

    MEPHISTOPHELES

    Das tu auf deine eigne Hand.
    Denn wo Gespenster Platz genommen,
    Ist auch der Philosoph willkommen.
    3300
    Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,
    Erschafft er gleich ein Dutzend neue.
    Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand.
    Willst du entstehn, entsteh auf eigne Hand!

    HOMUNCULUS

    Ein guter Rat ist auch nicht zu verschmähn.

    MEPHISTOPHELES

    3305
    So fahre hin! Wir wollen's weiter sehn.
    Trennen sich.

    ANAXAGORAS

    zu Thales.
    Dein starrer Sinn will sich nicht beugen;
    Bedarf es Weitres, dich zu überzeugen?

    THALES

    Die Welle beugt sich jedem Winde gern,
    Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.

    ANAXAGORAS

    3310
    Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu Handen.

    THALES

    Im Feuchten ist Lebendiges erstanden.

    HOMUNCULUS

    zwischen beiden.
    Laßt mich an eurer Seite gehn.
    Mir selbst gelüstet's, zu entstehn!

    ANAXAGORAS

    Hast du, o Thales, je in einer Nacht
    3315
    Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?

    THALES

    Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
    Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen.
    Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
    Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.

    ANAXAGORAS

    3320
    Hier aber war's! Plutonisch grimmig Feuer,
    äolischer Dünste Knallkraft, ungeheuer,
    Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste,
    Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.

    THALES

    Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?
    3325
    Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.
    Mit solchem Streit verliert man Zeit und Weile
    Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.

    ANAXAGORAS

    Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
    Die Felsenspalten zu bewohnen;
    3330
    Pygmäen, Imsen, Däumerlinge
    Und andre tätig kleine Dinge.
    Zum Homunculus. Nie hast du Großem nachgestrebt,
    Einsiedlerisch-beschränkt gelebt;
    Kannst du zur Herrschaft dich gewöhnen,
    3335
    So laß ich dich als König krönen.

    HOMUNCULUS

    Was sagt mein Thales?

    THALES

    Will's nicht raten;
    Mit Kleinen tut man kleine Taten,
    Mit Großen wird der Kleine groß.
    3340
    Sieh hin! die schwarze Kranichwolke!
    Sie droht dem aufgeregten Volke
    Und würde so dem König drohn.
    Mit scharfen Schnäbeln, krallen Beinen,
    Sie stechen nieder auf die Kleinen;
    3345
    Verhängnis wetterleuchtet schon.
    Ein Frevel tötete die Reiher,
    Umstellend ruhigen Friedensweiher.
    Doch jener Mordgeschosse Regen
    Schafft grausam-blut'gen Rachesegen,
    3350
    Erregt der Nahverwandten Wut
    Nach der Pygmäen frevlem Blut.
    Was nützt nun Schild und Helm und Speer?
    Was hilft der Reiherstrahl den Zwergen?
    Wie sich Daktyl und Imse bergen!
    3355
    Schon wankt, es flieht, es stürzt das Heer.

    ANAXAGORAS

    Nach eine Pause feierlich.
    Konnt ich bisher die Unterirdischen loben,
    So wend ich mich in diesem Fall nach oben …
    Du! droben ewig Unveraltete,
    Dreinamig-Dreigestaltete,
    3360
    Dich ruf ich an bei meines Volkes Weh,
    Diana, Luna, Hekate!
    Du Brusterweiternde, im Tiefsten Sinnige,
    Du Ruhigscheinende, Gewaltsam-Innige,
    Eröffne deiner Schatten grausen Schlund,
    3365
    Die alte Macht sei ohne Zauber kund!
    Pause.
    Bin ich zu schnell erhört?
    Hat mein Flehn
    Nach jenen Höhn
    Die Ordnung der Natur gestört?
    3370
    Und größer, immer größer nahet schon
    Der Göttin rundumschriebner Thron,
    Dem Auge furchtbar, ungeheuer!
    Ins Düstre rötet sich sein Feuer …
    Nicht näher, drohend-mächtige Runde!
    3375
    Du richtest uns und Land und Meer zugrunde!
    So wär es wahr, daß dich thessalische Frauen
    In frevlend magischem Vertrauen
    Von deinem Pfad herabgesungen,
    Verderblichstes dir abgerungen? …
    3380
    Das lichte Schild hat sich umdunkelt,
    Auf einmal reißt's und blitzt und funkelt!
    Welch ein Geprassel! Welch ein Zischen!
    Ein Donnern, Windgetüm dazwischen! —
    Demütig zu des Thrones Stufen! —
    3385
    Verzeiht! Ich hab es hergerufen.
    Wirft sich auf's Angesicht.

    THALES

    Was dieser Mann nicht alles hört' und sah!
    Ich weiß nicht recht, wie uns geschah,
    Auch hab ich's nicht mit ihm empfunden.
    Gestehen wir, es sind verrückte Stunden,
    3390
    Und Luna wiegt sich ganz bequem
    An ihrem Platz, so wie vordem.

    HOMUNCULUS

    Schaut hin nach der Pygmäen Sitz!
    Der Berg war rund, jetzt ist er spitz.
    Ich spürt' ein ungeheures Prallen,
    3395
    Der Fels war aus dem Mond gefallen;
    Gleich hat er, ohne nachzufragen,
    So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
    Doch muß ich solche Künste loben,
    Die schöpferisch, in einer Nacht,
    3400
    Zugleich von unten und von oben,
    Dies Berggebäu zustand gebracht.

    THALES

    Sei ruhig! Es war nur gedacht.
    Sie fahre hin, die garstige Brut!
    Daß du nicht König warst, ist gut.
    3405
    Nun fort zum heitern Meeresfeste,
    Dort hofft und ehrt man Wundergäste.
    Entfernen sich.

    MEPHISTOPHELES

    an der Gegenseite kletternd.
    Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
    Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
    Auf meinem Harz der harzige Dunst
    3410
    Hat was vom Pech, und das hat meine Gunst,
    Zunächst dem Schwefel … Hier, bei diesen Griechen
    Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
    Neugierig aber wär ich, nachzuspüren,
    Womit sie Höllenqual und –flamme schüren.

    DRYAS

    3415
    In deinem Lande sei einheimisch klug,
    Im fremden bist du nicht gewandt genug.
    Du solltest nicht den Sinn zur Heimat kehren,
    Der heiligen Eichen Würde hier verehren.

    MEPHISTOPHELES

    Man denkt an das, was man verließ;
    3420
    Was man gewohnt war, bleibt ein Paradies.
    Doch sagt: was in der Höhle dort,
    Bei schwachem Licht, sich dreifach hingekauert?

    DRYAS

    Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort
    Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.

    MEPHISTOPHELES

    3425
    Warum denn nicht! — Ich sehe was, und staune!
    So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:
    Dergleichen hab ich nie gesehn,
    Die sind ja schlimmer als Alraune …
    Wird man die urverworfnen Sünden
    3430
    Im mindesten noch häßlich finden,
    Wenn man dies Dreigetüm erblickt?
    Wir litten sie nicht auf den Schwellen
    Der grauenvollsten unsrer Höllen.
    Hier wurzelt's in der Schönheit Land,
    3435
    Das wird mit Ruhm antik genannt …
    Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
    Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.

    PHORKYAS

    Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
    Wer sich so nah an unsre Tempel wage.

    MEPHISTOPHELES

    3440
    Verehrteste! Erlaubt mir, euch zu nahen
    Und euren Segen dreifach zu empfahen.
    Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter,
    Doch, irr ich nicht, weitläufiger Verwandter.
    Altwürdige Götter hab ich schon erblickt,
    3445
    Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt;
    Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern,
    Ich sah sie gestern — oder ehegestern;
    Doch euresgleichen hab ich nie erblickt.
    Ich schweige nun und fühle mich entzückt.

    PHORKYADEN

    3450
    Er scheint Verstand zu haben, dieser Geist.

    MEPHISTOPHELES

    Nur wundert's mich, daß euch kein Dichter preist.
    Und sagt: wie kam's, wie konnte das geschehn?
    Im Bilde hab ich nie euch Würdigste gesehn;
    Versuch's der Meißel doch, euch zu erreichen,
    3455
    Nicht Juno, Pallas, Venus und dergleichen.

    PHORKYADEN

    Versenkt in Einsamkeit und stillste Nacht,
    Hat unser Drei noch nie daran gedacht!

    MEPHISTOPHELES

    Wie sollt es auch? da ihr, der Welt entrückt,
    Hier niemand seht und niemand euch erblickt.
    3460
    Da müßtet ihr an solchen Orten wohnen,
    Wo Pracht und Kunst auf gleichem Sitze thronen,
    Wo jeden Tag, behend, im Doppelschritt,
    Ein Marmorblock als Held ins Leben tritt.
    Wo —

    PHORKYADEN

    3465
    Schweige still und gib uns kein Gelüsten!
    Was hülf es uns, und wenn wir's besser wüßten?
    In Nacht geboren, Nächtlichem verwandt,
    Beinah uns selbst, ganz allen unbekannt.

    MEPHISTOPHELES

    In solchem Fall hat es nicht viel zu sagen,
    3470
    Man kann sich selbst auch andern übertragen.
    Euch dreien gnügt ein Auge, gnügt ein Zahn;
    Da ging es wohl auch mythologisch an,
    In zwei die Wesenheit der drei zu fassen,
    Der Dritten Bildnis mir zu überlassen,
    3475
    Auf kurze Zeit.

    EINE

    Wie dünkt's euch? ging' es an?

    DIE ANDERN

    Versuchen wir's! — doch ohne Aug und Zahn.

    MEPHISTOPHELES

    Nun habt ihr grad das Beste weggenommen;
    Wie würde da das strengste Bild vollkommen!

    EINE

    3480
    Drück du ein Auge zu, 's ist leicht geschehn,
    Laß alsofort den einen Raffzahn sehn,
    Und im Profil wirst du sogleich erreichen,
    Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.

    MEPHISTOPHELES

    Viel Ehr! Es sei!

    PHORKYADEN

    3485
    Es sei!

    MEPHISTOPHELES

    als Phorkyas im Profil.
    Da steh ich schon,
    Des Chaos vielgeliebter Sohn!

    PHORKYADEN

    Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.

    MEPHISTOPHELES

    Man schilt mich nun, o Schmach, Hermaphroditen.

    PHORKYADEN

    3490
    Im neuen Drei der Schwestern welche Schöne!
    Wir haben zwei der Augen, zwei der Zähne.

    MEPHISTOPHELES

    Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
    Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken.
    Ab.

    FELSBUCHTEN DES ÄGÄISCHEN MEERS

    Mond im Zenit verharrend.

    SIRENEN

    auf den Klippen umher gelagert, flötend und singend.
    Haben sonst bei nächtigem Grauen
    3495
    Dich thessalische Zauberfrauen
    Frevelhaft herabgezogen,
    Blicke ruhig von dem Bogen
    Deiner Nacht auf Zitterwogen
    Mildeblitzend Glanzgewimmel
    3500
    Und erleuchte das Getümmel,
    Das sich aus den Wogen hebt!
    Dir zu jedem Dienst erbötig,
    Schöne Luna, sei uns gnädig!

    NEREIDEN UND TRITONEN

    als Meerwunder.
    Tönet laut in schärfern Tönen,
    3505
    Die das breite Meer durchdröhnen,
    Volk der Tiefe ruft fortan!
    Vor des Sturmes grausen Schlünden
    Wichen wir zu stillsten Gründen,
    Holder Sang zieht uns heran.
    3510
    Seht, wie wir im Hochentzücken
    Uns mit goldenen Ketten schmücken,
    Auch zu Kron und Edelsteinen
    Spang– und Gürtelschmuck vereinen!
    Alles das ist eure Frucht.
    3515
    Schätze, scheiternd hier verschlungen,
    Habt ihr uns herangesungen,
    Ihr Dämonen unsrer Bucht.

    SIRENEN

    Wissen's wohl, in Meeresfrische
    Glatt behagen sich die Fische,
    3520
    Schwanken Lebens ohne Leid;
    Doch, ihr festlich regen Scharen,
    Heute möchten wir erfahren,
    Daß ihr mehr als Fische seid.

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Ehe wir hieher gekommen,
    3525
    Haben wir's zu Sinn genommen;
    Schwestern, Bruder, jetzt geschwind!
    Heut bedarf's der kleinsten Reise
    Zum vollgültigsten Beweise,
    Daß wir mehr als Fische sind.
    Entfernen sich.

    SIRENEN

    3530
    Fort sind sie im Nu!
    Nach Samothrace grade zu,
    Verschwunden mit günstigem Wind.
    Was denken sie zu vollführen
    Im Reiche der hohen Kabiren?
    3535
    Sind Götter! Wundersam eigen,
    Die sich immerfort selbst erzeugen
    Und niemals wissen, was sie sind.
    Bleibe auf deinen Höhn,
    Holde Luna, gnädig stehn,
    3540
    Daß es nächtig verbleibe,
    Uns der Tag nicht vertreibe!

    THALES

    am Ufer zu Homunculus.
    Ich führte dich zum alten Nereus gern;
    Zwar sind wir nicht von seiner Höhle fern,
    Doch hat er einen harten Kopf,
    3545
    Der widerwärtige Sauertopf.
    Das ganze menschliche Geschlecht
    Macht's ihm, dem Griesgram, nimmer recht.
    Doch ist die Zukunft ihm entdeckt,
    Dafür hat jedermann Respekt
    3550
    Und ehret ihn auf seinem Posten;
    Auch hat er manchem wohlgetan.

    HOMUNCULUS

    Probieren wir's und klopfen an!
    Nicht gleich wird's Glas und Flamme kosten.

    NEREUS

    Sind's Menschenstimmen, die mein Ohr vernimmt?
    3555
    Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!
    Gebilde, strebsam, Götter zu erreichen,
    Und doch verdammt, sich immer selbst zu gleichen.
    Seit alten Jahren konnt' ich göttlich ruhn,
    Doch trieb mich's an, den Besten wohlzutun;
    3560
    Und schaut' ich dann zuletzt vollbrachte Taten,
    So war es ganz, als hätt ich nicht geraten.

    THALES

    Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir;
    Du bist der Weise, treib uns nicht von hier!
    Schau diese Flamme, menschenähnlich zwar,
    3565
    Sie deinem Rat ergibt sich ganz und gar.

    NEREUS

    Was Rat! Hat Rat bei Menschen je gegolten?
    Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
    So oft auch Tat sich grimmig selbst gescholten,
    Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.
    3570
    Wie hab ich Paris väterlich gewarnt,
    Eh sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
    Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
    Ihm kündet' ich, was ich im Geiste sah:
    Die Lüfte qualmend, überströmend Rot,
    3575
    Gebälke glühend, unten Mord und Tod:
    Trojas Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
    Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
    Des Alten Wort, dem Frechen schien's ein Spiel,
    Er folgte seiner Lust, und Ilios fiel —
    3580
    Ein Riesenleichnam, starr nach langer Qual,
    Des Pindus Adlern gar willkommnes Mahl.
    Ulyssen auch! sagt' ich ihm nicht voraus
    Der Circe Listen, des Zyklopen Graus?
    Das Zaudern sein, der Seinen leichten Sinn,
    3585
    Und was nicht alles! Bracht' ihm das Gewinn?
    Bis vielgeschaukelt ihn, doch spät genug,
    Der Woge Gunst an gastlich Ufer trug.

    THALES

    Dem weisen Mann gibt solch Betragen Qual;
    Der gute doch versucht es noch einmal.
    3590
    Ein Quentchen Danks wird, hoch ihn zu vergnügen,
    Die Zentner Undanks völlig überwiegen.
    Denn nichts Geringes haben wir zu flehn:
    Der Knabe da wünscht weislich zu entstehn.

    NEREUS

    Verderbt mir nicht den seltensten Humor!
    3595
    Ganz andres steht mir heute noch bevor:
    Die Töchter hab ich alle herbeschieden,
    Die Grazien des Meeres, die Doriden.
    Nicht der Olymp, nicht euer Boden trägt
    Ein schön Gebild, das sich so zierlich regt.
    3600
    Sie werfen sich, anmutigster Gebärde,
    Vom Wasserdrachen auf Neptunus' Pferde,
    Dem Element aufs zarteste vereint,
    Daß selbst der Schaum sie noch zu heben scheint.
    Im Farbenspiel von Venus' Muschelwagen
    3605
    Kommt Galatee, die Schönste, nun getragen,
    Die, seit sich Kypris von uns abgekehrt,
    In Paphos wird als Göttin selbst verehrt.
    Und so besitzt die Holde lange schon,
    Als Erbin, Tempelstadt und Wagenthron.
    3610
    Hinweg! Es ziemt in Vaterfreudenstunde
    Nicht Haß dem Herzen, Scheltwort nicht dem Munde.
    Hinweg zu Proteus! Fragt den Wundermann:
    Wie man entstehn und sich verwandlen kann.
    Entfernt sich gegen das Meer.

    THALES

    Wir haben nichts durch diesen Schritt gewonnen,
    3615
    Trifft man auch Proteus, gleich ist er zerronnen;
    Und steht er euch, so sagt er nur zuletzt,
    Was staunen macht und in Verwirrung setzt.
    Du bist einmal bedürftig solchen Rats,
    Versuchen wir's und wandlen unsres Pfads!
    Entfernen sich.

    SIRENEN

    oben auf den Felsen.
    3620
    Was sehen wir von weiten
    Das Wellenreich durchgleiten?
    Als wie nach Windes Regel
    Anzögen weiße Segel,
    So hell sind sie zu schauen,
    3625
    Verklärte Meeresfrauen.
    Laßt uns herunterklimmen,
    Vernehmt ihr doch die Stimmen.

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Was wir auf Händen tragen,
    Soll allen euch behagen.
    3630
    Chelonens Riesenschilde
    Entglänzt ein streng Gebilde:
    Sind Götter, die wir bringen;
    Müßt hohe Lieder singen.

    SIRENEN

    Klein von Gestalt,
    3635
    Groß von Gewalt,
    Der Scheiternden Retter,
    Uralt verehrte Götter.

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Wir bringen die Kabiren,
    Ein friedlich Fest zu führen;
    3640
    Denn wo sie heilig walten,
    Neptun wird freundlich schalten.

    SIRENEN

    Wir stehen euch nach;
    Wenn ein Schiff zerbrach,
    Unwiderstehbar an Kraft
    3645
    Schützt ihr die Mannschaft.

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Drei haben wir mitgenommen,
    Der vierte wollte nicht kommen;
    Er sagte, er sei der Rechte,
    Der für sie alle dächte.

    SIRENEN

    3650
    Ein Gott den andern Gott
    Macht wohl zu Spott.
    Ehrt ihr alle Gnaden,
    Fürchtet jeden Schaden.

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Sind eigentlich ihrer sieben.

    SIRENEN

    3655
    Wo sind die drei geblieben?

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Wir wüßten's nicht zu sagen,
    Sind im Olymp zu erfragen;
    Dort west auch wohl der achte,
    An den noch niemand dachte!
    3660
    In Gnaden uns gewärtig,
    Doch alle noch nicht fertig.
    Diese Unvergleichlichen
    Wollen immer weiter,
    Sehnsuchtsvolle Hungerleider
    3665
    Nach dem Unerreichlichen.

    SIRENEN

    Wir sind gewohnt,
    Wo es auch thront,
    In Sonn und Mond
    Hinzubeten; es lohnt.

    NEREIDEN UND TRITONEN

    3670
    Wie unser Ruhm zum höchsten prangt,
    Dieses Fest anzuführen!

    SIRENEN

    Die Helden des Altertums
    Ermangeln des Ruhms,
    Wo und wie er auch prangt,
    3675
    Wenn sie das goldne Vlies erlangt,
    Ihr die Kabiren.
    Wiederholt als Altgesang.
    Wenn sie das goldne Vlies erlangt,

    NEREIDEN UND TRITONEN

    Wir die Kabiren.

    SIRENEN

    3680
    Ihr die Kabiren.
    Nereiden und Tritonen ziehen vorüber.

    HOMUNCULUS

    Die Ungestalten seh ich an
    Als irden-schlechte Töpfe,
    Nun stoßen sich die Weisen dran
    Und brechen harte Köpfe.

    THALES

    3685
    Das ist es ja, was man begehrt:
    Der Rost macht erst die Münze wert.

    PROTEUS

    unbemerkt.
    So etwas freut mich alten Fabler!
    Je wunderlicher, desto respektabler.

    THALES

    Wo bist du, Proteus?

    PROTEUS

    bauchrednerisch, bald nah, bald fern.
    3690
    Hier! und hier!

    THALES

    Den alten Scherz verzeih ich dir;
    Doch einem Freund nicht eitle Worte!
    Ich weiß, du sprichst vom falschen Orte.

    PROTEUS

    als aus der Ferne.
    Leb' wohl!

    THALES

    leise zu Homunculus.
    3695
    Er ist ganz nah. Nun leuchte frisch!
    Er ist neugierig wie ein Fisch;
    Und wo er auch gestaltet stockt,
    Durch Flammen wird er hergelockt.

    HOMUNCULUS

    Ergieß ich gleich des Lichtes Menge,
    3700
    Bescheiden doch, daß ich das Glas nicht sprenge.

    PROTEUS

    in Gestalt einer Riesenschildkröte.
    Was leuchtet so anmutig schön?

    THALES

    den Humunculus verhüllend.
    Gut! Wenn du Lust hast, kannst du's näher sehn.
    Die kleine Mühe laß dich nicht verdrießen
    Und zeige dich auf menschlich beiden Füßen.
    3705
    Mit unsern Gunsten sei's, mit unserm Willen,
    Wer schauen will, was wir verhüllen.

    PROTEUS

    edel gestaltet.
    Weltweise Kniffe sind dir noch bewußt.

    THALES

    Gestalt zu wechseln, bleibt noch deine Lust.
    Hat den Humunculus enthüllt.

    PROTEUS

    erstaunt.
    Ein leuchtend Zwerglein! Niemals noch gesehn!

    THALES

    3710
    Es fragt um Rat und möchte gern entstehn.
    Er ist, wie ich von ihm vernommen,
    Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
    Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,
    Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.
    3715
    Bis jetzt gibt ihm das Glas allein Gewicht,
    Doch wär er gern zunächst verkörperlicht.

    PROTEUS

    Du bist ein wahrer Jungfernsohn,
    Eh du sein solltest, bist du schon!

    THALES

    leise.
    Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch:
    3720
    Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.

    PROTEUS

    Da muß es desto eher glücken;
    So wie er anlangt, wird sich's schicken.
    Doch gilt es hier nicht viel Besinnen:
    Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
    3725
    Da fängt man erst im kleinen an
    Und freut sich, Kleinste zu verschlingen,
    Man wächst so nach und nach heran
    Und bildet sich zu höherem Vollbringen.

    HOMUNCULUS

    Hier weht gar eine weiche Luft,
    3730
    Es grunelt so, und mir behagt der Duft!

    PROTEUS

    Das glaub ich, allerliebster Junge!
    Und weiter hin wird's viel behäglicher,
    Auf dieser schmalen Strandeszunge
    Der Dunstkreis noch unsäglicher;
    3735
    Da vorne sehen wir den Zug,
    Der eben herschwebt, nah genug.
    Kommt mit dahin!

    THALES

    Ich gehe mit.

    HOMUNCULUS

    Dreifach merkwürd'ger Geisterschritt!
    Telchinen von Rhodus auf Hippokampen und Meerdrachen, Neptuns Dreizack handhabend.

    CHOR

    3740
    Wir haben den Dreizack Neptunen geschmiedet,
    Womit er die regesten Wellen begütet.
    Entfaltet der Donnrer die Wolken, die vollen,
    Entgegnet Neptunus dem greulichen Rollen;
    Und wie auch von oben es zackig erblitzt,
    3745
    Wird Woge nach Woge von unten gespritzt;
    Und was auch dazwischen in Ängsten gerungen,
    Wird, lange geschleudert, vom Tiefsten verschlungen;
    Weshalb er uns heute den Zepter gereicht —
    Nun schweben wir festlich, beruhigt und leicht.

    SIRENEN

    3750
    Euch, dem Helios Geweihten,
    Heitern Tags Gebenedeiten,
    Gruß zur Stunde, die bewegt
    Lunas Hochverehrung regt!

    TELCHINEN

    Allieblichste Göttin am Bogen da droben!
    3755
    Du hörst mit Entzücken den Bruder beloben.
    Der seligen Rhodus verleihst du ein Ohr,
    Dort steigt ihm ein ewiger Päan hervor.
    Beginnt er den Tagslauf und ist es getan,
    Er blickt uns mit feurigem Strahlenblick an.
    3760
    Die Berge, die Städte, die Ufer, die Welle
    Gefallen dem Gotte, sind lieblich und helle.
    Kein Nebel umschwebt uns, und schleicht er sich ein,
    Ein Strahl und ein Lüftchen, die Insel ist rein!
    Da schaut sich der Hohe in hundert Gebilden,
    3765
    Als Jüngling, als Riesen, den großen, den milden.
    Wir ersten, wir waren's, die Göttergewalt
    Aufstellten in würdiger Menschengestalt.

    PROTEUS

    Laß du sie singen, laß sie prahlen!
    Der Sonne heiligen Lebestrahlen
    3770
    Sind tote Werke nur ein Spaß.
    Das bildet, schmelzend, unverdrossen;
    Und haben sie's in Erz gegossen,
    Dann denken sie, es wäre was.
    Was ist's zuletzt mit diesen Stolzen?
    3775
    Die Götterbilder standen groß —
    Zerstörte sie ein Erdestoß;
    Längst sind sie wieder eingeschmolzen.
    Das Erdetreiben, wie's auch sei,
    Ist immer doch nur Plackerei;
    3780
    Dem Leben frommt die Welle besser;
    Dich trägt ins ewige Gewässer
    Proteus-Delphin.
    Er verwandelt sich.
    Schon ist's getan!
    3785
    Da soll es dir zum schönsten glücken:
    Ich nehme dich auf meinen Rücken,
    Vermähle dich dem Ozean.

    THALES

    Gib nach dem löblichen Verlangen,
    Von vorn die Schöpfung anzufangen!
    3790
    Zu raschem Wirken sei bereit!
    Da regst du dich nach ewigen Normen,
    Durch tausend, abertausend Formen,
    Und bis zum Menschen hast du Zeit.
    Homunculus besteigt den Proteus-Delphin.

    PROTEUS

    Komm geistig mit in feuchte Weite,
    3795
    Da lebst du gleich in Läng' und Breite,
    Beliebig regest du dich hier;
    Nur strebe nicht nach höheren Orden:
    Denn bist du erst ein Mensch geworden,
    Dann ist es völlig aus mit dir.

    THALES

    3800
    Nachdem es kommt; 's ist auch wohl fein,
    Ein wackrer Mann zu seiner Zeit zu sein.

    PROTEUS

    zu Thales .
    So einer wohl von deinem Schlag!
    Das hält noch eine Weile nach;
    Denn unter bleichen Geisterscharen
    3805
    Seh' ich dich schon seit vielen hundert Jahren.

    SIRENEN

    auf dem Felsen.
    Welch ein Ring von Wölkchen ründet
    Um den Mond so reichen Kreis?
    Tauben sind es, liebentzündet,
    Fittiche, wie Licht so weiß.
    3810
    Paphos hat sie hergesendet,
    Ihre brünstige Vogelschar;
    Unser Fest, es ist vollendet,
    Heitre Wonne voll und klar!

