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Artur Schnitzler, Reigen

    Arthur SchnitzlerReigenZehn Dialoge

    geschrieben Winter 1896–97

    PERSONEN

    1. DIE DIRNE
    2. DER SOLDAT
    3. DAS STUBENMÄDCHEN
    4. DER JUNGE HERR
    5. DIE JUNGE FRAU
    6. DER EHEGATTE
    7. DAS SÜSSE MÄDEL
    8. DER DICHTER
    9. DIE SCHAUSPIELERIN
    10. DER GRAF

    DIE DIRNE UND DER SOLDAT

    Spätabends. An der Augartenbrücke.
    Soldat kommt pfeifend, will nach Hause.

    DIRNE

    1
    Komm, mein schöner Engel.
    Soldat wendet sich um und geht wieder weiter.

    DIRNE

    2

    Willst du nicht mit mir kommen?

    SOLDAT

    3

    Ah, ich bin der schöne Engel?

    DIRNE

    4

    Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir. Ich wohn' gleich in der Näh'.

    SOLDAT

    5

    Ich hab' keine Zeit. Ich muß in die Kasern'!

    DIRNE

    6

    In die Kasern' kommst immer noch zurecht. Bei mir is besser.

    SOLDAT

    ihr nahe:
    7

    Das ist schon möglich.

    DIRNE

    8

    Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.

    SOLDAT

    9

    Lächerlich! Wachmann! Ich hab' auch mein Seiteng'wehr!

    DIRNE

    10

    Geh, komm mit.

    SOLDAT

    11

    Laß mich in Ruh'. Geld hab' ich eh keins.

    DIRNE

    12

    Ich brauch' kein Geld.

    SOLDAT

    bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne.
    13

    Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du nachher?

    DIRNE

    14

    Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du, kann's immer umsonst bei mir haben.

    SOLDAT

    15

    Du bist am End' die, von der mir der Huber erzählt hat. —

    DIRNE

    16

    Ich kenn' kein Huber nicht.

    SOLDAT

    17

    Du wirst schon die sein. Weißt — in dem Kaffeehaus in der Schiffgassen — von dort ist er mit dir z' Haus gangen.

    DIRNE

    18

    Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen z' Haus gangen… oh! oh! —

    SOLDAT

    19

    Also gehn wir, gehn wir.

    DIRNE

    20

    Was, jetzt hast's eilig?

    SOLDAT

    21

    Na, worauf soll'n wir noch warten? Und um zehn muß ich in der Kasern' sein.

    DIRNE

    22

    Wie lang dienst denn schon?

    SOLDAT

    23

    Was geht denn das dich an? Wohnst weit?

    DIRNE

    24

    Zehn Minuten zum Gehn.

    SOLDAT

    25

    Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.

    DIRNE

    küßt ihn.
    26

    Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern hab'!

    SOLDAT

    27

    Mir nicht. Nein, ich geh' nicht mit dir, es ist mir zu weit.

    DIRNE

    28

    Weißt was, komm morgen am Nachmittag.

    SOLDAT

    29

    Gut is. Gib mir deine Adresse.

    DIRNE

    30

    Aber du kommst am End' nicht.

    SOLDAT

    31

    Wenn ich dir's sag'!

    DIRNE

    32

    Du, weißt was — wenn's dir zu weit ist heut Abend zu mir — da… da…

    weist auf die Donau.

    SOLDAT

    33

    Was ist das?

    DIRNE

    34

    Da ist auch schön ruhig… jetzt kommt kein Mensch.

    SOLDAT

    35

    Ah, das ist nicht das Rechte.

    DIRNE

    36

    Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch's Leben haben.

    SOLDAT

    37

    So komm — aber g'schwind!

    DIRNE

    38

    Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.

    SOLDAT

    39

    Wär' eh das Beste.

    DIRNE

    40

    Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen wir zu einer Bank.

    SOLDAT

    41

    Kennst dich da gut aus.

    DIRNE

    42

    So einen wie dich möcht' ich zum Geliebten.

    SOLDAT

    43

    Ich tät dir zu viel eifern.

    DIRNE

    44

    Das möcht ich dir schon abgewöhnen.

    SOLDAT

    45

    Ha —

    DIRNE

    46

    Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich ein Wächter her verirrt. Sollt man glauben, daß wir da mitten in der Wienerstadt sind?

    SOLDAT

    47

    Daher komm, daher.

    DIRNE

    48

    Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.

    SOLDAT

    hat sie gepackt.
    49

    Ah, du —

    DIRNE

    50

    Halt dich nur fest an.

    SOLDAT

    51

    Hab' kein Angst…


    DIRNE

    52

    Auf der Bank wär's schon besser gewesen.

    SOLDAT

    53

    Da oder da… Na, krall aufi.

    DIRNE

    54

    Was läufst denn so —

    SOLDAT

    55

    Ich muß in die Kasern', ich komm' eh schon zu spät.

    DIRNE

    56

    Geh, du, wie heißt denn?

    SOLDAT

    57

    Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?

    DIRNE

    58

    Ich heiß Leocadia.

    SOLDAT

    59

    Ha! — So an Namen hab' ich auch noch nie gehört.

    DIRNE

    60

    Du!

    SOLDAT

    61

    Na, was willst denn?

    DIRNE

    62

    Geh, ein Sechserl für 'n Hausmeister gib mir wenigstens!

    SOLDAT

    63

    Ha!… Glaubst, ich bin deine Wurzen… Servus! Leocadia…

    DIRNE

    64

    Strizzi! Fallott! —

    Er ist verschwunden.

    DER SOLDAT UND DAS STUBENMÄDCHEN

    Prater. Sonntagabend. Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater, auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt. Der Soldat. Das Stubenmädchen.

    STUBENMÄDCHEN

    65

    Jetzt sagen S' mir aber, warum S' durchaus schon haben fortgehen müssen.

    Soldat lacht verlegen, dumm.

    STUBENMÄDCHEN

    66

    Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz' so gern.

    Soldat faßt sie um die Taille.

    STUBENMÄDCHEN

    läßt’s geschehen.
    67

    Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S' mich so fest?

    SOLDAT

    68

    Wie heißen S'? Kathi?

    STUBENMÄDCHEN

    69

    Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.

    SOLDAT

    70

    Ich weiß, ich weiß schon… Marie.

    STUBENMÄDCHEN

    71

    Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg' so eine Angst.

    SOLDAT

    72

    Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S' Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

    STUBENMÄDCHEN

    73

    Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S', gehn wir zurück! — Und so dunkel!

    SOLDAT

    zieht an seiner Virginierzigarre, daß das rote Ende leuchtet.
    74

    's wird schon lichter. Haha! O, du Schatzerl!

    STUBENMÄDCHEN

    75

    Ah, was machen S' denn? Wenn ich das gewußt hätt'!

    SOLDAT

    76

    Also der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als Sie, Fräul'n Marie.

    STUBENMÄDCHEN

    77

    Haben S' denn bei allen so probiert?

    SOLDAT

    78

    Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

    STUBENMÄDCHEN

    79

    Aber mit der blonden mit dem schiefen Gesicht haben S' doch mehr tanzt als mit mir.

    SOLDAT

    80

    Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

    STUBENMÄDCHEN

    81

    Von dem Korporal mit dem aufdrehten Schnurrbart?

    SOLDAT

    82

    Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S', der im Anfang am Tisch mit mir g'sessen ist, der so heisrig red't.

    STUBENMÄDCHEN

    83

    Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

    SOLDAT

    84

    Hat er Ihnen was tan? Dem möcht ich's zeigen! Was hat er Ihnen tan?

    STUBENMÄDCHEN

    85

    Oh nichts — ich hab' nur gesehn, wie er mit die andern ist.

    SOLDAT

    86

    Sagen S', Fräulein Marie…

    STUBENMÄDCHEN

    87

    Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

    SOLDAT

    88

    Pahdon! — Fräul'n Marie. Sagen wir uns Du.

    STUBENMÄDCHEN

    89

    Wir sein noch nicht so gute Bekannte. —

    SOLDAT

    90

    Es können sich gar viele nicht leiden und sagen doch Du zueinander.

    STUBENMÄDCHEN

    91

    's nächstemal, wenn wir… Aber, Herr Franz —

    SOLDAT

    92

    Sie haben sich meinen Namen g'merkt?

    STUBENMÄDCHEN

    93

    Aber, Herr Franz…

    SOLDAT

    94

    Sagen S' Franz, Fräulein Marie.

    STUBENMÄDCHEN

    95

    So sein S' nicht so keck — aber pst, wenn wer kommen tät!

    SOLDAT

    96

    Und wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.

    STUBENMÄDCHEN

    97

    Aber um Gotteswillen, wohin kommen wir denn da?

    SOLDAT

    98

    Sehn S', da sind zwei grad wie mir.

    STUBENMÄDCHEN

    99

    Wo denn? Ich seh' gar nichts.

    SOLDAT

    100

    Da… vor uns.

    STUBENMÄDCHEN

    101

    Warum sagen S' denn: zwei wie mir?

    SOLDAT

    102

    Na, ich mein' halt, die haben sich auch gern.

    STUBENMÄDCHEN

    103

    Aber geben S' doch acht, was ist denn da, jetzt wär ich beinah g'fallen.

    SOLDAT

    104

    Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.

    STUBENMÄDCHEN

    105

    Stoßen S' doch nicht so, ich fall' ja um.

    SOLDAT

    106

    Pst, nicht so laut.

    STUBENMÄDCHEN

    107

    Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. — Aber was machen S' denn… aber —

    SOLDAT

    108

    Da ist jetzt weit und breit keine Seel'.

    STUBENMÄDCHEN

    109

    So gehn wir zurück, wo Leut' sein.

    SOLDAT

    110

    Wir brauchen keine Leut', was, Marie, wir brauchen… dazu… haha.

    STUBENMÄDCHEN

    111

    Aber, Herr Franz, bitt' Sie, um Gotteswillen, schaun S', wenn ich das… gewußt… oh… oh… komm!…


    SOLDAT

    selig.
    112

    Herrgott noch einmal… ah…

    STUBENMÄDCHEN

    113

    … Ich kann dein G'sicht gar nicht sehn.

    SOLDAT

    114

    A was — G'sicht…


    SOLDAT

    115

    Ja, Sie, Fräul'n Marie, da im Gras können S' nicht liegen bleiben.

    STUBENMÄDCHEN

    116

    Geh, Franz, hilf mir.

    SOLDAT

    117

    Na, komm zugi.

    STUBENMÄDCHEN

    118

    Oh Gott, Franz.

    SOLDAT

    119

    Na ja, was ist denn mit dem Franz?

    STUBENMÄDCHEN

    120

    Du bist ein schlechter Mensch, Franz.

    SOLDAT

    121

    Ja, ja. Geh, wart ein bissel.

    STUBENMÄDCHEN

    122

    Was laßt mich denn aus?

    SOLDAT

    123

    Na, die Virginier werd' ich mir doch anzünden dürfen.

    STUBENMÄDCHEN

    124

    Es ist so dunkel.

    SOLDAT

    125

    Morgen früh ist schon wieder licht.

    STUBENMÄDCHEN

    126

    Sag wenigstens, hast mich gern?

    SOLDAT

    127

    Na, das mußt doch g'spürt haben, Fräul'n Marie, ha!

    STUBENMÄDCHEN

    128

    Wohin gehn wir denn?

    SOLDAT

    129

    Na, zurück.

    STUBENMÄDCHEN

    130

    Geh, bitt' dich, nicht so schnell!

    SOLDAT

    131

    Na, was ist denn? Ich geh' nicht gern in der Finstern.

    STUBENMÄDCHEN

    132

    Sag, Franz, hast mich gern?

    SOLDAT

    133

    Aber grad hab' ich's g'sagt, daß ich dich gern hab'!

    STUBENMÄDCHEN

    134

    Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?

    SOLDAT

    gnädig.
    135

    Da… Hörst — jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

    STUBENMÄDCHEN

    136

    Du möchtst am End' gar wieder tanzen gehn?

    SOLDAT

    137

    Na freilich, was denn?

    STUBENMÄDCHEN

    138

    Ja, Franz, schau, ich muß zuhaus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei Frau ist so eine… die möcht am liebsten, man ging gar nicht fort.

    SOLDAT

    139

    Na ja, geh halt zuhaus.

    STUBENMÄDCHEN

    140

    Ich hab' halt dacht, Herr Franz, Sie werden mich z'haus führen.

    SOLDAT

    141

    Z'hausführen? Ah!

    STUBENMÄDCHEN

    142

    Gehn S', es ist so traurig, allein z'haus gehn.

    SOLDAT

    143

    Wo wohnen S' denn?

    STUBENMÄDCHEN

    144

    Es ist gar nicht so weit — in der Porzellangasse.

    SOLDAT

    145

    So? Ja, da haben wir ja einen Weg… aber jetzt ist's mir zu früh… jetzt wird noch draht, heut hab' ich über Zeit… vor zwölf brauch' ich nicht in der Kasern' zu sein. I geh' noch tanzen.

    STUBENMÄDCHEN

    146

    Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

    SOLDAT

    147

    Ha! — Der ihr G'sicht ist gar nicht so schief.

    STUBENMÄDCHEN

    148

    Oh Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machens sicher mit einer jeden so.

    SOLDAT

    149

    Das wär z'viel! —

    STUBENMÄDCHEN

    150

    Franz, bitt schön, heut nimmer, — heut bleiben S' mit mir, schaun S' —

    SOLDAT

    151

    Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd' ich doch noch dürfen.

    STUBENMÄDCHEN

    152

    Ich tanz' heut mit kein mehr!

    SOLDAT

    153

    Da ist er ja schon…

    STUBENMÄDCHEN

    154

    Wer denn?

    SOLDAT

    155

    Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s' das… tadarada tadarada singt mit… Also, wannst auf mich warten willst, so führ' ich dich z'haus … wenn nicht… Servus —

    STUBENMÄDCHEN

    156

    Ja, ich werd' warten.

    Sie treten in den Tanzsaal ein.

    SOLDAT

    157

    Wissen S', Fräul'n Marie, ein Glas Bier lassen S' Ihnen geben. Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch: Mein Fräulein, darf ich bitten? —

    DAS STUBENMÄDCHEN UND DER JUNGE HERR

    Heißer Sommernachmittag. — Die Eltern sind schon auf dem Lande. — Die Köchin hat Ausgang. — Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten, der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer des jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer des jungen Herrn. Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht, und liest einen französischen Roman.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    158

    Bitt' schön, junger Herr?

    DER JUNGE HERR

    159

    Ah ja, Marie, ah ja, ich hab' geläutet, ja… was hab' ich nur… ja richtig, die Rouletten lassen S' herunter, Marie… Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind… ja…

    Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter. DER JUNGE HERR liest weiter.
    160

    Was machen S' denn, Marie? Ah ja. Jetzt sieht man aber gar nichts zum Lesen.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    161

    Der junge Herr ist halt immer so fleißig.

    DER JUNGE HERR

    überhört das vornehm:
    162

    So, ist gut.

    Marie geht. DER JUNGE HERR versucht weiterzulesen; läßt bald das Buch fallen, klingelt wieder. DAS STUBENMÄDCHEN erscheint.
    163

    Sie, Marie… ja, was ich habe sagen wollen… ja… ist vielleicht ein Kognak zu Haus?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    164

    Ja, der wird eingesperrt sein.

    DER JUNGE HERR

    165

    Na, wer hat denn die Schlüssel?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    166

    Die Schlüssel hat die Lini.

    DER JUNGE HERR

    167

    Wer ist die Lini?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    168

    Die Köchin, Herr Alfred.

    DER JUNGE HERR

    169

    Na, so sagen S' es halt der Lini.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    170

    Ja, die Lini hat heut Ausgang.

    DER JUNGE HERR

    171

    So…

    DAS STUBENMÄDCHEN

    172

    Soll ich dem jungen Herrn vielleicht aus dem Kaffeehaus…

    DER JUNGE HERR

    173

    Ah nein… es ist so heiß genug. Ich brauch' keinen Kognak. Wissen S', Marie, bringen Sie mir ein Glas Wasser. Pst, Marie — aber laufen lassen, daß es recht kalt ist. —

    Das Stubenmädchen ab. Der Junge Herr sieht ihr nach, bei der Tür wendet sich das Stubenmädchen nach ihm um; der junge Herr schaut in die Luft. — Das Stubenmädchen dreht den Hahn der Wasserleitung auf, läßt das Wasser laufen. Während dem geht sie in ihr kleines Kabinett, wäscht sich die Hände, richtet vor dem Spiegel ihre Schneckerln. Dann bringt sie dem jungen Herrn das Glas Wasser. Sie tritt zum Diwan. Der Junge Herr richtet sich zur Hälfte auf, das Stubenmädchen gibt ihm das Glas in die Hand, ihre Finger berühren sich.

    DER JUNGE HERR

    174

    So, danke. — Na, was ist denn? — Geben Sie acht; stellen Sie das Glas wieder auf die Tasse… Er legt sich hin und streckt sich aus. Wie spät ist’s denn? —

    DAS STUBENMÄDCHEN

    175

    Fünf Uhr, junger Herr.

    DER JUNGE HERR

    176

    So, fünf Uhr. — Ist gut. —

    Das Stubenmädchen geht bei der Tür wendet sie sich um; der junge Herr hat ihr nachgeschaut; sie merkt es und lächelt. Der Junge Herr bleibt eine Weile liegen, dann steht er plötzlich auf. Er geht bis zur Tür, wieder zurück, legt sich auf den Diwan. Er versucht wieder zu lesen. Nach ein paar Minuten klingelt er wieder. Das Stubenmädchen erscheint mit einem Lächeln, das sie nicht zu verbergen sucht.

    DER JUNGE HERR

    177

    Sie, Marie, was ich Sie hab' fragen wollen. War heut vormittag nicht der Doktor Schüller da?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    178

    Nein, heut vormittag war niemand da.

    DER JUNGE HERR

    179

    So, das ist merkwürdig. Also der Doktor Schüller war nicht da? Kennen Sie überhaupt den Doktor Schüller?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    180

    Freilich. Das ist der große Herr mit dem schwarzen Vollbart.

    DER JUNGE HERR

    181

    Ja. War er vielleicht doch da?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    182

    Nein, es war niemand da, junger Herr.

    DER JUNGE HERR

    entschlossen.
    183

    Kommen Sie her, Marie.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    tritt etwas näher.
    184

    Bitt' schön.

    DER JUNGE HERR

    185

    Näher… so… ah… ich hab' nur geglaubt…

    DAS STUBENMÄDCHEN

    186

    Was haben der junge Herr?

    DER JUNGE HERR

    187

    Geglaubt… geglaubt hab' ich — Nur wegen Ihrer Blusen… Was ist das für eine… Na, kommen S' nur näher. Ich beiß' Sie ja nicht.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    kommt zu ihm.
    188

    Was ist mit meiner Blusen? G'fallt sie dem jungen Herrn nicht?

    DER JUNGE HERR

    faßt die Bluse an, wobei er das Stubenmädchen zu sich herabzieht.
    189

    Blau? Das ist ganz ein schönes Blau. Einfach. Sie sind sehr nett angezogen, Marie.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    190

    Aber junger Herr…

    DER JUNGE HERR

    191

    Na, was ist denn?… er hat ihre Bluse geöffnet. Sachlich: Sie haben eine schöne weiße Haut, Marie.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    192

    Der junge Herr tut mir schmeicheln.

    DER JUNGE HERR

    küßt sie auf die Brust.
    193

    Das kann doch nicht weh tun.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    194

    O nein.

    DER JUNGE HERR

    195

    Weil Sie so seufzen! Warum seufzen Sie denn?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    196

    Oh, Herr Alfred…

    DER JUNGE HERR

    197

    Und was Sie für nette Pantoffeln haben…

    DAS STUBENMÄDCHEN

    198

    … Aber… junger Herr… wenn's draußen läut' —

    DER JUNGE HERR

    199

    Wer wird denn jetzt läuten?

