Arthur
SchnitzlerReigenZehn Dialoge
geschrieben
Winter 1896–97
PERSONEN
- DIE DIRNE
- DER SOLDAT
- DAS STUBENMÄDCHEN
- DER JUNGE HERR
- DIE JUNGE FRAU
- DER EHEGATTE
- DAS SÜSSE MÄDEL
- DER DICHTER
- DIE SCHAUSPIELERIN
- DER GRAF
DIE DIRNE
UND DER SOLDAT
Spätabends. An der Augartenbrücke.
Soldat kommt pfeifend, will nach Hause.
DIRNE
1
Komm, mein schöner Engel.
Soldat wendet sich um und geht wieder weiter.
DIRNE
2Willst du nicht mit mir kommen?
SOLDAT
3Ah, ich bin der schöne Engel?
DIRNE
4Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir.
Ich wohn' gleich in der Näh'.
SOLDAT
5Ich hab' keine Zeit. Ich muß in die Kasern'!
DIRNE
6In die Kasern' kommst immer noch zurecht.
Bei mir is besser.
SOLDAT
ihr nahe:
DIRNE
8Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.
SOLDAT
9Lächerlich! Wachmann! Ich hab' auch mein Seiteng'wehr!
DIRNE
SOLDAT
11Laß mich in Ruh'. Geld hab' ich eh keins.
DIRNE
SOLDAT
bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne.
13Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du
nachher?
DIRNE
14Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du,
kann's immer umsonst bei mir haben.
SOLDAT
15Du bist am End' die, von der mir der Huber
erzählt hat. —
DIRNE
16Ich kenn' kein Huber nicht.
SOLDAT
17Du wirst schon die sein. Weißt — in dem
Kaffeehaus in der Schiffgassen — von dort ist
er mit dir z' Haus gangen.
DIRNE
18Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen
z' Haus gangen… oh! oh! —
SOLDAT
19Also gehn wir, gehn wir.
DIRNE
20Was, jetzt hast's eilig?
SOLDAT
21Na, worauf soll'n wir noch warten? Und um
zehn muß ich in der Kasern' sein.
DIRNE
22Wie lang dienst denn schon?
SOLDAT
23Was geht denn das dich an? Wohnst weit?
DIRNE
SOLDAT
25Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.
DIRNE
küßt ihn.
26Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern
hab'!
SOLDAT
27Mir nicht. Nein, ich geh' nicht mit dir, es ist
mir zu weit.
DIRNE
28Weißt was, komm morgen am Nachmittag.
SOLDAT
29Gut is. Gib mir deine Adresse.
DIRNE
30Aber du kommst am End' nicht.
SOLDAT
DIRNE
32Du, weißt was — wenn's dir zu weit ist heut
Abend zu mir — da… da…
weist auf die
Donau.
SOLDAT
DIRNE
34Da ist auch schön ruhig… jetzt kommt kein
Mensch.
SOLDAT
35Ah, das ist nicht das Rechte.
DIRNE
36Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt
bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch's Leben haben.
SOLDAT
37So komm — aber g'schwind!
DIRNE
38Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.
SOLDAT
DIRNE
40Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen
wir zu einer Bank.
SOLDAT
41Kennst dich da gut aus.
DIRNE
42So einen wie dich möcht' ich zum Geliebten.
SOLDAT
43Ich tät dir zu viel eifern.
DIRNE
44Das möcht ich dir schon abgewöhnen.
SOLDAT
DIRNE
46Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich ein
Wächter her verirrt. Sollt man glauben, daß wir
da mitten in der Wienerstadt sind?
SOLDAT
DIRNE
48Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.
SOLDAT
hat sie gepackt.
DIRNE
SOLDAT
DIRNE
52Auf der Bank wär's schon besser gewesen.
SOLDAT
53Da oder da… Na, krall aufi.
DIRNE
SOLDAT
55Ich muß in die Kasern', ich komm' eh schon zu
spät.
DIRNE
56Geh, du, wie heißt denn?
SOLDAT
57Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?