    NEREUS

    zu Thales tretend.
    Nennte wohl ein nächtiger Wanderer
    3815
    Diesen Mondhof Lufterscheinung;
    Doch wir Geister sind ganz anderer
    Und der einzig richtigen Meinung:
    Tauben sind es, die begleiten
    Meiner Tochter Muschelfahrt,
    3820
    Wunderflugs besondrer Art,
    Angelernt vor alten Zeiten.

    THALES

    Auch ich halte das fürs Beste,
    Was dem wackern Mann gefällt,
    Wenn im stillen, warmen Neste
    3825
    Sich ein Heiliges lebend hält.

    PSYLLEN UND MARSEN

    auf Meerstieren, Meerkälbern und Widdern.
    In Cyperns rauhen Höhlegrüften,
    Vom Meergott nicht verschüttet,
    Vom Seismos nicht zerrüttet,
    Umweht von ewigen Lüften,
    3830
    Und, wie in den ältesten Tagen,
    In stillbewußtem Behagen
    Bewahren wir Cypriens Wagen
    Und führen, beim Säuseln der Nächte,
    Durch liebliches Wellengeflechte,
    3835
    Unsichtbar dem neuen Geschlechte,
    Die lieblichste Tochter heran.
    Wir leise Geschäftigen scheuen
    Weder Adler noch geflügelten Leuen,
    Weder Kreuz noch Mond,
    3840
    Wie es oben wohnt und thront,
    Sich wechselnd wegt und regt,
    Sich vertreibt und totschlägt,
    Saaten und Städte niederlegt.
    Wir, so fortan,
    3845
    Bringen die lieblichste Herrin heran.

    SIRENEN

    Leicht bewegt, in mäßiger Eile,
    Um den Wagen, Kreis um Kreis,
    Bald verschlungen Zeil an Zeile,
    Schlangenartig reihenweis,
    3850
    Naht euch, rüstige Nereiden,
    Derbe Fraun, gefällig wild,
    Bringet, zärtliche Doriden,
    Galateen, der Mutter Bild:
    Ernst, den Göttern gleich zu schauen,
    3855
    Würdiger Unsterblichkeit,
    Doch wie holde Menschenfrauen
    Lockender Anmutigkeit.

    DORIDEN

    im Chor am Nereus vorbeiziehend, sämtlich auf Delphinen.
    Leih uns, Luna, Licht und Schatten,
    Klarheit diesem Jugendflor!
    3860
    Denn wir zeigen liebe Gatten
    Unserm Vater bittend vor.
    Zu Nereus.
    Knaben sind's, die wir gerettet
    Aus der Brandung grimmem Zahn,
    3865
    Sie, auf Schilf und Moos gebettet,
    Aufgewärmt zum Licht heran,
    Die es nun mit heißen Küssen
    Treulich uns verdanken müssen;
    Schau die Holden günstig an!

    NEREUS

    3870
    Hoch ist der Doppelgewinn zu schätzen:
    Barmherzig sein, und sich zugleich ergetzen.

    DORIDEN

    Lobst du, Vater, unser Walten,
    Gönnst uns wohlerworbene Lust,
    Laß uns fest, unsterblich halten
    3875
    Sie an ewiger Jugendbrust.

    NEREUS

    Mögt euch des schönen Fanges freuen,
    Den Jüngling bildet euch als Mann;
    Allein ich könnte nicht verleihen,
    Was Zeus allein gewähren kann.
    3880
    Die Welle, die euch wogt und schaukelt,
    Läßt auch der Liebe nicht Bestand,
    Und hat die Neigung ausgegaukelt,
    So setzt gemächlich sie ans Land.

    DORIDEN

    Ihr, holde Knaben, seid uns wert,
    3885
    Doch müssen wir traurig scheiden;
    Wir haben ewige Treue begehrt,
    Die Götter wollen's nicht leiden.

    DIE JÜNGLINGE

    Wenn ihr uns nur so ferner labt,
    Uns wackre Schifferknaben;
    3890
    Wir haben's nie so gut gehabt
    Und wollen's nicht besser haben.
    Galatee auf dem Muschelwagen nähert sich.

    NEREUS

    Du bist es, mein Liebchen!

    GALATEE

    O Vater! das Glück!
    Delphine, verweilet! mich fesselt der Blick.

    NEREUS

    3895
    Vorüber schon, sie ziehen vorüber
    In kreisenden Schwunges Bewegung;
    Was kümmert sie die innre herzliche Regung!
    Ach, nähmen sie mich mit hinüber!
    Doch ein einziger Blick ergetzt,
    3900
    Daß er das ganze Jahr ersetzt,

    THALES

    Heil! Heil! aufs neue!
    Wie ich mich blühend freue,
    Vom Schönen, Wahren durchdrungen …
    Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
    3905
    Alles wird durch das Wasser erhalten!
    Ozean, gönn uns dein ewiges Walten.
    Wenn du nicht Wolken sendetest,
    Nicht reiche Bäche spendetest,
    Hin und her nicht Flüsse wendetest,
    3910
    Die Ströme nicht vollendetest,
    Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?
    Du bist's der das frischeste Leben erhält.

    ECHO

    Chorus der sämtlichen Kreise.
    Du bist's, dem das frischeste Leben entquellt.

    NEREUS

    Sie kehren schwankend fern zurück,
    3915
    Bringen nicht mehr Blick zu Blick;
    In gedehnten Kettenkreisen,
    Sich festgemäß zu erweisen,
    Windet sich die unzählige Schar.
    Aber Galateas Muschelthron
    3920
    Seh ich schon und aber schon.
    Er glänzt wie ein Stern
    Durch die Menge.
    Geliebtes leuchtet durchs Gedränge!
    Auch noch so fern
    3925
    Schimmert's hell und klar,
    Immer nah und wahr.

    HOMUNCULUS

    In dieser holden Feuchte
    Was ich auch hier beleuchte,
    Ist alles reizend schön.

    PROTEUS

    3930
    In dieser Lebensfeuchte
    Erglänzt erst deine Leuchte
    Mit herrlichem Getön.

    NEREUS

    Welch neues Geheimnis in Mitte der Scharen
    Will unseren Augen sich offengebaren?
    3935
    Was flammt um die Muschel, um Galatees Füße?
    Bald lodert es mächtig, bald lieblich, bald süße,
    Als wär es von Pulsen der Liebe gerührt.

    THALES

    Homunculus ist es, von Proteus verführt …
    Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,
    3940
    Mir ahnet das Ächzen beängsteten Dröhnens;
    Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron;
    Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.

    SIRENEN

    Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,
    Die gegeneinander sich funkelnd zerschellen?
    3945
    So leuchtet's und schwanket und hellet hinan:
    Die Körper, sie glühen auf nächtlicher Bahn,
    Und ringsum ist alles vom Feuer umronnen;
    So herrsche denn Eros, der alles begonnen!
    Heil dem Meere! Heil den Wogen,
    3950
    Von dem heilgen Feuer umzogen!
    Heil dem Wasser! Heil dem Feuer!
    Heil dem seltnen Abenteuer!

    ALL-ALLE

    Heil den mildgewogenen Lüften!
    Heil geheimnisreichen Grüften!
    3955
    Hochgefeiert seid allhier,
    Element' ihr alle vier!

    DRITTER AKT

    VOR DEM PALASTE DES MENELAS ZU SPARTA.

    Helena tritt auf und Chor gefangener Trojanerinnen. Panthalis, Chorführerin.

    HELENA

    Bewundert viel und viel gescholten, Helena,
    Vom Strande komm ich, wo wir erst gelandet sind,
    Noch immer trunken von des Gewoges regsamem
    3960
    Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her
    Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst
    Und Euros' Kraft, in vaterländische Buchten trug.
    Dort unten freuet nun der König Menelas
    Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich.
    3965
    Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,
    Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich
    Von Pallas' Hügel wiederkehrend aufgebaut
    Und, als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,
    Mit Kastor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,
    3970
    Vor allen Häusern Spartas herrlich ausgeschmückt.
    Gegrüßet seid mir, der ehrnen Pforte Flügel ihr!
    Durch euer gastlich ladendes Weit-Eröffnen einst
    Geschah's, daß mir, erwählt aus vielen, Menelas
    In Bräutigamsgestalt entgegenleuchtete.
    3975
    Eröffnet mir sie wieder, daß ich ein Eilgebot
    Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.
    Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir,
    Was mich umstürmte bis hieher, verhängnisvoll.
    Denn seit ich diese Schwelle sorgenlos verließ,
    3980
    Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,
    Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,
    Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit
    So gern erzählen, aber der nicht gerne hört,
    Von dem die Sage wachsend sich zum Märchen spann.

    CHOR

    3985
    Verschmähe nicht, o herrliche Frau,
    Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!
    Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,
    Der Schönheit Ruhm, der vor allen sich hebt.
    Dem Helden tönt sein Name voran,
    3990
    Drum schreitet er stolz;
    Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann
    Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.

    HELENA

    Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft
    Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;
    3995
    Doch welchen Sinn er hegen mag, errat ich nicht.
    Komm ich als Gattin? komm ich eine Königin?
    Komm ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz
    Und für der Griechen lang erduldetes Mißgeschick?
    Erobert bin ich; ob gefangen, weiß ich nicht!
    4000
    Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen
    Zweideutig mir, der Schöngestalt bedenkliche
    Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar
    Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.
    Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl
    4005
    Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.
    Als wenn er Unheil sänne, saß er gegen mir.
    Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad
    Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum
    Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:
    4010
    „Hier steigen meine Krieger nach der Ordnung aus,
    Ich mustere sie, am Strand des Meeres hingereiht;
    Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen
    Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,
    Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,
    4015
    Bis daß zur schönen Ebene du gelangen magst,
    Wo Lakedämon, einst ein fruchtbar weites Feld,
    Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.
    Betrete dann das hochgetürmte Fürstenhaus
    Und mustere mir die Mägde, die ich dort zurück
    4020
    Gelassen, samt der klugen alten Schaffnerin.
    Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,
    Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst
    In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.
    Du findest alles nach der Ordnung stehen; denn
    4025
    Das ist des Fürsten Vorrecht, daß er alles treu
    In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch
    An seinem Platze jedes, wie er's dort verließ.
    Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.”

    CHOR

    Erquicke nun am herrlichen Schatz,
    4030
    Dem stets vermehrten, Augen und Brust!
    Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck,
    Da ruhn sie stolz, und sie dünken sich was;
    Doch tritt nur ein und fordre sie auf,
    Sie rüsten sich schnell.
    4035
    Mich freuet, zu sehn Schönheit in dem Kampf
    Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.

    HELENA

    Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort:
    „Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,
    Dann nimm so manchen Dreifuß, als du nötig glaubst,
    4040
    Und mancherlei Gefäße, die der Opfer sich
    Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.
    Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund;
    Das reinste Wasser aus der heiligen Quelle sei
    In hohen Krügen; ferner auch das trockne Holz,
    4045
    Der Flammen schnell empfänglich, halte da bereit;
    Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;
    Doch alles andre geb ich deiner Sorge hin.”
    So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts
    Lebendigen Atems zeichnet mir der Ordnende,
    4050
    Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.
    Bedenklich ist es; doch ich sorge weiter nicht,
    Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,
    Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie deucht,
    Es möge gut von Menschen oder möge bös
    4055
    Geachtet sein; die Sterblichen, wir ertragen das.
    Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde
    Zu des erdgebeugten Tieres Nacken weihend auf
    Und konnt' es nicht vollbringen, denn ihn hinderte
    Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.

    CHOR

    4060
    Was geschehen werde, sinnst du nicht aus;
    Königin, schreite dahin
    Guten Muts!
    Gutes und Böses kommt
    Unerwartet dem Menschen;
    4065
    Auch verkündet, glauben wir's nicht.
    Brannte doch Troja, sahen wir doch
    Tod vor Augen, schmählichen Tod;
    Und sind wir nicht hier
    Dir gesellt, dienstbar freudig,
    4070
    Schauen des Himmels blendende Sonne
    Und das Schönste der Erde
    Huldvoll, dich, uns Glücklichen?

    HELENA

    Sei's wie es sei! Was auch bevorsteht, mir geziemt,
    Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,
    4075
    Das, lang entbehrt und viel ersehnt und fast verscherzt,
    Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.
    Die Füße tragen mich so mutig nicht empor
    Die hohen Stufen, die ich kindisch übersprang.
    Ab.

    CHOR

    Werfet, o Schwestern, ihr
    4080
    Traurig gefangenen,
    Alle Schmerzen ins Weite;
    Teilet der Herrin Glück,
    Teilet Helenens Glück,
    Welche zu Vaterhauses Herd,
    4085
    Zwar mit spät zurückkehrendem,
    Aber mit desto festerem
    Fuße freudig herannaht.
    Preiset die heiligen,
    Glücklich herstellenden
    4090
    Und heimführenden Götter!
    Schwebt der Entbundene
    Doch wie auf Fittichen
    über das Rauhste, wenn umsonst
    Der Gefangene sehnsuchtsvoll
    4095
    über die Zinne des Kerkers hin
    Armausbreitend sich abhärmt.
    Aber sie ergriff ein Gott,
    Die Entfernte;
    Und aus Ilios' Schutt
    4100
    Trug er hierher sie zurück
    In das alte, das neugeschmückte
    Vaterhaus,
    Nach unsäglichen
    Freuden und Qualen,
    4105
    Früher Jugendzeit
    Angefrischt zu gedenken.

    PANTHALIS

    als Chorführerin.
    Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad
    Und wendet nach der Türe Flügeln euren Blick!
    Was seh' ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin
    4110
    Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her?
    Was ist es, große Königin, was konnte dir
    In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,
    Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht;
    Denn Widerwillen seh' ich an der Stirne dir,
    4115
    Ein edles Zürnen, das mit Überraschung kämpft.

    HELENA

    welche die Türflügel offen gelassen hat, bewegt.
    Der Tochter Zeus' geziemet nicht gemeine Furcht,
    Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;
    Doch das Entsetzen, das, dem Schoß der alten Nacht
    Von Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch
    4120
    Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund
    Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust.
    So haben heute grauenvoll die Stygischen
    Ins Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern
    Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,
    4125
    Entlaßnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.
    Doch nein! gewichen bin ich her ans Licht, und sollt
    Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seid.
    Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag
    Des Herdes Glut die Frau begrüßen wie den Herrn.

    CHORFÜHRERIN

    4130
    Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,
    Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.

    HELENA

    Was ich gesehen, sollt ihr selbst mit Augen sehn,
    Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich
    Zurückgeschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoß.
    4135
    Doch daß ihr's wisset, sag' ich's euch mit Worten an:
    Als ich des Königshauses ernsten Binnenraum,
    Der nächsten Pflicht gedenkend, feierlich betrat,
    Erstaunt' ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit,
    Nicht Schall der emsig Wandelnden begegnete
    4140
    Dem Ohr, nicht raschgeschäftiges Eiligtun dem Blick,
    Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin,
    Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.
    Als aber ich dem Schoße des Herdes mich genaht,
    Da sah ich, bei verglommner Asche lauem Rest,
    4145
    Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,
    Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.
    Mit Herrscherworten ruf ich sie zur Arbeit auf,
    Die Schaffnerin mir vermutend, die indes vielleicht
    Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;
    4150
    Doch eingefaltet sitzt die Unbewegliche;
    Nur endlich rührt sie auf mein Dräun den rechten Arm,
    Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg.
    Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich
    Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos
    4155
    Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;
    Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,
    Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich
    In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,
    Seltsamer Bildung, wie sie Aug und Geist verwirrt.
    4160
    Doch red ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht
    Sich nur umsonst, Gestalten schöpferisch aufzubaun.
    Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich ans Licht hervor!
    Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.
    Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund
    4165
    Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.
    Phorkyas auf der Schwelle zwischen den Türpfosten auftretend.

    CHOR

    Vieles erlebt' ich, obgleich die Locke
    Jugendlich wallet mir um die Schläfe!
    Schreckliches hab ich vieles gesehen,
    Kriegrischen Jammer, Ilios' Nacht,
    4170
    Als es fiel.
    Durch das umwölkte, staubende Tosen
    Drängender Krieger hört' ich die Götter
    Fürchterlich rufen, hört' ich der Zwietracht
    Eherne Stimme schallen durchs Feld,
    4175
    Mauerwärts.
    Ach! sie standen noch, Ilios'
    Mauern, aber die Flammenglut
    Zog vom Nachbar zum Nachbar schon,
    Sich verbreitend von hier und dort
    4180
    Mit des eignen Sturmes Wehn
    über die nächtliche Stadt hin.
    Flüchtend sah ich durch Rauch und Glut
    Und der züngelnden Flamme Loh'n
    Gräßlich zürnender Götter Nahn,
    4185
    Schreitend Wundergestalten
    Riesengroß, durch düsteren
    Feuerumleuchteten Qualm hin.
    Sah ich's, oder bildete
    Mir der angstumschlungene Geist
    4190
    Solches Verworrene? sagen kann
    Nimmer ich's, doch daß ich dies
    Gräßliche hier mit Augen schau,
    Solches gewiß ja weiß ich;
    Könnt es mit Händen fassen gar,
    4195
    Hielte von dem Gefährlichen
    Nicht zurücke die Furcht mich.
    Welche von Phorkys'
    Töchtern nur bist du?
    Denn ich vergleiche dich
    4200
    Diesem Geschlechte.
    Bist du vielleicht der grau gebornen,
    Eines Auges und eines Zahns
    Wechselsweis teilhaftigen
    Graien eine gekommen?
    4205
    Wagest du Scheusal
    Neben der Schönheit
    Dich vor dem Kennerblick
    Phöbus' zu zeigen?
    Tritt du dennoch hervor nur immer;
    4210
    Denn das Häßliche schaut er nicht,
    Wie sein heilig Auge noch
    Nie erblickte den Schatten.
    Doch uns Sterbliche nötigt, ach,
    Leider trauriges Mißgeschick
    4215
    Zu dem unsäglichen Augenschmerz,
    Den das Verwerfliche, Ewig-Unselige
    Schönheitliebenden rege macht.
    Ja, so höre denn, wenn du frech
    Uns entgegenest, höre Fluch,
    4220
    Höre jeglicher Schelte Drohn
    Aus dem verwünschenden Munde der Glücklichen,
    Die von Göttern gebildet sind.

    PHORKYAS

    Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn,
    Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,
    4225
    Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
    Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
    Daß, wo sie immer irgend auch des Weges sich
    Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.
    Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,
    4230
    Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,
    Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,
    Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.
    Euch find ich nun, ihr Frechen, aus der Fremde her
    Mit Übermut ergossen, gleich der Kraniche
    4235
    Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,
    In langer Wolke, krächzend sein Getön herab
    Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf
    Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,
    Er geht den seinen; also wird's mit uns geschehn.
    4240
    Wer seid denn ihr, daß ihr des Königes Hochpalast
    Mänadisch wild, Betrunknen gleich, umtoben dürft?
    Wer seid ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin
    Entgegenheulet, wie dem Mond der Hunde Schar?
    Wähnt ihr, verborgen sei mir, welch Geschlecht ihr seid,
    4245
    Du kriegerzeugte, schlachterzogne junge Brut?
    Mannlustige du, so wie verführt verführende,
    Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft!
    Zu Hauf euch sehend, scheint mir ein Zikadenschwarm
    Herabzustürzen, deckend grüne Feldersaat.
    4250
    Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende
    Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr!
    Erobert-marktverkauft-vertauschte Ware du!

    HELENA

    Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,
    Der Gebietrin Hausrecht tastet er vermessen an;
    4255
    Denn ihr gebührt allein, das Lobenswürdige
    Zu rühmen, wie zu strafen, was verwerflich ist.
    Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir
    Geleistet, als die hohe Kraft von Ilios
    Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger,
    4260
    Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnot
    Ertrugen, wo sonst jeder sich der Nächste bleibt.
    Auch hier erwart ich Gleiches von der muntern Schar;
    Nicht, was der Knecht sei, fragt der Herr, nur, wie er dient.
    Drum schweige du und grinse sie nicht länger an.
    4265
    Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher
    Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;
    Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,
    Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.

    PHORKYAS

    Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,
    4270
    Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich
    Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.
    Da du, nun Anerkannte, neu den alten Platz
    Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,
    So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,
    4275
    Nimm in Besitz den Schatz und sämtlich uns dazu.
    Vor allem aber schütze mich, die ältere,
    Vor dieser Schar, die neben deiner Schönheit Schwan
    Nur schlecht befitticht', schnatterhafte Gänse sind.

    CHORFÜHRERIN

    Wie häßlich neben Schönheit zeigt sich Häßlichkeit.

    PHORKYAS

    4280
    Wie unverständig neben Klugheit Unverstand.
    Von hier an erwidern die Choretiden, einzeln aus dem Chor heraustretend.

    CHORETIDE 1

    Von Vater Erebus melde, melde von Mutter Nacht.

    PHORKYAS

    So sprich von Scylla, leiblich dir Geschwisterkind.

    CHORETIDE 2

    An deinem Stammbaum steigt manch Ungeheur empor.

    PHORKYAS

    Zum Orkus hin! da suche deine Sippschaft auf.

    CHORETIDE 3

    4285
    Die dorten wohnen, sind dir alle viel zu jung.

    PHORKYAS

    Tiresias, den Alten, gehe buhlend an.

    CHORETIDE 4

    Orions Amme war dir Ur-Urenkelin.

    PHORKYAS

    Harpyen, wähn ich, fütterten dich im Unflat auf.

    CHORETIDE 5

    Mit was ernährst du so gepflegte Magerkeit?

    PHORKYAS

    4290
    Mit Blute nicht, wonach du allzu lüstern bist.

    CHORETIDE 6

    Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!

    PHORKYAS

    Vampyren-Zähne glänzen dir im frechen Maul.

    CHORFÜHRERIN

    Das deine stopf ich, wenn ich sage, wer du seist.

    PHORKYAS

    So nenne dich zuerst; das Rätsel hebt sich auf.

    HELENA

    4295
    Nicht zürnend, aber traurend schreit ich zwischen euch,
    Verbietend solchen Wechselstreites Ungestüm!
    Denn Schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn
    Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.
    Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr
    4300
    In schnell vollbrachter Tat wohlstimmig ihm zurück,
    Nein, eigenwillig brausend tost es um ihn her,
    Den selbstverirrten, ins Vergebne scheltenden.
    Dies nicht allein. Ihr habt in sittelosem Zorn
    Unsel'ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,
    4305
    Die mich umdrängen, daß ich selbst zum Orkus mich
    Gerissen fühle, vaterländ'scher Flur zum Trutz.
    Ist's wohl Gedächtnis? war es Wahn, der mich ergreift?
    War ich das alles? Bin ich's? Werd ich's künftig sein,
    Das Traum– und Schreckbild jener Städteverwüstenden?
    4310
    Die Mädchen schaudern, aber du, die Älteste,
    Du stehst gelassen; rede mir verständig Wort.

    PHORKYAS

    Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,
    Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.
    Du aber, hochbegünstigt sonder Maß und Ziel,
    4315
    In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,
    Entzündet rasch zum kühnsten Wagstück jeder Art.
    Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,
    Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.

    HELENA

    Entführte mich, ein zehenjährig schlankes Reh,
    4320
    Und mich umschloß Aphidnus' Burg in Attika.

    PHORKYAS

    Durch Kastor und durch Pollux aber bald befreit,
    Umworben standst du ausgesuchter Heldenschar.

    HELENA

    Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh,
    Gewann Patroklus, er, des Peliden Ebenbild.

    PHORKYAS

    4325
    Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
    Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.

    HELENA

    Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.
    Aus ehlichem Beisein sproßte dann Hermione.

    PHORKYAS

    Doch als er fern sich Kretas Erbe kühn erstritt,
    4330
    Dir Einsamen da erschien ein allzuschöner Gast.

    HELENA

    Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft,
    Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs?

    PHORKYAS

    Auch jene Fahrt, mir freigebornen Kreterin
    Gefangenschaft erschuf sie, lange Sklaverei.

    HELENA

    4335
    Als Schaffnerin bestellt' er dich sogleich hieher,
    Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.

    PHORKYAS

    Die du verließest, Ilios' umtürmter Stadt
    Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.

    HELENA

    Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leids
    4340
    Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.

    PHORKYAS

    Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
    In Ilios gesehen und in Ägypten auch.

    HELENA

    Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.
    Selbst jetzo, welche denn ich sei, ich weiß es nicht.

    PHORKYAS

    4345
    Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
    Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!
    Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.

    HELENA

    Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
    Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.
    4350
    Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.
    Sinkt dem Halbchor in die Arme.

    CHOR

    Schweige, schweige!
    Mißblickende, Mißredende du!
    Aus so gräßlichen einzahnigen
    Lippen, was enthaucht wohl
    4355
    Solchem furchtbaren Greuelschlund!
    Denn der Bösartige, wohltätig erscheinend,
    Wolfesgrimm unter schafwolligem Vlies,
    Mir ist er weit schrecklicher als des drei-
    köpfigen Hundes Rachen.
    4360
    Ängstlich lauschend stehn wir da:
    Wann? wie? wo nur bricht's hervor,
    Solcher Tücke
    Tiefauflauerndes Ungetüm?
    Nun denn, statt freundlich mit Trost reich begabten,
    4365
    Lethe schenkenden, holdmildesten Worts
    Regest du auf aller Vergangenheit
    Bösestes mehr denn Gutes
    Und verdüsterst allzugleich
    Mit dem Glanz der Gegenwart
    4370
    Auch der Zukunft
    Mild aufschimmerndes Hoffnungslicht.
    Schweige, schweige!
    Daß der Königin Seele,
    Schon zu entfliehen bereit,
    4375
    Sich noch halte, festhalte
    Die Gestalt aller Gestalten,
    Welche die Sonne jemals beschien.
    Helena hat sich erholt und steht wieder in der Mitte.

    PHORKYAS

    Tritt hervor aus flüchtigen Wolken, hohe Sonne dieses Tags,
    Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im Glanze herrscht.
    4380
    Wie die Welt sich dir entfaltet, schaust du selbst mit holdem Blick.
    Schelten sie mich auch für häßlich, kenn ich doch das Schöne wohl.

    HELENA

    Tret ich schwankend aus der Öde, die im Schwindel mich umgab,
    Pflegt' ich gern der Ruhe wieder, denn so müd ist mein Gebein:
    Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt es wohl,
    4385
    Sich zu fassen, zu ermannen, was auch drohend überrascht.

    PHORKYAS

    Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns da,
    Sagt dein Blick, daß du befiehlest; was befiehlst du? sprich es aus.

    HELENA

    Eures Haders frech Versäumnis auszugleichen, seid bereit;
    Eilt, ein Opfer zu bestellen, wie der König mir gebot.

    PHORKYAS

    4390
    Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreifuß, scharfes Beil,
    Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig an!

    HELENA

    Nicht bezeichnet' es der König.

    PHORKYAS

    Sprach's nicht aus? O Jammerwort!

    HELENA

    Welch ein Jammer überfällt dich?

    PHORKYAS

    4395
    Königin, du bist gemeint!

    HELENA

    Ich?

    PHORKYAS

    Und diese.

    CHOR

    Weh und Jammer!

    PHORKYAS

    Fallen wirst du durch das Beil.