    DAS STUBENMÄDCHEN

    200

    Aber junger Herr… schaun S'… es ist so licht…

    DER JUNGE HERR

    201

    Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren. Sie brauchen sich überhaupt vor niemandem… wenn man so hübsch ist. Ja, meiner Seel; Marie, Sie sind… Wissen Sie, Ihre Haare riechen sogar angenehm.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    202

    Herr Alfred…

    DER JUNGE HERR

    203

    Machen Sie keine solchen Geschichten, Marie… ich hab' Sie schon anders auch geseh'n. Wie ich neulich in der Nacht nach Haus gekommen bin, und mir Wasser geholt hab', — da ist die Tür zu Ihrem Zimmer offen gewesen… na…

    DAS STUBENMÄDCHEN

    verbirgt ihr Gesicht.
    204

    Oh Gott, aber das hab' ich gar nicht gewußt, daß der Herr Alfred so schlimm sein kann.

    DER JUNGE HERR

    205

    Da hab' ich sehr viel gesehen… das… und das… und das… und —

    DAS STUBENMÄDCHEN

    206

    Aber, Herr Alfred!

    DER JUNGE HERR

    207

    Komm, komm… daher… so, ja so…

    DAS STUBENMÄDCHEN

    208

    Aber wenn jetzt wer läutet —

    DER JUNGE HERR

    209

    Jetzt hören Sie schon einmal auf… macht man höchstens nicht auf…


    Es klingelt.

    DER JUNGE HERR

    210

    Donnerwetter… Und was der Kerl für einen Lärm macht. — Am End' hat der schon früher geläutet und wir haben's nicht gemerkt.

    STUBENMÄDCHEN

    211

    Oh, ich hab' alleweil aufgepaßt.

    DER JUNGE HERR

    212

    Na, so schaun S' endlich nach — durchs Guckerl. —

    DAS STUBENMÄDCHEN

    213

    Herr Alfred… Sie sind aber… nein… so schlimm.

    DER JUNGE HERR

    214

    Bitt' Sie, schaun S' jetzt nach…

    Das Stubenmädchen geht ab. Der Junge Herr öffnet rasch die Rouleaux. Das Stubenmädchen erscheint wieder.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    215

    Der ist jedenfalls schon wieder weggangen. Jetzt ist niemand mehr da. Vielleicht ist es der Doktor Schüller gewesen.

    DER JUNGE HERR

    ist unangenehm berührt.
    216

    Es ist gut.

    Das Stubenmädchen nähert sich ihm. Der Junge Herr entzieht sich ihr.
    217

    — Sie, Marie, — ich geh' jetzt ins Kaffeehaus.

    DAS STUBENMÄDCHEN

    zärtlich.
    218

    Schon… Herr Alfred.

    DER JUNGE HERR

    streng.
    219

    Ich geh' jetzt ins Kaffeehaus. Wenn der Doktor Schüller kommen sollte —

    DAS STUBENMÄDCHEN

    220

    Der kommt heut nimmer.

    DER JUNGE HERR

    noch strenger.
    221

    Wenn der Doktor Schüller kommen sollte, ich, ich … ich bin — im Kaffeehaus.

    Geht ins andere Zimmer.
    Das Stubenmädchen nimmt eine Zigarre vom Rauchtisch, steckt sie ein und geht ab.

    DER JUNGE HERR UND DIE JUNGE FRAU

    Abend. — Ein mit banaler Eleganz möblierter Salon in einem Hause der Schwindgasse.
    Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während er noch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher anhat, die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Nebenzimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzen des Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zu einem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht. Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers verbreitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhänge des Bettes. — Der junge Herr besichtigt auch das Schlafzimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparat und bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen von Veilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparat durch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf den kleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchen riecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setzt sich auf das blausamtene Fauteuil, zündet sich eine Zigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebt er sich wieder und vergewissert sich, daß die grünen Jalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder ins Schlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Er fühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er sucht nach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich in die Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einen Schrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tasse mit einer Flasche Kognak und zwei Likörgläschen heraus, stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinem Überzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchen nimmt. Er öffnet es und legt es zum Kognak, geht wieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller und Eßbestecke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eine glasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich ein Glas Kognak ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht er auf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. — Vor dem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen, richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinen Schnurrbart. — Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht. Nichts regt sich. Dann zieht er die blauen Portieren, die vor der Schlafzimmertür angebracht sind, zusammen. Es klingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, als die Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt. —
    Die Junge Frau dicht verschleiert, schließt die Tür hinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie die linke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltige Erregung bemeistern.

    DER JUNGE HERR

    tritt auf sie zu, nimmt ihre linke Hand und drückt auf den weißen, schwarz tamburierten Handschuh einen Kuß. Er sagt leise:
    222

    Ich danke Ihnen.

    DIE JUNGE FRAU

    223

    Alfred — Alfred!

    DER JUNGE HERR

    224

    Kommen Sie, gnädige Frau… Kommen Sie, Frau Emma…

    DIE JUNGE FRAU

    225

    Lassen Sie mich noch eine Weile — bitte… oh, bitte sehr, Alfred!

    Sie steht noch immer an der
    Der Junge Herr steht vor ihr, hält ihre Hand.

    DIE JUNGE FRAU

    226

    Wo bin ich denn eigentlich?

    DER JUNGE HERR

    227

    Bei mir.

    DIE JUNGE FRAU

    228

    Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.

    DER JUNGE HERR

    229

    Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes Haus.

    DIE JUNGE FRAU

    230

    Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.

    DER JUNGE HERR

    231

    Bekannte?

    DIE JUNGE FRAU

    232

    Ich weiß nicht. Es ist möglich.

    DER JUNGE HERR

    233

    Pardon, gnädige Frau — aber Sie kennen doch Ihre Bekannten.

    DIE JUNGE FRAU

    234

    Ich habe ja gar nichts gesehen.

    DER JUNGE HERR

    235

    Aber wenn es selbst Ihre besten Freunde waren, sie können ja Sie nicht erkannt haben. Ich selbst… wenn ich nicht wüßte, daß Sie es sind… dieser Schleier —.

    DIE JUNGE FRAU

    236

    Es sind zwei.

    DER JUNGE HERR

    237

    Wollen Sie nicht ein bißchen näher?… Und Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!

    DIE JUNGE FRAU

    238

    Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen gesagt: Fünf Minuten… Nein, länger nicht… ich schwöre Ihnen —

    DER JUNGE HERR

    239

    Also den Schleier —

    DIE JUNGE FRAU

    240

    Es sind zwei.

    DER JUNGE HERR

    241

    Nun ja, beide Schleier — ich werde Sie doch wenigstens sehen dürfen.

    DIE JUNGE FRAU

    242

    Haben sie mich denn lieb, Alfred?

    DER JUNGE HERR

    tief verletzt.
    243

    Emma — Sie fragen mich…

    DIE JUNGE FRAU

    244

    Es ist hier so heiß.

    DER JUNGE HERR

    245

    Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an — Sie werden sich wahrhaftig verkühlen.

    DIE JUNGE FRAU

    tritt endlich ins Zimmer, wirft sich auf den Fauteuil.
    246

    Ich bin todmüd.

    DER JUNGE HERR

    247

    Erlauben Sie.

    Er nimmt ihr den Schleier ab; nimmt die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite.
    Die Junge Frau läßt es geschehen.
    Der Junge Herr steht vor ihr, schüttelt den Kopf.

    DIE JUNGE FRAU

    248

    Was haben Sie?

    DER JUNGE HERR

    249

    So schön waren Sie noch nie.

    DIE JUNGE FRAU

    250

    Wieso?

    DER JUNGE HERR

    251

    Allein… allein mit Ihnen — Emma —

    Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie, nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen.

    DIE JUNGE FRAU

    252

    Und jetzt… lassen Sie mich wieder gehen. Was Sie von mir verlangt haben, hab' ich getan.

    Der Junge Herr läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken.
    253

    Sie haben mir versprochen, brav zu sein.

    DER JUNGE HERR

    254

    Ja.

    DIE JUNGE FRAU

    255

    Man erstickt in diesem Zimmer.

    DER JUNGE HERR

    steht auf.
    256

    Noch haben Sie Ihre Mantille an.

    DIE JUNGE FRAU

    257

    Legen Sie sie zu meinem Hut.

    Der Junge Herr nimmt ihr die Mantille ab und legt sie gleichfalls auf den Diwan.
    258

    Und jetzt — adieu —

    DER JUNGE HERR

    259

    Emma — ! Emma! —

    DIE JUNGE FRAU

    260

    Die fünf Minuten sind längst vorbei.

    DER JUNGE HERR

    261

    Noch nicht eine! —

    DIE JUNGE FRAU

    262

    Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau, wie spät es ist.

    DER JUNGE HERR

    263

    Es ist punkt viertel sieben.

    DIE JUNGE FRAU

    264

    Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester sein.

    DER JUNGE HERR

    265

    Ihre Schwester können Sie oft sehen…

    DIE JUNGE FRAU

    266

    Oh Gott, Alfred, warum haben Sie mich dazu verleitet.

    DER JUNGE HERR

    267

    Weil ich Sie… anbete, Emma.

    DIE JUNGE FRAU

    268

    Wie vielen haben Sie das schon gesagt?

    DER JUNGE HERR

    269

    Seit ich Sie gesehen, niemandem.

    DIE JUNGE FRAU

    270

    Was bin ich für eine leichtsinnige Person! Wer mir das vorausgesagt hätte… noch vor acht Tagen… noch gestern…

    DER JUNGE HERR

    271

    Und vorgestern haben Sie mir ja schon versprochen…

    DIE JUNGE FRAU

    272

    Sie haben mich so gequält. Aber ich habe es nicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge — ich habe es nicht tun wollen… Gestern war ich fest entschlossen… Wissen Sie, daß ich Ihnen gestern abends sogar einen langen Brief geschrieben habe?

    DER JUNGE HERR

    273

    Ich habe keinen bekommen.

    DIE JUNGE FRAU

    274

    Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätte Ihnen lieber diesen Brief schicken sollen.

    DER JUNGE HERR

    275

    Es ist doch besser so.

    DIE JUNGE FRAU

    276

    Oh nein, es ist schändlich… von mir. Ich begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred, lassen Sie mich.

    Der Junge Herr umfaßt sie und bedeckt ihr Gesicht mit heißen Küssen.

    DIE JUNGE FRAU

    277

    So… halten Sie Ihr Wort…

    DER JUNGE HERR

    278

    Noch einen Kuß — noch einen.

    DIE JUNGE FRAU

    279

    Den letzten.

    Er küßt sie; sie erwidert den Kuß; ihre Lippen bleiben lange aneinandergeschlossen.

    DER JUNGE HERR

    280

    Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich weiß jetzt erst, was Glück ist.

    Die Junge Frau sinkt in ein Fanteuil zurück. Der Junge Herr setzt sich auf die Lehne, schlingt einen Arm leicht um ihren Nacken.
    281

    …. oder vielmehr ich weiß jetzt erst, was Glück sein könnte.

    Die Junge Frau seufzt tief auf. Der Junge Herr küßt sie wieder.

    DIE JUNGE FRAU

    282

    Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!

    DER JUNGE HERR

    283

    Nicht wahr — es ist hier gar nicht so ungemütlich… Und wir sind ja hier so sicher. Es ist doch tausendmal schöner als diese Rendezvous im Freien…

    DIE JUNGE FRAU

    284

    Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.

    DER JUNGE HERR

    285

    Ich werde auch daran immer mit tausend Freuden denken. Für mich ist jede Minute, die ich an Ihrer Seite verbringen durfte, eine süße Erinnerung.

    DIE JUNGE FRAU

    286

    Erinnern Sie sich noch an den Industriellenball?

    DER JUNGE HERR

    287

    Ob ich mich daran erinnere… ? Da bin ich ja während des Soupers neben Ihnen gesessen, ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann hat Champagner…

    Die Junge Frau sieht ihn klagend an.
    288

    Ich wollte nur vom Champagner reden. Sagen Sie, Emma, wollen Sie nicht ein Glas Kognak trinken?

    DIE JUNGE FRAU

    289

    Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher ein Glas Wasser.

    DER JUNGE HERR

    290

    Ja… Wo ist denn nur — ach ja…

    Er schlägt die Portiere zurück und geht ins Schlafzimmer. Die Junge Frau sieht ihm nach. Der Junge Herr kommt zurück mit einer Karaffe Wasser und zwei Trinkgläsern.

    DIE JUNGE FRAU

    291

    Wo waren Sie denn?

    DER JUNGE HERR

    292

    Im… Nebenzimmer.

    Schenkt ein Glas Wasser ein.

    DIE JUNGE FRAU

    293

    Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred — und schwören Sie mir, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.

    DER JUNGE HERR

    294

    Ich schwöre —

    DIE JUNGE FRAU

    295

    War in diesen Räumen schon jemals eine andere Frau?

    DER JUNGE HERR

    296

    Aber Emma — dieses Haus steht schon zwanzig Jahre! —

    DIE JUNGE FRAU

    297

    Sie wissen, was ich meine, Alfred… Mit Ihnen! Bei Ihnen!

    DER JUNGE HERR

    298

    Mit mir hier — Emma! — Es ist nicht schön, daß Sie an so etwas denken können.

    DIE JUNGE FRAU

    299

    Also Sie haben… wie soll ich… Aber nein, ich will Sie lieber nicht fragen. Es ist besser, wenn ich nicht frage. Ich bin ja selbst schuld. Alles rächt sich.

    DER JUNGE HERR

    300

    Ja, was haben Sie denn? Was ist Ihnen denn? Was rächt sich?

    DIE JUNGE FRAU

    301

    Nein, nein, nein, ich darf nicht zum Bewußtsein kommen… Sonst müßte ich vor Scham in die Erde sinken.

    DER JUNGE HERR

    mit der Karaffe Wasser in der Hand, schüttelt traurig den Kopf.
    302

    Emma, wenn Sie ahnen könnten, wie weh Sie mir tun.

    Die Junge Frau schenkt sich ein Glas Kognak ein.
    303

    Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn Sie sich schämen, hier zu sein — wenn ich Ihnen also gleichgültig bin — wenn Sie nicht fühlen, daß Sie für mich alle Seligkeit der Welt bedeuten — so gehn Sie lieber.

    DIE JUNGE FRAU

    304

    Ja, das werd ich auch tun.

    DER JUNGE HERR

    sie bei der Hand fassend.
    305

    Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie nicht leben kann, daß ein Kuß auf Ihre Hand für mich mehr bedeutet, als alle Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der ganzen Welt… Emma, ich bin nicht wie die anderen jungen Leute, die den Hof machen können — ich bin vielleicht zu naiv… ich…

    DIE JUNGE FRAU

    306

    Wenn Sie aber doch sind wie die anderen jungen Leute?

    DER JUNGE HERR

    307

    Dann wären Sie heute nicht da — denn Sie sind nicht wie die anderen Frauen.

    DIE JUNGE FRAU

    308

    Woher wissen Sie das?

    DER JUNGE HERR

    hat sie zum Diwan gezogen, sich nahe neben sie gesetzt.
    309

    Ich habe viel über Sie nachgedacht. Ich weiß, Sie sind unglücklich.

    DIE JUNGE FRAU

    erfreut.
    310

    Ja.

    DER JUNGE HERR

    311

    Das Leben ist so leer, so nichtig — und dann, — so kurz — so entsetzlich kurz! Es gibt nur ein Glück… einen Menschen finden, von dem man geliebt wird —

    Die Junge Frau hat eine kandierte Birne vom Tisch genommen, nimmt sie in den Mund.
    312

    Mir die Hälfte!

    Sie reicht sie ihm mit den Lippen.

    DIE JUNGE FRAU

    faßt die Hände des jungen Herrn, die sich zu verirren drohen.
    313

    Was tun Sie denn, Alfred… Ist das Ihr Versprechen.

    DER JUNGE HERR

    die Birne verschluckend, dann kühner.
    314

    Das Leben ist so kurz.

    DIE JUNGE FRAU

    schwach.
    315

    Aber das ist ja kein Grund —

    DER JUNGE HERR

    mechanisch.
    316

    O ja.

    DIE JUNGE FRAU

    schwächer.
    317

    Schauen Sie Alfred, und Sie haben doch versprochen, brav… Und es ist so hell…

    DER JUNGE HERR

    318

    Komm, komm, du einzige, einzige…

    Er hebt sie vom Diwan empor.

    DIE JUNGE FRAU

    319

    Was machen Sie denn?

    DER JUNGE HERR

    320

    Da drin ist es gar nicht hell.

    DIE JUNGE FRAU

    321

    Ist denn da noch ein Zimmer?

    DER JUNGE HERR

    zieht sie mit.
    322

    Ein schönes… und ganz dunkel.

    DIE JUNGE FRAU

    323

    Bleiben wir doch lieber hier.

    Der Junge Herr bereits mit ihr hinter der Portiere, im Schlafzimmer, nestelt ihr die Taille auf.
    324

    Sie sind so… o Gott, was machen Sie aus mir! — Alfred!

    DER JUNGE HERR

    325

    Ich bete dich an, Emma!

    DIE JUNGE FRAU

    326

    So wart doch, wart doch wenigstens… schwach. Geh… ich ruf' dich dann.

    DER JUNGE HERR

    327

    Laß mir dich — laß dir mich — er verspricht sich … laß… mich — dir — helfen.

    DIE JUNGE FRAU

    328

    Du zerreißt mir ja alles.

    DER JUNGE HERR

    329

    Du hast kein Mieder an?

    DIE JUNGE FRAU

    330

    Ich trag' nie ein Mieder. Die Odilon trägt auch keines. Aber die Schuh kannst du mir aufknöpfeln.

    Der Junge Herr knöpfelt die Schuhe auf, küßt ihre Füße.

    DIE JUNGE FRAU

    ist ins Bett geschlüpft.
    331

    Oh mir ist kalt.

    DER JUNGE HERR

    332

    Gleich wird's warm werden.

    DIE JUNGE FRAU

    leise lachend.
    333

    Glaubst du?

    DER JUNGE HERR

    unangenehm berührt, für sich.
    334

    Das hätte sie nicht sagen sollen.

    Entkleidet sich im Dunkel.

    DIE JUNGE FRAU

    zärtlich.
    335

    Komm, komm, komm!

    DER JUNGE HERR

    dadurch wieder in besserer Stimmung.
    336

    Gleich —

    DIE JUNGE FRAU

    337

    Es riecht hier so nach Veilchen.

    DER JUNGE HERR

    338

    Das bist du selbst… Ja zu ihr du selbst.

    DIE JUNGE FRAU

    339

    Alfred… Alfred!!!!

    DER JUNGE HERR

    340

    Emma…


    DER JUNGE HERR

    341

    Ich habe dich offenbar zu lieb… ja… ich bin wie von Sinnen.

    DIE JUNGE FRAU

    342

    DER JUNGE HERR

    343

    Die ganzen Tage über bin ich schon wie verrückt. Ich hab' es geahnt.

    DIE JUNGE FRAU

    344

    Mach dir nichts draus.

    DER JUNGE HERR

    345

    Oh gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbstverständlich, wenn man…

    DIE JUNGE FRAU

    346

    Nicht… nicht… Du bist nervös. Beruhige dich nur…

    DER JUNGE HERR

    347

    Kennst du Stendhal?

    DIE JUNGE FRAU

    348

    Stendhal?

    DER JUNGE HERR

    349

    Die „Psychologie de l'amour”?

    DIE JUNGE FRAU

    350

    Nein, warum fragst du mich?

    DER JUNGE HERR

    351

    Da kommt eine Geschichte drin vor, die sehr bezeichnend ist.

    DIE JUNGE FRAU

    352

    Was ist das für eine Geschichte?

    DER JUNGE HERR

    353

    Da ist eine ganze Gesellschaft von Kavallerieoffizieren zusammen —

    DIE JUNGE FRAU

    354

    So.

    DER JUNGE HERR

    355

    Und die erzählen von ihren Liebesabenteuern. Und jeder berichtet, daß ihm bei der Frau, die er am meisten, weißt du, am leidenschaftlichsten geliebt hat… daß ihn die, daß er die — also kurz und gut, daß es jedem bei dieser Frau so gegangen ist, wie jetzt mir.

    DIE JUNGE FRAU

    356

    Ja.