DIRNE
SOLDAT
59Ha! — So an Namen hab' ich auch noch nie
gehört.
DIRNE
SOLDAT
DIRNE
62Geh, ein Sechserl für 'n Hausmeister gib mir
wenigstens!
SOLDAT
63Ha!… Glaubst, ich bin deine Wurzen…
Servus! Leocadia…
DIRNE
Er ist verschwunden.
DER SOLDAT UND
DAS STUBENMÄDCHEN
Prater. Sonntagabend.
Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln
Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus
dem Wurstelprater, auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt. Der
Soldat. Das Stubenmädchen.
STUBENMÄDCHEN
65Jetzt sagen S' mir aber, warum S' durchaus
schon haben fortgehen müssen.
Soldat lacht verlegen, dumm.
STUBENMÄDCHEN
66Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz' so
gern.
Soldat faßt sie um die Taille.
STUBENMÄDCHEN
läßt’s geschehen.
67Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten
S' mich so fest?
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
69Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.
SOLDAT
70Ich weiß, ich weiß schon… Marie.
STUBENMÄDCHEN
71Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg' so eine
Angst.
SOLDAT
72Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S' Ihnen
nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!
STUBENMÄDCHEN
73Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja
kein Mensch mehr. Kommen S', gehn wir zurück! — Und so dunkel!
SOLDAT
zieht an seiner Virginierzigarre, daß das rote
Ende leuchtet.
74's wird schon lichter. Haha! O, du Schatzerl!
STUBENMÄDCHEN
75Ah, was machen S' denn? Wenn ich das gewußt hätt'!
SOLDAT
76Also der Teufel soll mich holen, wenn eine
heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als
Sie, Fräul'n Marie.
STUBENMÄDCHEN
77Haben S' denn bei allen so probiert?
SOLDAT
78Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt
man gar viel! Ha!
STUBENMÄDCHEN
79Aber mit der blonden mit dem schiefen Gesicht haben S' doch mehr tanzt als mit
mir.
SOLDAT
80Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen
Freund.
STUBENMÄDCHEN
81Von dem Korporal mit dem aufdrehten Schnurrbart?
SOLDAT
82Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen
S', der im Anfang am Tisch mit mir g'sessen
ist, der so heisrig red't.
STUBENMÄDCHEN
83Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker
Mensch.
SOLDAT
84Hat er Ihnen was tan? Dem möcht ich's zeigen!
Was hat er Ihnen tan?
STUBENMÄDCHEN
85Oh nichts — ich hab' nur gesehn, wie er mit
die andern ist.
SOLDAT
86Sagen S', Fräulein Marie…
STUBENMÄDCHEN
87Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.
SOLDAT
88Pahdon! — Fräul'n Marie. Sagen wir uns Du.
STUBENMÄDCHEN
89Wir sein noch nicht so gute Bekannte. —
SOLDAT
90Es können sich gar viele nicht leiden und sagen
doch Du zueinander.
STUBENMÄDCHEN
91's nächstemal, wenn wir… Aber, Herr
Franz —
SOLDAT
92Sie haben sich meinen Namen g'merkt?
STUBENMÄDCHEN
SOLDAT
94Sagen S' Franz, Fräulein Marie.
STUBENMÄDCHEN
95So sein S' nicht so keck — aber pst, wenn wer
kommen tät!
SOLDAT
96Und wenn schon einer kommen tät, man sieht
ja nicht zwei Schritt weit.
STUBENMÄDCHEN
97Aber um Gotteswillen, wohin kommen wir
denn da?
SOLDAT
98Sehn S', da sind zwei grad wie mir.
STUBENMÄDCHEN
99Wo denn? Ich seh' gar nichts.
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
101Warum sagen S' denn: zwei wie mir?
SOLDAT
102Na, ich mein' halt, die haben sich auch gern.
STUBENMÄDCHEN
103Aber geben S' doch acht, was ist denn da, jetzt
wär ich beinah g'fallen.
SOLDAT
104Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.
STUBENMÄDCHEN
105Stoßen S' doch nicht so, ich fall' ja um.