    HELENA

    4400
    Gräßlich doch geahnt; ich Arme!

    PHORKYAS

    Unvermeidlich scheint es mir.

    CHOR

    Ach! Und uns? was wird begegnen?

    PHORKYAS

    Sie stirbt einen edlen Tod;
    Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches Giebel trägt,
    4405
    Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der Reihe nach.
    Helena und Chor stehen erstaunt und erschreckt, in bedeutender, wohl vorbereiteter Gruppe.

    PHORKYAS

    Gespenster! — Gleich erstarrten Bildern steht ihr da,
    Geschreckt, vom Tag zu scheiden, der euch nicht gehört.
    Die Menschen, die Gespenster sämtlich gleich wie ihr,
    Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein;
    4410
    Doch bittet oder rettet niemand sie vom Schluß;
    Sie wissen's alle, wenigen doch gefällt es nur.
    Genug, ihr seid verloren! Also frisch ans Werk.
    Klatscht in die Hände; darauf erscheinen an der Pforte vermummte Zwerggestalten, welche die ausgesprochenen Befehle alsobald mit Behendigkeit ausführen.
    Herbei, du düstres, kugelrundes Ungetüm!
    4415
    Wälzt euch hieher, zu schaden gibt es hier nach Lust.
    Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz,
    Das Beil, es liege blinkend über dem Silberrand,
    Die Wasserkrüge füllet, abzuwaschen gibt's
    Des schwarzen Blutes greuelvolle Besudelung.
    4420
    Den Teppich breitet köstlich hier am Staube hin,
    Damit das Opfer niederkniee königlich
    Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts sogleich,
    Anständig würdig aber doch bestattet sei.

    CHORFÜHRERIN

    Die Königin stehet sinnend an der Seite hier,
    4425
    Die Mädchen welken gleich gemähtem Wiesengras;
    Mir aber deucht, der ältesten, heiliger Pflicht gemäß,
    Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Urälteste.
    Du bist erfahren, weise, scheinst uns gut gesinnt,
    Obschon verkennend hirnlos diese Schar dich traf.
    4430
    Drum sage, was du möglich noch von Rettung weißt.

    PHORKYAS

    Ist leicht gesagt: von der Königin hängt allein es ab,
    Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.
    Entschlossenheit ist nötig und die behendeste.

    CHOR

    Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle du,
    4435
    Halte gesperrt die goldene Schere, dann verkünd' uns Tag und Heil;
    Denn wir fühlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln unergetzlich
    Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich ergetzten,
    Ruhten drauf an Liebchens Brust.

    HELENA

    Laß diese bangen! Schmerz empfind ich, keine Furcht;
    4440
    Doch kennst du Rettung, dankbar sei sie anerkannt.
    Dem Klungen, Weitumsichtigen zeigt fürwahr sich oft
    Unmögliches noch als möglich. Sprich und sag es an.

    CHOR

    Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir den grausen,
    Garstigen Schlingen, die bedrohlich, als die schlechtesten Geschmeide,
    4445
    Sich um unsre Hälse ziehen? Vorempfinden wir's, die Armen,
    Zum Entatmen, zum Ersticken, wenn du, Rhea, aller Götter
    Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir den grausen,

    PHORKYAS

    Habt ihr Geduld, des Vortrags langgedehnten Zug
    Still anzuhören? Mancherlei Geschichten sind's.

    CHOR

    4450
    Geduld genug! Zuhörend leben wir indes.

    PHORKYAS

    Dem, der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt
    Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,
    Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang,
    Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch;
    4455
    Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht
    Mit flüchtigen Sohlen überschreitet freventlich,
    Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz,
    Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerstört.

    HELENA

    Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier?
    4460
    Du willst erzählen; rege nicht an Verdrießliches.

    PHORKYAS

    Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs.
    Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht,
    Gestad und Inseln, alles streift' er feindlich an,
    Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt.
    4465
    Vor Ilios verbracht' er langer Jahre zehn;
    Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.
    Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos'
    Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?

    HELENA

    Ist dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt,
    4470
    Daß ohne Tadeln du keine Lippe regen kannst?

    PHORKYAS

    So viele Jahre stand verlassen das Talgebirg,
    Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,
    Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
    Herab Eurotas rollt und dann, durch unser Tal
    4475
    An Rohren breit hinfließend, eure Schwäne nährt.
    Dort hinten still im Gebirgtal hat ein kühn Geschlecht
    Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,
    Und unersteiglich feste Burg sich aufgetürmt,
    Von da sie Land und Leute placken, wie's behagt.

    HELENA

    4480
    Das konnten sie vollführen? Ganz unmöglich scheint's.

    PHORKYAS

    Sie hatten Zeit, vielleicht an zwanzig Jahre sind's.

    HELENA

    Ist einer Herr? sind's Räuber viel, verbündete?

    PHORKYAS

    Nicht Räuber sind es, einer aber ist der Herr.
    Ich schelt ihn nicht, und wenn er schon mich heimgesucht.
    4485
    Wohl konnt' er alles nehmen, doch begnügt' er sich
    Mit wenigen Freigeschenken, nannt' er's, nicht Tribut.

    HELENA

    Wie sieht er aus?

    PHORKYAS

    Nicht übel! mir gefällt er schon.
    Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
    4490
    Wie unter Griechen wenig, ein verständ'ger Mann.
    Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht,
    Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios
    Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies.
    Ich acht' auf seine Großheit, ihm vertraut' ich mich.
    4495
    Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn!
    Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk,
    Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,
    Zyklopisch wie Zyklopen, rohen Stein sogleich
    Auf rohe Steine stürzend; dort hingegen, dort
    4500
    Ist alles senk– und waagerecht und regelhaft.
    Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,
    So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.
    Zu klettern hier — ja selbst der Gedanke gleitet ab.
    Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings
    4505
    Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.
    Da seht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,
    Altane, Galerien, zu schauen aus und ein,
    Und Wappen.

    CHOR

    Was sind Wappen?

    PHORKYAS

    4510
    Ajax führte ja
    Geschlungene Schlang im Schilde, wie ihr selbst gesehn.
    Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerein
    Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll.
    Da sah man Mond und Stern am nächtigen Himmelsraum,
    4515
    Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,
    Und was Bedrängliches guten Städten grimmig droht.
    Ein solch Gebilde führt auch unsre Heldenschar
    Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.
    Da seht ihr Löwen, Adler, Klau und Schnabel auch,
    4520
    Dann Büffelhörner, Flügel, Rosen, Pfauenschweif,
    Auch Streifen, gold und schwarz und silbern, blau und rot.
    Dergleichen hängt in Sälen Reih an Reihe fort.
    In Sälen, grenzenlosen, wie die Welt so weit;
    Da könnt ihr tanzen!

    CHOR

    4525
    Sage, gibt's auch Tänzer da?

    PHORKYAS

    Die besten! goldgelockte, frische Bubenschar.
    Die duften Jugend! Paris duftete einzig so,
    Als er der Königin zu nahe kam.

    HELENA

    Du fällst
    4530
    Ganz aus der Rolle; sage mir das letzte Wort!

    PHORKYAS

    Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich Ja!
    Sogleich umgeb ich dich mit jener Burg.

    CHOR

    O sprich
    Das kurze Wort und rette dich und uns zugleich!

    HELENA

    4535
    Wie? sollt ich fürchten, daß der König Menelas
    So grausam sich verginge, mich zu schädigen?

    PHORKYAS

    Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus,
    Des totgekämpften Paris Bruder, unerhört
    Verstümmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt
    4540
    Und glücklich kebste? Nas und Ohren schnitt er ab
    Und stümmelte mehr so: Greuel war es anzuschaun.

    HELENA

    Das tat er jenem, meinetwegen tat er das.

    PHORKYAS

    Um jenes willen wird er dir das gleiche tun.
    Unteilbar ist die Schönheit; der sie ganz besaß,
    4545
    Zerstört sie lieber, fluchend jedem Teilbesitz.
    Trompeten in der Ferne, der Chor fährt zusammen.
    Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid
    Zerreißend anfaßt, also krallt sich Eifersucht
    Im Busen fest des Mannes, der das nie vergißt,
    4550
    Was einst er besaß und nun verlor, nicht mehr besitzt.

    CHOR

    Hörst du nicht die Hörner schallen? siehst der Waffen Blitze nicht?

    PHORKYAS

    Sei willkommen, Herr und König, gerne geb ich Rechenschaft.

    CHOR

    Aber wir?

    PHORKYAS

    Ihr wißt es deutlich, seht vor Augen ihren Tod,
    4555
    Merkt den eurigen da drinne: nein, zu helfen ist euch nicht.
    Pause.

    HELENA

    Ich sann mir aus das Nächste, was ich wagen darf.
    Ein Widerdämon bist du, das empfind ich wohl
    Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.
    Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
    4560
    Das andre weiß ich; was die Königin dabei
    Im tiefen Busen geheimnisvoll verbergen mag,
    Sei jedem unzugänglich. Alte, geh voran!

    CHOR

    O wie gern gehen wir hin,
    Eilenden Fußes;
    4565
    Hinter uns Tod,
    Vor uns abermals
    Ragender Feste
    Unzugängliche Mauer.
    Schütze sie ebenso gut,
    4570
    Eben wie Ilios' Burg,
    Die doch endlich nur
    Niederträchtiger List erlag.
    Wie? aber wie?
    Schwestern, schaut euch um!
    4575
    War es nicht heiterer Tag?
    Nebel schwanken streifig empor
    Aus Eurotas' heil'ger Flut;
    Schon entschwand das liebliche
    Schilfumkränzte Gestade dem Blick;
    4580
    Auch die frei, zierlich-stolz
    Sanfthingleitenden Schwäne
    In gesell'ger Schwimmlust
    Seh ich, ach, nicht mehr!
    Doch, aber doch
    4585
    Tönen hör ich sie,
    Tönen fern heiseren Ton!
    Tod verkündenden, sagen sie.
    Ach daß uns er nur nicht auch,
    Statt verheißener Rettung Heil,
    4590
    Untergang verkünde zuletzt;
    Uns, den Schwangleichen, Lang-
    Schön-Weißhalsigen, und ach!
    Unsrer Schwanerzeugten.
    Weh uns, weh, weh!
    4595
    Alles deckte sich schon
    Rings mit Nebel umher.
    Sehen wir doch einander nicht!
    Was geschieht? gehen wir?
    Schweben wir nur
    4600
    Trippelnden Schrittes am Boden hin?
    Siehst du nichts? Schwebt nicht etwa gar
    Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab
    Heischend, gebietend uns wieder zurück
    Zu dem unerfreulichen, grautagenden,
    4605
    Ungreifbarer Gebilde vollen,
    überfüllten, ewig leeren Hades?
    Ja auf einmal wird es düster, ohne Glanz entschwebt der Nebel
    Dunkelgräulich, mauerbräunlich. Mauern stellen sich dem Blicke,
    Freiem Blicke starr entgegen. Ist's ein Hof? ist's tiefe Grube?
    4610
    Schauerlich in jedem Falle! Schwestern, ach! wir sind gefangen,
    So gefangen wie nur je.

    INNERER BURGHOF

    umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des Mittelalters.

    CHORFÜHRERIN

    Vorschnell und töricht, echt wahrhaftes Weibsgebild!
    Vom Augenblick abhängig, Spiel der Witterung,
    Des Glücks und Unglücks! Keins von beiden wißt ihr je
    4615
    Zu bestehn mit Gleichmut. Eine widerspricht ja stets
    Der andern heftig, überquer die andern ihr;
    In Freud und Schmerz nur heult und lacht ihr gleichen Tons.
    Nun schweigt! und wartet horchend, was die Herrscherin
    Hochsinnig hier beschließen mag für sich und uns.

    HELENA

    4620
    Wo bist du, Pythonissa? heiße, wie du magst;
    Aus diesen Gewölben tritt hervor der düstern Burg.
    Gingst etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn
    Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,
    So habe Dank und führe schnell mich ein zu ihm;
    4625
    Beschluß der Irrfahrt wünsch ich. Ruhe wünsch ich nur.

    CHORFÜHRERIN

    Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her;
    Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht
    Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher,
    Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder Schritt.
    4630
    Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth
    Der wundersam aus vielen einsgewordnen Burg,
    Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb.
    Doch sieh, dort oben regt in Menge sich allbereits,
    In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch
    4635
    Sich hin und her bewegend, viele Dienerschaft;
    Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es.

    CHOR

    Aufgeht mir das Herz! o, seht nur dahin,
    Wie so sittig herab mit verweilendem Tritt
    Jungholdeste Schar anständig bewegt
    4640
    Den geregelten Zug. Wie! auf wessen Befehl
    Nur erscheinen, gereiht und gebildet so früh,
    Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?
    Was bewundr' ich zumeist? Ist es zierlicher Gang,
    Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,
    4645
    Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirsiche rot
    Und eben auch so weichwollig beflaumt?
    Gern biss ich hinein, doch ich schaudre davor;
    Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund
    Sich, gräßlich zu sagen! mit Asche.
    4650
    Aber die schönsten,
    Sie kommen daher;
    Was tragen sie nur?
    Stufen zum Thron,
    Teppich und Sitz,
    4655
    Umhang und zelt-
    artigen Schmuck;
    Über überwallt er,
    Wolkenkränze bildend,
    Unsrer Königin Haupt;
    4660
    Denn schon bestieg sie
    Eingeladen herrlichen Pfühl.
    Tretet heran,
    Stufe für Stufe
    Reihet euch ernst.
    4665
    Würdig, o würdig, dreifach würdig
    Sei gesegnet ein solcher Empfang!
    Alles vom Chor Ausgeprochene geschieht nach und nach.
    Faust, Nachdem Knaben und Knappen in langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an der Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt langsam würdig herunter.

    CHORFÜHRERIN

    ihn aufmerksam beschauend.
    Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter tun,
    Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,
    Erhabnen Anstand, liebenswerte Gegenwart
    4670
    Vorübergänglich liehen, wird ihm jedesmal,
    Was er beginnt, gelingen, sei's in Männerschlacht,
    So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Fraun.
    Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,
    Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.
    4675
    Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt
    Seh ich den Fürsten; wende dich, o Königin!

    FAUST

    herantretend, einen Gefesselten zur Seite.
    Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,
    Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring ich dir
    In Ketten hart geschlossen solchen Knecht,
    4680
    Der, Pflicht verfehlend, mir die Pflicht entwand.
    Hier kniee nieder, dieser höchsten Frau
    Bekenntnis abzulegen deiner Schuld.
    Dies ist, erhabne Herrscherin, der Mann,
    Mit seltnem Augenblitz vom hohen Turm
    4685
    Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum
    Und Erdenbreite scharf zu überspähn,
    Was etwa da und dort sich melden mag,
    Vom Hügelkreis ins Tal zur festen Burg
    Sich regen mag, der Herden Woge sei's,
    4690
    Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,
    Begegnen diesem. Heute, welch Versäumnis!
    Du kommst heran, er meldet's nicht; verfehlt
    Ist ehrenvoller, schuldigster Empfang
    So hohen Gastes. Freventlich verwirkt
    4695
    Das Leben hat er, läge schon im Blut
    Verdienten Todes; doch nur du allein
    Bestrafst, begnadigst, wie dir's wohl gefällt.

    HELENA

    So hohe Würde, wie du sie vergönnst,
    Als Richterin, als Herrscherin, und wär's
    4700
    Versuchend nur, wie ich vermuten darf —
    So üb ich nun des Richters erste Pflicht,
    Beschuldigte zu hören. Rede denn.

    TURMWÄRTER LYNKEUS

    Laß mich knieen, laß mich schauen,
    Laß mich sterben, laß mich leben,
    4705
    Denn schon bin ich hingegeben
    Dieser gottgegebnen Frauen.
    Harrend auf des Morgens Wonne,
    östlich spähend ihren Lauf,
    Ging auf einmal mir die Sonne
    4710
    Wunderbar im Süden auf.
    Zog den Blick nach jener Seite,
    Statt der Schluchten, statt der Höhn,
    Statt der Erd– und Himmelsweite
    Sie, die Einzige, zu spähn.
    4715
    Augenstrahl ist mir verliehen
    Wie dem Luchs auf höchstem Baum;
    Doch nun mußt' ich mich bemühen
    Wie aus tiefem, düsterm Traum.
    Wüßt ich irgend mich zu finden?
    4720
    Zinne? Turm? geschloßnes Tor?
    Nebel schwanken, Nebel schwinden,
    Solche Göttin tritt hervor!
    Aug und Brust ihr zugewendet,
    Sog ich an den milden Glanz;
    4725
    Diese Schönheit, wie sie blendet,
    Blendete mich Armen ganz.
    Ich vergaß des Wächters Pflichten,
    Völlig das beschworne Horn;
    Drohe nur, mich zu vernichten —
    4730
    Schönheit bändigt allen Zorn.

    HELENA

    Das Übel, das ich brachte, darf ich nicht
    Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick
    Verfolgt mich, überall der Männer Busen
    So zu betören, daß sie weder sich
    4735
    Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,
    Verführend, fechtend, hin und her entrückend,
    Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,
    Sie führten mich im Irren her und hin.
    Einfach die Welt verwirrt' ich, doppelt mehr;
    4740
    Nun dreifach, vierfach bring ich Not auf Not.
    Entferne diesen Guten, laß ihn frei;
    Den Gottbetörten treffe keine Schmach.

    FAUST

    Erstaunt, o Königin, seh ich zugleich
    Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;
    4745
    Ich seh den Bogen, der den Pfeil entsandt,
    Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen,
    Mich treffend. Allwärts ahn ich überquer
    Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.
    Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir
    4750
    Rebellisch die Getreusten, meine Mauern
    Unsicher. Also fürcht ich schon, mein Heer
    Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.
    Was bleibt mir übrig, als mich selbst und alles,
    Im Wahn das Meine, dir anheimzugeben?
    4755
    Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,
    Dich Herrin anerkennen, die sogleich
    Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.

    LYNKEUS

    mit einer Kiste und Männer die ihm andere nachtragen.
    Du siehst mich, Königin, zurück!
    Der Reiche bettelt einen Blick,
    4760
    Er sieht dich an und fühlt sogleich
    Sich bettelarm und fürstenreich.
    Was war ich erst? was bin ich nun?
    Was ist zu wollen? was zu tun?
    Was hilft der Augen schärfster Blitz!
    4765
    Er prallt zurück an deinem Sitz.
    Von Osten kamen wir heran,
    Und um den Westen war's getan;
    Ein lang und breites Volksgewicht,
    Der erste wußte vom letzten nicht.
    4770
    Der erste fiel, der zweite stand,
    Des dritten Lanze war zur Hand;
    Ein jeder hundertfach gestärkt,
    Erschlagne Tausend unbemerkt.
    Wir drängten fort, wir stürmten fort,
    4775
    Wir waren Herrn von Ort zu Ort;
    Und wo ich herrisch heut befahl,
    Ein andrer morgen raubt' und stahl.
    Wir schauten — eilig war die Schau;
    Der griff die allerschönste Frau,
    4780
    Der griff den Stier von festem Tritt,
    Die Pferde mußten alle mit.
    Ich aber liebte, zu erspähn
    Das Seltenste, was man gesehn;
    Und was ein andrer auch besaß,
    4785
    Das war für mich gedörrtes Gras.
    Den Schätzen war ich auf der Spur,
    Den scharfen Blicken folgt' ich nur,
    In alle Taschen blickt' ich ein,
    Durchsichtig war mir jeder Schrein.
    4790
    Und Haufen Goldes waren mein,
    Am herrlichsten der Edelstein:
    Nun der Smaragd allein verdient,
    Daß er an deinem Herzen grünt.
    Nun schwanke zwischen Ohr und Mund
    4795
    Das Tropfenei aus Meeresgrund;
    Rubinen werden gar verscheucht,
    Das Wangenrot sie niederbleicht.
    Und so den allergrößten Schatz
    Versetz ich hier auf deinen Platz;
    4800
    Zu deinen Füßen sei gebracht
    Die Ernte mancher blut'gen Schlacht.
    So viele Kisten schlepp ich her,
    Der Eisenkisten hab ich mehr;
    Erlaube mich auf deiner Bahn,
    4805
    Und Schatzgewölbe füll ich an.
    Denn du bestiegest kaum den Thron,
    So neigen schon, so beugen schon
    Verstand und Reichtum und Gewalt
    Sich vor der einzigen Gestalt.
    4810
    Das alles hielt ich fest und mein,
    Nun aber, lose, wird es dein.
    Ich glaubt' es würdig, hoch und bar,
    Nun seh ich, daß es nichtig war.
    Verschwunden ist, was ich besaß,
    4815
    Ein abgemähtes, welkes Gras.
    O gib mit einem heitern Blick
    Ihm seinen ganzen Wert zurück!

    FAUST

    Entferne schnell die kühn erworbne Last,
    Zwar nicht getadelt, aber unbelohnt.
    4820
    Schon ist Ihr alles eigen, was die Burg
    Im Schoß verbirgt; Besondres Ihr zu bieten,
    Ist unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz
    Geordnet an. Der ungesehnen Pracht
    Erhabnes Bild stell auf! Laß die Gewölbe
    4825
    Wie frische Himmel blinken, Paradiese
    Von lebelosem Leben richte zu.
    Voreilend ihren Tritten laß beblümt
    An Teppich Teppiche sich wälzen; ihrem Tritt
    Begegne sanfter Boden; ihrem Blick,
    4830
    Nur Göttliche nicht blendend, höchster Glanz.

    LYNKEUS

    Schwach ist, was der Herr befiehlt,
    Tut's der Diener, es ist gespielt:
    Herrscht doch über Gut und Blut
    Dieser Schönheit Übermut.
    4835
    Schon das ganze Heer ist zahm,
    Alle Schwerter stumpf und lahm,
    Vor der herrlichen Gestalt
    Selbst die Sonne matt und kalt,
    Vor dem Reichtum des Gesichts
    4840
    Alles leer und alles nichts.
    Ab.

    HELENA

    zu Faust.
    Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf
    An meine Seite komm! Der leere Platz
    Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.

    FAUST

    Erst knieend laß die treue Widmung dir
    4845
    Gefallen, hohe Frau; die Hand, die mich
    An deine Seite hebt, laß mich sie küssen.
    Bestärke mich als Mitregenten deines
    Grenzunbewußten Reichs, gewinne dir
    Verehrer, Diener, Wächter all in einem!

    HELENA

    4850
    Vielfache Wunder seh ich, hör ich an,
    Erstaunen trifft mich, fragen möcht ich viel.
    Doch wünscht ich Unterricht, warum die Rede
    Des Manns mir seltsam klang, seltsam und freundlich.
    Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,
    4855
    Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,
    Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.

    FAUST

    Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker,
    O so gewiß entzückt auch der Gesang,
    Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.
    4860
    Doch ist am sichersten, wir üben's gleich;
    Die Wechselrede lockt es, ruft's hervor.

    HELENA

    So sage denn, wie sprech ich auch so schön?

    FAUST

    Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.
    Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,
    4865
    Man sieht sich um und fragt —

    HELENA

    Wer mitgenießt.

    FAUST

    Nun schaut der Geist nicht vorwärts, nicht zurück,
    Die Gegenwart allein —

    HELENA

    Ist unser Glück.

    FAUST

    4870
    Schatz ist sie, Hochgewinn, Besitz und Pfand;
    Bestätigung, wer gibt sie?

    HELENA

    Meine Hand.

    CHOR

    Wer verdächt es unsrer Fürstin,
    Gönnet sie dem Herrn der Burg
    4875
    Freundliches Erzeigen?
    Denn gesteht, sämtliche sind wir
    Ja Gefangene, wie schon öfter
    Seit dem schmählichen Untergang
    Ilios' und der ängstlich-
    4880
    labyrinthischen Kummerfahrt.
    Fraun, gewöhnt an Männerliebe,
    Wählerinnen sind sie nicht,
    Aber Kennerinnen.
    Und wie goldlockigen Hirten
    4885
    Vielleicht schwarzborstigen Faunen,
    Wie es bringt die Gelegenheit,
    über die schwellenden Glieder
    Vollerteilen sie gleiches Recht.
    Nah und näher sitzen sie schon
    4890
    Aneinander gelehnet,
    Schulter an Schulter, Knie an Knie,
    Hand in Hand wiegen sie sich
    über des Throns
    Aufgepolsterter Herrlichkeit.
    4895
    Nicht versagt sich die Majestät
    Heimlicher Freuden
    Vor den Augen des Volkes
    übermütiges Offenbarsein.

    HELENA

    Ich fühle mich so fern und doch so nah,
    4900
    Und sage nur zu gern: Da bin ich! da!

    FAUST

    Ich atme kaum, mir zittert, stockt das Wort;
    Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.

    HELENA

    Ich scheine mir verlebt und doch so neu,
    In dich verwebt, dem Unbekannten treu.

    FAUST

    4905
    Durchgrüble nicht das einzigste Geschick!
    Dasein ist Pflicht, und wär's ein Augenblick.

    PHORKYAS

    heftig eintretend.
    Buchstabiert in Liebesfibeln,
    Tändelnd grübelt nur am Liebeln,
    Müßig liebelt fort im Grübeln,
    4910
    Doch dazu ist keine Zeit.
    Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?
    Hört nur die Trompete schmettern,
    Das Verderben ist nicht weit.
    Menelas mit Volkeswogen
    4915
    Kommt auf euch herangezogen;
    Rüstet euch zu herbem Streit!
    Von der Siegerschar umwimmelt,
    Wie Deiphobus verstümmelt,
    Büßest du das Fraungeleit.
    4920
    Bammelt erst die leichte Ware,
    Dieser gleich ist am Altare
    Neugeschliffnes Beil bereit.

    FAUST

    Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein;
    Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüm.
    4925
    Den schönsten Boten, Unglücksbotschaft häßlicht ihn;
    Du Häßlichste gar, nur schlimme Botschaft bringst du gern.
    Doch diesmal soll dir's nicht geraten: leeren Hauchs
    Erschüttere du die Lüfte. Hier ist nicht Gefahr,
    Und selbst Gefahr erschiene nur als eitles Dräun.
    Signale, Explosionen von den Türmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch gewaltiger Heereskraft.

    FAUST

    4930
    Nein, gleich sollst du versammelt schauen
    Der Helden ungetrennten Kreis:
    Nur der verdient die Gunst der Frauen,
    Der kräftigst sie zu schützen weiß.
    Zu den Heerführern, die sich von den Kolonnen absondern und herantreten.
    4935
    Mit angehaltnem stillen Wüten,
    Das euch gewiß den Sieg verschafft,
    Ihr, Nordens jugendliche Blüten,
    Ihr, Ostens blumenreiche Kraft.
    In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,
    4940
    Die Schar, die Reich um Reich zerbrach,
    Sie treten auf, die Erde schüttert,
    Sie schreiten fort, es donnert nach.
    An Pylos traten wir zu Lande,
    Der alte Nestor ist nicht mehr,
    4945
    Und alle kleinen Königsbande
    Zersprengt das ungebundne Heer.
    Drängt ungesäumt von diesen Mauern
    Jetzt Menelas dem Meer zurück;
    Dort irren mag er, rauben, lauern,
    4950
    Ihm war es Neigung und Geschick.
    Herzoge soll ich euch begrüßen,
    Gebietet Spartas Königin;
    Nun legt ihr Berg und Tal zu Füßen,
    Und euer sei des Reichs Gewinn.
    4955
    Germane du! Korinthus' Buchten
    Verteidige mit Wall und Schutz!
    Achaia dann mit hundert Schluchten
    Empfehl' ich, Gote, deinem Trutz.
    Nach Elis ziehn der Franken Heere,
    4960
    Messene sei der Sachsen Los,
    Normanne reinige die Meere
    Und Argolis erschaff er groß.
    Dann wird ein jeder häuslich wohnen,
    Nach außen richten Kraft und Blitz;
    4965
    Doch Sparta soll euch überthronen,
    Der Königin verjährter Sitz.
    All-einzeln sieht sie euch genießen
    Des Landes, dem kein Wohl gebricht;
    Ihr sucht getrost zu ihren Füßen
    4970
    Bestätigung und Recht und Licht.
    Faust steigt hinab, die Fürsten schließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu vernehmen.