    DER JUNGE HERR

    357

    Das ist sehr charakteristisch.

    DIE JUNGE FRAU

    358

    Ja.

    DER JUNGE HERR

    359

    Es ist noch nicht aus. Ein einziger behauptet… es sei ihm in seinem ganzen Leben noch nicht passiert, aber, setzt Stendhal hinzu — das war ein berüchtigter Bramarbas.

    DIE JUNGE FRAU

    360

    So.

    DER JUNGE HERR

    361

    Und doch verstimmt es einen, das ist das Dumme, so gleichgültig es eigentlich ist.

    DIE JUNGE FRAU

    362

    Freilich. Überhaupt weißt du… du hast mir ja versprochen, brav zu sein.

    DER JUNGE HERR

    363

    Geh, nicht lachen, das bessert die Sache nicht.

    DIE JUNGE FRAU

    364

    Aber nein, ich lache ja nicht. Das von Stendhal ist wirklich interessant. Ich habe immer gedacht, daß nur bei älteren… oder bei sehr… weißt du, bei Leuten, die viel gelebt haben…

    DER JUNGE HERR

    365

    Was fällt dir ein. Das hat damit gar nichts zu tun. Ich habe übrigens die hübscheste Geschichte aus dem Stendhal ganz vergessen. Da ist einer von den Kavallerieoffizieren, der erzählt sogar, daß er drei Nächte oder gar sechs… ich weiß nicht mehr, mit der Frau zusammen war, die er durch Wochen hindurch verlangt hat — désirée — verstehst du — und sie haben alle diese Nächte hindurch nichts getan als vor Glück geweint — beide —

    DIE JUNGE FRAU

    366

    Beide?

    DER JUNGE HERR

    367

    Ja. Wundert dich das? Ich find' das so begreiflich — gerade wenn man sich liebt.

    DIE JUNGE FRAU

    368

    Aber es gibt gewiß viele, die nicht weinen.

    DER JUNGE HERR

    nervös.
    369

    Gewiß… das ist ja auch ein exzeptioneller Fall.

    DIE JUNGE FRAU

    370

    Ah — ich dachte, Stendhal sagte, alle Kavallerieoffiziere weinen bei dieser Gelegenheit.

    DER JUNGE HERR

    371

    Siehst du, jetzt machst du dich doch lustig.

    DIE JUNGE FRAU

    372

    Aber was fällt dir ein! Sei doch nicht kindisch, Alfred!

    DER JUNGE HERR

    373

    Es macht nun einmal nervös… Dabei habe ich die Empfindung, daß du ununterbrochen daran denkst. Das geniert mich erst recht.

    DIE JUNGE FRAU

    374

    Ich denke absolut nicht daran.

    DER JUNGE HERR

    375

    O ja. Wenn ich nur überzeugt wäre, daß du mich liebst.

    DIE JUNGE FRAU

    376

    Verlangst du noch mehr Beweise?

    DER JUNGE HERR

    377

    Siehst du… immer machst du dich lustig.

    DIE JUNGE FRAU

    378

    Wieso denn? Komm, gib mir dein süßes Kopferl.

    DER JUNGE HERR

    379

    Ach, das tut wohl.

    DIE JUNGE FRAU

    380

    Hast du mich lieb?

    DER JUNGE HERR

    381

    Oh, ich bin ja so glücklich.

    DIE JUNGE FRAU

    382

    Aber du brauchst nicht auch noch zu weinen.

    DER JUNGE HERR

    sich von ihr entfernend, höchst irritiert.
    383

    Wieder, wieder. Ich hab dich ja so gebeten…

    DIE JUNGE FRAU

    384

    Wenn ich dir sage, daß du nicht weinen sollst…

    DER JUNGE HERR

    385

    Du hast gesagt: Auch noch zu weinen.

    DIE JUNGE FRAU

    386

    Du bist nervös, mein Schatz.

    DER JUNGE HERR

    387

    Das weiß ich.

    DIE JUNGE FRAU

    388

    Aber du sollst es nicht sein. Es ist mir sogar lieb, daß es… daß wir sozusagen als gute Kameraden…

    DER JUNGE HERR

    389

    Schon wieder fängst du an.

    DIE JUNGE FRAU

    390

    Erinnerst du dich denn nicht! Das war eines unserer ersten Gespräche. Gute Kameraden haben wir sein wollen, nichts weiter. Oh, das war schön… das war bei meiner Schwester, im Jänner auf dem großen Ball, während der Quadrille… Um Gotteswillen, ich sollte ja längst fort sein… meine Schwester erwartet mich ja — was werd' ich ihr denn sagen… Adieu, Alfred —

    DER JUNGE HERR

    391

    Emma —! so willst du mich verlassen!

    DIE JUNGE FRAU

    392

    Ja — so! —

    DER JUNGE HERR

    393

    Noch fünf Minuten…

    DIE JUNGE FRAU

    394

    Gut. Noch fünf Minuten. Aber du mußt mir versprechen… dich nicht zu rühren?… Ja?… Ich will dir noch einen Kuß zum Abschied geben… Pst… ruhig… nicht rühren, hab' ich gesagt, sonst steh' ich gleich auf, du mein süßer… süßer…

    DER JUNGE HERR

    395

    Emma… meine ange…


    DIE JUNGE FRAU

    396

    Mein Alfred —

    DER JUNGE HERR

    397

    Ah, bei dir ist der Himmel.

    DIE JUNGE FRAU

    398

    Aber jetzt muß ich wirklich fort.

    DER JUNGE HERR

    399

    Ach, laß deine Schwester warten.

    DIE JUNGE FRAU

    400

    Nach Haus muß ich. Für meine Schwester ist's längst zu spät. Wie viel Uhr ist es denn eigentlich?

    DER JUNGE HERR

    401

    Ja, wie soll ich das eruieren?

    DIE JUNGE FRAU

    402

    Du mußt eben auf die Uhr sehen.

    DER JUNGE HERR

    403

    Meine Uhr ist in meinem Gilet.

    DIE JUNGE FRAU

    404

    So hol sie.

    DER JUNGE HERR

    steht mit einem mächtigen Ruck auf.
    405

    Acht.

    DIE JUNGE FRAU

    erhebt sich rasch.
    406

    Um Gotteswillen… Rasch, Alfred, gib mir meine Strümpfe. Was soll ich denn nur sagen? Zu Hause wird man sicher schon auf mich warten… acht Uhr…

    DER JUNGE HERR

    407

    Wann seh' ich dich denn wieder?

    DIE JUNGE FRAU

    408

    Nie.

    DER JUNGE HERR

    409

    Emma! Hast du mich denn nicht mehr lieb?

    DIE JUNGE FRAU

    410

    Eben darum. Gib mir meine Schuhe.

    DER JUNGE HERR

    411

    Niemals wieder? Hier sind die Schuhe.

    DIE JUNGE FRAU

    412

    In meinem Sack ist ein Schuhknöpfler. Ich bitt' dich, rasch…

    DER JUNGE HERR

    413

    Hier ist der Knöpfler.

    DIE JUNGE FRAU

    414

    Alfred, das kann uns beide den Hals kosten.

    DER JUNGE HERR

    höchst unangenehm berührt.
    415

    Wieso?

    DIE JUNGE FRAU

    416

    Ja, was soll ich denn sagen, wenn er mich fragt: Woher kommst du?

    DER JUNGE HERR

    417

    Von der Schwester.

    DIE JUNGE FRAU

    418

    Ja, wenn ich lügen könnte.

    DER JUNGE HERR

    419

    Na, du mußt es eben tun.

    DIE JUNGE FRAU

    420

    Alles für so einen Menschen. Ach, komm her… laß dich noch einmal küssen. Sie umarmt ihn. — Und jetzt — — laß mich allein, geh ins andere Zimmer. Ich kann mich nicht anziehen, wenn du dabei bist.

    Der Junge Herr geht in den Salon, wo er sich ankleidet. Er ißt etwas von der Bäckerei, trinkt ein Glas Kognak.

    DIE JUNGE FRAU

    ruft nach einer Weile.
    421

    Alfred!

    DER JUNGE HERR

    422

    Mein Schatz.

    DIE JUNGE FRAU

    423

    Es ist doch besser, daß wir nicht geweint haben.

    DER JUNGE HERR

    nicht ohne Stolz lächelnd.
    424

    Wie kann man so frivol reden? —

    DIE JUNGE FRAU

    425

    Wie wird das jetzt nur sein — wenn wir uns zufällig wieder einmal in Gesellschaft begegnen?

    DER JUNGE HERR

    426

    Zufällig — einmal… Du bist ja morgen sicher auch bei Lobheimers?

    DIE JUNGE FRAU

    427

    Ja. Du auch?

    DER JUNGE HERR

    428

    Freilich. Darf ich dich um den Kotillon bitten?

    DIE JUNGE FRAU

    429

    O, ich werde nicht hinkommen. Was glaubst du denn? — Ich würde ja… sie tritt völlig angekleidet in den Salon, nimmt eine Schokoladebäckerei… in die Erde sinken.

    DER JUNGE HERR

    430

    Also morgen bei Lobheimer, das ist schön.

    DIE JUNGE FRAU

    431

    Nein, nein… ich sage ab; bestimmt —

    DER JUNGE HERR

    432

    Also übermorgen… hier.

    DIE JUNGE FRAU

    433

    Was fällt dir ein?

    DER JUNGE HERR

    434

    Um sechs…

    DIE JUNGE FRAU

    435

    Hier an der Ecke stehen Wagen, nicht wahr? —

    DER JUNGE HERR

    436

    Ja, so viel du willst. Also übermorgen hier, um sechs. So sag doch ja, mein geliebter Schatz.

    DIE JUNGE FRAU

    437

    …Das besprechen wir morgen beim Kotillon.

    DER JUNGE HERR

    umarmt sie.
    438

    Mein Engel.

    DIE JUNGE FRAU

    439

    Nicht wieder meine Frisur ruinieren.

    DER JUNGE HERR

    440

    Also morgen bei Lobheimers und übermorgen in meinen Armen.

    DIE JUNGE FRAU

    441

    Leb wohl…

    DER JUNGE HERR

    plötzlich wieder besorgt.
    442

    Und was wirst du — ihm heut sagen? —

    DIE JUNGE FRAU

    443

    Frag nicht… frag nicht… es ist zu schrecklich. — Warum hab' ich dich so lieb! — Adieu. — Wenn ich wieder Menschen auf der Stiege begegne, trifft mich der Schlag. — Pah! —

    Der Junge Herr küßt ihr noch einmal die Hand. Die Junge Frau geht.

    DER JUNGE HERR

    bleibt allein zurück. Dann setzt er sich auf den Diwan. Er lächelt vor sich hin und sagt zu sich selbst:
    444

    Also jetzt hab' ich ein Verhältnis mit einer anständigen Frau.

    DIE JUNGE FRAU UND DER EHEMANN

    Ein behagliches Schlafgemach. Es ist halb elf Uhr nachts. Die Frau liegt zu Bette und liest. Der Gatte tritt eben, im Schlafrock, ins Zimmer.

    DIE JUNGE FRAU

    ohne aufzuschauen.
    445

    Du arbeitest nicht mehr?

    DER GATTE

    446

    Nein. Ich bin zu müde. Und außerdem…

    DIE JUNGE FRAU

    447

    Nun?

    DER GATTE

    448

    Ich hab' mich an meinem Schreibtisch plötzlich so einsam gefühlt. Ich habe Sehnsucht nach dir bekommen.

    DIE JUNGE FRAU

    schaut auf.
    449

    Wirklich?

    DER GATTE

    setzt sich zu ihr aufs Bett.
    450

    Lies heute nicht mehr. Du wirst dir die Augen verderben.

    DIE JUNGE FRAU

    schlägt das Buch zu.
    451

    Was hast du denn?

    DER GATTE

    452

    Nichts, mein Kind. Verliebt bin ich in dich! Das weißt du ja!

    DIE JUNGE FRAU

    453

    Man könnte es manchmal fast vergessen.

    DER GATTE

    454

    Man muß es sogar manchmal vergessen.

    DIE JUNGE FRAU

    455

    Warum?

    DER GATTE

    456

    Weil die Ehe sonst etwas unvollkommenes wäre. Sie würde… wie soll ich nur sagen… sie würde ihre Heiligkeit verlieren.

    DIE JUNGE FRAU

    457

    Oh…

    DER GATTE

    458

    Glaube mir — es ist so… Hätten wir in den fünf Jahren, die wir jetzt miteinander verheiratet sind, nicht manchmal vergessen, daß wir ineinander verliebt sind — wir wären es wohl gar nicht mehr.

    DIE JUNGE FRAU

    459

    Das ist mir zu hoch.

    DER GATTE

    460

    Die Sache ist einfach die: wir haben vielleicht schon zehn oder zwölf Liebschaften miteinander gehabt… Kommt es dir nicht auch so vor?

    DIE JUNGE FRAU

    461

    Ich hab' nicht gezählt! —

    DER GATTE

    462

    Hätten wir gleich die erste bis zum Ende durchgekostet, hätte ich mich von Anfang an meiner Leidenschaft für dich willenlos hingegeben, es wäre uns gegangen wie den Millionen von anderen Liebespaaren. Wir wären fertig miteinander.

    DIE JUNGE FRAU

    463

    Ah… so meinst du das?

    DER GATTE

    464

    Glaube mir — Emma — in den ersten Tagen unserer Ehe hatte ich Angst, daß es so kommen würde.

    DIE JUNGE FRAU

    465

    Ich auch.

    DER GATTE

    466

    Siehst du? Hab' ich nicht recht gehabt? Darum ist es gut, immer wieder für einige Zeit nur in guter Feundschaft miteinander hinzuleben.

    DIE JUNGE FRAU

    467

    Ach so.

    DER GATTE

    468

    Und so kommt es, daß wir immer wieder neue Flitterwochen miteinander durchleben können, da ich es nie drauf ankommen lasse, die Flitterwochen…

    DIE JUNGE FRAU

    469

    Zu Monaten auszudehnen.

    DER GATTE

    470

    Richtig.

    DIE JUNGE FRAU

    471

    Und jetzt… scheint also wieder eine Freundschaftsperiode abgelaufen zu sein — ?

    DER GATTE

    sie zärtlich an sich drückend.
    472

    Es dürfte so sein.

    DIE JUNGE FRAU

    473

    Wenn es aber… bei mir anders wäre.

    DER GATTE

    474

    Es ist bei dir nicht anders. Du bist ja das klügste und entzückendste Wesen, das es gibt. Ich bin sehr glücklich, daß ich dich gefunden habe.

    DIE JUNGE FRAU

    475

    Das ist aber nett, wie du den Hof machen kannst — von Zeit zu Zeit.

    DER GATTE

    hat sich auch zu Bett begeben.
    476

    Für einen Mann, der sich ein bißchen in der Welt umgesehen hat — geh, leg den Kopf an meine Schulter — der sich in der Welt umgesehen hat, bedeutet die Ehe eigentlich etwas viel geheimnisvolleres als für euch junge Mädchen aus guter Familie. Ihr tretet uns rein und… wenigstens bis zu einem gewissen Grad unwissend entgegen, und darum habt ihr eigentlich einen viel klareren Blick für das Wesen der Liebe als wir.

    DIE JUNGE FRAU

    lachend.
    477

    Oh!

    DER GATTE

    478

    Gewiß. Denn wir sind ganz verwirrt und unsicher geworden durch die vielfachen Erlebnisse, die wir notgedrungen vor der Ehe durchzumachen haben. Ihr hört ja viel und wißt zu viel und lest ja wohl eigentlich auch zu viel, aber einen rechten Begriff von dem, was wir Männer in der Tat erleben, habt ihr ja doch nicht. Uns wird das, was man so gemeinhin die Liebe nennt, recht gründlich widerwärtig gemacht, denn was sind das schließlich für Geschöpfe, auf die wir angewiesen sind!

    DIE JUNGE FRAU

    479

    Ja, was sind das für Geschöpfe?

    DER GATTE

    küßt sie auf die Stirn.
    480

    Sei froh, mein Kind, daß du nie einen Hinblick in diese Verhältnisse erhalten hast. Es sind übrigens meist recht bedauernswerte Wesen — werfen wir keinen Stein auf sie.

    DIE JUNGE FRAU

    481

    Bitt' dich — dieses Mitleid — Das kommt mir da gar nicht recht angebracht vor.

    DER GATTE

    mit schöner Milde.
    482

    Sie verdienen es. Ihr, die ihr junge Mädchen aus guter Familie wart, die ruhig unter Obhut eurer Eltern auf den Ehrenmann warten konntet, der euch zur Ehe begehrt; — ihr kennt ja das Elend nicht, das die meisten von diesen armen Geschöpfen der Sünde in die Arme treibt.

    DIE JUNGE FRAU

    483

    So verkaufen sich denn alle?

    DER GATTE

    484

    Das möchte ich nicht sagen. Ich mein' ja auch nicht nur das materielle Elend. Aber es gibt auch — ich möchte sagen — ein sittliches Elend; eine mangelhafte Auffassung für das, was erlaubt, und insbesondere für das, was edel ist.

    DIE JUNGE FRAU

    485

    Aber warum sind sie zu bedauern? — Denen geht's ja ganz gut?

    DER GATTE

    486

    Du hast sonderbare Ansichten, mein Kind. Du darfst nicht vergessen, daß solche Wesen von Natur aus bestimmt sind, immer tiefer und tiefer zu fallen. Da gibt es kein Aufhalten.

    DIE JUNGE FRAU

    sich an ihn schmiegend.
    487

    Offenbar fällt es sich ganz angenehm.

    DER GATTE

    peinlich berührt.
    488

    Wie kannst du so reden, Emma. Ich denke doch, daß es gerade für euch, anständige Frauen, nichts Widerwärtigeres geben kann, als alle diejenigen, die es nicht sind.

    DIE JUNGE FRAU

    489

    Freilich, Karl, freilich. Ich hab's ja auch nur so gesagt. Geh, erzähl weiter. Es ist so nett, wenn du so red'st. Erzähl mir was.

    DER GATTE

    490

    Was denn? —

    DIE JUNGE FRAU

    491

    Nun — von diesen Geschöpfen.

    DER GATTE

    492

    Was fällt dir denn ein?

    DIE JUNGE FRAU

    493

    Schau, ich hab' dich schon früher, weißt du, ganz im Anfang hab' ich dich immer gebeten, du sollst mir aus deiner Jugend was erzählen.

    DER GATTE

    494

    Warum interessiert dich denn das?

    DIE JUNGE FRAU

    495

    Bist du denn nicht mein Mann? Und ist das nicht geradezu eine Ungerechtigkeit, daß ich von deiner Vergangenheit eigentlich gar nichts weiß?

    DER GATTE

    496

    Du wirst mich doch nicht für so geschmacklos halten, daß ich — Genug, Emma… das ist ja wie eine Entweihung.

    DIE JUNGE FRAU

    497

    Und doch hast du… wer weiß wieviel andere Frauen gerade so in den Armen gehalten, wie jetzt mich.

    DER GATTE

    498

    Sag doch nicht „Frauen”. Frau bist du.

    DIE JUNGE FRAU

    499

    Aber eine Frage mußt du mir beantworten… sonst… sonst… ist's nichts mit den Flitterwochen.

    DER GATTE

    500

    Du hast eine Art, zu reden… denk doch, daß du Mutter bist… daß unser Mäderl da drin liegt…

    DIE JUNGE FRAU

    an ihn sich schmiegend.
    501

    Aber ich möcht' auch einen Buben.

    DER GATTE

    502

    Emma!

    DIE JUNGE FRAU

    503

    Geh, sei nicht so… freilich bin ich deine Frau… aber ich möchte auch ein bissel deine Geliebte sein.

    DER GATTE

    504

    Möchtest du?…

    DIE JUNGE FRAU

    505

    Also — zuerst meine Frage.

    DER GATTE

    gefügig.
    506

    Nun?

    DIE JUNGE FRAU

    507

    War… eine verheiratete Frau unter ihnen?

    DER GATTE

    508

    Wieso? — wie meinst du das?

    DIE JUNGE FRAU

    509

    Du weißt schon.