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
107Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. — Aber was
machen S' denn… aber —
SOLDAT
108Da ist jetzt weit und breit keine Seel'.
STUBENMÄDCHEN
109So gehn wir zurück, wo Leut' sein.
SOLDAT
110Wir brauchen keine Leut', was, Marie, wir brauchen… dazu… haha.
STUBENMÄDCHEN
111Aber, Herr Franz, bitt' Sie, um Gotteswillen, schaun S', wenn ich das… gewußt… oh… oh… komm!…
SOLDAT
selig.
112Herrgott noch einmal… ah…
STUBENMÄDCHEN
113… Ich kann dein G'sicht gar nicht sehn.
SOLDAT
SOLDAT
115Ja, Sie, Fräul'n Marie, da im Gras können S'
nicht liegen bleiben.
STUBENMÄDCHEN
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
SOLDAT
119Na ja, was ist denn mit dem Franz?
STUBENMÄDCHEN
120Du bist ein schlechter Mensch, Franz.
SOLDAT
121Ja, ja. Geh, wart ein bissel.
STUBENMÄDCHEN
122Was laßt mich denn aus?
SOLDAT
123Na, die Virginier werd' ich mir doch anzünden
dürfen.
STUBENMÄDCHEN
SOLDAT
125Morgen früh ist schon wieder licht.
STUBENMÄDCHEN
126Sag wenigstens, hast mich gern?
SOLDAT
127Na, das mußt doch g'spürt haben, Fräul'n
Marie, ha!
STUBENMÄDCHEN
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
130Geh, bitt' dich, nicht so schnell!
SOLDAT
131Na, was ist denn? Ich geh' nicht gern in der
Finstern.
STUBENMÄDCHEN
132Sag, Franz, hast mich gern?
SOLDAT
133Aber grad hab' ich's g'sagt, daß ich dich gern
hab'!
STUBENMÄDCHEN
134Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?
SOLDAT
gnädig.
135Da… Hörst — jetzt kann man schon wieder
die Musik hören.
STUBENMÄDCHEN
136Du möchtst am End' gar wieder tanzen gehn?
SOLDAT
137Na freilich, was denn?
STUBENMÄDCHEN
138Ja, Franz, schau, ich muß zuhaus gehn. Sie
werden eh schon schimpfen, mei Frau ist so
eine… die möcht am liebsten, man ging
gar nicht fort.
SOLDAT
139Na ja, geh halt zuhaus.
STUBENMÄDCHEN
140Ich hab' halt dacht, Herr Franz, Sie werden
mich z'haus führen.
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
142Gehn S', es ist so traurig, allein z'haus gehn.
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
144Es ist gar nicht so weit — in der Porzellangasse.
SOLDAT
145So? Ja, da haben wir ja einen Weg… aber
jetzt ist's mir zu früh… jetzt wird noch draht,
heut hab' ich über Zeit… vor zwölf brauch'
ich nicht in der Kasern' zu sein. I geh' noch
tanzen.
STUBENMÄDCHEN
146Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde
mit dem schiefen Gesicht dran!
SOLDAT
147Ha! — Der ihr G'sicht ist gar nicht so schief.
STUBENMÄDCHEN
148Oh Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie
machens sicher mit einer jeden so.
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
150Franz, bitt schön, heut nimmer, — heut bleiben S' mit mir, schaun S' —
SOLDAT
151Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd' ich
doch noch dürfen.
STUBENMÄDCHEN
152Ich tanz' heut mit kein mehr!
SOLDAT
STUBENMÄDCHEN
SOLDAT
155Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da
sein. Noch immer spielen s' das… tadarada
tadarada singt mit… Also, wannst auf mich
warten willst, so führ' ich dich z'haus …
wenn nicht… Servus —
STUBENMÄDCHEN
Sie treten in den Tanzsaal ein.