    CHOR

    Wer die Schönste für sich begehrt,
    Tüchtig vor allen Dingen
    Seh er nach Waffen weise sich um;
    Schmeichelnd wohl gewann er sich,
    4975
    Was auf Erden das Höchste;
    Aber ruhig besitzt er's nicht:
    Schleicher listig entschmeicheln sie ihm,
    Räuber kühnlich entreißen sie ihm;
    Dieses zu hinderen, sei er bedacht.
    4980
    Unsern Fürsten lob ich drum,
    Schätz ihn höher vor andern,
    Wie er so tapfer klug sich verband,
    Daß die Starken gehorchend stehn,
    Jedes Winkes gewärtig.
    4985
    Seinen Befehl vollziehn sie treu,
    Jeder sich selbst zu eignem Nutz
    Wie dem Herrscher zu lohnendem Dank,
    Beiden zu höchlichem Ruhmesgewinn.
    Denn wer entreißet sie jetzt
    4990
    Dem gewalt'gen Besitzer?
    Ihm gehört sie, ihm sei sie gegönnt,
    Doppelt von uns gegönnt, die er
    Samt ihr zugleich innen mit sicherster Mauer,
    Außen mit mächtigstem Heer umgab.

    FAUST

    4995
    Die Gaben, diesen hier verliehen —
    An jeglichen ein reiches Land — ,
    Sind groß und herrlich; laß sie ziehen!
    Wir halten in der Mitte stand.
    Und sie beschützen um die Wette,
    5000
    Ringsum von Wellen angehüpft,
    Nichtinsel dich, mit leichter Hügelkette
    Europens letztem Bergast angeknüpft.
    Das Land, vor aller Länder Sonnen,
    Sei ewig jedem Stamm beglückt,
    5005
    Nun meiner Königin gewonnen,
    Das früh an ihr hinaufgeblickt,
    Als mit Eurotas' Schilfgeflüster
    Sie leuchtend aus der Schale brach,
    Der hohen Mutter, dem Geschwister
    5010
    Das Licht der Augen überstach.
    Dies Land, allein zu dir gekehret,
    Entbietet seinen höchsten Flor;
    Dem Erdkreis, der dir angehöret,
    Dein Vaterland, o zieh es vor!
    5015
    Und duldet auch auf seiner Berge Rücken
    Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,
    Läßt nun der Fels sich angegrünt erblicken,
    Die Ziege nimmt genäschig kargen Teil.
    Die Quelle springt, vereinigt stürzen Bäche,
    5020
    Und schon sind Schluchten, Hänge, Matten grün.
    Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche
    Siehst Wollenherden ausgebreitet ziehn.
    Verteilt, vorsichtig abgemessen schreitet
    Gehörntes Rind hinan zum jähen Rand;
    5025
    Doch Obdach ist den sämtlichen bereitet,
    Zu hundert Höhlen wölbt sich Felsenwand.
    Pan schützt sie dort, und Lebensnymphen wohnen
    In buschiger Klüfte feucht erfrischtem Raum,
    Und sehnsuchtsvoll nach höhern Regionen
    5030
    Erhebt sich zweighaft Baum gedrängt an Baum.
    Alt-Wälder sind's! Die Eiche starret mächtig,
    Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast;
    Der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig,
    Steigt rein empor und spielt mit seiner Last.
    5035
    Und mütterlich im stillen Schattenkreise
    Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;
    Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,
    Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.
    Hier ist das Wohlbehagen erblich,
    5040
    Die Wange heitert wie der Mund,
    Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich:
    Sie sind zufrieden und gesund.
    Und so entwickelt sich am reinen Tage
    Zu Vaterkraft das holde Kind.
    5045
    Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:
    Ob's Götter, ob es Menschen sind?
    So war Apoll den Hirten zugestaltet,
    Daß ihm der schönsten einer glich;
    Denn wo Natur im reinen Kreise waltet,
    5050
    Ergreifen alle Welten sich.
    Neben ihr sitzend.
    So ist es mir, so ist es dir gelungen;
    Vergangenheit sei hinter uns getan!
    O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,
    5055
    Der ersten Welt gehörst du einzig an.
    Nicht feste Burg soll dich umschreiben!
    Noch zirkt in ewiger Jugendkraft
    Für uns, zu wonnevollem Bleiben,
    Arkadien in Spartas Nachbarschaft.
    5060
    Gelockt, auf sel'gem Grund zu wohnen,
    Du flüchtetest ins heiterste Geschick!
    Zur Laube wandeln sich die Thronen,
    Arkadisch frei sei unser Glück!
    Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschlossene Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsenstelle hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend verteilt umher.

    PHORKYAS

    Wie lange Zeit die Mädchen schlafen, weiß ich nicht;
    5065
    Ob sie sich träumen ließen, was ich hell und klar
    Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
    Drum weck ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;
    Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,
    Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun.
    5070
    Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch!
    Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so und hört mich an!

    CHOR

    Rede nur, erzähl, erzähle, was sich Wunderlichs begeben!
    Hören möchten wir am liebsten, was wir gar nicht glauben können;
    Denn wir haben Langeweile, diese Felsen anzusehn.

    PHORKYAS

    5075
    Kaum die Augen ausgerieben, Kinder, langeweilt ihr schon?
    So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben
    Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,
    Unserm Herrn und unsrer Frauen.

    CHOR

    Wie, da drinnen?

    PHORKYAS

    5080
    Abgesondert
    Von der Welt, nur mich, die eine, riefen sie zu stillem Dienste.
    Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es Vertrauten ziemet,
    Schaut' ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier — und dorthin,
    Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,
    5085
    Und so blieben sie allein.

    CHOR

    Tust du doch, als ob da drinnen ganze Weltenräume wären,
    Wald und Wiese, Bäche, Seen; welche Märchen spinnst du ab!

    PHORKYAS

    Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:
    Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt' ich sinnend aus.
    5090
    Doch auf einmal ein Gelächter echot in den Höhlenräumen;
    Schau ich hin, da springt ein Knabe von der Frauen Schoß zum Manne,
    Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel,
    Töriger Liebe Neckereien, Scherzgeschrei und Lustgejauchze
    Wechselnd übertäuben mich.
    5095
    Nackt, ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Tierheit,
    Springt er auf den festen Boden; doch der Boden gegenwirkend
    Schnellt ihn zu der luft'gen Höhe, und im zweiten, dritten Sprunge
    Rührt er an das Hochgewölb.
    Ängstlich ruft die Mutter: Springe wiederholt und nach Belieben,
    5100
    Aber hüte dich, zu fliegen, freier Flug ist dir versagt.
    Und so mahnt der treue Vater: In der Erde liegt die Schnellkraft,
    Die dich aufwärts treibt; berühre mit der Zehe nur den Boden,
    Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.
    Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante
    5105
    Zu dem andern und umher, so wie ein Ball geschlagen springt.
    Doch auf einmal in der Spalte rauher Schlucht ist er verschwunden,
    Und nun scheint er uns verloren. Mutter jammert, Vater tröstet,
    Achselzuckend steh ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!
    Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande
    5110
    Hat er würdig angetan.
    Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen,
    In der Hand die goldne Leier, völlig wie ein kleiner Phöbus,
    Tritt er wohlgemut zur Kante, zu dem Überhang; wir staunen.
    Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich ans Herz.
    5115
    Denn wie leuchtet's ihm zu Haupten? Was erglänzt, ist schwer zu sagen,
    Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft?
    Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend
    Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodien
    Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr ihn hören,
    5120
    Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.

    CHOR

    Nennst du ein Wunder dies,
    Kretas Erzeugte?
    Dichtend belehrendem Wort
    Hast du gelauscht wohl nimmer?
    5125
    Niemals noch gehört Ioniens,
    Nie vernommen auch Hellas'
    Urväterlicher Sagen
    Göttlich-heldenhaften Reichtum?
    Alles, was je geschieht
    5130
    Heutigen Tages,
    Trauriger Nachklang ist's
    Herrlicher Ahnherrntage;
    Nicht vergleicht sich dein Erzählen
    Dem, was liebliche Lüge,
    5135
    Glaubhaftiger als Wahrheit,
    Von dem Sohne sang der Maja.
    Diesen zierlich und kräftig doch
    Kaum geborenen Säugling
    Faltet in reinster Windeln Flaum,
    5140
    Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck
    Klatschender Wärterinnen Schar
    Unvernünftigen Wähnens.
    Kräftig und zierlich aber zieht
    Schon der Schalk die geschmeidigen
    5145
    Doch elastischen Glieder
    Listig heraus, die purpurne,
    Ängstlich drückende Schale
    Lassend ruhig an seiner Statt;
    Gleich dem fertigen Schmetterling,
    5150
    Der aus starrem Puppenzwang
    Flügel entfaltend behendig schlüpft,
    Sonnedurchstrahlten Äther kühn
    Und mutwillig durchflatternd.
    So auch er, der Behendeste,
    5155
    Daß er Dieben und Schälken,
    Vorteilsuchenden allen auch
    Ewig günstiger Dämon sei,
    Dies betätigt er alsobald
    Durch gewandteste Künste.
    5160
    Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt
    Er den Trident, ja dem Ares selbst
    Schlau das Schwert aus der Scheide;
    Bogen und Pfeil dem Phöbus auch,
    Wie dem Hephästos die Zange;
    5165
    Selber Zeus', des Vaters, Blitz
    Nähm er, schreckt ihn das Feuer nicht;
    Doch dem Eros siegt er ob
    In beinstellendem Ringerspiel;
    Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kost,
    5170
    Noch vom Busen den Gürtel.
    Ein reizendes, rein-melodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.

    PHORKYAS

    Höret allerliebste Klänge,
    Macht euch schnell von Fabeln frei!
    Eurer Götter alt Gemenge,
    Laßt es hin, es ist vorbei.
    5175
    Niemand will euch mehr verstehen,
    Fordern wir doch höhern Zoll:
    Denn es muß von Herzen gehen,
    Was auf Herzen wirken soll.
    Sie zieht sich nach dem Felsen zurück.

    CHOR

    Bist du, fürchterliches Wesen,
    5180
    Diesem Schmeichelton geneigt,
    Fühlen wir, als frisch genesen,
    Uns zur Tränenlust erweicht.
    Laß der Sonne Glanz verschwinden,
    Wenn es in der Seele tagt,
    5185
    Wir im eignen Herzen finden,
    Was die ganze Welt versagt.
    Helena, Faust, Euphorion in dem oben beschriebenen Kostüm.

    EUPHORION

    Hört ihr Kindeslieder singen,
    Gleich ist's euer eigner Scherz;
    Seht ihr mich im Takte springen,
    5190
    Hüpft euch elterlich das Herz.

    HELENA

    Liebe, menschlich zu beglücken,
    Nähert sie ein edles Zwei,
    Doch zu göttlichem Entzücken
    Bildet sie ein köstlich Drei.

    FAUST

    5195
    Alles ist sodann gefunden:
    Ich bin dein, und du bist mein;
    Und so stehen wir verbunden,
    Dürft es doch nicht anders sein!

    CHOR

    Wohlgefallen vieler Jahre
    5200
    In des Knaben mildem Schein
    Sammelt sich auf diesem Paare.
    O, wie rührt mich der Verein!

    EUPHORION

    Nun laßt mich hüpfen,
    Nun laßt mich springen!
    5205
    Zu allen Lüften
    Hinauf zu dringen,
    Ist mir Begierde,
    Sie faßt mich schon.

    FAUST

    Nur mäßig! mäßig!
    5210
    Nicht ins Verwegne,
    Daß Sturz und Unfall
    Dir nicht begegne,
    Zugrund uns richte
    Der teure Sohn!

    EUPHORION

    5215
    Ich will nicht länger
    Am Boden stocken;
    Laßt meine Hände,
    Laßt meine Locken,
    Laßt meine Kleider!
    5220
    Sie sind ja mein.

    HELENA

    O denk! o denke,
    Wem du gehörest!
    Wie es uns kränke,
    Wie du zerstörest
    5225
    Das schön errungene
    Mein, Dein und Sein.

    CHOR

    Bald löst, ich fürchte,
    Sich der Verein!

    HELENA UND FAUST

    Bändige! bändige
    5230
    Eltern zuliebe
    Überlebendige,
    Heftige Triebe!
    Ländlich im Stillen
    Ziere den Plan.

    EUPHORION

    5235
    Nur euch zu Willen
    Halt ich mich an.
    Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanz fortziehend.
    Leichter umschweb ich hie
    Muntres Geschlecht.
    5240
    Ist nun die Melodie,
    Ist die Bewegung recht?

    HELENA

    Ja, das ist wohlgetan;
    Führe die Schönen an
    Künstlichem Reihn.

    FAUST

    5245
    Wäre das doch vorbei!
    Mich kann die Gaukelei
    Gar nicht erfreun.
    Euphorion und Chor tanzend und singend bewegen sich in verschlungenen Reihen.

    CHOR

    Wenn du der Arme Paar
    Lieblich bewegest,
    5250
    Im Glanz dein lockig Haar
    Schüttelnd erregest,
    Wenn dir der Fuß so leicht
    Über die Erde schleicht,
    Dort und da wieder hin
    5255
    Glieder um Glied sich ziehn,
    Hast du dein Ziel erreicht,
    Liebliches Kind;
    All unsre Herzen sind
    All dir geneigt.
    Pause.

    EUPHORION

    5260
    Ihr seid so viele
    Leichtfüßige Rehe;
    Zu neuem Spiele
    Frisch aus der Nähe!
    Ich bin der Jäger,
    5265
    Ihr seid das Wild.

    CHOR

    Willst du uns fangen,
    Sei nicht behende,
    Denn wir verlangen
    Doch nur am Ende,
    5270
    Dich zu umarmen,
    Du schönes Bild!

    EUPHORION

    Nur durch die Haine!
    Zu Stock und Steine!
    Das leicht Errungene,
    5275
    Das widert mir,
    Nur das Erzwungene
    Ergetzt mich schier.

    HELENA UND FAUST

    Welch ein Mutwill! welch ein Rasen!
    Keine Mäßigung ist zu hoffen.
    5280
    Klingt es doch wie Hörnerblasen
    über Tal und Wälder dröhnend;
    Welch ein Unfug! welch Geschrei!

    CHOR

    einzeln schnell eintretend.
    Uns ist er vorbeigelaufen;
    Mit Verachtung uns verhöhnend,
    5285
    schleppt er von dem ganzen Haufen
    Nun die Wildeste herbei.

    EUPHORION

    ein junges Mädchen hereintragend.
    Schlepp ich her die derbe Kleine
    Zu erzwungenem Genusse;
    Mir zur Wonne, mir zur Lust
    5290
    Drück ich widerspenstige Brust,
    Küss ich widerwärtigen Mund,
    Tue Kraft und Willen kund.

    MÄDCHEN

    Laß mich los! In dieser Hülle
    Ist auch Geistes Mut und Kraft;
    5295
    Deinem gleich ist unser Wille
    Nicht so leicht hinweggerafft.
    Glaubst du wohl mich im Gedränge?
    Deinem Arm vertraust du viel!
    Halte fest, und ich versenge
    5300
    Dich, den Toren, mir zum Spiel.
    Sie flammt auf und lodert in der Höhe.
    Folge mir in leichte Lüfte,
    Folge mir in starre Grüfte,
    Hasche das verschwundne Ziel!

    EUPHORION

    die letzten Flammen abschüttelnd.
    5305
    Felsengedränge hier
    Zwischen dem Waldgebüsch,
    Was soll die Enge mir,
    Bin ich doch jung und frisch.
    Winde, sie sausen ja,
    5310
    Wellen, sie brausen da;
    Hör ich doch beides fern,
    Nah wär ich gern.
    Er springt immer höher felsauf.

    HELENA, FAUST UND CHOR

    Wolltest du den Gemsen gleichen?
    Vor dem Falle muß uns graun.

    EUPHORION

    5315
    Immer höher muß ich steigen,
    Immer weiter muß ich schaun.
    Weiß ich nun, wo ich bin!
    Mitten der Insel drin,
    Mitten in Pelops' Land,
    5320
    Erde– wie seeverwandt.

    CHOR

    Magst nicht in Berg und Wald
    Friedlich verweilen?
    Suchen wir alsobald
    Reben in Zeilen,
    5325
    Reben am Hügelrand,
    Feigen und Apfelgold.
    Ach in dem holden Land
    Bleibe du hold!

    EUPHORION

    Träumt ihr den Friedenstag?
    5330
    Träume, wer träumen mag.
    Krieg! ist das Losungswort.
    Sieg! und so klingt es fort.

    CHOR

    Wer im Frieden
    Wünschet sich Krieg zurück,
    5335
    Der ist geschieden
    Vom Hoffnungsglück.

    EUPHORION

    Welche dies Land gebar
    Aus Gefahr in Gefahr,
    Frei, unbegrenzten Muts,
    5340
    Verschwendrisch eignen Bluts,
    Den nicht zu dämpfenden
    Heiligen Sinn,
    Alle den Kämpfenden
    Bring es Gewinn!

    CHOR

    5345
    Seht hinauf, wie hoch gestiegen!
    Und er scheint uns doch nicht klein:
    Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
    Wie von Erz und Stahl der Schein.

    EUPHORION

    Keine Wälle, keine Mauern,
    5350
    Jeder nur sich selbst bewußt;
    Feste Burg, um auszudauern,
    Ist des Mannes ehrne Brust.
    Wollt ihr unerobert wohnen,
    Leicht bewaffnet rasch ins Feld;
    5355
    Frauen werden Amazonen
    Und ein jedes Kind ein Held.

    CHOR

    Heilige Poesie,
    Himmelan steige sie!
    Glänze, der schönste Stern,
    5360
    Fern und so weiter fern!
    Und sie erreicht uns doch
    Immer, man hört sie noch,
    Vernimmt sie gern.

    EUPHORION

    Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,
    5365
    In Waffen kommt der Jüngling an;
    Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,
    Hat er im Geiste schon getan.
    Nun fort!
    Nun dort
    5370
    Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.

    HELENA UND FAUST

    Kaum ins Leben eingerufen,
    Heitrem Tag gegeben kaum,
    Sehnest du von Schwindelstufen
    Dich zu schmerzenvollem Raum.
    5375
    Sind denn wir
    Gar nichts dir?
    Ist der holde Bund ein Traum?

    EUPHORION

    Und hört ihr donnern auf dem Meere?
    Dort widerdonnern Tal um Tal,
    5380
    In Staub und Wellen, Heer dem Heere,
    In Drang um Drang, zu Schmerz und Qual.
    Und der Tod
    Ist Gebot,
    Das versteht sich nun einmal.

    HELENA, FAUST UND CHOR

    5385
    Welch Entsetzen! welches Grauen!
    Ist der Tod denn dir Gebot?

    EUPHORION

    Sollt ich aus der Ferne schauen?
    Nein! ich teile Sorg und Not.

    DIE VORIGEN

    Übermut und Gefahr,
    5390
    Tödliches Los!

    EUPHORION

    Doch! — und ein Flügelpaar
    Faltet sich los!
    Dorthin! Ich muß! ich muß!
    Gönnt mir den Flug!
    Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.

    CHOR

    5395
    Ikarus! Ikarus!
    Jammer genug.
    Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Toten eine bekannte Gestalt zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.

    HELENA UND FAUST

    Der Freude folgt sogleich
    Grimmige Pein.

    EUPHORIONS STIMME

    Laß mich im düstern Reich,
    5400
    Mutter, mich nicht allein!
    Pause.

    CHOR

    Trauergesang.
    Nicht allein! — wo du auch weilest,
    Denn wir glauben dich zu kennen;
    Ach! wenn du dem Tag enteilest,
    Wird kein Herz von dir sich trennen.
    5405
    Wüßten wir doch kaum zu klagen,
    Neidend singen wir dein Los:
    Dir in klar– und trüben Tagen
    Lied und Mut war schön und groß.
    Ach! zum Erdenglück geboren,
    5410
    Hoher Ahnen, großer Kraft,
    Leider früh dir selbst verloren,
    Jugendblüte weggerafft!
    Scharfer Blick, die Welt zu schauen,
    Mitsinn jedem Herzensdrang,
    5415
    Liebesglut der besten Frauen
    Und ein eigenster Gesang.
    Doch du ranntest unaufhaltsam
    Frei ins willenlose Netz,
    So entzweitest du gewaltsam
    5420
    dich mit Sitte, mit Gesetz;
    Doch zuletzt das höchste Sinnen
    Gab dem reinen Mut Gewicht,
    Wolltest Herrliches gewinnen,
    Aber es gelang dir nicht.
    5425
    Wem gelingt es? — Trübe Frage,
    Der das Schicksal sich vermummt,
    Wenn am unglückseligsten Tage
    Blutend alles Volk verstummt.
    Doch erfrischet neue Lieder,
    5430
    Steht nicht länger tief gebeugt:
    Denn der Boden zeugt sie wieder,
    Wie von je er sie gezeugt.
    Völlige Pause. Die Musik hört auf.

    HELENA

    zu Faust.
    Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
    Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
    5435
    Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;
    Bejammernd beide, sag ich schmerzlich Lebewohl
    Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
    Persephoneia, nimm den Knaben auf und mich!
    Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.

    PHORKYAS

    zu Faust.
    Halte fest, was dir von allem übrigblieb.
    5440
    Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon
    Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
    Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
    Die Göttin ist's nicht mehr, die du verlorst,
    Doch göttlich ist's. Bediene dich der hohen,
    5445
    Unschätzbaren Gunst und hebe dich empor:
    Es trägt dich über alles Gemeine rasch
    Am Äther hin, so lange du dauern kannst.
    Wir sehn uns wieder, weit, gar weit von hier.
    Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.

    PHORKYAS

    nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde, tritt in’s Proscenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht.
    Noch immer glücklich aufgefunden!
    5450
    Die Flamme freilich ist verschwunden,
    Doch ist mir um die Welt nicht leid.
    Hier bleibt genug, Poeten einzuweihen,
    Zu stiften Gild- und Handwerksneid;
    Und kann ich die Talente nicht verleihen,
    5455
    Verborg ich wenigstens das Kleid.
    Sie setzt sich im Proscenium an eine Säule nieder.

    PANTHALIS

    Nun eilig, Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,
    Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang,
    So des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch,
    Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.
    5460
    Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
    Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sei
    Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
    Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.

    CHOR

    Königinnen freilich, überall sind sie gern;
    5465
    Auch im Hades stehen sie obenan,
    Stolz zu ihresgleichen gesellt,
    Mit Persephonen innigst vertraut;
    Aber wir im Hintergrunde
    Tiefer Asphodelos-Wiesen,
    5470
    Langgestreckten Pappeln,
    Unfruchtbaren Weiden zugesellt,
    Welchen Zeitvertreib haben wir?
    Fledermausgleich zu piepsen,
    Geflüster, unerfreulich, gespenstig.

    PANTHALIS

    5475
    Wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will,
    Gehört den Elementen an; so fahret hin!
    Mit meiner Königin zu sein, verlangt mich heiß;
    Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person.
    Ab.

    ALLE

    Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,
    5480
    Zwar Personen nicht mehr,
    Das fühlen, das wissen wir,
    Aber zum Hades kehren wir nimmer.
    Ewig lebendige Natur
    Macht auf uns Geister,
    5485
    Wir auf sie vollgültigen Anspruch.

    EIN TEIL DES CHORES

    Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben
    Reizen tändelnd, locken leise wurzelauf des Lebens Quellen
    Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüten überschwenglich
    Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.
    5490
    Fällt die Frucht, sogleich versammeln lebenslustig Volk und Herden
    Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend;
    Und wie vor den ersten Göttern bückt sich alles um uns her.

    EIN ANDRER TEIL

    Wir, an dieser Felsenwände weithinleuchtend glatten Spiegel
    Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend, schmeichelnd an;
    5495
    Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen, Röhrigflöten,
    Sei es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich bereit;
    Säuselt's, säuseln wir erwidernd, donnert's, rollen unsre Donner
    In erschütterndem Verdoppeln, dreifach, zehnfach hintennach.

    EIN DRITTER TEIL

    Schwestern! Wir, bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;
    5500
    Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge.
    Immer abwärts, immer tiefer wässern wir, mäandrisch wallend,
    Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.
    Dort bezeichnen's der Zypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,
    Uferzug und Wellenspiegel nach dem Äther steigende.

    EIN VIERTER TEIL

    5505
    Wallt ihr andern, wo's beliebet; wir umzingeln, wir umrauschen
    Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;
    Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft des Winzers
    Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.
    Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden
    5510
    Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.
    Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,
    Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.
    Was zu seiner Träumereien halbem Rausch er je bedurfte,
    Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,
    5515
    Rechts und links der kühlen Grüfte, ewige Zeiten aufbewahrt.
    Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
    Lüftend, feuchtend, wärmend, glutend, Beeren-Füllhorn aufgehäuft,
    Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird's lebendig,
    Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.
    5520
    Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
    Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräft'gem Tanz;
    Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger Beeren
    Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt sich's, widerlich zerquetscht.
    Und nun gellt ins Ohr der Zimbeln mit der Becken Erzgetöne,
    5525
    Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;
    Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,
    Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus' öhrig Tier.
    Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,
    Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das Ohr.
    5530
    Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste,
    Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte,
    Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!
    Der Vorhang fällt.
    Phorkyas im Proszenium richtet sich riesenhaft auf, tritt vor den Kothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles, um, in sofern es nötig wäre, im Epilog das Stück zu kommentiren.

    VIERTER AKT

    HOCHGEBIRG

    starre, zackige Felsengipfel.
    Eine Wolke zieht herbei, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab. Sie teilt sich.

    FAUST

    tritt hervor.
    Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß,
    Betret ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,
    5535
    Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft
    An klaren Tagen über Land und Meer geführt.
    Sie löst sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab.
    Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug,
    Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.
    5540
    Sie teilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
    Doch will sich's modeln. — Ja! das Auge trügt mich nicht!
    Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,
    Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,
    Ich seh's! Junonen ähnlich, Leda'n, Helenen,
    5545
    Wie majestätisch lieblich mir's im Auge schwankt.
    Ach! schon verrückt sich's! Formlos breit und aufgetürmt
    Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich,
    Und spiegelt blendend flücht'ger Tage großen Sinn.
    Doch mir umschwebt ein zarter lichter Nebelstreif
    5550
    Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und schmeichelhaft.
    Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf,
    Fügt sich zusammen. — Täuscht mich ein entzückend Bild,
    Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?
    Des tiefsten Herzens frühste Schätze quellen auf:
    5555
    Aurorens Liebe, leichten Schwung bezeichnet's mir,
    Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick,
    Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.
    Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,
    Löst sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin
    5560
    Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.
    Ein Siebenmeilenstiefel tappt auf. Ein anderer folgt alsbald. Mephistopheles steigt ab. Die Stiefel schreiten eilig weiter.