    DER GATTE

    leicht beunruhigt.
    510

    Wie kommst du auf diese Frage?

    DIE JUNGE FRAU

    511

    Ich möchte wissen, ob es… das heißt — es gibt solche Frauen… das weiß ich. Aber ob du…

    DER GATTE

    ernst.
    512

    Kennst du eine solche Frau?

    DIE JUNGE FRAU

    513

    Ja, ich weiß das selber nicht.

    DER GATTE

    514

    Ist unter deinen Freundinnen vielleicht eine solche Frau?

    DIE JUNGE FRAU

    515

    Ja wie kann ich das mit Bestimmtheit behaupten — oder verneinen?

    DER GATTE

    516

    Hat dir vielleicht einmal eine deiner Freundinnen… Man spricht über gar manches, wenn man so — die Frauen unter sich — hat dir eine gestanden —?

    DIE JUNGE FRAU

    unsicher.
    517

    Nein.

    DER GATTE

    518

    Hast du bei irgendeiner deiner Freundinnen den Verdacht, daß sie…

    DIE JUNGE FRAU

    519

    Verdacht… oh… Verdacht.

    DER GATTE

    520

    Es scheint.

    DIE JUNGE FRAU

    521

    Gewiß nicht Karl, sicher nicht. Wenn ich mir's so überlege — ich trau es doch keiner zu.

    DER GATTE

    522

    Keiner?

    DIE JUNGE FRAU

    523

    Von meinen Freundinnen keiner.

    DER GATTE

    524

    Versprich mir etwas, Emma.

    DIE JUNGE FRAU

    525

    Nun.

    DER GATTE

    526

    Daß du nie mit einer Frau verkehren wirst, bei der du auch den leisesten Verdacht hast, daß sie… kein ganz tadelloses Leben führt.

    DIE JUNGE FRAU

    527

    Das muß ich dir erst versprechen?

    DER GATTE

    528

    Ich weiß ja, daß du den Verkehr mit solchen Frauen nicht suchen wirst. Aber der Zufall könnte es fügen, daß du… Ja, es ist sogar sehr häufig, daß gerade solche Frauen, deren Ruf nicht der beste ist, die Gesellschaft von anständigen Frauen suchen, teils um sich ein Relief zu geben, teils aus einem gewissen… wie soll ich sagen… aus einem gewissen Heimweh nach der Tugend.

    DIE JUNGE FRAU

    529

    So.

    DER GATTE

    530

    Ja. Ich glaube, daß das sehr richtig ist, was ich da gesagt habe. Heimweh nach der Tugend. Denn, daß diese Frauen alle eigentlich sehr unglücklich sind, das kannst du mir glauben.

    DIE JUNGE FRAU

    531

    Warum?

    DER GATTE

    532

    Du fragst, Emma? — Wie kannst du denn nur fragen? — Stell dir doch vor, was diese Frauen für eine Existenz führen! Voll Lüge, Tücke, Gemeinheit und voll Gefahren.

    DIE JUNGE FRAU

    533

    Ja freilich. Da hast du schon recht.

    DER GATTE

    534

    Wahrhaftig — sie bezahlen das bißchen Glück… das bißchen…

    DIE JUNGE FRAU

    535

    Vergnügen.

    DER GATTE

    536

    Warum Vergnügen? Wie kommst du darauf, das Vergnügen zu nennen?

    DIE JUNGE FRAU

    537

    Nun, — etwas muß es doch sein —! Sonst täten sie's ja nicht.

    DER GATTE

    538

    Nichts ist es… ein Rausch.

    DIE JUNGE FRAU

    nachdenklich.
    539

    Ein Rausch.

    DER GATTE

    540

    Nein, es ist nicht einmal ein Rausch. Wie immer — teuer bezahlt, das ist gewiß!

    DIE JUNGE FRAU

    541

    Also… du hast das einmal mitgemacht — nicht wahr?

    DER GATTE

    542

    Ja, Emma. — Es ist meine traurigste Erinnerung.

    DIE JUNGE FRAU

    543

    Wer ist's? Sag! Kenn' ich sie?

    DER GATTE

    544

    Was fällt dir denn ein?

    DIE JUNGE FRAU

    545

    Ist's lange her? War es sehr lang, bevor du mich geheiratet hast?

    DER GATTE

    546

    Frag nicht. Ich bitt' dich, frag nicht.

    DIE JUNGE FRAU

    547

    Aber Karl!

    DER GATTE

    548

    Sie ist tot.

    DIE JUNGE FRAU

    549

    Im Ernst?

    DER GATTE

    550

    Ja… es klingt fast lächerlich, aber ich habe die Empfindung, daß alle diese Frauen jung sterben.

    DIE JUNGE FRAU

    551

    Hast du sie sehr geliebt?

    DER GATTE

    552

    Lügnerinnen liebt man nicht.

    DIE JUNGE FRAU

    553

    Also warum…

    DER GATTE

    554

    Ein Rausch…

    DIE JUNGE FRAU

    555

    Also doch?

    DER GATTE

    556

    Sprich nicht mehr davon, ich bitt' dich. Alles das ist lang vorbei. Geliebt hab' ich nur eine — das bist du. Man liebt nur, wo Reinheit und Wahrheit ist.

    DIE JUNGE FRAU

    557

    Karl!

    DER GATTE

    558

    Oh, wie sicher, wie wohl fühlt man sich in solchen Armen. Warum hab' ich dich nicht schon als Kind gekannt? Ich glaube, dann hätt' ich andere Frauen überhaupt nicht angesehen.

    DIE JUNGE FRAU

    559

    Karl!

    DER GATTE

    560

    Und schön bist du!… schön!… Oh komm…

    Er löscht das Licht aus.

    DIE JUNGE FRAU

    561

    Weißt du, woran ich heute denken muß?

    DER GATTE

    562

    Woran, mein Schatz?

    DIE JUNGE FRAU

    563

    An… an… an Venedig.

    DER GATTE

    564

    Die erste Nacht…

    DIE JUNGE FRAU

    565

    Ja… so…

    DER GATTE

    566

    Was denn —? So sag's doch!

    DIE JUNGE FRAU

    567

    So lieb hast du mich heut.

    DER GATTE

    568

    Ja, so lieb.

    DIE JUNGE FRAU

    569

    Ah… Wenn du immer…

    DER GATTE

    in ihren Armen.
    570

    Wie?

    DIE JUNGE FRAU

    571

    Mein Karl!

    DER GATTE

    572

    Was meintest du? Wenn ich immer… ?

    DIE JUNGE FRAU

    573

    Nun ja.

    DER GATTE

    574

    Nun, was wär' denn, wenn ich immer…

    DIE JUNGE FRAU

    575

    Dann wüßt' ich eben immer, daß du mich lieb hast.

    DER GATTE

    576

    Ja. Du mußt es aber auch so wissen. Man ist nicht immer der liebende Mann, man muß auch zuweilen hinaus ins feindliche Leben, muß kämpfen und streben! Das vergiß nie, mein Kind! Alles hat seine Zeit in der Ehe — das ist eben das Schöne. Es gibt nicht viele, die sich noch nach fünf Jahren an — ihr Venedig erinnern.

    DIE JUNGE FRAU

    577

    Freilich!

    DER GATTE

    578

    Und jetzt… gute Nacht, mein Kind.

    DIE JUNGE FRAU

    579

    Gute Nacht!

    DER GATTE UND DAS SÜSSE MÄDEL

    Ein Cabinet particulier im Riedhof. Behagliche, mäßige Eleganz. Der Gasofen brennt. — Der Gatte. Das süße Mädel. Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen, Obersschaumbaisers, Obst, Käse. In den Weingläsern ein ungarischer weißer Wein.
    Der Gatte raucht eine Havannazigarre, er lehnt in der Ecke des Divans.
    Das süsse Mädel sitzt neben ihm auf dem Sessel und löffelt aus einem Baiser den Obersschaum heraus, den sie mit Behagen schlürft.

    DER GATTE

    580

    Schmeckt's?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    läßt sich nicht stören.
    581

    Oh!

    DER GATTE

    582

    Willst du noch eins?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    583

    Nein, ich hab' so schon zu viel gegessen.

    DER GATTE

    584

    Du hast keinen Wein mehr.

    Er schenkt ein.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    585

    Nein… aber schaun' S', ich laß ihn ja eh stehen.

    DER GATTE

    586

    Schon wieder sagst du Sie.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    587

    So? — Ja wissen S', man gewöhnt sich halt so schwer.

    DER GATTE

    588

    Weißt du.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    589

    Was denn?

    DER GATTE

    590

    Weißt du, sollst du sagen, nicht wissen S'. — Komm setz dich zu mir.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    591

    Gleich… bin noch nicht fertig.

    Der Gatte steht auf, stellt sich hinter den Sessel und umarmt das süsse Mädel, indem er ihren Kopf zu sich wendet.
    592

    Na, was ist denn?

    DER GATTE

    593

    Einen Kuß möcht' ich haben.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    gibt ihm einen Kuß.
    594

    Sie sind… oh pardon, du bist ein kecker Mensch.

    DER GATTE

    595

    Jetzt fällt dir das ein?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    596

    Ah nein, eingefallen ist es mir schon früher… schon auf der Gassen. — Sie müssen —

    DER GATTE

    597

    Du mußt.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    598

    Du mußt dir eigentlich was schönes von mir denken.

    DER GATTE

    599

    Warum denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    600

    Daß ich gleich so mit Ihnen ins Chambre séparée gegangen bin.

    DER GATTE

    601

    Na, gleich kann man doch nicht sagen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    602

    Aber Sie können halt so schön bitten.

    DER GATTE

    603

    Findest du?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    604

    Und schließlich, was ist denn dabei?

    DER GATTE

    605

    Freilich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    606

    Ob man spazieren geht oder —

    DER GATTE

    607

    Zum Spazierengehen ist's auch viel zu kalt.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    608

    Natürlich ist's zu kalt gewesen.

    DER GATTE

    609

    Aber da ist es angenehm warm; was?

    Er hat sich wieder niedergesetzt, umschlingt das süße Mädel und zieht sie an seine Seite.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    schwach.
    610

    Na.

    DER GATTE

    611

    Jetzt sag einmal… Du hast mich schon früher bemerkt gehabt, was?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    612

    Natürlich. Schon in der Singerstraßen.

    DER GATTE

    613

    Nicht heut, mein' ich. Auch vorgestern und vorvorgestern, wie ich dir nachgegangen bin.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    614

    Mir gehn gar viele nach.

    DER GATTE

    615

    Das kann ich mir denken. Aber ob du mich bemerkt hast.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    616

    Wissen S'… ah… weißt, was mir neulich passiert ist? Da ist mir der Mann von meiner Cousine nachg'stiegen in der Dunkeln und hat mich nicht kennt.

    DER GATTE

    617

    Hat er dich angesprochen?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    618

    Aber was glaubst denn? Meinst, es ist jeder so keck wie du?

    DER GATTE

    619

    Aber es kommt doch vor.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    620

    Natürlich kommt's vor.

    DER GATTE

    621

    Na, was machst du da?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    622

    Na, nichts — Keine Antwort geb' ich halt.

    DER GATTE

    623

    Hm… mir hast du aber eine Antwort gegeben.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    624

    Na sind S' vielleicht bös?

    DER GATTE

    küßt sie heftig.
    625

    Deine Lippen schmecken nach dem Obersschaum.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    626

    Oh, die sind von Natur aus süß.

    DER GATTE

    627

    Das haben dir schon viele gesagt?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    628

    Viele!! Was du dir wieder einbildest!

    DER GATTE

    629

    Na, sei einmal ehrlich. Wie viele haben den Mund da schon geküßt?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    630

    Was fragst mich denn? Du möchtest mir's ja doch nicht glauben, wenn ich dir's sag'!

    DER GATTE

    631

    Warum denn nicht?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    632

    Rat einmal.

    DER GATTE

    633

    Na, sagen wir, — aber du darfst nicht bös sein?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    634

    Warum sollt' ich denn bös sein?

    DER GATTE

    635

    Also ich schätze… zwanzig.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    sich von ihm losmachend.
    636

    Na — warum nicht gleich hundert?

    DER GATTE

    637

    Ja, ich hab' eben geraten.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    638

    Da hast du aber nicht gut geraten.

    DER GATTE

    639

    Also zehn.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    beleidigt.
    640

    Freilich. Eine, die sich auf der Gassen anreden läßt und gleich mitgeht ins Chambre séparée!

    DER GATTE

    641

    Sei doch nicht so kindisch. Ob man auf der Straßen herumläuft oder in einem Zimmer sitzt… Wir sind doch da in einem Gasthaus. Jeden Moment kann der Kellner hereinkommen — da ist doch wirklich gar nichts dran…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    642

    Das hab' ich mir eben auch gedacht.

    DER GATTE

    643

    Warst du schon einmal in einem Chambre séparée?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    644

    Also, wenn ich die Wahrheit sagen soll: ja.

    DER GATTE

    645

    Siehst du, das g'fallt mir, daß du doch wenigstens aufrichtig bist.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    646

    Aber nicht so — wie du dir's wieder denkst. Mit einer Freundin und ihrem Bräutigam bin ich im Chambre séparée gewesen, heuer im Fasching einmal.

    DER GATTE

    647

    Es wär' ja auch kein Malheur, wenn du einmal — mit deinem Geliebten —

    DAS SÜSSE MÄDEL

    648

    Natürlich wär's kein Malheur. Aber ich hab' kein Geliebten.

    DER GATTE

    649

    Na, geh.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    650

    Meiner Seel, ich hab' keinen.

    DER GATTE

    651

    Aber du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß ich…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    652

    Was denn?… Ich hab' halt keinen — schon seit mehr als einem halben Jahr.

    DER GATTE

    653

    Ah so… Aber vorher? Wer war's denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    654

    Was sind S' denn gar so neugierig?

    DER GATTE

    655

    Ich bin neugierig, weil ich dich liebhab'.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    656

    Is wahr?

    DER GATTE

    657

    Freilich. Das mußt du doch merken. Erzähl mir also.

    Drückt sie fest an sich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    658

    Was soll ich dir denn erzählen?

    DER GATTE

    659

    So laß dich doch nicht so lang bitten. Wer's gewesen ist, möcht ich wissen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    lachend.
    660

    Na ein Mann halt.

    DER GATTE

    661

    Also — also — wer war's?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    662

    Ein bissel ähnlich hat er dir gesehen.

    DER GATTE

    663

    So.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    664

    Wenn du ihm nicht so ähnlich schauen tät'st —

    DER GATTE

    665

    Was wär' dann?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    666

    Na also frag nicht, wennst schon siehst, daß…

    DER GATTE

    versteht.
    667

    Also darum hast du dich von mir anreden lassen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    668

    Na also ja.

    DER GATTE

    669

    Jetzt weiß ich wirklich nicht, soll ich mich freuen oder soll ich mich ärgern.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    670

    Na, ich an deiner Stell tät' mich freuen.

    DER GATTE

    671

    Na ja.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    672

    Und auch im Reden erinnerst du mich so an ihn… und wie du einen anschaust…

    DER GATTE

    673

    Was ist er denn gewesen?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    674

    Nein, die Augen —

    DER GATTE

    675

    Wie hat er denn geheißen?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    676

    Nein, schau mich nicht so an, ich bitt' dich.

    Der Gatte umfängt sie. Langer, heißer Kuß. Das süsse Mädel schüttelt sich, will aufstehen.

    DER GATTE

    677

    Warum gehst du fort von mir?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    678

    Es wird Zeit zum Z'hausgehen.

    DER GATTE

    679

    Später.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    680

    Nein, ich muß wirklich schon zuhaus gehen. Was glaubst denn, was die Mutter sagen wird.

    DER GATTE

    681

    Du wohnst bei deiner Mutter?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    682

    Natürlich wohn' ich bei meiner Mutter. Was hast denn geglaubt?

    DER GATTE

    683

    So — bei der Mutter. Wohnst du allein mit ihr?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    684

    Ja freilich allein! Fünf sind wir! Zwei Buben und noch zwei Mädeln.

    DER GATTE

    685

    So setz dich doch nicht so weit fort von mir. Bist du die älteste?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    686

    Nein, ich bin die zweite. Zuerst kommt die Kathi; die ist im G'schäft, in einer Blumenhandlung, dann komm' ich.

    DER GATTE

    687

    Wo bist du?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    688

    Na ich bin z'haus.

    DER GATTE

    689

    Immer?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    690

    Es muß doch eine z'haus sein.

    DER GATTE

    691

    Freilich. Ja — und was sagst du denn eigentlich deiner Mutter, wenn du — so spät nach Haus kommst?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    692

    Das ist ja so eine Seltenheit.

    DER GATTE

    693

    Also heut zum Beispiel. Deine Mutter fragt dich doch?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    694

    Natürlich fragt's mich. Da kann ich Obacht geben so viel ich will — wenn ich nach Haus komm', wacht s' auf.

    DER GATTE

    695

    Also was sagst du ihr da?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    696

    Na, im Theater werd' ich halt gewesen sein.

    DER GATTE

    697

    Und glaubt sie das?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    698

    Na, warum soll s' mir denn nicht glauben? Ich geh' ja oft ins Theater. Erst am Sonntag war ich in der Oper mit meiner Freundin und ihrem Bräutigam und mein ältern Bruder.

    DER GATTE

    699

    Woher habt ihr denn da die Karten?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    700

    Aber, mein Bruder ist ja Friseur!

    DER GATTE

    701

    Ja, die Friseure… ah, wahrscheinlich Theaterfriseur.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    702

    Was fragst mich denn so aus?

    DER GATTE

    703

    Es interessiert mich halt. Und was ist denn der andere Bruder?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    704

    Der geht noch in die Schul'. Der will ein Lehrer werden. Nein… so 'was!

    DER GATTE

    705

    Und dann hast du noch eine kleine Schwester?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    706

    Ja, die ist noch ein Fratz, aber auf die muß man schon heut so aufpassen. Hast du denn eine Idee, wie die Mädeln in der Schule verdorben werden! Was glaubst! Neulich hab' ich sie bei einem Rendezvous erwischt.

    DER GATTE

    707

    Was?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    708

    Ja! mit einem Buben von der Schul' vis-á-vis ist sie abends um halber acht in der Strozzigasse spazierengegangen. So ein Fratz!

    DER GATTE

    709

    Und, was hast du da gemacht?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    710

    Na, Schläg hat s' kriegt!

    DER GATTE

    711

    So streng bist du?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    712

    Na, wer solls denn sein? Die ältere ist im G'schäft, die Mutter tut nichts als raunzen; — kommt immer alles auf mich.

    DER GATTE

    713

    Herrgott, bist du lieb! Küßt sie und wird zärtlicher. Du erinnerst mich auch an wen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    714

    So an wen denn?

    DER GATTE

    715

    An keine bestimmte… an die Zeit… na, halt an meine Jugend. Geh, trink, mein Kind!

    DAS SÜSSE MÄDEL

    716

    Ja, wie alt bist du denn?… Du… ja… ich weiß ja nicht einmal, wie du heißt.

    DER GATTE

    717

    Karl.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    718

    Ist's möglich! Karl heißt du?

    DER GATTE

    719

    Er hat auch Karl geheißen?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    720

    Nein, das ist aber schon das reine Wunder… das ist ja nein die Augen… Das G'schau…

    schüttelt den Kopf.

    DER GATTE

    721

    Und wer er war — hast du mir noch immer nicht gesagt.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    722

    Ein schlechter Mensch ist er gewesen — das ist g'wiß, sonst hätt' er mich nicht sitzen lassen.

    DER GATTE

    723

    Hast ihn sehr gern g'habt?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    724

    Freilich hab' ich ihn gern g'habt.

    DER GATTE

    725

    Ich weiß, was er war, Leutnant.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    726

    Nein, bei Militär war er nicht. Sie haben ihn nicht genommen. Sein Vater hat ein Haus in der… aber was brauchst du das zu wissen?

    DER GATTE

    küßt sie.
    727

    Du hast eigentlich graue Augen, anfangs hab' ich gemeint, sie sind schwarz.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    728

    Na sind's dir vielleicht nicht schön genug?