SOLDAT
157Wissen S', Fräul'n Marie, ein Glas Bier lassen S'
Ihnen geben. Zu einer Blonden sich wendend, die eben
mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch: Mein
Fräulein, darf ich bitten? —
DAS STUBENMÄDCHEN
UND DER JUNGE HERR
Heißer Sommernachmittag. — Die Eltern sind schon auf
dem Lande. — Die Köchin hat Ausgang. — Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten,
der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer des
jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer des
jungen Herrn.
Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht, und liest
einen französischen Roman.
DAS STUBENMÄDCHEN
158Bitt' schön, junger Herr?
DER JUNGE HERR
159Ah ja, Marie, ah ja, ich hab' geläutet, ja…
was hab' ich nur… ja richtig, die Rouletten
lassen S' herunter, Marie… Es ist kühler,
wenn die Rouletten unten sind… ja…
Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter. DER JUNGE HERR liest weiter.
160Was machen S' denn, Marie? Ah ja. Jetzt
sieht man aber gar nichts zum Lesen.
DAS STUBENMÄDCHEN
161Der junge Herr ist halt immer so fleißig.
DER JUNGE HERR
überhört das vornehm:
Marie geht. DER JUNGE HERR versucht weiterzulesen; läßt bald das Buch fallen, klingelt wieder. DAS STUBENMÄDCHEN erscheint.
163Sie, Marie… ja, was ich habe sagen wollen…
ja… ist vielleicht ein Kognak zu Haus?
DAS STUBENMÄDCHEN
164Ja, der wird eingesperrt sein.
DER JUNGE HERR
165Na, wer hat denn die Schlüssel?
DAS STUBENMÄDCHEN
166Die Schlüssel hat die Lini.
DER JUNGE HERR
DAS STUBENMÄDCHEN
168Die Köchin, Herr Alfred.
DER JUNGE HERR
169Na, so sagen S' es halt der Lini.
DAS STUBENMÄDCHEN
170Ja, die Lini hat heut Ausgang.
DER JUNGE HERR
DAS STUBENMÄDCHEN
172Soll ich dem jungen Herrn vielleicht aus dem
Kaffeehaus…
DER JUNGE HERR
173Ah nein… es ist so heiß genug. Ich brauch'
keinen Kognak. Wissen S', Marie, bringen Sie
mir ein Glas Wasser. Pst, Marie — aber laufen
lassen, daß es recht kalt ist. —
Das Stubenmädchen ab. Der Junge Herr
sieht ihr nach, bei der Tür wendet
sich das Stubenmädchen nach ihm um; der junge Herr
schaut in die Luft. — Das Stubenmädchen dreht den Hahn
der Wasserleitung auf, läßt das Wasser laufen. Während
dem geht sie in ihr kleines Kabinett, wäscht sich die Hände,
richtet vor dem Spiegel ihre Schneckerln. Dann bringt sie
dem jungen Herrn das Glas Wasser. Sie tritt zum Diwan. Der Junge Herr
richtet sich zur Hälfte auf, das
Stubenmädchen gibt ihm das Glas in die Hand, ihre
Finger berühren sich.
DER JUNGE HERR
174So, danke. — Na, was ist denn? — Geben Sie
acht; stellen Sie das Glas wieder auf die Tasse…
Er legt sich hin und streckt sich aus. Wie spät ist’s
denn? —
DAS STUBENMÄDCHEN
175Fünf Uhr, junger Herr.
DER JUNGE HERR
176So, fünf Uhr. — Ist gut. —
Das Stubenmädchen geht bei der Tür wendet sie
sich um; der junge Herr hat ihr nachgeschaut; sie merkt
es und lächelt. Der Junge Herr bleibt eine Weile liegen, dann steht
er plötzlich auf. Er geht bis zur Tür, wieder zurück, legt
sich auf den Diwan. Er versucht wieder zu lesen. Nach
ein paar Minuten klingelt er wieder. Das Stubenmädchen erscheint mit einem Lächeln, das sie nicht zu verbergen sucht.
DER JUNGE HERR
177Sie, Marie, was ich Sie hab' fragen wollen.
War heut vormittag nicht der Doktor Schüller
da?