    MEPHISTOPHELES

    Das heiß ich endlich vorgeschritten!
    Nun aber sag, was fällt dir ein?
    Steigst ab in solcher Greuel Mitten,
    Im gräßlich gähnenden Gestein?
    5565
    Ich kenn es wohl, doch nicht an dieser Stelle,
    Denn eigentlich war das der Grund der Hölle.

    FAUST

    Es fehlt dir nie an närrischen Legenden;
    Fängst wieder an, dergleichen auszuspenden.

    MEPHISTOPHELES

    ernsthaft.
    Als Gott der Herr — ich weiß auch wohl, warum —
    5570
    Uns aus der Luft in tiefste Tiefen bannte,
    Da, wo zentralisch glühend, um und um,
    Ein ewig Feuer flammend sich durchbrannte,
    Wir fanden uns bei allzugroßer Hellung
    In sehr gedrängter, unbequemer Stellung.
    5575
    Die Teufel fingen sämtlich an zu husten,
    Von oben und von unten auszupusten;
    Die Hölle schwoll von Schwefelstank und –säure,
    Das gab ein Gas! Das ging ins Ungeheure,
    So daß gar bald der Länder flache Kruste,
    5580
    So dick sie war, zerkrachend bersten mußte.
    Nun haben wir's an einem andern Zipfel,
    Was ehmals Grund war, ist nun Gipfel.
    Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren,
    Das Unterste ins Oberste zu kehren.
    5585
    Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft
    Ins Übermaß der Herrschaft freier Luft.
    Ein offenbar Geheimnis, wohl verwahrt,
    Und wird nur spät den Völkern offenbart. Ephes. 6, 12.

    FAUST

    Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm,
    5590
    Ich frage nicht woher und nicht warum.
    Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
    Da hat sie rein den Erdball abgeründet,
    Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut
    Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht,
    5595
    Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
    Mit sanftem Zug sie in das Tal gemildet.
    Da grünt's und wächst's, und um sich zu erfreuen,
    Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien.

    MEPHISTOPHELES

    Das sprecht Ihr so! Das scheint Euch sonnenklar;
    5600
    Doch weiß es anders, der zugegen war.
    Ich war dabei, als noch da drunten siedend
    Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug;
    Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,
    Gebirgestrümmer in die Ferne schlug.
    5605
    Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen;
    Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht?
    Der Philosoph, er weiß es nicht zu fassen,
    Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen,
    Zuschanden haben wir uns schon gedacht. —
    5610
    Das treu-gemeine Volk allein begreift
    Und läßt sich im Begriff nicht stören;
    Ihm ist die Weisheit längst gereift:
    Ein Wunder ist's, der Satan kommt zu Ehren.
    Mein Wandrer hinkt an seiner Glaubenskrücke
    5615
    Zum Teufelsstein, zur Teufelsbrücke.

    FAUST

    Es ist doch auch bemerkenswert zu achten,
    Zu sehn, wie Teufel die Natur betrachten.

    MEPHISTOPHELES

    Was geht mich's an! Natur sei, wie sie sei!
    's ist Ehrenpunkt: der Teufel war dabei!
    5620
    Wir sind die Leute, Großes zu erreichen;
    Tumult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen! —
    Doch, daß ich endlich ganz verständlich spreche,
    Gefiel dir nichts an unsrer Oberfläche?
    Du übersahst, in ungemeßnen Weiten,
    5625
    Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten. Matth. 4.
    Doch, ungenügsam, wie du bist,
    Empfandest du wohl kein Gelüst?

    FAUST

    Und doch! ein Großes zog mich an.
    Errate!

    MEPHISTOPHELES

    5630
    Das ist bald getan.
    Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus,
    Im Kerne Bürger-Nahrungs-Graus,
    Krummenge Gäßchen, spitze Giebeln,
    Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln;
    5635
    Fleischbänke, wo die Schmeißen hausen,
    Die fetten Braten anzuschmausen;
    Da findest du zu jeder Zeit
    Gewiß Gestank und Tätigkeit.
    Dann weite Plätze, breite Straßen,
    5640
    Vornehmen Schein sich anzumaßen;
    Und endlich, wo kein Tor beschränkt,
    Vorstädte grenzenlos verlängt.
    Da freut' ich mich an Rollekutschen,
    Am lärmigen Hin– und Widerrutschen,
    5645
    Am ewigen Hin– und Widerlaufen
    Zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen.
    Und wenn ich führe, wenn ich ritte,
    Erschien' ich immer ihre Mitte,
    Von Hunderttausenden verehrt.

    FAUST

    5650
    Das kann mich nicht zufriedenstellen.
    Man freut sich, daß das Volk sich mehrt,
    Nach seiner Art behaglich nährt,
    Sogar sich bildet, sich belehrt —
    Und man erzieht sich nur Rebellen.

    MEPHISTOPHELES

    5655
    Dann baut' ich, grandios, mir selbst bewußt,
    Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.
    Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld
    Zum Garten prächtig umbestellt.
    Vor grünen Wänden Sammetmatten,
    5660
    Schnurwege, kunstgerechte Schatten,
    Kaskadensturz, durch Fels zu Fels gepaart,
    Und Wasserstrahlen aller Art;
    Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten
    Da zischt's und pißt's in tausend Kleinigkeiten.
    5665
    Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen
    Vertraut-bequeme Häuslein bauen;
    Verbrächte da grenzenlose Zeit
    In allerliebst-geselliger Einsamkeit.
    Ich sage Fraun; denn ein für allemal
    5670
    Denk' ich die Schönen im Plural.

    FAUST

    Schlecht und modern! Sardanapal!

    MEPHISTOPHELES

    Errät man wohl, wornach du strebtest?
    Es war gewiß erhaben kühn.
    Der du dem Mond um so viel näher schwebtest,
    5675
    Dich zog wohl deine Sucht dahin?

    FAUST

    Mitnichten! dieser Erdenkreis
    Gewährt noch Raum zu großen Taten.
    Erstaunenswürdiges soll geraten,
    Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.

    MEPHISTOPHELES

    5680
    Und also willst du Ruhm verdienen?
    Man merkt's, du kommst von Heroinen.

    FAUST

    Herrschaft gewinn ich, Eigentum!
    Die Tat ist alles, nichts der Ruhm.

    MEPHISTOPHELES

    Doch werden sich Poeten finden,
    5685
    Der Nachwelt deinen Glanz zu künden,
    Durch Torheit Torheit zu entzünden.

    FAUST

    Von allem ist dir nichts gewährt.
    Was weißt du, was der Mensch begehrt?
    Dein widrig Wesen, bitter, scharf,
    5690
    Was weiß es, was der Mensch bedarf?

    MEPHISTOPHELES

    Geschehe denn nach deinem Willen!
    Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.

    FAUST

    Mein Auge war aufs hohe Meer gezogen;
    Es schwoll empor, sich in sich selbst zu türmen,
    5695
    Dann ließ es nach und schüttete die Wogen,
    Des flachen Ufers Breite zu bestürmen.
    Und das verdroß mich; wie der Übermut
    Den freien Geist, der alle Rechte schätzt,
    Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut
    5700
    Ins Mißbehagen des Gefühls versetzt.
    Ich hielt's für Zufall, schärfte meinen Blick:
    Die Woge stand und rollte dann zurück,
    Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel;
    Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.

    MEPHISTOPHELES

    ad spectatores.
    5705
    Da ist für mich nichts Neues zu erfahren,
    Das kenn ich schon seit hunderttausend Jahren.

    FAUST

    leidenschaftlich fortfahrend.
    Sie schleicht heran, an abertausend Enden,
    Unfruchtbar selbst, Unfruchtbarkeit zu spenden;
    Nun schwillt's und wächst und rollt und überzieht
    5710
    Der wüsten Strecke widerlich Gebiet.
    Da herrschet Well auf Welle kraftbegeistet,
    Zieht sich zurück, und es ist nichts geleistet,
    Was zur Verzweiflung mich beängstigen könnte!
    Zwecklose Kraft unbändiger Elemente!
    5715
    Da wagt mein Geist, sich selbst zu überfliegen;
    Hier möcht ich kämpfen, dies möcht ich besiegen.
    Und es ist möglich! — Flutend wie sie sei,
    An jedem Hügel schmiegt sie sich vorbei;
    Sie mag sich noch so übermütig regen,
    5720
    Geringe Höhe ragt ihr stolz entgegen,
    Geringe Tiefe zieht sie mächtig an.
    Da faßt' ich schnell im Geiste Plan auf Plan:
    Erlange dir das köstliche Genießen,
    Das herrische Meer vom Ufer auszuschließen,
    5725
    Der feuchten Breite Grenzen zu verengen
    Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen.
    Von Schritt zu Schritt wußt' ich mir's zu erörtern;
    Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern!
    Trommeln und kriegerische Musik im Rücken der Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten Seite her.

    MEPHISTOPHELES

    Wie leicht ist das! Hörst du die Trommeln fern?

    FAUST

    5730
    Schon wieder Krieg! der Kluge hört's nicht gern.

    MEPHISTOPHELES

    Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen,
    Zu seinem Vorteil etwas auszuziehen.
    Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu.
    Gelegenheit ist da, nun, Fauste, greife zu!

    FAUST

    5735
    Mit solchem Rätselkram verschone mich!
    Und kurz und gut, was soll's? Erkläre dich.

    MEPHISTOPHELES

    Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen:
    Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen.
    Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,
    5740
    Ihm falschen Reichtum in die Hände spielten,
    Da war die ganze Welt ihm feil.
    Denn jung ward ihm der Thron zuteil,
    Und ihm beliebt' es, falsch zu schließen,
    Es könne wohl zusammengehn
    5745
    Und sei recht wünschenswert und schön:
    Regieren und zugleich genießen.

    FAUST

    Ein großer Irrtum. Wer befehlen soll,
    Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.
    Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
    5750
    Doch was er will, es darf's kein Mensch ergründen.
    Was er den Treusten in das Ohr geraunt,
    Es ist getan, und alle Welt erstaunt.
    So wird er stets der Allerhöchste sein,
    Der Würdigste —; Genießen macht gemein.

    MEPHISTOPHELES

    5755
    So ist er nicht. Er selbst genoß, und wie!
    Indes zerfiel das Reich in Anarchie,
    Wo groß und klein sich kreuz und quer befehdeten
    Und Brüder sich vertrieben, töteten,
    Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,
    5760
    Zunft gegen Adel Fehde hat,
    Der Bischof mit Kapitel und Gemeinde;
    Was sich nur ansah, waren Feinde.
    In Kirchen Mord und Totschlag, vor den Toren
    Ist jeder Kauf– und Wandersmann verloren.
    5765
    Und allen wuchs die Kühnheit nicht gering;
    Denn leben hieß sich wehren. — Nun, das ging.

    FAUST

    Es ging — es hinkte, fiel, stand wieder auf,
    Dann überschlug sich's, rollte plump zuhauf.

    MEPHISTOPHELES

    Und solchen Zustand durfte niemand schelten,
    5770
    Ein jeder konnte, jeder wollte gelten.
    Der Kleinste selbst, er galt für voll.
    Doch war's zuletzt den Besten allzutoll.
    Die Tüchtigen, sie standen auf mit Kraft
    Und sagten: „Herr ist, der uns Ruhe schafft.
    5775
    Der Kaiser kann's nicht, will's nicht — laßt uns wählen,
    Den neuen Kaiser neu das Reich beseelen,
    Indem er jeden sicher stellt,
    In einer frisch geschaffnen Welt
    Fried und Gerechtigkeit vermählen.”

    FAUST

    5780
    Das klingt sehr pfäffisch.

    MEPHISTOPHELES

    Pfaffen waren's auch,
    Sie sicherten den wohlgenährten Bauch.
    Sie waren mehr als andere beteiligt.
    Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt;
    5785
    Und unser Kaiser, den wir froh gemacht,
    Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.

    FAUST

    Er jammert mich; er war so gut und offen.

    MEPHISTOPHELES

    Komm, sehn wir zu! der Lebende soll hoffen.
    Befrein wir ihn aus diesem engen Tale!
    5790
    Einmal gerettet, ist's für tausend Male.
    Wer weiß, wie noch die Würfel fallen?
    Und hat er Glück, so hat er auch Vasallen.
    Sie steigen über das Mittelgebirg herüber und beschauen die Anordnung des Heeres im Tal. Trommeln und Kriegsmusik schallt von unten auf.

    MEPHISTOPHELES

    Die Stellung, seh ich, gut ist sie genommen;
    Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.

    FAUST

    5795
    Was kann da zu erwarten sein?
    Trug! Zauberblendwerk! Hohler Schein.

    MEPHISTOPHELES

    Kriegslist, um Schlachten zu gewinnen!
    Befestige dich bei großen Sinnen,
    Indem du deinen Zweck bedenkst.
    5800
    Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande,
    So kniest du nieder und empfängst
    Die Lehn von grenzenlosem Strande.

    FAUST

    Schon manches hast du durchgemacht,
    Nun, so gewinn auch eine Schlacht!

    MEPHISTOPHELES

    5805
    Nein, du gewinnst sie! Diesesmal
    Bist du der Obergeneral.

    FAUST

    Das wäre mir die rechte Höhe,
    Da zu befehlen, wo ich nichts verstehe!

    MEPHISTOPHELES

    Laß du den Generalstab sorgen,
    5810
    Und der Feldmarschall ist geborgen.
    Kriegsunrat hab ich längst verspürt,
    Den Kriegsrat gleich voraus formiert
    Aus Urgebirgs Urmenschenkraft;
    Wohl dem, der sie zusammenrafft.

    FAUST

    5815
    Was seh' ich dort, was Waffen trägt?
    Hast du das Bergvolk aufgeregt?

    MEPHISTOPHELES

    Nein! aber, gleich Herrn Peter Squenz,
    Vom ganzen Praß die Quintessenz.
    Die drei Gewaltigen treten auf. (Sam. II, 23, 8.)

    MEPHISTOPHELES

    Da kommen meine Bursche ja!
    5820
    Du siehst, von sehr verschiednen Jahren,
    Verschiednem Kleid und Rüstung sind sie da;
    Du wirst nicht schlecht mit ihnen fahren.
    Ad spectatores.
    Es liebt sich jetzt ein jedes Kind
    5825
    Den Harnisch und den Ritterkragen;
    Und, allegorisch wie die Lumpe sind,
    Sie werden nur um desto mehr behagen.

    RAUFEBOLD

    jung, leicht bewaffnet, bunt gekleidet.
    Wenn einer mir ins Auge sieht,
    Werd ich ihm mit der Faust gleich in die Fresse fahren,
    5830
    Und eine Memme, wenn sie flieht,
    Fass ich bei ihren letzten Haaren.

    HABEBALD

    männlich, wohl bewaffnet, reich gekleidet.
    So leere Händel, das sind Possen,
    Damit verdirbt man seinen Tag;
    Im Nehmen sei nur unverdrossen,
    5835
    Nach allem andern frag hernach.

    HALTEFEST

    bejahrt, stark bewaffnet, ohne Gewand.
    Damit ist auch nicht viel gewonnen!
    Bald ist ein großes Gut zerronnen,
    Es rauscht im Lebensstrom hinab.
    Zwar nehmen ist recht gut, doch besser ist's, behalten;
    5840
    Laß du den grauen Kerl nur walten,
    Und niemand nimmt dir etwas ab.
    Sie steigen allzusammen tiefer.

    AUF DEM VORGEBIRG

    Trommeln und kriegerische Musik von unten. Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen.
    Kaiser. Obergeneral. Trabanten.

    OBERGENERAL

    Noch immer scheint der Vorsatz wohlerwogen,
    Daß wir in dies gelegene Tal
    Das ganze Heer gedrängt zurückgezogen;
    5845
    Ich hoffe fest, uns glückt die Wahl.

    KAISER

    Wie es nun geht, es muß sich zeigen;
    Doch mich verdrießt die halbe Flucht, das Weichen.

    OBERGENERAL

    Schau hier, mein Fürst, auf unsre rechte Flanke!
    Solch ein Terrain wünscht sich der Kriegsgedanke:
    5850
    Nicht steil die Hügel, doch nicht allzu gänglich,
    Den Unsern vorteilhaft, dem Feind verfänglich;
    Wir, halb versteckt, auf wellenförmigem Plan;
    Die Reiterei, sie wagt sich nicht heran.

    KAISER

    Mir bleibt nichts übrig, als zu loben;
    5855
    Hier kann sich Arm und Brust erproben.

    OBERGENERAL

    Hier, auf der Mittelwiese flachen Räumlichkeiten,
    Siehst du den Phalanx, wohlgemut zu streiten.
    Die Piken blinken flimmernd in der Luft,
    Im Sonnenglanz, durch Morgennebelduft.
    5860
    Wie dunkel wogt das mächtige Quadrat!
    Zu Tausenden glüht's hier auf große Tat.
    Du kannst daran die Masse Kraft erkennen,
    Ich trau ihr zu, der Feinde Kraft zu trennen.

    KAISER

    Den schönen Blick hab ich zum erstenmal.
    5865
    Ein solches Heer gilt für die Doppelzahl.

    OBERGENERAL

    Von unsrer Linken hab ich nichts zu melden,
    Den starren Fels besetzen wackere Helden,
    Das Steingeklipp, das jetzt von Waffen blitzt,
    Den wichtigen Paß der engen Klause schützt.
    5870
    Ich ahne schon, hier scheitern Feindeskräfte
    Unvorgesehn im blutigen Geschäfte.

    KAISER

    Dort ziehn sie her, die falschen Anverwandten,
    Wie sie mich Oheim, Vetter, Bruder nannten,
    Sich immer mehr und wieder mehr erlaubten,
    5875
    Dem Zepter Kraft, dem Thron Verehrung raubten,
    Dann, unter sich entzweit, das Reich verheerten
    Und nun gesamt sich gegen mich empörten.
    Die Menge schwankt im ungewissen Geist,
    Dann strömt sie nach, wohin der Strom sie reißt.

    OBERGENERAL

    5880
    Ein treuer Mann, auf Kundschaft ausgeschickt,
    Kommt eilig felsenab; sei's ihm geglückt!

    ERSTER KUNDSCHAFTER

    Glücklich ist sie uns gelungen,
    Listig, mutig, unsre Kunst,
    Daß wir hin und her gedrungen;
    5885
    Doch wir bringen wenig Gunst.
    Viele schwören reine Huldigung
    Dir, wie manche treue Schar;
    Doch Untätigkeits-Entschuldigung:
    Innere Gärung, Volksgefahr.

    KAISER

    5890
    Sich selbst erhalten bleibt der Selbstsucht Lehre,
    Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und Ehre.
    Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll,
    Daß Nachbars Hausbrand euch verzehren soll?

    OBERGENERAL

    Der zweite kommt, nur langsam steigt er nieder,
    5895
    Dem müden Manne zittern alle Glieder.

    ZWEITER KUNDSCHAFTER

    Erst gewahrten wir vergnüglich
    Wilden Wesens irren Lauf;
    Unerwartet, unverzüglich
    Trat ein neuer Kaiser auf.
    5900
    Und auf vorgeschriebnen Bahnen
    Zieht die Menge durch die Flur;
    Den entrollten Lügenfahnen
    Folgen alle. — Schafsnatur!

    KAISER

    Ein Gegenkaiser kommt mir zum Gewinn:
    5905
    Nun fühl ich erst, daß ich der Kaiser bin.
    Nur als Soldat legt' ich den Harnisch an,
    Zu höherm Zweck ist er nun umgetan.
    Bei jedem Fest, wenn's noch so glänzend war,
    Nichts ward vermißt, mir fehlte die Gefahr.
    5910
    Wie ihr auch seid, zum Ringspiel rietet ihr,
    Mir schlug das Herz, ich atmete Turnier;
    Und hättet ihr mir nicht vom Kriegen abgeraten,
    Jetzt glänzt' ich schon in lichten Heldentaten.
    Selbständig fühlt' ich meine Brust besiegelt,
    5915
    Als ich mich dort im Feuerreich bespiegelt;
    Das Element drang gräßlich auf mich los,
    Es war nur Schein, allein der Schein war groß.
    Von Sieg und Ruhm hab ich verwirrt geträumt;
    Ich bringe nach, was frevelhaft versäumt.
    Die Herolde werden abgefertigt zu Herausforderung des Gegenkaisers.
    Faust geharnischt, mit halbgeschlossenem Helme.
    Die drei Gewaltigen gerüstet und gekleidet wie oben.

    FAUST

    5920
    Wir treten auf und hoffen, ungescholten;
    Auch ohne Not hat Vorsicht wohl gegolten.
    Du weißt, das Bergvolk denkt und simuliert,
    Ist in Natur– und Felsenschrift studiert.
    Die Geister, längst dem flachen Land entzogen,
    5925
    Sind mehr als sonst dem Felsgebirg gewogen.
    Sie wirken still durch labyrinthische Klüfte
    Im edlen Gas metallisch reicher Düfte;
    In stetem Sondern, Prüfen und Verbinden
    Ihr einziger Trieb ist, Neues zu erfinden.
    5930
    Mit leisem Finger geistiger Gewalten
    Erbauen sie durchsichtige Gestalten;
    Dann im Kristall und seiner ewigen Schweignis
    Erblicken sie der Oberwelt Ereignis.

    KAISER

    Vernommen hab ich's, und ich glaube dir;
    5935
    Doch, wackrer Mann, sag an: was soll das hier?

    FAUST

    Der Nekromant von Norcia, der Sabiner,
    Ist dein getreuer, ehrenhafter Diener.
    Welch greulich Schicksal droht' ihm ungeheuer!
    Das Reisig prasselte, schon züngelte das Feuer;
    5940
    Die trocknen Scheite, ringsumher verschränkt,
    Mit Pech und Schwefelruten untermengt;
    Nicht Mensch, noch Gott, noch Teufel konnte retten,
    Die Majestät zersprengte glühende Ketten.
    Dort war's in Rom. Er bleibt dir hoch verpflichtet,
    5945
    Auf deinen Gang in Sorge stets gerichtet.
    Von jener Stund an ganz vergaß er sich,
    Er fragt den Stern, die Tiefe nur für dich.
    Er trug uns auf, als eiligstes Geschäfte,
    Bei dir zu stehn. Groß sind des Berges Kräfte;
    5950
    Da wirkt Natur so übermächtig frei,
    Der Pfaffen Stumpfsinn schilt es Zauberei.

    KAISER

    Am Freudentag, wenn wir die Gäste grüßen,
    Die heiter kommen, heiter zu genießen,
    Da freut uns jeder, wie er schiebt und drängt
    5955
    Und, Mann für Mann, der Säle Raum verengt.
    Doch höchst willkommen muß der Biedre sein,
    Tritt er als Beistand kräftig zu uns ein
    Zur Morgenstunde, die bedenklich waltet,
    Weil über ihr des Schicksals Waage schaltet.
    5960
    Doch lenket hier im hohen Augenblick
    Die starke Hand vom willigen Schwert zurück,
    Ehrt den Moment, wo manche Tausend schreiten,
    Für oder wider mich zu streiten.
    Selbst ist der Mann! Wer Thron und Kron begehrt,
    5965
    Persönlich sei er solcher Ehren wert.
    Sei das Gespenst, das, gegen uns erstanden,
    Sich Kaiser nennt und Herr von unsern Landen,
    Des Heeres Herzog, Lehnherr unsrer Großen,
    Mit eigner Faust ins Totenreich gestoßen!

    FAUST

    5970
    Wie es auch sei, das Große zu vollenden,
    Du tust nicht wohl, dein Haupt so zu verpfänden.
    Ist nicht der Helm mit Kamm und Busch geschmückt?
    Er schützt das Haupt, das unsern Mut entzückt.
    Was, ohne Haupt, was förderten die Glieder?
    5975
    Denn schläfert jenes, alle sinken nieder;
    Wird es verletzt, gleich alle sind verwundet,
    Erstehen frisch, wenn jenes rasch gesundet.
    Schnell weiß der Arm sein starkes Recht zu nützen;
    Er hebt den Schild, den Schädel zu beschützen;
    5980
    Das Schwert gewahret seiner Pflicht sogleich,
    Lenkt kräftig ab und wiederholt den Streich;
    Der tüchtige Fuß nimmt teil an ihrem Glück,
    Setzt dem Erschlagnen frisch sich ins Genick.

    KAISER

    Das ist mein Zorn, so möcht ich ihn behandeln,
    5985
    Das stolze Haupt in Schemeltritt verwandeln!

    HEROLDE

    kommen zurück.
    Wenig Ehre, wenig Geltung
    Haben wir daselbst genossen,
    Unsrer kräftig edlen Meldung
    Lachten sie als schaler Possen:
    5990
    „Euer Kaiser ist verschollen,
    Echo dort im engen Tal;
    Wenn wir sein gedenken sollen,
    Märchen sagt: — Es war einmal.”

    FAUST

    Dem Wunsch gemäß der Besten ist's geschehn,
    5995
    Die fest und treu an deiner Seite stehn.
    Dort naht der Feind, die Deinen harren brünstig;
    Befiehl den Angriff, der Moment ist günstig.

    KAISER

    Auf das Kommando leist ich hier Verzicht.
    Zum Oberfeldherrn.
    6000
    In deinen Händen, Fürst, sei deine Pflicht.

    OBERGENERAL

    So trete denn der rechte Flügel an!
    Des Feindes Linke, eben jetzt im Steigen,
    Soll, eh sie noch den letzten Schritt getan,
    Der Jungendkraft geprüfter Treue weichen.

    FAUST

    6005
    Erlaube denn, daß dieser muntre Held
    Sich ungesäumt in deine Reihen stellt,
    Sich deinen Reihen innigst einverleibt
    Und, so gesellt, sein kräftig Wesen treibt.
    Er deutet zur Rechten.

    RAUFEBOLD

    tritt vor.
    Wer das Gesicht mir zeigt, der kehrt's nicht ab
    6010
    Als mit zerschlagnen Unter– und Oberbacken;
    Wer mir den Rücken kehrt, gleich liegt ihm schlapp
    Hals, Kopf und Schopf hinschlotternd graß im Nacken.
    Und schlagen deine Männer dann
    Mit Schwert und Kolben, wie ich wüte,
    6015
    So stürzt der Feind, Mann über Mann,
    Ersäuft im eigenen Geblüte.
    Ab.

    OBERGENERAL

    Der Phalanx unsrer Mitte folge sacht,
    Dem Feind begegn' er, klug mit aller Macht;
    Ein wenig rechts, dort hat bereits, erbittert,
    6020
    Der Unsern Streitkraft ihren Plan erschüttert.

    FAUST

    auf dem Mittelsten deutend.
    So folge denn auch dieser deinem Wort!
    Er ist behend, reißt alles mit sich fort.

    HABEBALD

    tritt hervor.
    Dem Heldenmut der Kaiserscharen
    Soll sich der Durst nach Beute paaren;
    6025
    Und allen sei das Ziel gestellt:
    Des Gegenkaisers reiches Zelt.
    Er prahlt nicht lang auf seinem Sitze,
    Ich ordne mich dem Phalanx an die Spitze.