    Der Gatte küßt ihre Augen.
    729

    Nein, nein — das vertrag' ich schon gar nicht… o bitt' dich — o Gott… nein, laß mich aufstehn… nur für einen Moment — bitt' dich.

    DER GATTE

    immer zärtlicher.
    730

    O nein.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    731

    Aber ich bitt' dich, Karl…

    DER GATTE

    732

    Wie alt bist du? — achtzehn, was?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    733

    Neunzehn vorbei.

    DER GATTE

    734

    Neunzehn… und ich —

    DAS SÜSSE MÄDEL

    735

    Du bist dreißig…

    DER GATTE

    736

    Und einige drüber. — Reden wir nicht davon.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    737

    Er war auch schon zweiunddreißig, wie ich ihn kennen gelernt hab'.

    DER GATTE

    738

    Wie lang ist das her?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    739

    Ich weiß nimmer… Du, in dem Wein muß was drin gewesen sein.

    DER GATTE

    740

    Ja, warum denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    741

    Ich bin ganz… weißt — mir dreht sich alles.

    DER GATTE

    742

    So halt dich fest an mich. So… Er drückt sie an sich und wird immer zärtlicher, sie wehrt kaum ab. Ich werd' dir was sagen, mein Schatz, wir könnten jetzt wirklich gehn.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    743

    Ja… nach Haus.

    DER GATTE

    744

    Nicht grad nach Haus…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    745

    Was meinst denn?… O nein, o nein… ich geh' nirgends hin, was fallt dir denn ein —

    DER GATTE

    746

    Also hör mich nur an, mein Kind, das nächste Mal, wenn wir uns treffen, weißt du, da richten wir uns das so ein, daß… Er ist zu Boden gesunken, hat seinen Kopf in ihrem Schoß. Das ist angenehm, oh, das ist angenehm.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    747

    Was machst denn? Sie küßt seine Haare. Du in dem Wein muß was drin gewesen sein — so schläfrig… du was g'schieht denn, wenn ich nimmer aufstehn kann? Aber, aber, schau, aber Karl… und wenn wer hereinkommt… ich bitt' dich… der Kellner.

    DER GATTE

    748

    Da… kommt sein Lebtag… kein Kellner… herein…


    Das süsse Mädel lehnt mit geschlossenen Augen in der Diwanecke. Der Gatte geht in dem kleinen Raum auf und ab, nachdem er sich eine Zigarette angezündet. Längeres Schweigen.

    DER GATTE

    betrachtet das süße Mädel lange, für sich.
    749

    Wer weiß, was das eigentlich für eine Person ist — Donnerwetter… So schnell… War nicht sehr vorsichtig von mir… Hm…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    ohne die Augen zu öffnen.
    750

    In dem Wein muß was drin gewesen sein.

    DER GATTE

    751

    Ja warum denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    752

    Sonst…

    DER GATTE

    753

    Warum schiebst du denn alles auf den Wein?…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    754

    Wo bist denn? Warum bist denn so weit? Komm doch zu mir.

    Der Gatte zur ihr hin, setzt sich.
    755

    Jetzt sag mir, ob du mich wirklich gern hast.

    DER GATTE

    756

    Das weißt du doch… Er unterbricht sich rasch. Freilich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    757

    Weißt… es ist doch… Geh, sag mir die Wahrheit, was war in dem Wein?

    DER GATTE

    758

    Ja, glaubst du ich bin ein… ich bin ein Giftmischer?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    759

    Ja, schau, ich versteh's halt nicht. Ich bin doch nicht so… Wir kennen uns doch erst seit… Du, ich bin nicht so… meiner Seel' und Gott, — wenn du das von mir glauben tät'st —

    DER GATTE

    760

    Ja — was machst du dir denn da für Sorgen. Ich glaub' gar nichts schlechtes von dir. Ich glaub' halt, daß du mich lieb hast.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    761

    Ja —

    DER GATTE

    762

    Schließlich, wenn zwei junge Leut' allein in einem Zimmer sind, und nachtmahlen und trinken Wein… es braucht gar nichts drin zu sein in dem Wein.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    763

    Ich hab's ja auch nur so g'sagt.

    DER GATTE

    764

    Ja warum denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    eher trotzig.
    765

    Ich hab' mich halt g'schämt.

    DER GATTE

    766

    Das ist lächerlich. Dazu liegt gar kein Grund vor. Um so mehr als ich dich an deinen ersten Geliebten erinnere.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    767

    Ja.

    DER GATTE

    768

    An den ersten.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    769

    Na ja…

    DER GATTE

    770

    Jetzt möcht' es mich interessieren, wer die anderen waren.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    771

    Niemand.

    DER GATTE

    772

    Das ist ja nicht wahr, das kann ja nicht wahr sein.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    773

    Geh, bitt' dich, sekier mich nicht. —

    DER GATTE

    774

    Willst eine Zigarette?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    775

    Nein, ich dank' schön.

    DER GATTE

    776

    Weißt du, wie spät es ist?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    777

    Na?

    DER GATTE

    778

    Halb zwölf.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    779

    So!

    DER GATTE

    780

    Na… und die Mutter? Die ist es gewöhnt, was?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    781

    Willst mich wirklich schon z'haus schicken?

    DER GATTE

    782

    Ja, du hast doch früher selbst —

    DAS SÜSSE MÄDEL

    783

    Geh, du bist aber wie ausgewechselt. Was hab' ich dir denn getan?

    DER GATTE

    784

    Aber Kind, was hast du denn, was fällt dir denn ein?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    785

    Und es ist nur dein G'schau gewesen, meiner Seel, sonst hättst du lang… haben mich schon viele gebeten, ich soll mit ihnen ins Chambre séparée gehen.

    DER GATTE

    786

    Na, willst du… bald wieder mit mir hieher… oder auch wo anders —

    DAS SÜSSE MÄDEL

    787

    Weiß nicht.

    DER GATTE

    788

    Was heißt das wieder: du weißt nicht.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    789

    Na, wenn du mich erst fragst?

    DER GATTE

    790

    Also wann? Ich möcht' dich nur vor allem aufklären, daß ich nicht in Wien lebe. Ich komme nur von Zeit zu Zeit auf ein paar Tage her.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    791

    Ah geh, du bist kein Wiener?

    DER GATTE

    792

    Wiener bin ich schon. Aber ich lebe jetzt in der Nähe…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    793

    Wo denn?

    DER GATTE

    794

    Ach Gott, das ist ja egal.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    795

    Na, fürcht dich nicht, ich komm' nicht hin.

    DER GATTE

    796

    O Gott, wenn es dir Spaß macht, kannst du auch hinkommen. Ich lebe in Graz.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    797

    Im Ernst?

    DER GATTE

    798

    Na ja, was wundert dich denn daran?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    799

    Du bist verheiratet, wie?

    DER GATTE

    höchst erstaunt.
    800

    Ja, wie kommst du darauf?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    801

    Mir ist halt so vorgekommen.

    DER GATTE

    802

    Und das würde dich gar nicht genieren?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    803

    Na, lieber ist mir schon, du bist ledig. — Aber du bist ja doch verheiratet!

    DER GATTE

    804

    Ja, sag mir nur, wie kommst du denn darauf?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    805

    Wenn einer sagt, er lebt nicht in Wien und hat nicht immer Zeit —

    DER GATTE

    806

    Das ist doch nicht so unwahrscheinlich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    807

    Ich glaub's nicht.

    DER GATTE

    808

    Und da möchtest du dir gar kein Gewissen machen, daß du einen Ehemann zur Untreue verführst?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    809

    Ah was, deine Frau macht's sicher nicht anders als du.

    DER GATTE

    sehr empört.
    810

    Du, das verbitt' ich mir. Solche Bemerkungen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    811

    Du hast ja keine Frau, hab' ich geglaubt.

    DER GATTE

    812

    Ob ich eine hab' oder nicht — man macht keine solche Bemerkungen.

    Er ist aufgestanden.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    813

    Karl, na Karl, was ist denn? Bist bös? Schau, ich hab's ja wirklich nicht gewußt, daß du verheiratet bist. Ich hab' ja nur so g'redt. Geh, komm und sei wieder gut.

    DER GATTE

    kommt nach ein paar Sekunden zu ihr.
    814

    Ihr seid wirklich sonderbare Geschöpfe, ihr… Weiber.

    Er wird wieder zärtlich an ihrer Seite.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    815

    Geh… nicht… es ist auch schon so spät. —

    DER GATTE

    816

    Also jetzt hör mir einmal zu. Reden wir einmal im Ernst miteinander. Ich möcht' dich wiedersehen, öfter wiedersehen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    817

    Is wahr?

    DER GATTE

    818

    Aber dazu ist notwendig… also verlassen muß ich mich auf dich können. Aufpassen kann ich nicht auf dich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    819

    Ah, ich pass' schon selber auf mich auf.

    DER GATTE

    820

    Du bist… na also, unerfahren kann man ja nicht sagen — aber jung bist du — und — die Männer sind im allgemeinen ein gewissenloses Volk.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    821

    O jeh!

    DER GATTE

    822

    Ich mein' das nicht nur in moralischer Hinsicht. — Na, du verstehst mich sicher. —

    DAS SÜSSE MÄDEL

    823

    Ja, sag mir, was glaubst du denn eigentlich von mir?

    DER GATTE

    824

    Also — wenn du mich lieb haben willst — nur mich — so können wirs uns schon einrichten — wenn ich auch für gewöhnlich in Graz wohne. Da wo jeden Moment wer hereinkommen kann, ist es ja doch nicht das rechte.

    Das süsse Mädel schmiegt sich an ihn.
    825

    Das nächste Mal… werden wir woanders zusammen sein, ja?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    826

    Ja.

    DER GATTE

    827

    Wo wir ganz ungestört sind.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    828

    Ja.

    DER GATTE

    umfängt sie heiß.
    829

    Das andere besprechen wir im Nachhausfahren. Steht auf, öffnet die Tür. Kellner… die Rechnung!

    DAS SÜSSE MÄDEL UND DER DICHTER

    Ein kleines Zimmer, mit behaglichem Geschmack eingerichtet. Vorhänge, welche das Zimmer halbdunkel machen. Rote Stores. Großer Schreibtisch, auf dem Papiere und Bücher herumliegen. Ein Pianino an der Wand. Das süße Mädel. Der Dichter. Sie kommen eben zusammen herein. Der Dichter schließt zu.

    DER DICHTER

    830

    So, mein Schatz.

    küßt sie.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    mit Hut und Mantille.
    831

    Ah! Da ist aber schön! Nur sehen tut man nichts!

    DER DICHTER

    832

    Deine Augen müssen sich an das Halbdunkel gewöhnen. — Diese süßen Augen —

    küßt sie auf die Augen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    833

    Dazu werden die süßen Augen aber nicht Zeit genug haben.

    DER DICHTER

    834

    Warum denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    835

    Weil ich nur eine Minuten dableib'.

    DER DICHTER

    836

    Den Hut leg ab, ja?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    837

    Wegen der einen Minuten?

    DER DICHTER

    nimmt die Nadel aus ihrem Hut und legt den Hut fort.
    838

    Und die Mantille —

    DAS SÜSSE MÄDEL

    839

    Was willst denn? — Ich muß ja gleich wieder fortgehen.

    DER DICHTER

    840

    Aber du mußt dich doch ausruhn! Wir sind ja drei Stunden gegangen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    841

    Wir sind gefahren.

    DER DICHTER

    842

    Ja nach Haus — aber in Weidling am Bach sind wir doch drei volle Stunden herumgelaufen. Also setz dich nur schön nieder, mein Kind… wohin du willst; — hier an den Schreibtisch; — aber nein, das ist nicht bequem. Setz dich auf den Diwan. So. Er drückt sie nieder. Bist du sehr müd, so kannst du dich auch hinlegen. So. Er legt sie auf den Diwan. Da das Kopferl auf den Polster.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    lachend.
    843

    Aber ich bin ja gar nicht müd!

    DER DICHTER

    844

    Das glaubst du nur. So — und wenn du schläfrig bist, kannst du auch schlafen. Ich werde ganz still sein. Übrigens kann ich dir ein Schlummerlied vorspielen… von mir…

    Geht zum Pianino.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    845

    Von dir?

    DER DICHTER

    846

    Ja.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    847

    Ich hab' glaubt, Robert, du bist ein Doktor.

    DER DICHTER

    848

    Wieso? Ich hab' dir doch gesagt, daß ich Schriftsteller bin.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    849

    Die Schriftsteller sind doch alle Dokters.

    DER DICHTER

    850

    Nein, nicht alle. Ich zum Beispiel nicht. Aber wie kommst du jetzt darauf.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    851

    Na, weil du sagst, das Stück, was du da spielen tust, ist von dir.

    DER DICHTER

    852

    Ja… vielleicht ist es auch nicht von mir. Das ist ja ganz egal. Was? Überhaupt wer's gemacht hat, das ist immer egal. Nur schön muß es sein — nicht wahr?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    853

    Freilich… schön muß es sein — das ist die Hauptsach'! —

    DER DICHTER

    854

    Weißt du, wie ich das gemeint hab'?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    855

    Was denn?

    DER DICHTER

    856

    Na, was ich eben gesagt hab'.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    schläfrig.
    857

    Na freilich.

    DER DICHTER

    steht auf; zu ihr, ihr das Haar streichelnd.
    858

    Kein Wort hast du verstanden.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    859

    Geh, ich bin doch nicht so dumm.

    DER DICHTER

    860

    Freilich bist du so dumm. Aber gerade darum hab' ich dich lieb. Ah, das ist so schön, wenn ihr dumm seid. Ich mein' in der Art wie du.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    861

    Geh, was schimpfst denn?

    DER DICHTER

    862

    Engel, kleiner. Nicht wahr, es liegt sich gut auf dem weichen, persischen Teppich?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    863

    O ja. Geh, willst nicht weiter Klavier spielen?

    DER DICHTER

    864

    Nein, ich bin schon lieber da bei dir.

    Streichelt sie.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    865

    Geh, willst nicht lieber Licht machen?

    DER DICHTER

    866

    O nein… Diese Dämmerung tut ja so wohl. Wir waren heute den ganzen Tag wie in Sonnenstrahlen gebadet. Jetzt sind wir sozusagen aus dem Bad gestiegen und schlagen… die Dämmerung wie einen Bademantel — lacht — ah nein — das muß anders gesagt werden… Findest du nicht?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    867

    Weiß nicht.

    DER DICHTER

    sich leicht von ihr entfernend.
    868

    Göttlich, diese Dummheit!

    Nimmt ein Notizbuch und schreibt ein paar Worte hinein.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    869

    Was machst denn? Sich nach ihm umwendend. Was schreibst dir denn auf?

    DER DICHTER

    leise.
    870

    Sonne, Bad, Dämmerung, Mantel… so… steckt das Notizbuch ein. Laut. Nichts… Jetzt sag einmal, mein Schatz, möchtest du nicht etwas essen oder trinken?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    871

    Durst hab' ich eigentlich keinen. Aber Appetit.

    DER DICHTER

    872

    Hm… mir wär' lieber, du hättest Durst. Kognak hab' ich nämlich zu Haus, aber Essen müßte ich erst holen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    873

    Kannst nichts holen lassen?

    DER DICHTER

    874

    Das ist schwer, meine Bedienerin ist jetzt nicht mehr da — na wart — ich geh' schon selber… was magst du denn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    875

    Aber es zahlt sich ja wirklich nimmer aus, ich muß ja sowieso zu Haus.

    DER DICHTER

    876

    Kind, davon ist keine Rede. Aber ich werd' dir was sagen: wenn wir weggehn, gehn wir zusammen wohin nachtmahlen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    877

    Oh nein. Dazu hab' ich keine Zeit. Und dann, wohin sollen wir denn? Es könnt' uns ja wer Bekannter sehn.

    DER DICHTER

    878

    Hast du denn gar so viel Bekannte?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    879

    Es braucht uns ja nur einer zu sehn, ist's Malheur schon fertig.

    DER DICHTER

    880

    Was ist denn das für ein Malheur?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    881

    Na, was glaubst, wenn die Mutter was hört…

    DER DICHTER

    882

    Wir können ja doch irgendwohin gehen, wo uns niemand sieht, es gibt ja Gasthäuser mit einzelnen Zimmern.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    singend.
    883

    Ja, beim Souper im Chambre séparée!

    DER DICHTER

    884

    Warst du schon einmal in einem Chambre séparée?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    885

    Wenn ich die Wahrheit sagen soll — ja.

    DER DICHTER

    886

    Wer war der Glückliche?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    887

    Oh das ist nicht, wie du meinst… ich war mit meiner Freundin und ihrem Bräutigam. Die haben mich mitgenommen.

    DER DICHTER

    888

    So. Und das soll ich dir am End' glauben?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    889

    Brauchst mir ja nicht zu glauben!

    DER DICHTER

    nah bei ihr.
    890

    Bist du jetzt rot geworden? Man sieht nichts mehr! Ich kann deine Züge nicht mehr ausnehmen. Mit seiner Hand berührt er ihre Wangen. Aber auch so erkenn' ich dich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    891

    Na, pass' nur auf, daß du mich mit keiner andern verwechselst.

    DER DICHTER

    892

    Es ist seltsam, ich kann mich nicht mehr erinnern, wie du aussiehst.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    893

    Dank' schön!

    DER DICHTER

    ernst.
    894

    Du, das ist beinah unheimlich, ich kann mir dich nicht vorstellen — In einem gewissen Sinne hab' ich dich schon vergessen — Wenn ich mich auch nicht mehr an den Klang deiner Stimme erinnern könnte… was wärst du da eigentlich? — Nah und fern zugleich… unheimlich.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    895

    Geh, was red'st denn —?

    DER DICHTER

    896

    Nichts, mein Engel, nichts. Wo sind deine Lippen…

    Er küßt sie.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    897

    Willst nicht lieber Licht machen?

    DER DICHTER

    898

    Nein… Er wird sehr zärtlich. Sag, ob du mich liebhast.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    899

    Sehr… o sehr!

    DER DICHTER

    900

    Hast du schon irgendwen so liebgehabt wie mich?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    901

    Ich hab' dir ja schon gesagt — nein.

    DER DICHTER

    902

    Aber…

    er seufzt.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    903

    Das ist ja mein Bräutigam gewesen.

    DER DICHTER

    904

    Es wär mir lieber, du würdest jetzt nicht an ihn denken.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    905

    Geh… was machst denn… schau…

    DER DICHTER

    906

    Wir können uns jetzt auch vorstellen, daß wir in einem Schloß in Indien sind.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    907

    Dort sind s' gewiß nicht so schlimm wie du.

    DER DICHTER

    908

    Wie blöd! Göttlich — Ah wenn du ahntest, was du für mich bist…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    909

    Na?

    DER DICHTER

    910

    Stoß mich doch nicht immer weg; ich tu' dir ja nichts — vorläufig.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    911

    Du, das Mieder tut mir weh.

    DER DICHTER

    einfach.
    912

    Zieh's aus.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    913

    Ja. Aber du darfst deswegen nicht schlimm werden.

    DER DICHTER

    914

    Nein.

    Das süsse Mädel hat sich erhoben und zieht in der Dunkelheit ihr Mieder aus.

    DER DICHTER

    der währenddessen auf dem Diwan sitzt:
    915

    Sag, interessiertes dich denn gar nicht, wie ich mit dem Zunamen heiß'?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    916

    Ja, wie heißt du denn?

    DER DICHTER

    917

    Ich werd' dir lieber nicht sagen, wie ich heiß', sondern wie ich mich nenne.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    918

    Was ist denn da für ein Unterschied?

    DER DICHTER

    919

    Na, wie ich mich als Schriftsteller nenne.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    920

    Ah, du schreibst nicht unter deinem wirklichen Namen?

    Der Dichter nah zu ihr.
    921

    Ah… geh!… nicht.

    DER DICHTER

    922

    Was einem da für ein Duft entgegensteigt. Wie süß.

    Er küßt ihren Busen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    923

    Du zerreißt ja mein Hemd.

    DER DICHTER

    924

    Weg… weg… alles das ist überflüssig.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    925

    Aber Robert!