DAS STUBENMÄDCHEN
178Nein, heut vormittag war niemand da.
DER JUNGE HERR
179So, das ist merkwürdig. Also der Doktor Schüller
war nicht da? Kennen Sie überhaupt den Doktor Schüller?
DAS STUBENMÄDCHEN
180Freilich. Das ist der große Herr mit dem
schwarzen Vollbart.
DER JUNGE HERR
181Ja. War er vielleicht doch da?
DAS STUBENMÄDCHEN
182Nein, es war niemand da, junger Herr.
DER JUNGE HERR
entschlossen.
183Kommen Sie her, Marie.
DAS STUBENMÄDCHEN
tritt etwas näher.
DER JUNGE HERR
185Näher… so… ah… ich hab' nur geglaubt…
DAS STUBENMÄDCHEN
186Was haben der junge Herr?
DER JUNGE HERR
187Geglaubt… geglaubt hab' ich — Nur wegen
Ihrer Blusen… Was ist das für eine…
Na, kommen S' nur näher. Ich beiß' Sie ja
nicht.
DAS STUBENMÄDCHEN
kommt zu ihm.
188Was ist mit meiner Blusen? G'fallt sie dem
jungen Herrn nicht?
DER JUNGE HERR
faßt die Bluse an, wobei er das
Stubenmädchen zu sich herabzieht.
189Blau? Das ist ganz ein schönes Blau. Einfach.
Sie sind sehr nett angezogen, Marie.
DAS STUBENMÄDCHEN
DER JUNGE HERR
191Na, was ist denn?… er hat ihre Bluse geöffnet.
Sachlich: Sie haben eine schöne weiße Haut,
Marie.
DAS STUBENMÄDCHEN
192Der junge Herr tut mir schmeicheln.
DER JUNGE HERR
küßt sie auf die Brust.
193Das kann doch nicht weh tun.
DAS STUBENMÄDCHEN
DER JUNGE HERR
195Weil Sie so seufzen! Warum seufzen Sie denn?
DAS STUBENMÄDCHEN
DER JUNGE HERR
197Und was Sie für nette Pantoffeln haben…
DAS STUBENMÄDCHEN
198… Aber… junger Herr… wenn's draußen läut' —
DER JUNGE HERR
199Wer wird denn jetzt läuten?
DAS STUBENMÄDCHEN
200Aber junger Herr… schaun S'… es ist
so licht…
DER JUNGE HERR
201Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren.
Sie brauchen sich überhaupt vor niemandem… wenn man so hübsch ist. Ja, meiner Seel;
Marie, Sie sind… Wissen Sie, Ihre Haare
riechen sogar angenehm.
DAS STUBENMÄDCHEN
DER JUNGE HERR
203Machen Sie keine solchen Geschichten, Marie…
ich hab' Sie schon anders auch geseh'n. Wie
ich neulich in der Nacht nach Haus gekommen
bin, und mir Wasser geholt hab', — da ist die
Tür zu Ihrem Zimmer offen gewesen…
na…
DAS STUBENMÄDCHEN
verbirgt ihr Gesicht.
204Oh Gott, aber das hab' ich gar nicht gewußt, daß der Herr Alfred so schlimm sein
kann.
DER JUNGE HERR
205Da hab' ich sehr viel gesehen… das…
und das… und das… und —
DAS STUBENMÄDCHEN
DER JUNGE HERR
207Komm, komm… daher… so, ja so…
DAS STUBENMÄDCHEN
208Aber wenn jetzt wer läutet —
DER JUNGE HERR
209Jetzt hören Sie schon einmal auf… macht
man höchstens nicht auf…
Es klingelt.
DER JUNGE HERR
210Donnerwetter… Und was der Kerl für
einen Lärm macht. — Am End' hat der schon
früher geläutet und wir haben's nicht gemerkt.
STUBENMÄDCHEN
211Oh, ich hab' alleweil aufgepaßt.
DER JUNGE HERR
212Na, so schaun S' endlich nach — durchs
Guckerl. —
DAS STUBENMÄDCHEN
213Herr Alfred… Sie sind aber… nein… so schlimm.