    EILEBEUTE

    Marketenderin, sich an ihn anschmiegend.
    Bin ich auch ihm nicht angeweibt,
    6030
    Er mir der liebste Buhle bleibt.
    Für uns ist solch ein Herbst gereift!
    Die Frau ist grimmig, wenn sie greift,
    Ist ohne Schonung, wenn sie raubt;
    Im Sieg voran! und alles ist erlaubt.
    Beide ab.

    OBERGENERAL

    6035
    Auf unsre Linke, wie vorauszusehn,
    Stürzt ihre Rechte, kräftig. Widerstehn
    Wird Mann für Mann dem wütenden Beginnen,
    Den engen Paß des Felswegs zu gewinnen.

    FAUST

    winkt nach der Linken.
    So bitte, Herr, auch diesen zu bemerken;
    6040
    Es schadet nichts, wenn Starke sich verstärken.

    HALTEFEST

    tritt vor.
    Dem linken Flügel keine Sorgen!
    Da, wo ich bin, ist der Besitz geborgen;
    In ihm bewähret sich der Alte,
    Kein Strahlblitz spaltet, was ich halte.
    Ab.

    MEPHISTOPHELES

    von oben herunterkommend.
    6045
    Nun schauet, wie im Hintergrunde
    Aus jedem zackigen Felsenschlunde
    Bewaffnete hervor sich drängen,
    Die schmalen Pfade zu verengen,
    Mit Helm und Harnisch, Schwertern, Schilden
    6050
    In unserm Rücken eine Mauer bilden,
    Den Wink erwartend, zuzuschlagen.
    Leise zu den Wissenden.
    Woher das kommt, müßt ihr nicht fragen.
    Ich habe freilich nicht gesäumt,
    6055
    Die Waffensäle ringsum ausgeräumt;
    Da standen sie zu Fuß, zu Pferde,
    Als wären sie noch Herrn der Erde;
    Sonst waren's Ritter, König, Kaiser,
    Jetzt sind es nichts als leere Schneckenhäuser;
    6060
    Gar manch Gespenst hat sich darein geputzt,
    Das Mittelalter lebhaft aufgestutzt.
    Welch Teufelchen auch drinne steckt,
    Für diesmal macht es doch Effekt.
    Hört, wie sie sich voraus erbosen,
    6065
    Blechklappernd aneinander stoßen!
    Auch flattern Fahnenfetzen bei Standarten,
    Die frischer Lüftchen ungeduldig harrten.
    Bedenkt, hier ist ein altes Volk bereit
    Und mischte gern sich auch zum neuen Streit.
    Furchtbarer Posaunenschall von oben, im feindlichen Heere merkliche Schwankung.

    FAUST

    6070
    Der Horizont hat sich verdunkelt,
    Nur hie und da bedeutend funkelt
    Ein roter ahnungsvoller Schein;
    Schon blutig blinken die Gewehre;
    Der Fels, der Wald, die Atmosphäre,
    6075
    Der ganze Himmel mischt sich ein.

    MEPHISTOPHELES

    Die rechte Flanke hält sich kräftig;
    Doch seh ich ragend unter diesen
    Hans Raufbold, den behenden Riesen,
    Auf seine Weise rasch geschäftig.

    KAISER

    6080
    Erst sah ich einen Arm erhoben,
    Jetzt seh ich schon ein Dutzend toben;
    Naturgemäß geschieht es nicht.

    FAUST

    Vernahmst du nichts von Nebelstreifen,
    Die auf Siziliens Küsten schweifen?
    6085
    Dort, schwankend klar, im Tageslicht,
    Erhoben zu den Mittellüften,
    Gespiegelt in besondern Düften,
    Erscheint ein seltsames Gesicht:
    Da schwanken Städte hin und wider,
    6090
    Da steigen Gärten auf und nieder,
    Wie Bild um Bild den Äther bricht.

    KAISER

    Doch wie bedenklich! Alle Spitzen
    Der hohen Speere seh ich blitzen;
    Auf unsres Phalanx blanken Lanzen
    6095
    Seh ich behende Flämmchen tanzen.
    Das scheint mir gar zu geisterhaft.

    FAUST

    Verzeih, o Herr, das sind die Spuren
    Verschollner geistiger Naturen,
    Ein Widerschein der Dioskuren,
    6100
    Bei denen alle Schiffer schwuren;
    Sie sammeln hier die letzte Kraft.

    KAISER

    Doch sage: wem sind wir verpflichtet,
    Daß die Natur, auf uns gerichtet,
    Das Seltenste zusammenrafft?

    MEPHISTOPHELES

    6105
    Wem als dem Meister, jenem hohen,
    Der dein Geschick im Busen trägt?
    Durch deiner Feinde starkes Drohen
    Ist er im Tiefsten aufgeregt.
    Sein Dank will dich gerettet sehen,
    6110
    Und sollt er selbst daran vergehen.

    KAISER

    Sie jubelten, mich pomphaft umzuführen;
    Ich war nun was, das wollt' ich auch probieren
    Und fand's gelegen, ohne viel zu denken,
    Dem weißen Barte kühle Luft zu schenken.
    6115
    Dem Klerus hab ich eine Lust verdorben,
    Und ihre Gunst mir freilich nicht erworben.
    Nun sollt' ich, seit so manchen Jahren,
    Die Wirkung frohen Tuns erfahren?

    FAUST

    Freiherzige Wohltat wuchert reich;
    6120
    Laß deinen Blick sich aufwärts wenden!
    Mich deucht, er will ein Zeichen senden,
    Gib acht, es deutet sich sogleich.

    KAISER

    Ein Adler schwebt im Himmelhohen,
    Ein Greif ihm nach mit wildem Drohen.

    FAUST

    6125
    Gib acht: gar günstig scheint es mir.
    Greif ist ein fabelhaftes Tier;
    Wie kann es sich so weit vergessen,
    Mit echtem Adler sich zu messen?

    KAISER

    Nunmehr, in weitgedehnten Kreisen,
    6130
    Umziehn sie sich; — in gleichem Nu
    Sie fahren aufeinander zu,
    Sich Brust und Hälse zu zerreißen.

    FAUST

    Nun merke, wie der leidige Greif,
    Zerzerrt, zerzaust, nur Schaden findet
    6135
    Und mit gesenktem Löwenschweif,
    Zum Gipfelwald gestürzt, verschwindet.

    KAISER

    Sei's, wie gedeutet, so getan!
    Ich nehm es mit Verwundrung an.

    MEPHISTOPHELES

    gegen die Rechte.
    Dringend wiederholten Streichen
    6140
    Müssen unsre Feinde weichen,
    Und mit ungewissem Fechten
    Drängen sie nach ihrer Rechten
    Und verwirren so im Streite
    Ihrer Hauptmacht linke Seite.
    6145
    Unsers Phalanx feste Spitze
    Zieht sich rechts, und gleich dem Blitze
    Fährt sie in die schwache Stelle. —
    Nun, wie sturmerregte Welle
    Sprühend, wüten gleiche Mächte
    6150
    Wild in doppeltem Gefechte;
    Herrlichers ist nichts ersonnen,
    Uns ist diese Schlacht gewonnen!

    KAISER

    an der linken Seite zu Faust.
    Schau! Mir scheint es dort bedenklich,
    Unser Posten steht verfänglich.
    6155
    Keine Steine seh ich fliegen,
    Niedre Felsen sind erstiegen,
    Obre stehen schon verlassen.
    Jetzt! — Der Feind, zu ganzen Massen
    Immer näher angedrungen,
    6160
    Hat vielleicht den Paß errungen,
    Schlußerfolg unheiligen Strebens!
    Eure Künste sind vergebens.
    Pause.

    MEPHISTOPHELES

    Da kommen meine beiden Raben,
    Was mögen die für Botschaft haben?
    6165
    Ich fürchte gar, es geht uns schlecht.

    KAISER

    Was sollen diese leidigen Vögel?
    Sie richten ihre schwarzen Segel
    Hierher vom heißen Felsgefecht.

    MEPHISTOPHELES

    zu den Raben.
    Setzt euch ganz nah zu meinen Ohren.
    6170
    Wen ihr beschützt, ist nicht verloren,
    Denn euer Rat ist folgerecht.

    FAUST

    zum Kaiser.
    Von Tauben hast du ja vernommen,
    Die aus den fernsten Landen kommen
    Zu ihres Nestes Brut und Kost.
    6175
    Hier ist's mit wichtigen Unterschieden:
    Die Taubenpost bedient den Frieden,
    Der Krieg befiehlt die Rabenpost.

    MEPHISTOPHELES

    Es meldet sich ein schwer Verhängnis:
    Seht hin! gewahret die Bedrängnis
    6180
    Um unsrer Helden Felsenrand!
    Die nächsten Höhen sind erstiegen,
    Und würden sie den Paß besiegen,
    Wir hätten einen schweren Stand.

    KAISER

    So bin ich endlich doch betrogen!
    6185
    Ihr habt mich in das Netz gezogen;
    Mir graut, seitdem es mich umstrickt.

    MEPHISTOPHELES

    Nur Mut! Noch ist es nicht mißglückt.
    Geduld und Pfiff zum letzten Knoten!
    Gewöhnlich geht's am Ende scharf.
    6190
    Ich habe meine sichern Boten;
    Befehlt, daß ich befehlen darf!

    OBERGENERAL

    der indessen herangekommen.
    Mit diesen hast du dich vereinigt,
    Mich hat's die ganze Zeit gepeinigt,
    Das Gaukeln schafft kein festes Glück.
    6195
    Ich weiß nichts an der Schlacht zu wenden;
    Begannen sie's, sie mögen's enden,
    Ich gebe meinen Stab zurück.

    KAISER

    Behalt ihn bis zu bessern Stunden,
    Die uns vielleicht das Glück verleiht.
    6200
    Mir schaudert vor dem garstigen Kunden
    Und seiner Rabentraulichkeit.
    Zu Mephistopheles.
    Den Stab kann ich dir nicht verleihen,
    Du scheinst mir nicht der rechte Mann;
    6205
    Befiehl und such uns zu befreien!
    Geschehe, was geschehen kann.
    Ab ins Zelt mit dem Obergeneral.

    MEPHISTOPHELES

    Mag ihn der stumpfe Stab beschützen!
    Uns andern könnt er wenig nützen,
    Es war so was vom Kreuz daran.

    FAUST

    6210
    Was ist zu tun?

    MEPHISTOPHELES

    Es ist getan! —
    Nun, schwarze Vettern, rasch im Dienen,
    Zum großen Bergsee! grüßt mir die Undinen
    Und bittet sie um ihrer Fluten Schein.
    6215
    Durch Weiberkünste, schwer zu kennen,
    Verstehen sie vom Sein den Schein zu trennen,
    Und jeder schwört, das sei das Sein.
    Pause.

    FAUST

    Den Wasserfräulein müssen unsre Raben
    Recht aus dem Grund geschmeichelt haben;
    6220
    Dort fängt es schon zu rieseln an.
    An mancher trocknen, kahlen Felsenstelle
    Entwickelt sich die volle, rasche Quelle;
    Um jener Sieg ist es getan.

    MEPHISTOPHELES

    Das ist ein wunderbarer Gruß,
    6225
    Die kühnsten Klettrer sind konfus.

    FAUST

    Schon rauscht ein Bach zu Bächen mächtig nieder,
    Aus Schluchten kehren sie gedoppelt wieder,
    Ein Strom nun wirft den Bogenstrahl;
    Auf einmal legt er sich in flache Felsenbreite
    6230
    Und rauscht und schäumt nach der und jener Seite,
    Und stufenweise wirft er sich ins Tal.
    Was hilft ein tapfres, heldenmäßiges Stemmen?
    Die mächtige Woge strömt, sie wegzuschwemmen.
    Mir schaudert selbst vor solchem wilden Schwall.

    MEPHISTOPHELES

    6235
    Ich sehe nichts von diesen Wasserlügen,
    Nur Menschenaugen lassen sich betrügen,
    Und mich ergetzt der wunderliche Fall.
    Sie stürzen fort zu ganzen Haufen,
    Die Narren wähnen zu ersaufen,
    6240
    Indem sie frei auf festem Lande schnaufen
    Und lächerlich mit Schwimmgebärden laufen.
    Nun ist Verwirrung überall.
    Die Raben sind wieder gekommen.
    Ich werd euch bei dem hohen Meister loben;
    6245
    Wollt ihr euch nun als Meister selbst erproben,
    So eilet zu der glühnden Schmiede,
    Wo das Gezwergvolk, nimmer müde,
    Metall und Stein zu Funken schlägt.
    Verlangt, weitläufig sie beschwatzend,
    6250
    Ein Feuer, leuchtend, blinkend, platzend,
    Wie man's im hohen Sinne hegt.
    Zwar Wetterleuchten in der weiten Ferne,
    Blickschnelles Fallen allerhöchster Sterne
    Mag jede Sommernacht geschehn;
    6255
    Doch Wetterleuchten in verworrnen Büschen
    Und Sterne, die am feuchten Boden zischen,
    Das hat man nicht so leicht gesehn.
    So müßt ihr, ohn euch viel zu quälen,
    Zuvörderst bitten, dann befehlen.
    Raben ab. Es geschieht wie vorgeschrieben.

    MEPHISTOPHELES

    6260
    Den Feinden dichte Finsternisse!
    Und Tritt und Schritt ins Ungewisse!
    Irrfunkenblick an allen Enden,
    Ein Leuchten, plötzlich zu verblenden!
    Das alles wäre wunderschön,
    6265
    Nun aber braucht's noch Schreckgetön.

    FAUST

    Die hohlen Waffen aus der Säle Grüften
    Empfinden sich erstarkt in freien Lüften;
    Da droben klappert's, rasselt's lange schon,
    Ein wunderbarer falscher Ton.

    MEPHISTOPHELES

    6270
    Ganz recht! Sie sind nicht mehr zu zügeln;
    Schon schallt's von ritterlichen Prügeln,
    Wie in der holden alten Zeit.
    Armschienen wie der Beine Schienen,
    Als Guelfen und als Ghibellinen,
    6275
    Erneuen rasch den ewigen Streit.
    Fest, im ererbten Sinne wöhnlich,
    Erweisen sie sich unversöhnlich;
    Schon klingt das Tosen weit und breit.
    Zuletzt, bei allen Teufelsfesten,
    6280
    Wirkt der Parteihaß doch zum besten,
    Bis in den allerletzten Graus;
    Schallt wider-widerwärtig panisch,
    Mitunter grell und scharf satanisch,
    Erschreckend in das Tal hinaus.
    Kriegstumult im Orchester, zuletzt übergehend in militärisch heitre Weisen.

    DES GEGENKAISERS ZELT

    Thron, reiche Umgebung.
    Habebald. Eilebeute.

    EILEBEUTE

    6285
    So sind wir doch die ersten hier!

    HABEBALD

    Kein Rabe fliegt so schnell als wir.

    EILEBEUTE

    O! welch ein Schatz liegt hier zuhauf!
    Wo fang ich an? Wo hör ich auf?

    HABEBALD

    Steht doch der ganze Raum so voll!
    6290
    Weiß nicht, wozu ich greifen soll.

    EILEBEUTE

    Der Teppich wär mir eben recht,
    Mein Lager ist oft gar zu schlecht.

    HABEBALD

    Hier hängt von Stahl ein Morgenstern,
    Dergleichen hätt ich lange gern.

    EILEBEUTE

    6295
    Den roten Mantel goldgesäumt,
    So etwas hatt' ich mir geträumt.

    HABEBALD

    die Waffe nehmend.
    Damit ist es gar bald getan,
    Man schlägt ihn tot und geht voran.
    Du hast so viel schon aufgepackt
    6300
    Und doch nichts Rechtes eingesackt.
    Den Plunder laß an seinem Ort,
    Nehm eines dieser Kistchen fort!
    Dies ist des Heers beschiedner Sold,
    In seinem Bauche lauter Gold.

    EILEBEUTE

    6305
    Das hat ein mörderisch Gewicht!
    Ich heb es nicht, ich trag es nicht.

    HABEBALD

    Geschwinde duck dich! Mußt dich bücken!
    Ich hucke dir's auf den starken Rücken.

    EILEBEUTE

    O weh! O weh, nun ist's vorbei!
    6310
    Die Last bricht mir das Kreuz entzwei.
    Das Kistchen stürzt und springt auf.

    HABEBALD

    Da liegt das rote Gold zuhauf —
    Geschwinde zu und raff es auf!

    EILEBEUTE

    kauert nieder.
    Geschwinde nur zum Schoß hinein!
    Noch immer wird's zur Gnüge sein.

    HABEBALD

    6315
    Und so genug! und eile doch!
    Sie steht auf.
    O weh, die Schürze hat ein Loch!
    Wohin du gehst und wo du stehst,
    Verschwenderisch die Schätze säst.

    TRABANTEN (unsres Kaisers)

    6320
    Was schafft ihr hier am heiligen Platz?
    Was kramt ihr in dem Kaiserschatz?

    HABEBALD

    Wir trugen unsre Glieder feil
    Und holen unser Beuteteil.
    In Feindeszelten ist's der Brauch,
    6325
    Und wir, Soldaten sind wir auch.

    TRABANTEN

    Das passet nicht in unsern Kreis:
    Zugleich Soldat und Diebsgeschmeiß;
    Und wer sich unserm Kaiser naht,
    Der sei ein redlicher Soldat.

    HABEBALD

    6330
    Die Redlichkeit, die kennt man schon,
    Sie heißet: Kontribution.
    Ihr alle seid auf gleichem Fuß:
    „Gib her!” das ist der Handwerksgruß.
    Zu Eilebeute.
    6335
    Mach fort und schleppe, was du hast,
    Hier sind wir nicht willkommner Gast.
    Ab.

    ERSTER TRABANT

    Sag, warum gabst du nicht sogleich
    Dem frechen Kerl einen Backenstreich?

    ZWEITER

    Ich weiß nicht, mir verging die Kraft,
    6340
    Sie waren so gespensterhaft.

    DRITTER

    Mir ward es vor den Augen schlecht,
    Da flimmert' es, ich sah nicht recht.

    VIERTER

    Wie ich es nicht zu sagen weiß:
    Es war den ganzen Tag so heiß,
    6345
    So bänglich, so beklommen-schwül,
    Der eine stand, der andre fiel,
    Man tappte hin und schlug zugleich,
    Der Gegner fiel vor jedem Streich,
    Vor Augen schwebt' es wie ein Flor,
    6350
    Dann summt's und saust's und zischt' im Ohr;
    Das ging so fort, nun sind wir da
    Und wissen selbst nicht, wie's geschah.
    Kaiser mit Vier Fürsten treten auf.
    Die Trabanten entfernen sich.

    KAISER

    Es sei nun, wie ihm sei! uns ist die Schlacht gewonnen,
    Des Feinds zerstreute Flucht im flachen Feld zerronnen.
    6355
    Hier steht der leere Thron, verräterischer Schatz,
    Von Teppichen umhüllt, verengt umher den Platz.
    Wir, ehrenvoll geschützt von eigenen Trabanten,
    Erwarten kaiserlich der Völker Abgesandten;
    Von allen Seiten her kommt frohe Botschaft an:
    6360
    Beruhigt sei das Reich, uns freudig zugetan.
    Hat sich in unsern Kampf auch Gaukelei geflochten,
    Am Ende haben wir uns nur allein gefochten.
    Zufälle kommen ja dem Streitenden zugut:
    Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde regnet's Blut,
    6365
    Aus Felsenhöhlen tönt's von mächtigen Wunderklängen,
    Die unsre Brust erhöhn, des Feindes Brust verengen.
    Der Überwundne fiel, zu stets erneutem Spott,
    Der Sieger, wie er prangt, preist den gewognen Gott.
    Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu befehlen,
    6370
    „Herr Gott, dich loben wir!” aus Millionen Kehlen.
    Jedoch zum höchsten Preis wend ich den frommen Blick,
    Das selten sonst geschah, zur eignen Brust zurück.
    Ein junger, muntrer Fürst mag seinen Tag vergeuden,
    Die Jahre lehren ihn des Augenblicks Bedeuten.
    6375
    Deshalb denn ungesäumt verbind ich mich sogleich
    Mit euch vier Würdigen, für Haus und Hof und Reich.
    Zum Ersten.
    Dein war, o Fürst! des Heers geordnet kluge Schichtung,
    Sodann im Hauptmoment heroisch kühne Richtung;
    6380
    Im Frieden wirke nun, wie es die Zeit begehrt,
    Erzmarschall nenn ich dich, verleihe dir das Schwert.

    ERZMARSCHALL

    Dein treues Heer, bis jetzt im Inneren beschäftigt,
    Wenn's an der Grenze dich und deinen Thron bekräftigt,
    Dann sei es uns vergönnt, bei Festesdrang im Saal
    6385
    Geräumiger Väterburg zu rüsten dir das Mahl.
    Blank trag ich's dir dann vor, blank halt ich dir's zur Seite,
    Der höchsten Majestät zu ewigem Geleite.

    DER KAISER

    zum Zweiten.
    Der sich als tapfrer Mann auch zart gefällig zeigt,
    Du! sei Erzkämmerer; der Auftrag ist nicht leicht.
    6390
    Du bist der Oberste von allem Hausgesinde,
    Bei deren innerm Streit ich schlechte Diener finde;
    Dein Beispiel sei fortan in Ehren aufgestellt,
    Wie man dem Herrn, dem Hof und allen wohlgefällt.

    ERZKÄMMERER

    Des Herren großen Sinn zu fördern, bringt zu Gnaden:
    6395
    Den Besten hülfreich sein, den Schlechten selbst nicht schaden,
    Dann klar sein ohne List und ruhig ohne Trug!
    Wenn du mich, Herr, durchschaust, geschieht mir schon genug.
    Darf sich die Phantasie auf jenes Fest erstrecken?
    Wenn du zur Tafel gehst, reich ich das goldne Becken,
    6400
    Die Ringe halt ich dir, damit zur Wonnezeit
    Sich deine Hand erfrischt, wie mich dein Blick erfreut.

    KAISER

    Zwar fühl ich mich zu ernst, auf Festlichkeit zu sinnen,
    Doch sei's! Es fördert auch frohmütiges Beginnen.
    Zum Dritten.
    6405
    Dich wähl ich zum Erztruchseß! Also sei fortan
    Dir Jagd, Geflügelhof und Vorwerk untertan;
    Der Lieblingsspeisen Wahl laß mir zu allen Zeiten,
    Wie sie der Monat bringt, und sorgsam zubereiten.

    ERZTRUCHSESS

    Streng Fasten sei für mich die angenehmste Pflicht,
    6410
    Bis, vor dich hingestellt, dich freut ein Wohlgericht.
    Der Küche Dienerschaft soll sich mit mir vereinigen,
    Das Ferne beizuziehn, die Jahrszeit zu beschleunigen.
    Dich reizt nicht Fern und Früh, womit die Tafel prangt,
    Einfach und kräftig ist's, wornach dein Sinn verlangt.

    KAISER

    zum Vierten.
    6415
    Weil unausweichlich hier sich's nur von Festen handelt,
    So sei mir, junger Held, zum Schenken umgewandelt.
    Erzschenke, sorge nun, daß unsre Kellerei
    Aufs reichlichste versorgt mit gutem Weine sei.
    Du selbst sei mäßig, laß nicht über Heiterkeiten
    6420
    Durch der Gelegenheit Verlocken dich verleiten!

    ERZSCHENK

    Mein Fürst, die Jugend selbst, wenn man ihr nur vertraut,
    Steht, eh man sich's versieht, zu Männern auferbaut.
    Auch ich versetze mich zu jenem großen Feste;
    Ein kaiserlich Büfett schmück ich aufs allerbeste
    6425
    Mit Prachtgefäßen, gülden, silbern allzumal,
    Doch wähl ich dir voraus den lieblichsten Pokal:
    Ein blank venedisch Glas, worin Behagen lauschet,
    Des Weins Geschmack sich stärkt und nimmermehr berauschet.
    Auf solchen Wunderschatz vertraut man oft zu sehr;
    6430
    Doch deine Mäßigkeit, du Höchster, schützt noch mehr.

    KAISER

    Was ich euch zugedacht in dieser ernsten Stunde,
    Vernahmt ihr mit Vertraun aus zuverlässigem Munde.
    Des Kaisers Wort ist groß und sichert jede Gift,
    Doch zur Bekräftigung bedarf's der edlen Schrift,
    6435
    Bedarf's der Signatur. Die förmlich zu bereiten,
    Seh ich den rechten Mann zu rechter Stunde schreiten.
    Der Erzbischof-Erzkanzler tritt auf.

    KAISER

    Wenn ein Gewölbe sich dem Schlußstein anvertraut,
    Dann ist's mit Sicherheit für ewige Zeit erbaut.
    Du siehst vier Fürsten da! Wir haben erst erörtert,
    6440
    Was den Bestand zunächst von Haus und Hof befördert.
    Nun aber, was das Reich in seinem Ganzen hegt,
    Sei, mit Gewicht und Kraft, der Fünfzahl auferlegt.
    An Ländern sollen sie vor allen andern glänzen;
    Deshalb erweitr' ich gleich jetzt des Besitztums Grenzen
    6445
    Vom Erbteil jener, die sich von uns abgewandt.
    Euch Treuen sprech ich zu so manches schöne Land,
    Zugleich das hohe Recht, euch nach Gelegenheiten
    Durch Anfall, Kauf und Tausch ins Weitre zu verbreiten;
    Dann sei bestimmt vergönnt, zu üben ungestört,
    6450
    Was von Gerechtsamen euch Landesherrn gehört.
    Als Richter werdet ihr die Endurteile fällen,
    Berufung gelte nicht von euern höchsten Stellen.
    Dann Steuer, Zins und Beth', Lehn und Geleit und Zoll,
    Berg–, Salz– und Münzregal euch angehören soll.
    6455
    Denn meine Dankbarkeit vollgültig zu erproben,
    Hab ich euch ganz zunächst der Majestät erhoben.

    ERZBISCHOF

    Im Namen aller sei dir tiefster Dank gebracht!
    Du machst uns stark und fest und stärkest deine Macht.

    KAISER

    Euch fünfen will ich noch erhöhtere Würde geben.
    6460
    Noch leb ich meinem Reich und habe Lust, zu leben;
    Doch hoher Ahnen Kette zieht bedächtigen Blick
    Aus rascher Strebsamkeit ins Drohende zurück.
    Auch werd ich seinerzeit mich von den Teuren trennen,
    Dann sei es eure Pflicht, den Folger zu ernennen.
    6465
    Gekrönt erhebt ihn hoch auf heiligem Altar,
    Und friedlich ende dann, was jetzt so stürmisch war.

    ERZKANZLER

    Mit Stolz in tiefster Brust, mit Demut an Gebärde,
    Stehn Fürsten dir gebeugt, die ersten auf der Erde.
    Solang das treue Blut die vollen Adern regt,
    6470
    Sind wir der Körper, den dein Wille leicht bewegt.