    DER DICHTER

    926

    Und jetzt komm in unser indisches Schloß.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    927

    Sag mir zuerst, ob du mich wirklich liebhast.

    DER DICHTER

    928

    Aber ich bete dich ja an. Küßt sie heiß. Ich bete dich ja an, mein Schatz, mein Frühling… mein…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    929

    Robert… Robert…!


    DER DICHTER

    930

    Das war überirdische Seligkeit… Ich nenne mich…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    931

    Robert, oh mein Robert!

    DER DICHTER

    932

    Ich nenne mich Biebitz.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    933

    Warum nennst du dich Biebitz?

    DER DICHTER

    934

    Ich heiße nicht Biebitz — ich nenne mich so… nun, kennst du den Namen vielleicht nicht?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    935

    Nein.

    DER DICHTER

    936

    Du kennst den Namen Biebitz nicht? Ah — göttlich! Wirklich? Du sagst es nur, daß du ihn nicht kennst, nicht wahr?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    937

    Meiner Seel, ich hab' ihn nie gehört!

    DER DICHTER

    938

    Gehst du denn nie ins Theater?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    939

    Oh ja — ich war erst neulich mit einem — weißt, mit dem Onkel von meiner Freundin und meiner Freundin sind wir in der Oper gewesen bei der Cavalleria.

    DER DICHTER

    940

    Hm, also ins Burgtheater gehst du nie.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    941

    Da krieg ich nie Karten geschenkt.

    DER DICHTER

    942

    Ich werde dir nächstens eine Karte schicken.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    943

    Oh ja! Aber nicht vergessen! Zu was Lustigem aber.

    DER DICHTER

    944

    Ja… lustig… zu was Traurigem willst du nicht gehn?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    945

    Nicht gern.

    DER DICHTER

    946

    Auch wenn's ein Stück von mir ist.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    947

    Geh — ein Stück von dir? Du schreibst fürs Theater?

    DER DICHTER

    948

    Erlaube, ich will nur Licht machen. Ich habe dich noch nicht gesehen, seit du meine Geliebte bist. — Engel!

    Er zündet eine Kerze an.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    949

    Geh, ich schäm' mich ja. Gib mir wenigstens eine Decke.

    DER DICHTER

    950

    Später!

    Er kommt mit dem Licht zu ihr, betrachtet sie lang.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
    951

    Geh, Robert!

    DER DICHTER

    952

    Du bist schön, du bist die Schönheit, du bist vielleicht sogar die Natur, du bist die heilige Einfalt.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    953

    Oh weh, du tropfst mich ja an! Schau, was gibst denn nicht acht!

    DER DICHTER

    stellt die Kerze weg.
    954

    Du bist das, was ich seit langem gesucht habe. Du liebst nur mich, du würdest mich auch lieben, wenn ich Schnittwarenkommis wäre. Das tut wohl. Ich will dir gestehen, daß ich einen gewissen Verdacht bis zu diesem Moment nicht losgeworden bin. Sag ehrlich, hast du nicht geahnt, daß ich Biebitz bin?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    955

    Aber geh, ich weiß gar nicht, was du von mir willst. Ich kenn' ja gar kein Biebitz.

    DER DICHTER

    956

    Was ist der Ruhm! Nein, vergiß, was ich gesagt habe, vergiß sogar den Namen, den ich dir gesagt hab'. Robert bin ich und will ich für dich bleiben. Ich hab' auch nur gescherzt. Leicht. Ich bin ja nicht Schriftsteller, ich bin Commis und am Abend spiel' ich bei Volkssängern Klavier.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    957

    Ja, jetzt kenn' ich mich aber nicht mehr aus… nein, und wie du einen nur anschaust. Ja, was ist denn, ja was hast denn?

    DER DICHTER

    958

    Es ist sehr sonderbar — was mir beinah noch nie passiert ist, mein Schatz, mir sind die Tränen nah. Du ergreifst mich tief. Wir wollen zusammenbleiben, ja? Wir werden einander sehr liebhaben.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    959

    Du, ist das wahr mit den Volkssängern?

    DER DICHTER

    960

    Ja, aber frag nicht weiter. Wenn du mich liebhast, frag überhaupt nichts. Sag, kannst du dich auf ein paar Wochen ganz frei machen?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    961

    Wieso ganz frei?

    DER DICHTER

    962

    Nun, vom Hause weg?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    963

    Aber!! Wie kann ich das! Was möcht' die Mutter sagen? Und dann, ohne mich ging ja alles schief zu Haus.

    DER DICHTER

    964

    Ich hatte es mir schön vorgestellt, mit dir zusammen, allein mit dir, irgendwo in der Einsamkeit draußen, im Wald, in der Natur ein paar Wochen zu leben. Natur… in der Natur. Und dann, eines Tages adieu — voneinander gehen, ohne zu wissen, wohin.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    965

    Jetzt red'st schon vom Adieusagen! Und ich hab' gemeint, daß du mich so gern hast.

    DER DICHTER

    966

    Gerade darum — beugt sich zu ihr und küßt sie auf die Stirn. Du süßes Geschöpf!

    DAS SÜSSE MÄDEL

    967

    Geh, halt mich fest, mir ist so kalt.

    DER DICHTER

    968

    Es wird Zeit sein, daß du dich ankleidest. Warte, ich zünde dir noch ein paar Kerzen an.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    erhebt sich.
    969

    Nicht herschauen.

    DER DICHTER

    970

    Nein. Am Fenster. Sag mir, mein Kind, bist du glücklich?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    971

    Wie meinst das?

    DER DICHTER

    972

    Ich mein' im allgemeinen, ob du glücklich bist?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    973

    Es könnt schon besser gehen.

    DER DICHTER

    974

    Du mißverstehst mich. Von deinen häuslichen Verhältnissen hast du mir ja schon genug erzählt. Ich weiß, daß du keine Prinzessin bist. Ich mein', wenn du von alledem absiehst, wenn du dich einfach leben spürst. Spürst du dich überhaupt leben?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    975

    Geh, hast kein Kamm?

    DER DICHTER

    geht zum Toilettentisch, gibt ihr den Kamm, betrachtet das süße Mädel.
    976

    Herrgott, siehst du so entzückend aus!

    DAS SÜSSE MÄDEL

    977

    Na… nicht!

    DER DICHTER

    978

    Geh, bleib noch da, bleib da, ich hol' was zum Nachtmahl und…

    DAS SÜSSE MÄDEL

    979

    Aber es ist ja schon viel zu spät.

    DER DICHTER

    980

    Es ist noch nicht neun.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    981

    Na, sei so gut, da muß ich mich aber tummeln.

    DER DICHTER

    982

    Wann werden wir uns denn wiedersehen?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    983

    Na, wann willst mich denn wiedersehen?

    DER DICHTER

    984

    Morgen.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    985

    Was ist denn morgen für ein Tag?

    DER DICHTER

    986

    Samstag.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    987

    Oh da kann ich nicht, da muß ich mit meiner kleinen Schwester zum Vormund.

    DER DICHTER

    988

    Also Sonntag… hm… Sonntag… am Sonntag… jetzt werd' ich dir was erklären. — Ich bin nicht Biebitz, aber Biebitz ist mein Freund. Ich werd' dir ihn einmal vorstellen. Aber Sonntag ist das Stück von Biebitz, — ich werd' dir eine Karte schicken und werde dich dann vom Theater abholen. Du wirst mir sagen, wie dir das Stück gefallen hat, ja?

    DAS SÜSSE MÄDEL

    989

    Jetzt, die G'schicht mit dem Biebitz — da bin ich schon ganz blöd.

    DER DICHTER

    990

    Völlig werd' ich dich erst kennen, wenn ich weiß, was du bei diesem Stück empfunden hast.

    DAS SÜSSE MÄDEL

    991

    So… ich bin fertig.

    DER DICHTER

    992

    Komm, mein Schatz!

    Sie gehen.

    DER DICHTER UND DIE SCHAUSPIELERIN

    Ein Zimmer in einem Gasthof auf dem Land. Es ist ein Frühlingsabend, über den Wiesen und Hügeln liegt der Mond, — die Fenster stehen offen. Große Stille. Der Dichter und die Schauspielerin treten ein, — wie sie hereintreten, verlöscht das Licht, das der Dichter in der Hand hält.

    DICHTER

    993

    Oh…

    SCHAUSPIELERIN

    994

    Was ist denn?

    DICHTER

    995

    Das Licht. — Aber wir brauchen keins. Schau, es ist ganz hell. Wunderbar!

    Schauspielerin sinkt am Fenster plötzlich nieder mit gefalteten Händen.

    DICHTER

    996

    Was hast du denn?

    Schauspielerin schweigt.

    DICHTER

    zu ihr hin:
    997

    Was machst du denn?

    SCHAUSPIELERIN

    empört:
    998

    Siehst du nicht, daß ich bete? —

    DICHTER

    999

    Glaubst du an Gott?

    SCHAUSPIELERIN

    1000

    Gewiß, ich bin ja kein blasser Schurke.

    DICHTER

    1001

    Ach so!

    SCHAUSPIELERIN

    1002

    Komm doch zu mir, knie dich neben mich hin. Kannst wirklich auch einmal beten. Wird dir keine Perle aus der Krone fallen.

    Dichter kniet neben sie hin und umfaßt sie.

    SCHAUSPIELERIN

    1003

    Wüstling! — Erhebt sich. Und weißt du auch, zu wem ich gebetet habe?

    DICHTER

    1004

    Zu Gott, nehm' ich an.

    SCHAUSPIELERIN

    Großer Hohn.
    1005

    Jawohl! Zu dir hab' ich gebetet.

    DICHTER

    1006

    Warum hast du denn da zum Fenster hinausgeschaut?

    SCHAUSPIELERIN

    1007

    Sag mir lieber, wo du mich da hingeschleppt hast, Verführer!

    DICHTER

    1008

    Aber Kind, das war ja deine Idee. Du wolltest ja aufs Land — und gerade hieher.

    SCHAUSPIELERIN

    1009

    Nun, hab' ich nicht recht gehabt?

    DICHTER

    1010

    Gewiß, es ist ja entzückend hier. Wenn man bedenkt, zwei Stunden von Wien — und die völlige Einsamkeit. Und was für eine Gegend!

    SCHAUSPIELERIN

    1011

    Was? Da könntest du wohl mancherlei dichten, wenn du zufällig Talent hättest.

    DICHTER

    1012

    Warst du hier schon einmal?

    SCHAUSPIELERIN

    1013

    Ob ich hier schon war? Ha! Hier hab' ich jahrelang gelebt!

    DICHTER

    1014

    Mit wem?

    SCHAUSPIELERIN

    1015

    Nun, mit Fritz natürlich.

    DICHTER

    1016

    Ach so!

    SCHAUSPIELERIN

    1017

    Den Mann hab' ich wohl angebetet! —

    DICHTER

    1018

    Das hast du mir bereits erzählt.

    SCHAUSPIELERIN

    1019

    Ich bitte — ich kann auch wieder gehen, wenn ich dich langweile!

    DICHTER

    1020

    Du mich langweilen?… Du ahnst ja gar nicht, was du für mich bedeutest… Du bist eine Welt für sich… Du bist das Göttliche, du bist das Genie… Du bist — Du bist eigentlich die heilige Einfalt… Ja, du… Aber du solltest jetzt nicht von Fritz reden.

    SCHAUSPIELERIN

    1021

    Das war wohl eine Verirrung! Na! —

    DICHTER

    1022

    Es ist schön, daß du das einsiehst.

    SCHAUSPIELERIN

    1023

    Komm her, gib mir einen Kuß!

    DICHTER küßt sie.
    1024

    Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht sagen! Leb wohl, mein Schatz!

    DICHTER

    1025

    Wie meinst du das?

    SCHAUSPIELERIN

    1026

    Nun, ich werde mich schlafen legen!

    DICHTER

    1027

    Ja — das schon, aber was das Gutenachtsagen anbelangt… Wo soll denn ich übernachten?

    SCHAUSPIELERIN

    1028

    Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesem Haus.

    DICHTER

    1029

    Die anderen haben aber keinen Reiz für mich. Jetzt werd' ich übrigens Licht machen, meinst du nicht?

    SCHAUSPIELERIN

    1030

    Ja.

    DICHTER

    zündet das Licht an, das auf dem Nachtkästchen steht.
    1031

    Was für ein hübsches Zimmer… und fromm sind die Leute hier. Lauter Heiligenbilder… Es wäre interessant, eine Zeit unter diesen Menschen zu verbringen… doch eine andre Welt. Wir wissen eigentlich so wenig von den andern.

    SCHAUSPIELERIN

    1032

    Rede keinen Stiefel und reiche mir lieber diese Tasche vom Tisch herüber.

    DICHTER

    1033

    Hier, meine Einzige!

    Schauspielerin nimmt aus dem Täschchen ein kleines, gerahmtes Bildchen, stellt es auf das Nachtkästchen.
    1034

    Was ist das?

    SCHAUSPIELERIN

    1035

    Das ist die Madonna.

    DICHTER

    1036

    Die hast du immer mit?

    SCHAUSPIELERIN

    1037

    Die ist doch mein Talisman. Und jetzt geh, Robert!

    DICHTER

    1038

    Aber was sind das für Scherze? Soll ich dir nicht helfen?

    SCHAUSPIELERIN

    1039

    Nein, du sollst jetzt gehn.

    DICHTER

    1040

    Und wann soll ich wiederkommen?

    SCHAUSPIELERIN

    1041

    In zehn Minuten.

    DICHTER

    küßt sie.
    1042

    Auf Wiedersehen!

    SCHAUSPIELERIN

    1043

    Wo willst du denn hin?

    DICHTER

    1044

    Ich werde vor dem Fenster auf und ab gehen. Ich liebe es sehr, nachts im Freien herumzuspazieren. Meine besten Gedanken kommen mir so. Und gar in deiner Nähe, von deiner Sehnsucht sozusagen umhaucht… in deiner Kunst webend.

    SCHAUSPIELERIN

    1045

    Du redest wie ein Idiot…

    DICHTER

    schmerzlich.
    1046

    Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen würden… wie ein Dichter.

    SCHAUSPIELERIN

    1047

    Nun geh endlich. Aber fang mir kein Verhältnis mit der Kellnerin an. —

    Dichter geht.
    kleidet sich aus. Sie hört, wie der Dichter über die Holztreppe hinuntergeht und hört jetzt seine Schritte unter dem Fenster. Sie geht, sobald sie ausgekleidet ist, zum Fenster, sieht hinunter, er steht da; sie ruft flüsternd hinunter.
    1048

    Komm!

    Dichter kommt rasch herauf, stürzt zu ihr, die sich unterdessen ins Bett gelegt und das Licht ausgelöscht hat; er sperrt ab.

    SCHAUSPIELERIN

    1049

    So, jetzt kannst du dich zu mir setzen und mir was erzählen.

    DICHTER

    setzt sich zu ihr aufs Bett.
    1050

    Soll ich nicht das Fenster schließen? Ist dir nicht kalt?

    SCHAUSPIELERIN

    1051

    Oh nein!

    DICHTER

    1052

    Was soll ich dir denn erzählen?

    SCHAUSPIELERIN

    1053

    Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?

    DICHTER

    1054

    Ich bin es ja leider noch nicht.

    SCHAUSPIELERIN

    1055

    Nun, tröste dich, ich betrüge auch jemanden.

    DICHTER

    1056

    Das kann ich mir denken.

    SCHAUSPIELERIN

    1057

    Und was glaubst du, wen?

    DICHTER

    1058

    Ja Kind, davon kann ich keine Ahnung haben.

    SCHAUSPIELERIN

    1059

    Nun, rate.

    DICHTER

    1060

    Warte… Na, deinen Direktor.

    SCHAUSPIELERIN

    1061

    Mein Lieber, ich bin keine Choristin.

    DICHTER

    1062

    Nun, ich dachte nur.

    SCHAUSPIELERIN

    1063

    Rate noch einmal.

    DICHTER

    1064

    Also du betrügst deinen Kollegen… Benno —

    SCHAUSPIELERIN

    1065

    Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keine Frauen… weißt du das nicht? Der Mann hat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!

    DICHTER

    1066

    Ist das möglich! —

    SCHAUSPIELERIN

    1067

    So gib mir lieber einen Kuß.

    Dichter umschlingt sie.
    1068

    Aber was tust du denn?

    DICHTER

    1069

    So quäl mich doch nicht so.

    SCHAUSPIELERIN

    1070

    Höre, Robert, ich werde dir einen Vorschlag machen. Leg dich zu mir ins Bett.

    DICHTER

    1071

    Angenommen!

    SCHAUSPIELERIN

    1072

    Komm schnell, komm schnell!

    DICHTER

    1073

    Ja… wenn es nach mir gegangen wäre, wär ich schon längst… Hörst du…

    SCHAUSPIELERIN

    1074

    Was denn?

    DICHTER

    1075

    Draußen zirpen die Grillen.

    SCHAUSPIELERIN

    1076

    Du bist wohl wahnsinnig, mein Kind, hier gibt es ja keine Grillen.

    DICHTER

    1077

    Aber du hörst sie doch.

    SCHAUSPIELERIN

    1078

    Nun so komm endlich!

    DICHTER

    1079

    Da bin ich.

    Zu ihr.

    SCHAUSPIELERIN

    1080

    So, jetzt bleib schön ruhig liegen… Pst… nicht rühren.

    DICHTER

    1081

    Ja, was fällt dir denn ein?

    SCHAUSPIELERIN

    1082

    Du möchtest wohl gerne ein Verhältnis mit mir haben?

    DICHTER

    1083

    Das dürfte dir doch bereits klar sein.

    SCHAUSPIELERIN

    1084

    Nun, das möchte wohl mancher…

    DICHTER

    1085

    Es ist aber doch nicht zu bezweifeln, daß in diesem Moment ich die meisten Chancen habe.

    SCHAUSPIELERIN

    1086

    So komm, meine Grille! Ich werde dich von nun an Grille nennen.

    DICHTER

    1087

    Schön…

    SCHAUSPIELERIN

    1088

    Nun, wen betrüg' ich?

    DICHTER

    1089

    Wen?… Vielleicht mich…

    SCHAUSPIELERIN

    1090

    Mein Kind, du bist schwer gehirnleidend.

    DICHTER

    1091

    Oder einen… den du selbst nie gesehen… einen, den du nicht kennst, einen — der für dich bestimmt ist und den du nie finden kannst…

    SCHAUSPIELERIN

    1092

    Ich bitte dich, rede nicht so märchenhaft blöd.

    DICHTER

    1093

    … Ist es nicht sonderbar… auch du — und man sollte doch glauben. — Aber nein, es hieße dir dein Bestes rauben, wollte man dir… komm, komm — — komm —


    SCHAUSPIELERIN

    1094

    Das ist noch schöner, als in blödsinnigen Stücken spielen… was meinst du?

    DICHTER

    1095

    Nun, ich mein', es ist gut, daß du doch zuweilen in vernünftigen zu spielen hast.

    SCHAUSPIELERIN

    1096

    Du arroganter Hund meinst gewiß wieder das deine?

    DICHTER

    1097

    Jawohl!

    SCHAUSPIELERIN

    ernst.
    1098

    Das ist wohl ein herrliches Stück!

    DICHTER

    1099

    Nun also!

    SCHAUSPIELERIN

    1100

    Ja, du bist ein großes Genie, Robert!

    DICHTER

    1101

    Bei dieser Gelegenheit könntest du mir übrigens sagen, warum du vorgestern abgesagt hast. Es hat dir doch absolut gar nichts gefehlt.

    SCHAUSPIELERIN

    1102

    Nun, ich wollte dich ärgern.

    DICHTER

    1103

    Ja warum denn? Was hab' ich dir denn getan?

    SCHAUSPIELERIN

    1104

    Arrogant bist du gewesen.

    DICHTER

    1105

    Wieso?

    SCHAUSPIELERIN

    1106

    Alle im Theater finden es.

    DICHTER

    1107

    So.

    SCHAUSPIELERIN

    1108

    Aber ich hab' ihnen gesagt: Der Mann hat wohl ein Recht, arrogant zu sein.