DER JUNGE HERR
214Bitt' Sie, schaun S' jetzt nach…
Das Stubenmädchen geht ab. Der Junge Herr öffnet rasch die Rouleaux. Das Stubenmädchen erscheint wieder.
DAS STUBENMÄDCHEN
215Der ist jedenfalls schon wieder weggangen.
Jetzt ist niemand mehr da. Vielleicht ist es der
Doktor Schüller gewesen.
DER JUNGE HERR
ist unangenehm berührt.
Das Stubenmädchen nähert sich ihm.
Der Junge Herr entzieht sich ihr.
217— Sie, Marie, — ich geh' jetzt ins Kaffeehaus.
DAS STUBENMÄDCHEN
zärtlich.
DER JUNGE HERR
streng.
219Ich geh' jetzt ins Kaffeehaus. Wenn der Doktor
Schüller kommen sollte —
DAS STUBENMÄDCHEN
220Der kommt heut nimmer.
DER JUNGE HERR
noch strenger.
221Wenn der Doktor Schüller kommen sollte, ich,
ich … ich bin — im Kaffeehaus.
Geht ins andere Zimmer.
Das Stubenmädchen nimmt eine Zigarre vom Rauchtisch,
steckt sie ein und geht ab.
DER JUNGE HERR UND
DIE JUNGE FRAU
Abend. — Ein mit banaler Eleganz möblierter Salon in
einem Hause der Schwindgasse.
Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während er
noch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher anhat,
die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Nebenzimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzen
des Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zu
einem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht.
Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers verbreitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhänge
des Bettes. — Der junge Herr besichtigt auch das Schlafzimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparat
und bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen von
Veilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparat
durch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf den
kleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchen
riecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setzt
sich auf das blausamtene Fauteuil, zündet sich eine
Zigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebt
er sich wieder und vergewissert sich, daß die grünen
Jalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder ins
Schlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Er
fühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er sucht
nach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich in
die Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einen
Schrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tasse
mit einer Flasche Kognak und zwei Likörgläschen heraus,
stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinem
Überzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchen
nimmt. Er öffnet es und legt es zum Kognak, geht
wieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller und
Eßbestecke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eine
glasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich ein
Glas Kognak ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht er
auf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. — Vor
dem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen,
richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinen
Schnurrbart. — Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht.
Nichts regt sich. Dann zieht er die blauen Portieren, die
vor der Schlafzimmertür angebracht sind, zusammen. Es
klingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, als
die Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt. —
Die Junge Frau
dicht verschleiert, schließt die Tür
hinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie die
linke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltige
Erregung bemeistern.
DER JUNGE HERR
tritt auf sie zu, nimmt ihre linke
Hand und drückt auf den weißen, schwarz tamburierten
Handschuh einen Kuß. Er sagt leise:
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
224Kommen Sie, gnädige Frau… Kommen Sie,
Frau Emma…
DIE JUNGE FRAU
225Lassen Sie mich noch eine Weile — bitte…
oh, bitte sehr, Alfred!
Sie steht noch immer an der
Der Junge Herr steht vor ihr, hält ihre Hand.
DIE JUNGE FRAU
226Wo bin ich denn eigentlich?
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
228Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.
DER JUNGE HERR
229Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes Haus.
DIE JUNGE FRAU
230Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
232Ich weiß nicht. Es ist möglich.
DER JUNGE HERR
233Pardon, gnädige Frau — aber Sie kennen doch
Ihre Bekannten.
DIE JUNGE FRAU
234Ich habe ja gar nichts gesehen.
DER JUNGE HERR
235Aber wenn es selbst Ihre besten Freunde
waren, sie können ja Sie nicht erkannt haben.
Ich selbst… wenn ich nicht wüßte, daß Sie es
sind… dieser Schleier —.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
237Wollen Sie nicht ein bißchen näher?… Und
Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!