    KAISER

    Und also sei, zum Schluß, was wir bisher betätigt,
    Für alle Folgezeit durch Schrift und Zug bestätigt.
    Zwar habt ihr den Besitz als Herren völlig frei,
    Mit dem Beding jedoch, daß er unteilbar sei.
    6475
    Und wie ihr auch vermehrt, was ihr von uns empfangen,
    Es soll's der ältste Sohn in gleichem Maß erlangen.

    ERZKANZLER

    Dem Pergament alsbald vertrau ich wohlgemut,
    Zum Glück dem Reich und uns, das wichtigste Statut;
    Reinschrift und Sieglung soll die Kanzelei beschäftigen,
    6480
    Mit heiliger Signatur wirst du's, der Herr, bekräftigen.

    KAISER

    Und so entlass ich euch, damit den großen Tag
    Gesammelt jedermann sich überlegen mag.
    Die weltlichen Fürsten entfernen sich.

    DER GEISTLICHE

    bleibt und spricht pathetisch.
    Der Kanzler ging hinweg, der Bischof ist geblieben,
    Vom ernsten Warnegeist zu deinem Ohr getrieben!
    6485
    Sein väterliches Herz, von Sorge bangt's um dich.

    KAISER

    Was hast du Bängliches zur frohen Stunde? sprich!

    ERZBISCHOF

    Mit welchem bittern Schmerz find ich, in dieser Stunde,
    Dein hochgeheiligt Haupt mit Satanas im Bunde!
    Zwar, wie es scheinen will, gesichert auf dem Thron,
    6490
    Doch leider! Gott dem Herrn, dem Vater Papst zum Hohn.
    Wenn dieser es erfährt, schnell wird er sträflich richten,
    Mit heiligem Strahl dein Reich, das sündige, zu vernichten.
    Denn noch vergaß er nicht, wie du, zur höchsten Zeit,
    An deinem Krönungstag, den Zauberer befreit.
    6495
    Von deinem Diadem, der Christenheit zum Schaden,
    Traf das verfluchte Haupt der erste Strahl der Gnaden.
    Doch schlag an deine Brust und gib vom frevlen Glück
    Ein mäßig Scherflein gleich dem Heiligtum zurück:
    Den breiten Hügelraum, da, wo dein Zelt gestanden,
    6500
    Wo böse Geister sich zu deinem Schutz verbanden,
    Dem Lügenfürsten du ein horchsam Ohr geliehn,
    Den stifte, fromm belehrt, zu heiligem Bemühn;
    Mit Berg und dichtem Wald, so weit sie sich erstrecken,
    Mit Höhen, die sich grün zu fetter Weide decken,
    6505
    Fischreichen, klaren Seen, dann Bächlein ohne Zahl,
    Wie sie sich, eilig schlängelnd, stürzen ab zu Tal;
    Das breite Tal dann selbst, mit Wiesen, Gauen, Gründen:
    Die Reue spricht sich aus, und du wirst Gnade finden.

    KAISER

    Durch meinen schweren Fehl bin ich so tief erschreckt;
    6510
    Die Grenze sei von dir nach eignem Maß gesteckt.

    ERZBISCHOF

    Erst! der entweihte Raum, wo man sich so versündigt,
    Sei alsobald zum Dienst des Höchsten angekündigt.
    Behende steigt im Geist Gemäuer stark empor,
    Der Morgensonne Blick erleuchtet schon das Chor,
    6515
    Zum Kreuz erweitert sich das wachsende Gebäude,
    Das Schiff erlängt, erhöht sich zu der Gläubigen Freude;
    Sie strömen brünstig schon durchs würdige Portal,
    Der erste Glockenruf erscholl durch Berg und Tal,
    Von hohen Türmen tönt's, wie sie zum Himmel streben,
    6520
    Der Büßer kommt heran zu neugeschaffnem Leben.
    Dem hohen Weihetag — er trete bald herein! —
    Wird deine Gegenwart die höchste Zierde sein.

    KAISER

    Mag ein so großes Werk den frommen Sinn verkündigen,
    Zu preisen Gott den Herrn, so wie mich zu entsündigen.
    6525
    Genug! Ich fühle schon, wie sich mein Sinn erhöht.

    ERZBISCHOF

    Als Kanzler fördr' ich nun Schluß und Formalität.

    KAISER

    Ein förmlich Dokument, der Kirche das zu eignen,
    Du legst es vor, ich will's mit Freuden unterzeichnen.

    ERZBISCHOF

    hat sich beurlaubt, kehrt aber beim Ausgang wieder um.
    Dann widmest du zugleich dem Werke, wie's entsteht,
    6530
    Gesamte Landsgefälle: Zehnten, Zinsen, Beth',
    Für ewig. Viel bedarf's zu würdiger Unterhaltung,
    Und schwere Kosten macht die sorgliche Verwaltung.
    Zum schnellen Aufbau selbst auf solchem wüsten Platz
    Reichst du uns einiges Gold, aus deinem Beuteschatz.
    6535
    Daneben braucht man auch, ich kann es nicht verschweigen,
    Entferntes Holz und Kalk und Schiefer und dergleichen.
    Die Fuhren tut das Volk, vom Predigtstuhl belehrt,
    Die Kirche segnet den, der ihr zu Diensten fährt.
    Ab.

    KAISER

    Die Sünd ist groß und schwer, womit ich mich beladen;
    6540
    Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten Schaden.

    ERZBISCHOF

    abermals zurückkehrend mit tiefster Verbeugung.
    Verzeih, o Herr! Es ward dem sehr verrufnen Mann
    Des Reiches Strand verliehn; doch diesen trifft der Bann,
    Verleihst du reuig nicht der hohen Kirchenstelle
    Auch dort den Zehnten, Zins und Gaben und Gefälle.

    KAISER

    verdrießlich.
    6545
    Das Land ist noch nicht da, im Meer liegt es breit.

    ERZBISCHOF

    Wer 's Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit.
    Für uns mög Euer Wort in seinen Kräften bleiben!
    Ab.

    KAISER

    allein.
    So könnt ich wohl zunächst das ganze Reich verschreiben.

    FÜNFTER AKT

    OFFENE GEGEND

    WANDRER

    Ja! sie sind's, die dunkeln Linden,
    6550
    Dort, in ihres Alters Kraft.
    Und ich soll sie wiederfinden,
    Nach so langer Wanderschaft!
    Ist es doch die alte Stelle,
    Jene Hütte, die mich barg,
    6555
    Als die sturmerregte Welle
    Mich an jene Dünen warf!
    Meine Wirte möcht ich segnen,
    Hilfsbereit, ein wackres Paar,
    Das, um heut mir zu begegnen,
    6560
    Alt schon jener Tage war.
    Ach! das waren fromme Leute!
    Poch ich? ruf ich? — Seid gegrüßt,
    Wenn gastfreundlich auch noch heute
    Ihr des Wohltuns Glück genießt!

    BAUCIS

    Mütterchen, sehr alt.
    6565
    Lieber Kömmling! Leise! Leise!
    Ruhe! laß den Gatten ruhn!
    Langer Schlaf verleiht dem Greise
    Kurzen Wachens rasches Tun.

    WANDRER

    Sage, Mutter: bist du's eben,
    6570
    Meinen Dank noch zu empfahn,
    Was du für des Jünglings Leben
    Mit dem Gatten einst getan?
    Bist du Baucis, die geschäftig
    Halberstorbnen Mund erquickt?
    6575
    Der Gatte tritt auf.
    Du Philemon, der so kräftig
    Meinen Schatz der Flut entrückt?
    Eure Flammen raschen Feuers,
    Eures Glöckchens Silberlaut,
    6580
    Jenes grausen Abenteuers
    Lösung war euch anvertraut.
    Und nun laßt hervor mich treten,
    Schaun das grenzenlose Meer;
    Laßt mich knieen, laßt mich beten,
    6585
    Mich bedrängt die Brust so sehr.
    Er schreitet vorwärts auf der Düne.

    PHILEMON

    zu Baucis.
    Eile nur, den Tisch zu decken,
    Wo's im Gärtchen munter blüht.
    Laß ihn rennen, ihn erschrecken,
    Denn er glaubt nicht, was er sieht.
    6590
    Neben dem Wanderer stehend.
    Das Euch grimmig mißgehandelt,
    Wog auf Woge, schäumend wild,
    Seht als Garten Ihr behandelt,
    Seht ein paradiesisch Bild.
    6595
    Älter, war ich nicht zuhanden,
    Hülfreich nicht wie sonst bereit;
    Und wie meine Kräfte schwanden,
    War auch schon die Woge weit.
    Kluger Herren kühne Knechte
    6600
    Gruben Gräben, dämmten ein,
    Schmälerten des Meeres Rechte,
    Herrn an seiner Statt zu sein.
    Schaue grünend Wies an Wiese,
    Anger, Garten, Dorf und Wald. —
    6605
    Komm nun aber und genieße,
    Denn die Sonne scheidet bald. —
    Dort im Fernsten ziehen Segel,
    Suchen nächtlich sichern Port.
    Kennen doch ihr Nest die Vögel;
    6610
    Denn jetzt ist der Hafen dort.
    So erblickst du in der Weite
    Erst des Meeres blauen Saum,
    Rechts und links, in aller Breite,
    Dichtgedrängt bewohnten Raum.
    Am Tische zu drei, im Gärtchen.

    BAUCIS

    6615
    Bleibst du stumm? und keinen Bissen
    Bringst du zum verlechzten Mund?

    PHILEMON

    Möcht er doch vom Wunder wissen;
    Sprichst so gerne, tu's ihm kund.

    BAUCIS

    Wohl! ein Wunder ist's gewesen!
    6620
    Läßt mich heut noch nicht in Ruh;
    Denn es ging das ganze Wesen
    Nicht mit rechten Dingen zu.

    PHILEMON

    Kann der Kaiser sich versünd'gen,
    Der das Ufer ihm verliehn?
    6625
    Tät's ein Herold nicht verkünd'gen
    Schmetternd im Vorüberziehn?
    Nicht entfernt von unsern Dünen
    Ward der erste Fuß gefaßt,
    Zelte, Hütten! — Doch im Grünen
    6630
    Richtet bald sich ein Palast.

    BAUCIS

    Tags umsonst die Knechte lärmten,
    Hack und Schaufel, Schlag um Schlag;
    Wo die Flämmchen nächtig schwärmten,
    Stand ein Damm den andern Tag.
    6635
    Menschenopfer mußten bluten,
    Nachts erscholl des Jammers Qual;
    Meerab flossen Feuergluten,
    Morgens war es ein Kanal.
    Gottlos ist er, ihn gelüstet
    6640
    Unsre Hütte, unser Hain;
    Wie er sich als Nachbar brüstet,
    Soll man untertänig sein.

    PHILEMON

    Hat er uns doch angeboten
    Schönes Gut im neuen Land!

    BAUCIS

    6645
    Traue nicht dem Wasserboden,
    Halt auf deiner Höhe stand!

    PHILEMON

    Laßt uns zur Kapelle treten,
    Letzten Sonnenblick zu schaun!
    Laßt uns läuten, knieen, beten
    6650
    Und dem alten Gott vertraun!

    PALAST

    Weiter Ziergarten, großer, grad geführter Kanal.
    Faust im höchsten Alter wandelnd, nachdenkend.

    LYNKEUS DER TÜRMER

    durchs Sprachrohr.
    Die Sonne sinkt, die letzten Schiffe,
    Sie ziehen munter hafenein.
    Ein großer Kahn ist im Begriffe,
    Auf dem Kanale hier zu sein.
    6655
    Die bunten Wimpel wehen fröhlich,
    Die starren Masten stehn bereit;
    In dir preist sich der Bootsmann selig,
    Dich grüßt das Glück zur höchsten Zeit.
    Das Glöckchen läutet auf der Düne.

    FAUST

    auffahrend.
    Verdammtes Läuten! Allzuschändlich
    6660
    Verwundet's, wie ein tückischer Schuß;
    Vor Augen ist mein Reich unendlich,
    Im Rücken neckt mich der Verdruß,
    Erinnert mich durch neidische Laute:
    Mein Hochbesitz, er ist nicht rein,
    6665
    Der Lindenraum, die braune Baute,
    Das morsche Kirchlein ist nicht mein.
    Und wünscht ich, dort mich zu erholen,
    Vor fremdem Schatten schaudert mir,
    Ist Dorn den Augen, Dorn den Sohlen;
    6670
    O! wär ich weit hinweg von hier!

    TÜRMER

    wie oben.
    Wie segelt froh der bunte Kahn
    Mit frischem Abendwind heran!
    Wie türmt sich sein behender Lauf
    In Kisten, Kasten, Säcken auf!
    Prächtiger Kahn, reich und bunt beladen mit Erzeugnissen fremder Weltgegenden.
    Mephistopheles. Die drei gewaltigen Gesellen.

    CHORUS

    6675
    Da landen wir,
    Da sind wir schon.
    Glückan dem Herren,
    Dem Patron!
    Sie steigen aus, die Güter werden ans Land geschafft.

    MEPHISTOPHELES

    So haben wir uns wohl erprobt,
    6680
    Vergnügt, wenn der Patron es lobt.
    Nur mit zwei Schiffen ging es fort,
    Mit zwanzig sind wir nun im Port.
    Was große Dinge wir getan,
    Das sieht man unsrer Ladung an.
    6685
    Das freie Meer befreit den Geist,
    Wer weiß da, was Besinnen heißt!
    Da fördert nur ein rascher Griff,
    Man fängt den Fisch, man fängt ein Schiff,
    Und ist man erst der Herr zu drei,
    6690
    Dann hakelt man das vierte bei;
    Da geht es denn dem fünften schlecht,
    Man hat Gewalt, so hat man Recht.
    Man fragt ums Was, und nicht ums Wie.
    Ich müßte keine Schiffahrt kennen:
    6695
    Krieg, Handel und Piraterie,
    Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.

    DIE DREI GEWALTIGEN GESELLEN

    Nicht Dank und Gruß!
    Nicht Gruß und Dank!
    Als brächten wir
    6700
    Dem Herrn Gestank.
    Er macht ein
    Widerlich Gesicht;
    Das Königsgut
    Gefällt ihm nicht.

    MEPHISTOPHELES

    6705
    Erwartet weiter
    Keinen Lohn!
    Nahmt ihr doch
    Euren Teil davon.

    DIE GESELLEN

    Das ist nur für
    6710
    Die Langeweil;
    Wir alle fordern
    Gleichen Teil.

    MEPHISTOPHELES

    Erst ordnet oben,
    Saal an Saal,
    6715
    Die Kostbarkeiten
    Allzumal!
    Und tritt er zu
    Der reichen Schau,
    Berechnet er alles
    6720
    Mehr genau,
    Er sich gewiß
    Nicht lumpen läßt
    Und gibt der Flotte
    Fest nach Fest.
    6725
    Die bunten Vögel kommen morgen,
    Für die werd ich zum besten sorgen.
    Die Ladung wird weggeschafft.

    MEPHISTOPHELES

    zu Faust.
    Mit ernster Stirn, mit düstrem Blick
    Vernimmst du dein erhaben Glück.
    Die hohe Weisheit wird gekrönt,
    6730
    Das Ufer ist dem Meer versöhnt;
    Vom Ufer nimmt, zu rascher Bahn,
    Das Meer die Schiffe willig an;
    So sprich, daß hier, hier vom Palast
    Dein Arm die ganze Welt umfaßt.
    6735
    Von dieser Stelle ging es aus,
    Hier stand das erste Bretterhaus;
    Ein Gräbchen ward hinabgeritzt,
    Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.
    Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß
    6740
    Erwarb des Meers, der Erde Preis.
    Von hier aus —

    FAUST

    Das verfluchte Hier!
    Das eben, leidig lastet's mir.
    Dir Vielgewandtem muß ich's sagen,
    6745
    Mir gibt's im Herzen Stich um Stich,
    Mir ist's unmöglich zu ertragen!
    Und wie ich's sage, schäm ich mich.
    Die Alten droben sollten weichen,
    Die Linden wünscht' ich mir zum Sitz,
    6750
    Die wenig Bäume, nicht mein eigen,
    Verderben mir den Weltbesitz.
    Dort wollt' ich, weit umherzuschauen,
    Von Ast zu Ast Gerüste bauen,
    Dem Blick eröffnen weite Bahn,
    6755
    Zu sehn, was alles ich getan,
    Zu überschaun mit einem Blick
    Des Menschengeistes Meisterstück,
    Betätigend mit klugem Sinn
    Der Völker breiten Wohngewinn.
    6760
    So sind am härtsten wir gequält,
    Im Reichtum fühlend, was uns fehlt.
    Des Glöckchens Klang, der Linden Duft
    Umfängt mich wie in Kirch und Gruft.
    Des allgewaltigen Willens Kür
    6765
    Bricht sich an diesem Sande hier.
    Wie schaff ich mir es vom Gemüte!
    Das Glöcklein läutet, und ich wüte.

    MEPHISTOPHELES

    Natürlich! daß ein Hauptverdruß
    Das Leben dir vergällen muß.
    6770
    Wer leugnet's! Jedem edlen Ohr
    Kommt das Geklingel widrig vor.
    Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel,
    Umnebelnd heitern Abendhimmel,
    Mischt sich in jegliches Begebnis,
    6775
    Vom ersten Bad bis zum Begräbnis,
    Als wäre zwischen Bim und Baum
    Das Leben ein verschollner Traum.

    FAUST

    Das Widerstehn, der Eigensinn
    Verkümmern herrlichsten Gewinn,
    6780
    Daß man, zu tiefer, grimmiger Pein,
    Ermüden muß, gerecht zu sein.

    MEPHISTOPHELES

    Was willst du dich denn hier genieren?
    Mußt du nicht längst kolonisieren?

    FAUST

    So geht und schafft sie mir zur Seite! —
    6785
    Das schöne Gütchen kennst du ja,
    Das ich den Alten ausersah.

    MEPHISTOPHELES

    Man trägt sie fort und setzt sie nieder,
    Eh man sich umsieht, stehn sie wieder;
    Nach überstandener Gewalt
    6790
    Versöhnt ein schöner Aufenthalt.
    Er pfeift gellend.
    Die Drei treten auf.

    MEPHISTOPHELES

    Kommt, wie der Herr gebieten läßt!
    Und morgen gibt's ein Flottenfest.

    DIE DREI

    Der alte Herr empfing uns schlecht,
    Ein flottes Fest ist uns zu Recht.
    Ab.

    MEPHISTOPHELES

    ad spectatores.
    6795
    Auch hier geschieht, was längst geschah,
    Denn Naboths Weinberg war schon da. Regum I, 21.

    TIEFE NACHT

    LYNKEUS DER TÜRMER

    auf der Schloßwarte singend.
    Zum Sehen geboren,
    Zum Schauen bestellt,
    Dem Turme geschworen,
    6800
    Gefällt mir die Welt.
    Ich blick in die Ferne,
    Ich seh in der Näh
    Den Mond und die Sterne,
    Den Wald und das Reh.
    6805
    So seh ich in allen
    Die ewige Zier,
    Und wie mir's gefallen,
    Gefall ich auch mir.
    Ihr glücklichen Augen,
    6810
    Was je ihr gesehn,
    Es sei wie es wolle,
    Es war doch so schön!
    Pause.
    Nicht allein mich zu ergetzen,
    6815
    Bin ich hier so hoch gestellt;
    Welch ein greuliches Entsetzen
    Droht mir aus der finstern Welt!
    Funkenblicke seh ich sprühen
    Durch der Linden Doppelnacht,
    6820
    Immer stärker wühlt ein Glühen,
    Von der Zugluft angefacht.
    Ach! die innre Hütte lodert,
    Die bemoost und feucht gestanden;
    Schnelle Hülfe wird gefordert,
    6825
    Keine Rettung ist vorhanden.
    Ach! die guten alten Leute,
    Sonst so sorglich um das Feuer,
    Werden sie dem Qualm zur Beute!
    Welch ein schrecklich Abenteuer!
    6830
    Flamme flammet, rot in Gluten
    Steht das schwarze Moosgestelle;
    Retteten sich nur die Guten
    Aus der wildentbrannten Hölle!
    Züngelnd lichte Blitze steigen
    6835
    Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;
    Äste dürr, die flackernd brennen,
    Glühen schnell und stürzen ein.
    Sollt ihr Augen dies erkennen!
    Muß ich so weitsichtig sein!
    6840
    Das Kapellchen bricht zusammen
    Von der Äste Sturz und Last.
    Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,
    Schon die Gipfel angefaßt.
    Bis zur Wurzel glühn die hohlen
    6845
    Stämme, purpurrot im Glühn. —
    Lange Pause, Gesang.
    Was sich sonst dem Blick empfohlen,
    Mit Jahrhunderten ist hin.

    FAUST

    auf dem Balkon, gegen die Dünen.
    Von oben welch ein singend Wimmern?
    6850
    Das Wort ist hier, der Ton zu spat.
    Mein Türmer jammert; mich, im Innern,
    Verdrießt die ungeduld'ge Tat.
    Doch sei der Lindenwuchs vernichtet
    Zu halbverkohlter Stämme Graun,
    6855
    Ein Luginsland ist bald errichtet,
    Um ins Unendliche zu schaun.
    Da seh ich auch die neue Wohnung,
    Die jenes alte Paar umschließt,
    Das, im Gefühl großmütiger Schonung,
    6860
    Der späten Tage froh genießt.

    MEPHISTOPHELES UND DIE DREIE

    unten.
    Da kommen wir mit vollem Trab;
    Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.
    Wir klopften an, wir pochten an,
    Und immer ward nicht aufgetan;
    6865
    Wir rüttelten, wir pochten fort,
    Da lag die morsche Türe dort;
    Wir riefen laut und drohten schwer,
    Allein wir fanden kein Gehör.
    Und wie's in solchem Fall geschicht,
    6870
    Sie hörten nicht, sie wollten nicht;
    Wir aber haben nicht gesäumt,
    Behende dir sie weggeräumt.
    Das Paar hat sich nicht viel gequält,
    Vor Schrecken fielen sie entseelt.
    6875
    Ein Fremder, der sich dort versteckt
    Und fechten wollte, ward gestreckt.
    In wilden Kampfes kurzer Zeit
    Von Kohlen, ringsumher gestreut,
    Entflammte Stroh. Nun lodert's frei,
    6880
    Als Scheiterhaufen dieser drei.

    FAUST

    Ward ihr für meine Worte taub?
    Tausch wollt' ich, wollte keinen Raub.
    Dem unbesonnenen wilden Streich,
    Ihm fluch ich; teilt es unter euch!

    CHORUS

    6885
    Das alte Wort, das Wort erschallt:
    Gehorche willig der Gewalt!
    Und bist du kühn und hältst du Stich,
    So wage Haus und Hof und — dich.
    Ab.

    FAUST

    auf dem Balkon.
    Die Sterne bergen Blick und Schein,
    6890
    Das Feuer sinkt und lodert klein;
    Ein Schauerwindchen fächelt's an,
    Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.
    Geboten schnell, zu schnell getan! —
    Was schwebet schattenhaft heran?

    MITTERNACHT

    Vier graue Weiber treten auf.

    ERSTE

    6895
    Ich heiße der Mangel.

    ZWEITE

    Ich heiße die Schuld.

    DRITTE

    Ich heiße die Sorge.

    VIERTE

    Ich heiße die Not.

    ZU DREI

    Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein;
    6900
    Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.

    MANGEL

    Da werd ich zum Schatten.

    SCHULD

    Da werd ich zunicht.

    NOT

    Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.

    SORGE

    Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
    6905
    Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.
    Sorge verschwindet.

    MANGEL

    Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier.

    SCHULD

    Ganz nah an der Seite verbind ich mich dir.

    NOT

    Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.

    ZU DREI

    Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
    6910
    Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,
    Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der — Tod.

    FAUST

    im Palast.
    Vier sah ich kommen, drei nur gehn;
    Den Sinn der Rede konnt' ich nicht verstehn.
    Es klang so nach, als hieß es — Not,
    6915
    Ein düstres Reimwort folgte — Tod.
    Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
    Noch hab ich mich ins Freie nicht gekämpft.
    Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,
    Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
    6920
    Stünd ich, Natur, vor dir ein Mann allein,
    Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein.
    Das war ich sonst, eh ich's im Düstern suchte,
    Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
    Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
    6925
    Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
    Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,
    In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht;
    Wir kehren froh von junger Flur zurück,
    Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.
    6930
    Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
    Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.
    Und so verschüchtert, stehen wir allein.
    Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.
    Erschüttert.
    6935
    Ist jemand hier?

    SORGE

    Die Frage fordert Ja!

    FAUST

    Und du, wer bist denn du?

    SORGE

    Bin einmal da.

    FAUST

    Entferne dich!

    SORGE

    6940
    Ich bin am rechten Ort.

    FAUST

    erst ergrimmt, dann besänftigt für sich.
    Nimm dich in Acht und sprich kein Zauberwort.

    SORGE

    Würde mich kein Ohr vernehmen,
    Müßt es doch im Herzen dröhnen;
    In verwandelter Gestalt
    6945
    Üb ich grimmige Gewalt.
    Auf den Pfaden, auf der Welle,
    Ewig ängstlicher Geselle,
    Stets gefunden, nie gesucht,
    So geschmeichelt wie verflucht. —
    6950
    Hast du die Sorge nie gekannt?

    FAUST

    Ich bin nur durch die Welt gerannt;
    Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
    Was nicht genügte, ließ ich fahren,
    Was mir entwischte, ließ ich ziehn.
    6955
    Ich habe nur begehrt und nur vollbracht
    Und abermals gewünscht und so mit Macht
    Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig,
    Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
    Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,
    6960
    Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
    Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
    Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
    Er stehe fest und sehe hier sich um;
    Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
    6965
    Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
    Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
    Er wandle so den Erdentag entlang;
    Wenn Geister spuken, geh er seinen Gang,
    Im Weiterschreiten find er Qual und Glück,
    6970
    Er, unbefriedigt jeden Augenblick!

    SORGE

    Wen ich einmal besitze,
    Dem ist alle Welt nichts nütze;
    Ewiges Düstre steigt herunter,
    Sonne geht nicht auf noch unter,
    6975
    Bei vollkommnen äußern Sinnen
    Wohnen Finsternisse drinnen,
    Und er weiß von allen Schätzen
    Sich nicht in Besitz zu setzen.
    Glück und Unglück wird zur Grille,
    6980
    Er verhungert in der Fülle;
    Sei es Wonne, sei es Plage,
    Schieb er's zu dem andern Tage,
    Ist der Zukunft nur gewärtig,
    Und so wird er niemals fertig.

    FAUST

    6985
    Hör auf! so kommst du mir nicht bei!
    Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
    Fahr hin! die schlechte Litanei,
    Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.

    SORGE

    Soll er gehen, soll er kommen?
    6990
    Der Entschluß ist ihm genommen;
    Auf gebahnten Weges Mitte
    Wankt er tastend halbe Schritte.
    Er verliert sich immer tiefer,
    Siehet alle Dinge schiefer,
    6995
    Sich und andre lästig drückend;
    Atemholend und erstickend;
    Nicht erstickt und ohne Leben,
    Nicht verzweiflend, nicht ergeben.
    So ein unaufhaltsam Rollen,
    7000
    Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
    Bald Befreien, bald Erdrücken,
    Halber Schlaf und schlecht Erquicken
    Heftet ihn an seine Stelle
    Und bereitet ihn zur Hölle.