    DICHTER

    1109

    Und was haben die anderen geantwortet?

    SCHAUSPIELERIN

    1110

    Was sollen mir denn die Leute antworten? Ich rede ja mit keinem.

    DICHTER

    1111

    Ach so.

    SCHAUSPIELERIN

    1112

    Sie möchten mich am liebsten alle vergiften. Aber das wird ihnen nicht gelingen.

    DICHTER

    1113

    Denke jetzt nicht an die anderen Menschen. Freue dich lieber, daß wir hier sind und sage mir, daß du mich liebhast.

    SCHAUSPIELERIN

    1114

    Verlangst du noch weitere Beweise?

    DICHTER

    1115

    Bewiesen kann das überhaupt nicht werden.

    SCHAUSPIELERIN

    1116

    Das ist aber großartig! Was willst du denn noch?

    DICHTER

    1117

    Wie vielen hast du es schon auf diese Art beweisen wollen… hast du alle geliebt?

    SCHAUSPIELERIN

    1118

    Oh nein. Geliebt hab' ich nur einen.

    DICHTER

    umarmt sie.
    1119

    Mein…

    SCHAUSPIELERIN

    1120

    Fritz.

    DICHTER

    1121

    Ich heiße Robert. Was bin denn ich für dich, wenn du jetzt an Fritz denkst?

    SCHAUSPIELERIN

    1122

    Du bist eine Laune.

    DICHTER

    1123

    Gut, daß ich es weiß.

    SCHAUSPIELERIN

    1124

    Nun sag, bist du nicht stolz?

    DICHTER

    1125

    Ja, weshalb soll ich denn stolz sein?

    SCHAUSPIELERIN

    1126

    Ich denke, daß du wohl einen Grund dazu hast.

    DICHTER

    1127

    Ach deswegen.

    SCHAUSPIELERIN

    1128

    Jawohl, deswegen, meine blasse Grille! Nun, wie ist das mit dem Zirpen? Zirpen sie noch?

    DICHTER

    1129

    Ununterbrochen. Hörst du's denn nicht?

    SCHAUSPIELERIN

    1130

    Freilich hör' ich. Aber das sind Frösche, mein Kind.

    DICHTER

    1131

    Du irrst dich, die quaken.

    SCHAUSPIELERIN

    1132

    Gewiß quaken sie.

    DICHTER

    1133

    Aber nicht hier, mein Kind, hier wird gezirpt.

    SCHAUSPIELERIN

    1134

    Du bist wohl das Eigensinnigste, was mir je untergekommen ist. Gib mir einen Kuß, mein Frosch!

    DICHTER

    1135

    Bitte sehr, nenn mich nicht so. Das macht mich direkt nervös.

    SCHAUSPIELERIN

    1136

    Nun, wie soll ich dich nennen.

    DICHTER

    1137

    Ich hab' doch einen Namen: Robert.

    SCHAUSPIELERIN

    1138

    Ach, das ist zu dumm.

    DICHTER

    1139

    Ich bitte dich aber, mich einfach so zu nennen, wie ich heiße.

    SCHAUSPIELERIN

    1140

    Also Robert, gib mir einen Kuß… Ah! Sie küßt ihn. Bist du jetzt zufrieden, Frosch? Hahahaha.

    DICHTER

    1141

    Würdest du mir erlauben, mir eine Zigarette anzuzünden?

    SCHAUSPIELERIN

    1142

    Gib mir auch eine.

    Er nimmt die Zigarettentasche vom Nachtkästchen, entnimmt ihr zwei Zigaretten, zündet beide an, gibt ihr eine.

    SCHAUSPIELERIN

    1143

    Du hast mir übrigens noch kein Wort über meine gestrige Leistung gesagt.

    DICHTER

    1144

    Über welche Leistung?

    SCHAUSPIELERIN

    1145

    Nun.

    DICHTER

    1146

    Ach so. Ich war nicht im Theater.

    SCHAUSPIELERIN

    1147

    Du beliebst wohl zu scherzen.

    DICHTER

    1148

    Durchaus nicht. Nachdem du vorgestern abgesagt hast, habe ich angenommen, daß du auch gestern noch nicht im Vollbesitze deiner Kräfte sein würdest und da hab' ich lieber verzichtet.

    SCHAUSPIELERIN

    1149

    Du hast wohl viel versäumt.

    DICHTER

    1150

    So.

    SCHAUSPIELERIN

    1151

    Es war sensationell. Die Menschen sind blaß geworden.

    DICHTER

    1152

    Hast du das deutlich bemerkt?

    SCHAUSPIELERIN

    1153

    Benno sagte: Kind, du hast gespielt wie eine Göttin.

    DICHTER

    1154

    Hm!… Und vorgestern noch so krank.

    SCHAUSPIELERIN

    1155

    Jawohl; ich war es auch. Und weißt du warum? Vor Sehnsucht nach dir.

    DICHTER

    1156

    Früher hast du mir erzählt, du wolltest mich ärgern und hast darum abgesagt.

    SCHAUSPIELERIN

    1157

    Aber was weißt du von meiner Liebe zu dir. Dich läßt ja alles kalt. Und ich bin schon nächtelang im Fieber gelegen. Vierzig Grad!

    DICHTER

    1158

    Für eine Laune ist das ziemlich hoch.

    SCHAUSPIELERIN

    1159

    Laune nennst du das? Ich sterbe vor Liebe zu dir und du nennst es Laune — ?!

    DICHTER

    1160

    Und Fritz…

    SCHAUSPIELERIN

    1161

    Fritz?… Rede mir nicht von diesem Galeerensträfling! —

    DIE SCHAUSPIELERIN UND DER GRAF

    Das Schlafzimmer der Schauspielerin. Sehr üppig eingerichtet. Es ist zwölf Uhr mittags, die Rouleaux sind noch herunter gelassen, auf dem Nachtkästchen brennt eine Kerze, die Schauspielerin liegt noch in ihrem Himmelbett. Auf der Decke liegen zahlreiche Zeitungen. Der Graf tritt ein in der Uniform eines Dragonerrittmeisters. Er bleibt an der Tür stehen. —

    SCHAUSPIELERIN

    1162

    Ah, Herr Graf.

    GRAF

    1163

    Die Frau Mama hat mir erlaubt, sonst wär' ich nicht —

    SCHAUSPIELERIN

    1164

    Bitte, treten Sie nur näher.

    GRAF

    1165

    Küß die Hand. Pardon — wenn man von der Straßen hereinkommt… ich seh' nämlich noch rein gar nichts. So… da wären wir ja am Bett: Küß die Hand.

    SCHAUSPIELERIN

    1166

    Nehmen Sie Platz, Herr Graf.

    GRAF

    1167

    Frau Mama sagte mir, Fräulein sind unpäßlich… Wird doch hoffentlich nichts ernstes sein.

    SCHAUSPIELERIN

    1168

    Nichts ernstes? Ich bin dem Tode nahe gewesen!

    GRAF

    1169

    Um Gottes willen, wie ist denn das möglich?

    SCHAUSPIELERIN

    1170

    Es ist jedenfalls sehr freundlich, daß Sie sich zu mir bemühen.

    GRAF

    1171

    Dem Tode nahe! Und gestern abend haben Sie noch gespielt wie eine Göttin.

    SCHAUSPIELERIN

    1172

    Es war wohl ein großer Triumph.

    GRAF

    1173

    Kolossal!… Die Leute waren auch alle hingerissen. Und von mir will ich gar nicht reden.

    SCHAUSPIELERIN

    1174

    Ich danke für die schönen Blumen.

    GRAF

    1175

    Aber bitt' Sie Fräulein.

    SCHAUSPIELERIN

    mit den Augen auf einen großen Blumenkorb weisend, der auf einem kleinen Tischchen auf dem Fenster steht.
    1176

    Hier stehen sie.

    GRAF

    1177

    Sie sind gestern förmlich überschüttet worden mit Blumen und Kränzen.

    SCHAUSPIELERIN

    1178

    Das liegt noch alles in meiner Garderobe. Nur Ihren Korb habe ich mit nach Hause gebracht.

    GRAF

    küßt ihr die Hand.
    1179

    Das ist lieb von Ihnen.

    Schauspielerin nimmt die seine plötzlich und küßt sie.
    1180

    Aber Fräulein.

    SCHAUSPIELERIN

    1181

    Erschrecken Sie nicht, Herr Graf, das verpflichtet Sie zu gar nichts.

    GRAF

    1182

    Sie sind ein sonderbares Wesen… rätselhaft könnte man fast sagen. —

    Pause.

    SCHAUSPIELERIN

    1183

    Das Fräulein Birken ist wohl leichter aufzulösen.

    GRAF

    1184

    Ja die kleine Birken ist kein Problem, obzwar… ich kenne sie ja auch nur oberflächlich.

    SCHAUSPIELERIN

    1185

    Ha!

    GRAF

    1186

    Sie können mir's glauben. Aber Sie sind ein Problem. Danach hab' ich immer Sehnsucht gehabt. Es ist mir eigentlich ein großer Genuß entgangen, dadurch, daß ich Sie gestern… das erste Mal spielen gesehen habe.

    SCHAUSPIELERIN

    1187

    Ist das möglich?

    GRAF

    1188

    Ja. Schauen Sie, Fräulein, es ist so schwer mit dem Theater. Ich bin gewöhnt, spät zu dinieren… also wenn man dann hinkommt, ist's beste vorbei. Ist's nicht wahr?

    SCHAUSPIELERIN

    1189

    So werden Sie eben von jetzt an früher essen.

    GRAF

    1190

    Ja, ich hab' auch schon daran gedacht. Oder gar nicht. Es ist ja wirklich kein Vergnügen, das Dinieren.

    SCHAUSPIELERIN

    1191

    Was kennen Sie jugendlicher Greis eigentlich noch für ein Vergnügen?

    GRAF

    1192

    Das frag ich mich selber manchmal! Aber ein Greis bin ich nicht. Es muß einen anderen Grund haben.

    SCHAUSPIELERIN

    1193

    Glauben Sie?

    GRAF

    1194

    Ja. Der Lulu sagt beispielsweise, ich bin ein Philosoph. Wissen Sie, Fräulein, er meint, ich denk' zu viel nach.

    SCHAUSPIELERIN

    1195

    Ja… denken, das ist das Unglück.

    GRAF

    1196

    Ich hab' zu viel Zeit, drum denk' ich nach. Bitt' Sie, Fräulein, schauen S', ich hab' mir gedacht, wenn s' mich nach Wien transferieren, wird's besser. Da gibt's Zerstreuung, Anregung. Aber es ist im Grund doch nicht anders als da oben.

    SCHAUSPIELERIN

    1197

    Wo ist denn das da oben?

    GRAF

    1198

    Na, da unten, wissen S' Fräulein, in Ungarn, in die Nester, wo ich meistens in Garnison war.

    SCHAUSPIELERIN

    1199

    Ja, was haben Sie denn in Ungarn gemacht?

    GRAF

    1200

    Na, wie ich sag', Fräulein, Dienst.

    SCHAUSPIELERIN

    1201

    Ja, warum sind Sie denn so lang in Ungarn geblieben?

    GRAF

    1202

    Ja, das kommt so.

    SCHAUSPIELERIN

    1203

    Da muß man ja wahnsinnig werden.

    GRAF

    1204

    Warum denn? Zu tun hat man eigentlich mehr wie da. Wissen S' Fräulein, Rekruten ausbilden, Remonten reiten… und dann ist's nicht so arg mit der Gegend, wie man sagt. Es ist schon ganz was schönes, die Tiefebene — und so ein Sonnenuntergang, es ist schade, daß ich kein Maler bin, ich hab mir manchmal gedacht, wenn ich ein Maler wär', tät' ich's malen. Einen haben wir gehabt beim Regiment, einen jungen Splany, der hat's können. — Aber was erzähl ich Ihnen da für fade G'schichten, Fräulein.

    SCHAUSPIELERIN

    1205

    Oh bitte, ich amüsiere mich königlich.

    GRAF

    1206

    Wissen S' Fräulein, mit Ihnen kann man plaudern, das hat mir der Lulu schon g'sagt, und das ist's, was man so selten find't.

    SCHAUSPIELERIN

    1207

    Nun freilich, in Ungarn.

    GRAF

    1208

    Aber in Wien gradso! Die Menschen sind überall dieselben; da wo mehr sind, ist halt das Gedräng' größer, das ist der ganze Unterschied. Sagen S' Fräulein, haben Sie die Menschen eigentlich gern?

    SCHAUSPIELERIN

    1209

    Gern — ?? Ich hasse sie! Ich kann keine sehn! Ich seh' auch nie jemanden. Ich bin immer allein, dieses Haus betritt niemand.

    GRAF

    1210

    Sehn S', das hab' ich mir gedacht, daß Sie eigentlich eine Menschenfeindin sind. Bei der Kunst muß das oft vorkommen. Wenn man so in den höheren Regionen… na, Sie haben's gut, Sie wissen doch wenigstens, warum Sie leben!

    SCHAUSPIELERIN

    1211

    Wer sagt Ihnen das? Ich habe keine Ahnung, wozu ich lebe!

    GRAF

    1212

    Ich bitt' Sie, Fräulein, — berühmt — gefeiert —

    SCHAUSPIELERIN

    1213

    Ist das vielleicht ein Glück?

    GRAF

    1214

    Glück? Bitt' Sie Fräulein, Glück gibt's nicht. Überhaupt gerade die Sachen, von denen am meisten g'redt wird, gibt's nicht… zum Beispiel Liebe. Das ist auch so was.

    SCHAUSPIELERIN

    1215

    Da haben Sie wohl recht.

    GRAF

    1216

    Genuß… Rausch… also gut, da läßt sich nichts sagen… das ist was Sicheres. Jetzt genieße ich… gut, weiß ich, ich genieß'. Oder ich bin berauscht, schön. Das ist auch sicher. Und ist's vorbei, so ist es halt vorbei.

    SCHAUSPIELERIN

    groß.
    1217

    Es ist vorbei!

    GRAF

    1218

    Aber sobald man sich nicht, wie soll ich mich denn ausdrücken, sobald man sich nicht dem Moment hingibt, also an später denkt oder an früher… na, ist es doch gleich aus. Später… ist traurig… früher ist ungewiß… mit einem Wort… man wird nur konfus. Hab' ich nicht recht?

    SCHAUSPIELERIN

    nickt mit großen Augen.
    1219

    Sie haben wohl den Sinn erfaßt.

    GRAF

    1220

    Und sehen S', Fräulein, wenn einem das einmal klar geworden ist, ist's ganz egal, ob man in Wien lebt oder in der Pußta oder in Steinamanger. Schaun S' zum Beispiel… wo darf ich denn die Kappen hinlegen? So, ich dank' schön… wovon haben wir denn nur gesprochen?

    SCHAUSPIELERIN

    1221

    Von Steinamanger.

    GRAF

    1222

    Richtig. Also wie ich sag', der Unterschied ist nicht groß. Ob ich am Abend im Kasino sitz' oder im Klub, ist doch alles eins.

    SCHAUSPIELERIN

    1223

    Und wie verhält sich denn das mit der Liebe?

    GRAF

    1224

    Wenn man dran glaubt, ist immer eine da, die einen gern hat.

    SCHAUSPIELERIN

    1225

    Zum Beispiel das Fräulein Birken.

    GRAF

    1226

    Ich weiß wirklich nicht, Fräulein, warum Sie immer auf die kleine Birken zu reden kommen.

    SCHAUSPIELERIN

    1227

    Das ist doch Ihre Geliebte.

    GRAF

    1228

    Wer sagt denn das?

    SCHAUSPIELERIN

    1229

    Jeder Mensch weiß das.

    GRAF

    1230

    Nur ich nicht, es ist merkwürdig.

    SCHAUSPIELERIN

    1231

    Sie haben doch ihretwegen ein Duell gehabt!

    GRAF

    1232

    Vielleicht bin ich sogar tot geschossen worden und hab's gar nicht bemerkt.

    SCHAUSPIELERIN

    1233

    Nun, Herr Graf, Sie sind ein Ehrenmann. Setzen Sie sich näher.

    GRAF

    1234

    Bin so frei.

    SCHAUSPIELERIN

    1235

    Hierher. Sie zieht ihn an sich, fährt ihm mit der Hand durch die Haare. Ich hab' gewußt, daß Sie heute kommen werden!

    GRAF

    1236

    Wieso denn?

    SCHAUSPIELERIN

    1237

    Ich hab' es bereits gestern im Theater gewußt.

    GRAF

    1238

    Haben Sie mich denn von der Bühne aus gesehen?

    SCHAUSPIELERIN

    1239

    Aber Mann! Haben Sie denn nicht bemerkt, daß ich nur für Sie spiele?

    GRAF

    1240

    Wie ist das denn möglich?

    SCHAUSPIELERIN

    1241

    Ich bin ja so geflogen, wie ich Sie in der ersten Reihe sitzen sah!

    GRAF

    1242

    Geflogen? Meinetwegen? Ich hab' keine Ahnung gehabt, daß Sie mich bemerken!

    SCHAUSPIELERIN

    1243

    Sie können einen auch mit Ihrer Vornehmheit zur Verzweiflung bringen.

    GRAF

    1244

    Ja, Fräulein…

    SCHAUSPIELERIN

    1245

    „Ja, Fräulein”!… So schnallen Sie doch wenigstens Ihren Säbel ab!

    GRAF

    1246

    Wenn es erlaubt ist.

    Schnallt ihn ab, lehnt ihn ans Bett.

    SCHAUSPIELERIN

    1247

    Und gib mir endlich einen Kuß.

    Graf küßt sie, sie läßt ihn nicht los.
    1248

    Dich hätte ich auch lieber nie erblicken sollen.

    GRAF

    1249

    Es ist doch besser so!

    SCHAUSPIELERIN

    1250

    Herr Graf, Sie sind doch ein Poseur!

    GRAF

    1251

    Ich — warum denn?

    SCHAUSPIELERIN

    1252

    Was glauben Sie, wie glücklich wär' mancher, wenn er an Ihrer Stelle sein dürfte!

    GRAF

    1253

    Ich bin sehr glücklich.

    SCHAUSPIELERIN

    1254

    Nun, ich dachte, es gibt kein Glück. Wie schaust du mich denn an? Ich glaube Sie haben Angst vor mir, Herr Graf!

    GRAF

    1255

    Ich sag's ja, Fräulein, Sie sind ein Problem.

    SCHAUSPIELERIN

    1256

    Ach laß du mich in Frieden mit der Philosophie… komm zu mir. Und jetzt bitt' mich um irgendwas… du kannst alles haben, was du willst. Du bist zu schön.

    GRAF

    1257

    Also ich bitte um die Erlaubnis ihre Hand küssend, daß ich heute abends wiederkommen darf.

    SCHAUSPIELERIN

    1258

    Heut abend… ich spiele ja.

    GRAF

    1259

    Nach dem Theater.

    SCHAUSPIELERIN

    1260

    Um was anderes bittest du nicht?

    GRAF

    1261

    Um alles andere werde ich nach dem Theater bitten.

    SCHAUSPIELERIN

    verletzt.
    1262

    Da kannst du lange bitten, du elender Poseur.

    GRAF

    1263

    Ja schauen Sie, oder schau, wir sind doch bis jetzt so aufrichtig miteinander gewesen… Ich fände das alles viel schöner am Abend nach dem Theater… gemütlicher als jetzt, wo… ich hab' immer so die Empfindung, als könnte die Tür aufgehn…

    SCHAUSPIELERIN

    1264

    Die geht nicht von außen auf.

    GRAF

    1265

    Schau, ich find', man soll sich nicht leichtsinnig von vornherein was verderben, was möglicherweise sehr schön sein könnte.

    SCHAUSPIELERIN

    1266

    Möglicherweise!…

    GRAF

    1267

    In der Früh, wenn ich die Wahrheit sagen soll, find' ich die Liebe gräßlich.

    SCHAUSPIELERIN

    1268

    Nun — du bist wohl das Irrsinnigste, was mir je vorgekommen ist!