    FAUST

    7005
    Unselige Gespenster! so behandelt ihr
    Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;
    Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
    In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.
    Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
    7010
    Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
    Doch deine Macht, Sorge, schleichend groß,
    Ich werde sie nicht anerkennen.

    SORGE

    Erfahre sie, wie ich geschwind
    Mich mit Verwünschung von dir wende!
    7015
    Die Menschen sind im ganzen Leben blind,
    Nun, Fauste, werde du's am Ende!
    Sie haucht ihn an. Ab.

    FAUST

    erblindet.
    Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
    Allein im Innern leuchtet helles Licht;
    Was ich gedacht, ich eil es zu vollbringen;
    7020
    Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.
    Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
    Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann.
    Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!
    Das Abgesteckte muß sogleich geraten.
    7025
    Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß
    Erfolgt der allerschönste Preis;
    Daß sich das größte Werk vollende,
    Genügt ein Geist für tausend Hände.

    GROSSER VORHOF DES PALASTS

    Fackeln.

    MEPHISTOPHELES

    als Aufseher voran.
    Herbei, herbei! Herein, herein!
    7030
    Ihr schlotternden Lemuren,
    Aus Bändern, Sehnen und Gebein
    Geflickte Halbnaturen.

    LEMUREN

    im Chor.
    Wir treten dir sogleich zur Hand,
    Und wie wir halb vernommen,
    7035
    Es gilt wohl gar ein weites Land,
    Das sollen wir bekommen.
    Gespitzte Pfähle, die sind da,
    Die Kette lang zum Messen;
    Warum an uns den Ruf geschah,
    7040
    Das haben wir vergessen.

    MEPHISTOPHELES

    Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
    Verfahret nur nach eignen Maßen!
    Der Längste lege längelang sich hin,
    Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen;
    7045
    Wie man's für unsre Väter tat,
    Vertieft ein längliches Quadrat!
    Aus dem Palast ins enge Haus,
    So dumm läuft es am Ende doch hinaus.

    LEMUREN

    mit neckischen Gebärden grabend.
    Wie jung ich war und lebt' und liebt',
    7050
    Mich deucht, das war wohl süße;
    Wo's fröhlich klang und lustig ging,
    Da rührten sich meine Füße.
    Nun hat das tückische Alter mich
    Mit seiner Krücke getroffen;
    7055
    Ich stolpert' über Grabes Tür,
    Warum stand sie just offen!

    FAUST

    aus dem Palaste tretend, tastet an den Türpfosten.
    Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!
    Es ist die Menge, die mir frönet,
    Die Erde mit sich selbst versöhnet,
    7060
    Den Wellen ihre Grenze setzt,
    Das Meer mit strengem Band umzieht.

    MEPHISTOPHELES

    beiseite.
    Du bist doch nur für uns bemüht
    Mit deinen Dämmen, deinen Buhnen;
    Denn du bereitest schon Neptunen,
    7065
    Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
    In jeder Art seid ihr verloren; —
    Die Elemente sind mit uns verschworen,
    Und auf Vernichtung läuft's hinaus.

    FAUST

    Aufseher!

    MEPHISTOPHELES

    7070
    Hier!

    FAUST

    Wie es auch möglich sei,
    Arbeiter schaffe Meng auf Menge,
    Ermuntere durch Genuß und Strenge,
    Bezahle, locke, presse bei!
    7075
    Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,
    Wie sich verlängt der unternommene Graben.

    MEPHISTOPHELES

    halblaut.
    Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
    Von keinem Graben, doch vom Grab.

    FAUST

    Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
    7080
    Verpestet alles schon Errungene;
    Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
    Das Letzte wär das Höchsterrungene.
    Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
    Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
    7085
    Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
    Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
    Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
    Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
    Im Innern hier ein paradiesisch Land,
    7090
    Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
    Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
    Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
    Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
    Das ist der Weisheit letzter Schluß:
    7095
    Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
    Der täglich sie erobern muß.
    Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
    Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
    Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
    7100
    Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
    Zum Augenblicke dürft ich sagen:
    „Verweile doch, du bist so schön!
    Es kann die Spur von meinen Erdetagen
    Nicht in Äonen untergehn.” —
    7105
    Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
    Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.
    Faust sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden.

    MEPHISTOPHELES

    Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
    So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
    Den letzten, schlechten, leeren Augenblick,
    7110
    Der Arme wünscht ihn festzuhalten.
    Der mir so kräftig widerstand,
    Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
    Die Uhr steht still —

    CHOR

    Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.
    7115
    Der Zeiger fällt.

    MEPHISTOPHELES

    Er fällt, es ist vollbracht.

    CHOR

    Es ist vorbei.

    MEPHISTOPHELES

    Vorbei! ein dummes Wort.
    Warum vorbei?
    7120
    Vorbei und reines Nicht, vollkommnes Einerlei!
    Was soll uns denn das ew'ge Schaffen!
    Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen!
    „Da ist's vorbei!” Was ist daran zu lesen?
    Es ist so gut, als wär es nicht gewesen,
    7125
    Und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre.
    Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.

    GRABLEGUNG

    LEMUR (SOLO)

    Wer hat das Haus so schlecht gebaut,
    Mit Schaufeln und mit Spaten?

    LEMUREN (CHOR)

    Dir, dumpfer Gast im hänfnen Gewand,
    7130
    Ist's viel zu gut geraten.

    LEMUR (SOLO)

    Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
    Wo blieben Tisch und Stühle?

    LEMUREN (CHOR)

    Es war auf kurze Zeit geborgt;
    Der Gläubiger sind so viele.

    MEPHISTOPHELES

    7135
    Der Körper liegt, und will der Geist entfliehn,
    Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; —
    Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,
    Dem Teufel Seelen zu entziehn.
    Auf altem Wege stößt man an,
    7140
    Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
    Sonst hätt ich es allein getan,
    Jetzt muß ich Helfershelfer holen.
    Uns geht's in allen Dingen schlecht!
    Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
    7145
    Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.
    Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus,
    Ich paßt' ihr auf und, wie die schnellste Maus,
    Schnapps! hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen.
    Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
    7150
    Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen;
    Die Elemente, die sich hassen,
    Die treiben sie am Ende schmählich fort.
    Und wenn ich Tag' und Stunden mich zerplage,
    Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage;
    7155
    Der alte Tod verlor die rasche Kraft,
    Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft;
    Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder —
    Es war nur Schein, das rührte, das regte sich wieder.
    Phantastisch-flügelmännische Beschwörungsgebärden.
    7160
    Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
    Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,
    Von altem Teufelsschrot und –korne,
    Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.
    Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!
    7165
    Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;
    Doch wird man auch bei diesem letzten Spiele
    Ins künftige nicht so bedenklich sein.
    Der gräuliche Höllenrachen tut sich links auf.
    Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
    7170
    Entquillt der Feuerstrom in Wut,
    Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
    Seh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.
    Die rote Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,
    Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;
    7175
    Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne,
    Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn.
    In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,
    So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
    Ihr tut sehr wohl, die Sünder zu erschrecken;
    7180
    Sie halten's doch für Lug und Trug und Traum.
    Zu den Dickteufeln vom kurzen, graden Horne.
    Nun, wanstige Schuften mit den Feuerbacken!
    Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;
    Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken!
    7185
    Hier unten lauert, ob's wie Phosphor gleißt:
    Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,
    Die rupft ihr aus, so ist's ein garstiger Wurm;
    Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln,
    Dann fort mit ihr im Feuerwirbelsturm!
    7190
    Paßt auf die niedern Regionen,
    Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
    Ob's ihr beliebte, da zu wohnen,
    So akkurat weiß man das nicht.
    Im Nabel ist sie gern zu Haus —
    7195
    Nehmt es in Acht, sie wischt euch dort heraus.
    Zu den Dürrteufeln vom langen, krummen Horne.
    Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen,
    Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast!
    Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,
    7200
    Daß ihr die Flatternde, die Flüchtige faßt.
    Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus,
    Und das Genie, es will gleich obenaus.
    Glorie von oben, rechts.

    HIMMLISCHE HEERSCHAR

    Folget, Gesandte,
    Himmelsverwandte,
    7205
    Gemächlichen Flugs:
    Sündern vergeben,
    Staub zu beleben;
    Allen Naturen
    Freundliche Spuren
    7210
    Wirket im Schweben
    Des weilenden Zugs!

    MEPHISTOPHELES

    Mißtöne hör ich, garstiges Geklimper,
    Von oben kommt's mit unwillkommnem Tag;
    Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
    7215
    Wie frömmelnder Geschmack sich's lieben mag.
    Ihr wißt, wie wir in tiefverruchten Stunden
    Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht;
    Das Schändlichste, was wir erfunden,
    Ist ihrer Andacht eben recht.
    7220
    Sie kommen gleisnerisch, die Laffen!
    So haben sie uns manchen weggeschnappt,
    Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen;
    Es sind auch Teufel, doch verkappt.
    Hier zu verlieren, wär euch ew'ge Schande;
    7225
    Ans Grab heran und haltet fest am Rande!

    CHOR DER ENGEL

    Rosen streuend.
    Rosen, ihr blendenden,
    Balsam versendenden!
    Flatternde, schwebende,
    Heimlich belebende,
    7230
    Zweigleinbeflügelte,
    Knospenentsiegelte,
    Eilet zu blühn.
    Frühling entsprieße,
    Purpur und Grün!
    7235
    Tragt Paradiese
    Dem Ruhenden hin.

    MEPHISTOPHELES

    zu den Satanen.
    Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?
    So haltet stand und laßt sie streuen.
    An seinen Platz ein jeder Gauch!
    7240
    Sie denken wohl, mit solchen Blümeleien
    Die heißen Teufel einzuschneien;
    Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.
    Nun pustet, Püstriche! — Genug, genug!
    Vor eurem Broden bleicht der ganze Flug. —
    7245
    Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen!
    Fürwahr, ihr habt zu stark geblasen.
    Daß ihr doch nie die rechten Maße kennt!
    Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich, dorrt, es brennt!
    Schon schwebt's heran mit giftig klaren Flammen;
    7250
    Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen! —
    Die Kraft erlischt! dahin ist aller Mut!
    Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.

    CHOR DER ENGEL

    Blüten, die seligen,
    Flammen, die fröhlichen,
    7255
    Liebe verbreiten sie,
    Wonne bereiten sie,
    Herz wie es mag.
    Worte, die wahren,
    Äther im Klaren,
    7260
    Ewigen Scharen
    Überall Tag!

    MEPHISTOPHELES

    O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
    Satane stehen auf den Köpfen,
    Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
    7265
    Und stürzen ärschlings in die Hölle.
    Gesegn' euch das verdiente heiße Bad!
    Ich aber bleib auf meiner Stelle. —
    Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend.
    Irrlichter, fort! Du, leuchte noch so stark,
    7270
    Du bleibst, gehascht, ein ekler Gallert-Quark.
    Was flatterst du? Willst du dich packen! —
    Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.

    CHOR DER ENGEL

    Was euch nicht angehört,
    Müsset ihr meiden,
    7275
    Was euch das Innre stört,
    Dürft ihr nicht leiden.
    Dringt es gewaltig ein,
    Müssen wir tüchtig sein.
    Liebe nur Liebende
    7280
    Führet herein!

    MEPHISTOPHELES

    Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,
    Ein überteuflisch Element!
    Weit spitziger als Höllenfeuer! —
    Drum jammert ihr so ungeheuer,
    7285
    Unglückliche Verliebte! die, verschmäht,
    Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.
    Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?
    Bin ich mit ihr doch in geschwornem Streite!
    Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.
    7290
    Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen?
    Ich mag sie gerne sehn, die allerliebsten Jungen;
    Was hält mich ab, daß ich nicht fluchen darf? —
    Und wenn ich mich betören lasse,
    Wer heißt denn künftighin der Tor?
    7295
    Die Wetterbuben, die ich hasse,
    Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor! —
    Ihr schönen Kinder, laßt mich wissen:
    Seid ihr nicht auch von Luzifers Geschlecht?
    Ihr seid so hübsch, fürwahr ich möcht euch küssen,
    7300
    Mir ist's, als kämt ihr eben recht.
    Es ist mir so behaglich, so natürlich,
    Als hätt ich euch schon tausendmal gesehn;
    So heimlich-kätzchenhaft begierlich;
    Mit jedem Blick aufs Neue schöner schön.
    7305
    O nähert euch, o gönnt mir einen Blick!

    ENGEL

    Wir kommen schon, warum weichst du zurück?
    Wir nähern uns, und wenn du kannst, so bleib!
    Die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.

    MEPHISTOPHELES

    der ins Proszenium gedrängt wird.
    Ihr scheltet uns verdammte Geister
    Und seid die wahren Hexenmeister;
    7310
    Denn ihr verführet Mann und Weib. —
    Welch ein verfluchtes Abenteuer!
    Ist dies das Liebeselement?
    Der ganze Körper steht in Feuer,
    Ich fühle kaum, daß es im Nacken brennt. —
    7315
    Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,
    Ein bißchen weltlicher bewegt die holden Glieder;
    Fürwahr, der Ernst steht euch recht schön;
    Doch möcht ich euch nur einmal lächeln sehn!
    Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
    7320
    Ich meine so, wie wenn Verliebte blicken:
    Ein kleiner Zug am Mund, so ist's getan.
    Dich, langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden,
    Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
    So sieh mich doch ein wenig lüstern an!
    7325
    Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,
    Das lange Faltenhemd ist übersittlich —
    Sie wenden sich — von hinten anzusehen! —
    Die Racker sind doch gar zu appetitlich!

    CHOR DER ENGEL

    Wendet zur Klarheit
    7330
    Euch, liebende Flammen!
    Die sich verdammen,
    Heile die Wahrheit;
    Daß sie vom Bösen
    Froh sich erlösen,
    7335
    Um in dem Allverein
    Selig zu sein.

    MEPHISTOPHELES

    sich fassend.
    Wie wird mir! — Hiobsartig, Beul an Beule
    Der ganze Kerl, dem's vor sich selber graut,
    Und triumphiert zugleich, wenn er sich ganz durchschaut,
    7340
    Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut;
    Gerettet sind die edlen Teufelsteile,
    Der Liebespuk, er wirft sich auf die Haut;
    Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,
    Und wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen!

    CHOR DER ENGEL

    7345
    Heilige Gluten!
    Wen sie umschweben,
    Fühlt sich im Leben
    Selig mit Guten.
    Alle vereinigt
    7350
    Hebt euch und preist!
    Luft ist gereinigt,
    Atme der Geist!
    Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.

    MEPHISTOPHELES

    sich umsehend.
    Doch wie? — wo sind sie hingezogen?
    Unmündiges Volk, du hast mich überrascht,
    7355
    Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
    Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
    Mir ist ein großer, einziger Schatz entwendet:
    Die hohe Seele, die sich mir verpfändet,
    Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
    7360
    Bei wem soll ich mich nun beklagen?
    Wer schafft mir mein erworbenes Recht?
    Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
    Du hast's verdient, es geht dir grimmig schlecht.
    Ich habe schimpflich mißgehandelt,
    7365
    Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan;
    Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
    Den ausgepichten Teufel an.
    Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding
    Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
    7370
    So ist fürwahr die Torheit nicht gering,
    Die seiner sich am Schluß bemächtigt.

    BERGSCHLUCHTEN

    Wald, Fels, Einöde.
    Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften.

    CHOR UND ECHO

    Waldung, sie schwankt heran,
    Felsen, sie lasten dran,
    Wurzeln, sie klammern an,
    7375
    Stamm dicht an Stamm hinan,
    Woge nach Woge spritzt,
    Höhle, die tiefste, schützt.
    Löwen, sie schleichen stumm —
    freundlich um uns herum,
    7380
    Ehren geweihten Ort,
    Heiligen Liebeshort.

    PATER ECSTATICUS

    auf und abschwebend.
    Ewiger Wonnebrand,
    Glühendes Liebeband,
    Siedender Schmerz der Brust,
    7385
    Schäumende Gotteslust.
    Pfeile, durchdringet mich,
    Lanzen, bezwinget mich,
    Keulen, zerschmettert mich,
    Blitze, durchwettert mich!
    7390
    Daß ja das Nichtige
    Alles verflüchtige,
    Glänze der Dauerstern,
    Ewiger Liebe Kern.

    PATER PROFUNDUS

    tiefe Region.
    Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
    7395
    Auf tiefem Abgrund lastend ruht,
    Wie tausend Bäche strahlend fließen
    Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,
    Wie strack mit eignem kräftigen Triebe
    Der Stamm sich in die Lüfte trägt:
    7400
    So ist es die allmächtige Liebe,
    Die alles bildet, alles hegt.
    Ist um mich her ein wildes Brausen,
    Als wogte Wald und Felsengrund,
    Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,
    7405
    Die Wasserfülle sich zum Schlund,
    Berufen, gleich das Tal zu wässern;
    Der Blitz, der flammend niederschlug,
    Die Atmosphäre zu verbessern,
    Die Gift und Dunst im Busen trug —
    7410
    Sind Liebesboten, sie verkünden,
    Was ewig schaffend uns umwallt.
    Mein Innres mög es auch entzünden,
    Wo sich der Geist, verworren, kalt,
    Verquält in stumpfer Sinne Schranken,
    7415
    Scharfangeschloßnem Kettenschmerz.
    O Gott! beschwichtige die Gedanken,
    Erleuchte mein bedürftig Herz!

    PATER SERAPHICUS

    mittlere Region.
    Welch ein Morgenwölkchen schwebet
    Durch der Tannen schwankend Haar!
    7420
    Ahn ich, was im Innern lebet?
    Es ist junge Geisterschar.

    CHOR SELIGER KNABEN

    Sag uns, Vater, wo wir wallen,
    Sag uns, Guter, wer wir sind?
    Glücklich sind wir: allen, allen
    7425
    Ist das Dasein so gelind.

    PATER SERAPHICUS

    Knaben! Mitternachts Geborne,
    Halb erschlossen Geist und Sinn,
    Für die Eltern gleich Verlorne,
    Für die Engel zum Gewinn.
    7430
    Daß ein Liebender zugegen,
    Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;
    Doch von schroffen Erdewegen,
    Glückliche! habt ihr keine Spur.
    Steigt herab in meiner Augen
    7435
    Welt– und erdgemäß Organ,
    Könnt sie als die euren brauchen,
    Schaut euch diese Gegend an!
    Er nimmt sie in sich.
    Das sind Bäume, das sind Felsen,
    7440
    Wasserstrom, der abgestürzt
    Und mit ungeheurem Wälzen
    Sich den steilen Weg verkürzt.

    SELIGE KNABEN

    von innen.
    Das ist mächtig anzuschauen,
    Doch zu düster ist der Ort,
    7445
    Schüttelt uns mit Schreck und Grauen.
    Edler, Guter, laß uns fort!

    PATER SERAPHICUS

    Steigt hinan zu höherm Kreise,
    Wachset immer unvermerkt,
    Wie, nach ewig reiner Weise,
    7450
    Gottes Gegenwart verstärkt.
    Denn das ist der Geister Nahrung,
    Die im freisten Äther waltet:
    Ewigen Liebens Offenbarung,
    Die zur Seligkeit entfaltet.

    CHOR SELIGER KNABEN

    um die höchsten Gipfel kreisend.
    7455
    Hände verschlinget
    Freudig zum Ringverein,
    Regt euch und singet
    Heil'ge Gefühle drein!
    Göttlich belehret,
    7460
    Dürft ihr vertrauen;
    Den ihr verehret,
    Werdet ihr schauen.

    ENGEL

    schwebend in der höhern Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend.
    Gerettet ist das edle Glied
    Der Geisterwelt vom Bösen,
    7465
    Wer immer strebend sich bemüht,
    Den können wir erlösen.
    Und hat an ihm die Liebe gar
    Von oben teilgenommen,
    Begegnet ihm die selige Schar
    7470
    Mit herzlichem Willkommen.

    DIE JÜNGEREN ENGEL

    Jene Rosen aus den Händen
    Liebend-heiliger Büßerinnen
    Halfen uns den Sieg gewinnen,
    Uns das hohe Werk vollenden,
    7475
    Diesen Seelenschatz erbeuten.
    Böse wichen, als wir streuten,
    Teufel flohen, als wir trafen.
    Statt gewohnter Höllenstrafen
    Fühlten Liebesqual die Geister;
    7480
    Selbst der alte Satansmeister
    War von spitzer Pein durchdrungen.
    Jauchzet auf! es ist gelungen.

    DIE VOLLENDETEREN ENGEL

    Uns bleibt ein Erdenrest
    Zu tragen peinlich,
    7485
    Und wär er von Asbest,
    Er ist nicht reinlich.
    Wenn starke Geisteskraft
    Die Elemente
    An sich herangerafft,
    7490
    Kein Engel trennte
    Geeinte Zwienatur
    Der innigen beiden,
    Die ewige Liebe nur
    Vermag's zu scheiden.

    DIE JÜNGEREN ENGEL

    7495
    Nebelnd um Felsenhöh
    Spür ich soeben,
    Regend sich in der Näh,
    Ein Geisterleben.
    Die Wölkchen werden klar,
    7500
    Ich seh bewegte Schar
    Seliger Knaben,
    Los von der Erde Druck,
    Im Kreis gesellt,
    Die sich erlaben
    7505
    Am neuen Lenz und Schmuck
    Der obern Welt.
    Sei er zum Anbeginn,
    Steigendem Vollgewinn
    Diesen gesellt!

    DIE SELIGEN KNABEN

    7510
    Freudig empfangen wir
    Diesen im Puppenstand;
    Also erlangen wir
    Englisches Unterpfand.
    Löset die Flocken los,
    7515
    Die ihn umgeben!
    Schon ist er schön und groß
    Von heiligem Leben.

    DOCTOR MARIANUS

    in der höchsten, reinlichsten Zelle.
    Hier ist die Aussicht frei,
    Der Geist erhoben.
    7520
    Dort ziehen Fraun vorbei,
    Schwebend nach oben.
    Die Herrliche mitteninn
    Im Sternenkranze,
    Die Himmelskönigin,
    7525
    Ich seh's am Glanze.
    Entzückt.
    Höchste Herrscherin der Welt!
    Lasse mich im blauen,
    Ausgespannten Himmelszelt
    7530
    Dein Geheimnis schauen.
    Billige, was des Mannes Brust
    Ernst und zart beweget
    Und mit heiliger Liebeslust
    Dir entgegenträget.
    7535
    Unbezwinglich unser Mut,
    Wenn du hehr gebietest;
    Plötzlich mildert sich die Glut,
    Wie du uns befriedest.
    Jungfrau, rein im schönsten Sinn,
    7540
    Mutter, Ehren würdig,
    Uns erwählte Königin,
    Göttern ebenbürtig.
    Um sie verschlingen
    7545
    Sich leichte Wölkchen,
    Sind Büßerinnen,
    Ein zartes Völkchen,
    Um ihre Kniee
    Den Äther schlürfend,
    7550
    Gnade bedürfend.
    Dir, der Unberührbaren,
    Ist es nicht benommen,
    Daß die leicht Verführbaren
    Traulich zu dir kommen.
    7555
    In die Schwachheit hingerafft,
    Sind sie schwer zu retten;
    Wer zerreißt aus eigner Kraft
    Der Gelüste Ketten?
    Wie entgleitet schnell der Fuß
    7560
    Schiefem, glattem Boden?
    Wen betört nicht Blick und Gruß,
    Schmeichelhafter Odem?
    Mater gloriosa schwebt einher.

    CHOR DER BÜSSERINNEN

    Du schwebst zu Höhen
    Der ewigen Reiche,
    7565
    Vernimm das Flehen,
    Du Ohnegleiche,
    Du Gnadenreiche!

    MAGNA PECCATRIX

    St. Lucae VII, 36.
    Bei der Liebe, die den Füßen
    Deines gottverklärten Sohnes
    7570
    Tränen ließ zum Balsam fließen,
    Trotz des Pharisäerhohnes;
    Beim Gefäße, das so reichlich
    Tropfte Wohlgeruch hernieder,
    Bei den Locken, die so weichlich
    7575
    Trockneten die heil'gen Glieder —

    MULIER SAMARITANA

    St. Joh. IV.
    Bei dem Bronn, zu dem schon weiland
    Abram ließ die Herde führen,
    Bei dem Eimer, der dem Heiland
    Kühl die Lippe durft' berühren;
    7580
    Bei der reinen, reichen Quelle,
    Die nun dorther sich ergießet,
    Überflüssig, ewig helle
    Rings durch alle Welten fließet —

    MARIA AEGYPTIACA

    Acta Sanctorum.
    Bei dem hochgeweihten Orte,
    7585
    Wo den Herrn man niederließ,
    Bei dem Arm, der von der Pforte
    Warnend mich zurücke stieß;
    Bei der vierzigjährigen Buße,
    Der ich treu in Wüsten blieb,
    7590
    Bei dem seligen Scheidegruße,
    Den im Sand ich niederschrieb —

    ZU DREI

    Die du großen Sünderinnen
    Deine Nähe nicht verweigerst
    Und ein büßendes Gewinnen
    7595
    In die Ewigkeiten steigerst,
    Gönn auch dieser guten Seele,
    Die sich einmal nur vergessen,
    Die nicht ahnte, daß sie fehlte,
    Dein Verzeihen angemessen!

    UNA POENITENTIUM

    sonst Gretchen genannt. Sich anschmiegend.
    7600
    Neige, neige,
    Du Ohnegleiche,
    Du Strahlenreiche,
    Dein Antlitz gnädig meinem Glück!
    Der früh Geliebte,
    7605
    Nicht mehr Getrübte,
    Er kommt zurück.

    SELIGE KNABEN

    in Kreisbewegung sich nähernd.
    Er überwächst uns schon
    An mächtigen Gliedern,
    Wird treuer Pflege Lohn
    7610
    Reichlich erwidern.
    Wir wurden früh entfernt
    Von Lebechören;
    Doch dieser hat gelernt,
    Er wird uns lehren.

    DIE EINE BÜSSERIN

    sonst Gretchen genannt.
    7615
    Vom edlen Geisterchor umgeben,
    Wird sich der Neue kaum gewahr,
    Er ahnet kaum das frische Leben,
    So gleicht er schon der heiligen Schar.
    Sieh, wie er jedem Erdenbande
    7620
    Der alten Hülle sich entrafft
    Und aus ätherischem Gewande
    Hervortritt erste Jugendkraft.
    Vergönne mir, ihn zu belehren,
    Noch blendet ihn der neue Tag.

    MATER GLORIOSA

    7625
    Komm! hebe dich zu höhern Sphären!
    Wenn er dich ahnet, folgt er nach.

    DOCTOR MARIANUS

    auf dem Angesicht anbetend.
    Blicket auf zum Retterblick,
    Alle reuig Zarten,
    Euch zu seligem Geschick
    7630
    Dankend umzuarten.
    Werde jeder bessre Sinn
    Dir zum Dienst erbötig;
    Jungfrau, Mutter, Königin,
    Göttin, bleibe gnädig!

    CHORUS MYSTICUS

    7635
    Alles Vergängliche
    Ist nur ein Gleichnis;
    Das Unzulängliche,
    Hier wird's Ereignis;
    Das Unbeschreibliche,
    7640
    Hier ist's getan;
    Das Ewig-Weibliche
    Zieht uns hinan.

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