    GRAF

    1269

    Ich red' ja nicht von beliebigen Frauenzimmern… schließlich im allgemeinen ist's ja egal. Aber Frauen wie du… nein, du kannst mich hundertmal einen Narren heißen. Aber Frauen wie du… nimmt man nicht vor dem Frühstück zu sich. Und so… weißt… so…

    SCHAUSPIELERIN

    1270

    Gott, was bist du süß!

    GRAF

    1271

    Siehst du das ein, was ich g'sagt hab', nicht wahr. Ich stell' mir das so vor —

    SCHAUSPIELERIN

    1272

    Nun, wie stellst du dir das vor?

    GRAF

    1273

    Ich denk' mir… ich wart' nach dem Theater auf dich in ein Wagen, dann fahren wir zusammen also irgendwohin soupieren —

    SCHAUSPIELERIN

    1274

    Ich bin nicht das Fräulein Birken.

    GRAF

    1275

    Das hab' ich ja nicht gesagt. Ich find' nur, zu allem g'hört Stimmung. Ich komm' immer erst beim Souper in Stimmung. Das ist dann das Schönste, wenn man so vom Souper zusamm nach Haus fahrt, dann…

    SCHAUSPIELERIN

    1276

    Was ist dann?

    GRAF

    1277

    Also dann… liegt das in der Entwicklung der Dinge.

    SCHAUSPIELERIN

    1278

    Setz dich doch näher. Näher.

    GRAF

    sich aufs Bett setzend.
    1279

    Ich muß schon sagen, aus den Polstern kommt so ein… Reseda ist das — nicht?

    SCHAUSPIELERIN

    1280

    Es ist sehr heiß hier, findest du nicht?

    Graf neigt sich und küßt ihren Hals.
    1281

    Oh, Herr Graf, das ist ja gegen Ihr Programm.

    GRAF

    1282

    Wer sagt denn das? Ich hab' kein Programm.

    SCHAUSPIELERIN zieht ihn an sich.
    1283

    Es ist wirklich heiß.

    SCHAUSPIELERIN

    1284

    Findest du? Und so dunkel, wie wenn's Abend wär… reißt ihn an sich. Es ist Abend… es ist Nacht… Mach die Augen zu, wenn's dir zu licht ist. Komm! Komm!…

    Graf wehrt sich nicht mehr.

    SCHAUSPIELERIN

    1285

    Nun, wie ist das jetzt mit der Stimmung, du Poseur?

    GRAF

    1286

    Du bist ein kleiner Teufel.

    SCHAUSPIELERIN

    1287

    Was ist das für ein Ausdruck?

    GRAF

    1288

    Na, also ein Engel.

    SCHAUSPIELERIN

    1289

    Und du hättest Schauspieler werden sollen! Wahrhaftig! Du kennst die Frauen! Und weißt du, was ich jetzt tun werde?

    GRAF

    1290

    Nun?

    SCHAUSPIELERIN

    1291

    Ich werde dir sagen, daß ich dich nie wiedersehen will.

    GRAF

    1292

    Warum denn?

    SCHAUSPIELERIN

    1293

    Nein, nein. Du bist mir zu gefährlich! Du machst ja ein Weib toll. Jetzt stehst du plötzlich vor mir, als wär nichts geschehn.

    GRAF

    1294

    Aber…

    SCHAUSPIELERIN

    1295

    Ich bitte sich zu erinnern, Herr Graf, ich bin soeben Ihre Geliebte gewesen.

    GRAF

    1296

    Ich werd's nie vergessen!

    SCHAUSPIELERIN

    1297

    Und wie ist das mit heute abend?

    GRAF

    1298

    Wie meinst du das?

    SCHAUSPIELERIN

    1299

    Nun du wolltest mich ja nach dem Theater erwarten?

    GRAF

    1300

    Ja, also gut, zum Beispiel übermorgen.

    SCHAUSPIELERIN

    1301

    Was heißt das, übermorgen? Es war doch von heute die Rede.

    GRAF

    1302

    Das hätte keinen rechten Sinn.

    SCHAUSPIELERIN

    1303

    Du Greis!

    GRAF

    1304

    Du verstehst mich nicht recht. Ich mein' das mehr, was, wie soll ich mich ausdrücken, was die Seele anbelangt.

    SCHAUSPIELERIN

    1305

    Was geht mich deine Seele an.

    GRAF

    1306

    Glaub mir, sie gehört mit dazu. Ich halte das für eine falsche Ansicht, daß man das so voneinander trennen kann.

    SCHAUSPIELERIN

    1307

    Laß mich mit deiner Philosophie in Frieden. Wenn ich das haben will, lese ich Bücher.

    GRAF

    1308

    Aus Büchern lernt man ja doch nie.

    SCHAUSPIELERIN

    1309

    Das ist wohl wahr! Drum sollst du mich heut abend erwarten. Wegen der Seele werden wir uns schon einigen, du Schurke!

    GRAF

    1310

    Also wenn du erlaubst, so werde ich mit meinem Wagen…

    SCHAUSPIELERIN

    1311

    Hier in meiner Wohnung wirst du mich erwarten —

    GRAF

    1312

    … Nach dem Theater.

    SCHAUSPIELERIN

    1313

    Natürlich.

    Er schnallt den Säbel um.

    SCHAUSPIELERIN

    1314

    Was machst du denn da?

    GRAF

    1315

    Ich denke, es ist Zeit, daß ich geh'. Für einen Anstandsbesuch bin ich doch eigentlich schon ein bissel lang geblieben.

    SCHAUSPIELERIN

    1316

    Nun, heut abend soll es kein Anstandsbesuch werden.

    GRAF

    1317

    Glaubst du?

    SCHAUSPIELERIN

    1318

    Dafür laß nur mich sorgen. Und jetzt gib mir noch einen Kuß, mein kleiner Philosoph. So, du Verführer, du… süßes Kind, du Seelenverkäufer, du Iltis… du… Nachdem sie ihn ein paarmal heftig geküßt, stößt sie ihn heftig von sich. Herr Graf, es war mir eine große Ehre!

    GRAF

    1319

    Ich küss' die Hand, Fräulein! Bei der Tür. Auf Wiederschaun.

    SCHAUSPIELERIN

    1320

    Adieu, Steinamanger!

    DER GRAF UND DIE DIRNE

    Morgen, gegen sechs Uhr. Ein ärmliches Zimmer, einfenstrig, die gelblichschmutzigen Rouletten sind heruntergelassen. Verschlissene grünliche Vorhänge. Eine Kommode, auf der ein paar Fotografien stehen und ein auffallend geschmackloser, billiger Damenhut liegt. Hinter dem Spiegel billige japanische Fächer. Auf dem Tisch, der mit einem rötlichen Schutztuch überzogen ist, steht eine Petroleumlampe, die schwach brenzlich brennt, papierener, gelber Lampenschirm, daneben ein Krug, in dem ein Rest von Bier ist, und ein halbgeleertes Glas. Auf dem Boden neben dem Bett liegen unordentlich Frauenkleider, als wenn sie eben rasch abgeworfen worden wären. Im Bett liegt schlafend die Dirne, sie atmet ruhig. — Auf dem Diwan, völlig angekleidet, liegt der Graf, im Drapp-Überzieher, der Hut liegt zu Häupten des Diwans auf dem Boden.

    GRAF

    bewegt sich, reibt die Augen, erhebt sich rasch, bleibt sitzen, schaut um sich.
    1321

    Ja, wie bin ich denn… Ah so… Also bin ich richtig mit dem Frauenzimmer nach Haus… Er steht rasch auf, sieht ihr Bett. Da liegt s' ja… Was einem noch alles in meinem Alter passieren kann. Ich hab' keine Idee, haben s' mich da heraufgetragen? Nein… ich hab' ja gesehn — ich komm in das Zimmer… ja… da bin ich noch wach gewesen oder wach worden… oder… oder ist vielleicht nur, daß mich das Zimmer an was erinnert?… Meiner Seel, na ja… gestern hab' ich's halt g'sehn Sieht auf die Uhr. Was! Gestern, vor ein paar Stunden — Aber ich hab's g'wußt, daß was passieren muß… ich hab's g'spürt — wie ich ang'fangen hab' zu trinken gestern, hab' ich's g'spürt, daß… Und was ist denn passiert?… Also nichts… Oder ist was…? Meiner Seel… seit… also seit zehn Jahren ist mir sowas nicht vorkommen, daß ich nicht weiß… Also kurz und gut, ich war halt b'soffen. Wenn ich nur wüßt', von wann an… Also das weiß ich noch ganz genau, wie ich in das Hurenkaffeehaus hinein bin mit dem Lulu und… nein, nein… vom Sacher sind wir ja noch weggangen… und dann auf dem Weg ist schon… Ja richtig, ich bin ja in meinem Wagen g'fahren mit'm Lulu… Was zerbrich ich mir denn viel den Kopf. Ist ja egal. Schaun wir, daß wir weiterkommen. Steht auf. Die Lampe wackelt. Oh! Sieht auf die Schlafende. Die hat halt einen g'sunden Schlaf. Ich weiß zwar von gar nix — aber ich werd' ihr 's Geld aufs Nachtkastel legen… und Servus… Er steht vor ihr, sieht sie lange an. Wenn man nicht wüßt, was sie ist! Betrachtet sie lang. Ich hab' viel kennt, die haben nicht einmal im Schlafen so tugendhaft ausg'sehn. Meiner Seel… also der Lulu möcht' wieder sagen, ich philosophier', aber es ist wahr, der Schlaf macht auch schon gleich, kommt mir vor; — wie der Herr Bruder, also der Tod… Hm, ich möcht' nur wissen, ob… Nein, daran müßt' ich mich ja erinnern… Nein, nein, ich bin gleich da auf den Diwan herg'fallen… und nichts is g'schehn… Es ist unglaublich, wie sich manchmal alle Weiber ähnlich schauen… Na, gehn wir. Er will gehen. Ja richtig.

    Er nimmt die Brieftasche und ist eben daran eine Banknote herauszunehmen.

    DIRNE

    wacht auf.
    1322

    Na … wer ist denn in aller Früh — ? Erkennt ihn. Servus, Bubi!

    GRAF

    1323

    Guten Morgen. Hast gut g'schlafen?

    DIRNE

    reckt sich.
    1324

    Ah, komm her. Pussi geben.

    GRAF

    beugt sich zu ihr herab, besinnt sich, wieder fort.
    1325

    Ich hab' grad fortgehen wollen …

    DIRNE

    1326

    Fortgehn?

    GRAF

    1327

    Es ist wirklich die höchste Zeit.

    DIRNE

    1328

    So willst du fortgehn?

    GRAF

    fast verlegen.
    1329

    So…

    DIRNE

    1330

    Na, Servus; kommst halt ein anderes Mal.

    GRAF

    1331

    Ja, grüß dich Gott. Na, willst nicht das Handerl geben?

    nimmt die Hand und küßt sie mechanisch, bemerkt es, lacht.
    1332

    Wie einer Prinzessin. Übrigens, wenn man nur…

    DIRNE

    1333

    Was schaust mich denn so an?

    GRAF

    1334

    Wenn man nur das Kopferl sieht, wie jetzt… beim Aufwachen sieht doch eine jede unschuldig aus… meiner Seel, alles mögliche könnt' man sich einbilden, wenn's nicht so nach Petroleum stinken möcht'…

    DIRNE

    1335

    Ja, mit der Lampen ist immer ein G'frett.

    GRAF

    1336

    Wie alt bist denn eigentlich?

    DIRNE

    1337

    Na, was glaubst?

    GRAF

    1338

    Vierundzwanzig.

    DIRNE

    1339

    Ja freilich.

    GRAF

    1340

    Bist schon älter?

    DIRNE

    1341

    Ins Zwanzigste geh' i.

    GRAF

    1342

    Und wie lang bist du schon…

    DIRNE

    1343

    Bei dem G'schäft bin i ein Jahr.

    GRAF

    1344

    Da hast du aber früh ang'fangen.

    DIRNE

    1345

    Besser zu früh als zu spät.

    GRAF

    setzt sich aufs Bett.
    1346

    Sag mir einmal, bist du eigentlich glücklich?

    DIRNE

    1347

    Was?

    GRAF

    1348

    Also ich mein', geht's dir gut?

    DIRNE

    1349

    Oh, mir geht's alleweil gut.

    GRAF

    1350

    So… Sag, ist dir noch nie eing'fallen, daß du was anderes werden könntest?

    DIRNE

    1351

    Was soll i denn werden?

    GRAF

    1352

    Also… Du bist doch wirklich ein hübsches Mädel. Du könntest doch zum Beispiel einen Geliebten haben.

    DIRNE

    1353

    Meinst vielleicht, ich hab' kein?

    GRAF

    1354

    Ja, das weiß ich — ich mein' aber einen, weißt, einen, der dich aushalt, daß du nicht mit einem jeden zu gehn brauchst.

    DIRNE

    1355

    I geh' auch nicht mit ein jeden. Gott sei Dank, das hab' i net notwendig, ich such' mir s' schon aus.

    Graf sieht sich im Zimmer um.
    bemerkt das.
    1356

    Im nächsten Monat ziehn wir in die Stadt, in die Spiegelgasse.

    GRAF

    1357

    Wir? Wer denn?

    DIRNE

    1358

    Na, die Frau, und die paar anderen Mädeln, die noch da wohnen.

    GRAF

    1359

    Da wohnen noch solche —

    DIRNE

    1360

    Da daneben… hörst net… das ist die Milli, die auch im Kaffeehaus g'wesen ist.

    GRAF

    1361

    Da schnarcht wer.

    DIRNE

    1362

    Das ist schon die Milli, die schnarcht jetzt weiter 'n ganzen Tag bis um zehn auf d' Nacht. Dann steht s' auf und geht ins Kaffeehaus.

    GRAF

    1363

    Das ist doch ein schauderhaftes Leben.

    DIRNE

    1364

    Freilich. Die Frau gift sich auch genug. Ich bin schon um zwölfe Mittag immer auf der Gassen.

    GRAF

    1365

    Was machst denn um zwölf auf der Gassen?

    DIRNE

    1366

    Was werd' ich denn machen? Auf den Strich geh' ich halt.

    GRAF

    1367

    Ah so… natürlich… steht auf, nimmt die Brieftasche heraus, legt ihr eine Banknote auf das Nachtkastel. Adieu!

    DIRNE

    1368

    Gehst schon… Servus… Komm bald wieder.

    Legt sich auf die Seite.

    GRAF

    bleibt wieder stehen.
    1369

    Du, sag einmal, dir ist schon alles egal — was?

    DIRNE

    1370

    Was?

    GRAF

    1371

    Ich mein', dir macht's gar keine Freud mehr.

    DIRNE

    gähnt.
    1372

    Ein Schlaf hab' ich.

    GRAF

    1373

    Dir ist alles eins ob einer jung ist oder alt oder ob einer…

    DIRNE

    1374

    Was fragst denn?

    GRAF

    1375

    … Also — plötzlich auf etwas kommend — meiner Seel, jetzt weiß ich, an wen du mich erinnerst, das ist…

    DIRNE

    1376

    Schau i wem gleich?

    GRAF

    1377

    Unglaublich, unglaublich, jetzt bitt' ich dich aber sehr, red gar nichts, eine Minute wenigstens… Schaut sie an. Ganz dasselbe G'sicht, ganz dasselbe G'sicht.

    Er küßt sie plötzlich auf die Augen.

    DIRNE

    1378

    Na…

    GRAF

    1379

    Meiner Seel, es ist schad, daß du… nichts andres bist… Du könntst ja dein Glück machen!

    DIRNE

    1380

    Du bist grad wie der Franz.

    GRAF

    1381

    Wer ist Franz?

    DIRNE

    1382

    Na der Kellner von unserm Kaffeehaus…

    GRAF

    1383

    Wieso bin ich grad so wie der Franz?

    DIRNE

    1384

    Der sagt auch alleweil, ich könnt' mein Glück machen und ich soll ihn heiraten.

    GRAF

    1385

    Warum tust du's nicht?

    DIRNE

    1386

    Ich dank' schön… ich möcht' nicht heiraten, nein, um keinen Preis. Später einmal vielleicht.

    GRAF

    1387

    Die Augen… ganz die Augen… Der Lulu möcht' sicher sagen, ich bin ein Narr — aber ich will dir noch einmal die Augen küssen… so… und jetzt grüß dich Gott, jetzt geh' ich.

    DIRNE

    1388

    Servus…

    GRAF

    bei der Tür.
    1389

    Du… sag… wundert dich das gar nicht…

    DIRNE

    1390

    Was denn?

    GRAF

    1391

    Daß ich nichts von dir will.

    DIRNE

    1392

    Es gibt viele Männer, die in der Früh nicht aufgelegt sind.

    GRAF

    1393

    Na ja… Für sich. Zu dumm, daß ich will, sie soll sich wundern… Also Servus… Er ist bei der Tür. Eigentlich ärger' ich mich. Ich weiß doch, daß es solchen Frauenzimmern nur aufs Geld ankommt… was sag' ich — solchen… es ist schön… daß sie sich wenigstens nicht verstellt, das sollte einen eher freuen… Du — weißt, ich komm nächstens wieder zu dir.

    DIRNE

    mit geschlossenen Augen.
    1394

    Gut.

    GRAF

    1395

    Wann bist du immer zu Haus?

    DIRNE

    1396

    Ich bin immer zu Haus. Brauchst nur nach der Leocadia zu fragen.

    GRAF

    1397

    Leocadia… Schön — Also grüß dich Gott. Bei der Tür. Ich hab' doch noch immer den Wein im Kopf. Also das ist doch das Höchste… ich bin bei so einer und hab' nichts getan, als ihr die Augen geküßt, weil sie mich an wen erinnert hat… Wendet sich zu ihr. Du, Leocadia, passiert dir das öfter, daß man so weggeht von dir?

    DIRNE

    1398

    Wie denn?

    GRAF

    1399

    So wie ich?

    DIRNE

    1400

    In der Früh?

    GRAF

    1401

    Nein… ob schon manchmal wer bei dir war, — und nichts von dir wollen hat?

    DIRNE

    1402

    Nein, das ist mir noch nie g'schehn.

    GRAF

    1403

    Also, was meinst denn? Glaubst, du g'fallst mir nicht?

    DIRNE

    1404

    Warum soll ich dir denn nicht g'fallen? Bei der Nacht hab' ich dir schon g'fallen.

    GRAF

    1405

    Du g'fallst mir auch jetzt.

    DIRNE

    1406

    Aber bei der Nacht hab' ich dir besser g'fallen.

    GRAF

    1407

    Warum glaubst du das?

    DIRNE

    1408

    Na, was fragst denn so dumm?

    GRAF

    1409

    Bei der Nacht… ja, sag', bin ich denn nicht gleich am Diwan hing'fallen?

    DIRNE

    1410

    Na freilich… mit mir zusammen.

    GRAF

    1411

    Mit dir?

    DIRNE

    1412

    Ja, weißt denn du das nimmer?

    GRAF

    1413

    Ich hab'… wir sind zusammen… ja…

    DIRNE

    1414

    Aber gleich bist eing'schlafen.

    GRAF

    1415

    Gleich bin ich… So… Also so war das!…

    DIRNE

    1416

    Ja, Bubi. Du mußt aber ein ordentlichen Rausch g'habt haben, daß dich nimmer erinnerst.

    GRAF

    1417

    So… — Und doch… es ist eine entfernte Ähnlichkeit… Servus… Lauscht. Was ist denn los?

    DIRNE

    1418

    Das Stubenmädl ist schon auf. Geh, gib ihr was beim Hinausgehn. Das Tor ist auch offen, ersparst den Hausmeister.

    GRAF

    1419

    Ja. Im Vorzimmer. Also… Es wär' doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Augen geküßt hätt'. Das wäre beinahe ein Abenteuer gewesen… Es war mir halt nicht bestimmt. Das Stubenmädel steht da, öffnet die Tür. Ah — da haben S'… Gute Nacht. —

    STUBENMÄDCHEN

    1420

    Guten Morgen.

    GRAF

    1421

    Ja freilich… guten Morgen… guten Morgen.

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