DIE JUNGE FRAU
238Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen
gesagt: Fünf Minuten… Nein, länger nicht… ich schwöre Ihnen —
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
241Nun ja, beide Schleier — ich werde Sie doch
wenigstens sehen dürfen.
DIE JUNGE FRAU
242Haben sie mich denn lieb, Alfred?
DER JUNGE HERR
tief verletzt.
243Emma — Sie fragen mich…
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
245Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an — Sie
werden sich wahrhaftig verkühlen.
DIE JUNGE FRAU
tritt endlich ins Zimmer, wirft sich
auf den Fauteuil.
DER JUNGE HERR
Er nimmt ihr den Schleier ab; nimmt
die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite.
Die Junge Frau läßt es geschehen.
Der Junge Herr steht vor ihr, schüttelt den Kopf.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
249So schön waren Sie noch nie.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
251Allein… allein mit Ihnen — Emma —
Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie,
nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen.
DIE JUNGE FRAU
252Und jetzt… lassen Sie mich wieder gehen.
Was Sie von mir verlangt haben, hab' ich getan.
Der Junge Herr läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken.
253Sie haben mir versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
255Man erstickt in diesem Zimmer.
DER JUNGE HERR
steht auf.
256Noch haben Sie Ihre Mantille an.
DIE JUNGE FRAU
257Legen Sie sie zu meinem Hut.
Der Junge Herr nimmt ihr die Mantille ab und legt sie gleichfalls auf den Diwan.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
260Die fünf Minuten sind längst vorbei.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
262Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau, wie
spät es ist.
DER JUNGE HERR
263Es ist punkt viertel sieben.
DIE JUNGE FRAU
264Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester sein.
DER JUNGE HERR
265Ihre Schwester können Sie oft sehen…
DIE JUNGE FRAU
266Oh Gott, Alfred, warum haben Sie mich dazu
verleitet.
DER JUNGE HERR
267Weil ich Sie… anbete, Emma.
DIE JUNGE FRAU
268Wie vielen haben Sie das schon gesagt?
DER JUNGE HERR
269Seit ich Sie gesehen, niemandem.
DIE JUNGE FRAU
270Was bin ich für eine leichtsinnige Person! Wer
mir das vorausgesagt hätte… noch vor acht
Tagen… noch gestern…
DER JUNGE HERR
271Und vorgestern haben Sie mir ja schon versprochen…
DIE JUNGE FRAU
272Sie haben mich so gequält. Aber ich habe es
nicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge —
ich habe es nicht tun wollen… Gestern war
ich fest entschlossen… Wissen Sie, daß ich
Ihnen gestern abends sogar einen langen Brief
geschrieben habe?
DER JUNGE HERR
273Ich habe keinen bekommen.
DIE JUNGE FRAU
274Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätte
Ihnen lieber diesen Brief schicken sollen.
DER JUNGE HERR
275Es ist doch besser so.
DIE JUNGE FRAU
276Oh nein, es ist schändlich… von mir. Ich begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred, lassen Sie mich.
Der Junge Herr umfaßt sie und bedeckt ihr Gesicht
mit heißen Küssen.
DIE JUNGE FRAU
277So… halten Sie Ihr Wort…
DER JUNGE HERR
278Noch einen Kuß — noch einen.
DIE JUNGE FRAU
Er küßt sie; sie erwidert den Kuß; ihre
Lippen bleiben lange aneinandergeschlossen.
DER JUNGE HERR
280Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich weiß
jetzt erst, was Glück ist.
Die Junge Frau sinkt in ein Fanteuil zurück.
Der Junge Herr setzt sich auf die Lehne, schlingt
einen Arm leicht um ihren Nacken.
281…. oder vielmehr ich weiß jetzt erst, was
Glück sein könnte.
Die Junge Frau seufzt tief auf. Der Junge Herr küßt sie wieder.
DIE JUNGE FRAU
282Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!
DER JUNGE HERR
283Nicht wahr — es ist hier gar nicht so ungemütlich… Und wir sind ja hier so sicher. Es ist doch tausendmal schöner als diese Rendezvous im Freien…
DIE JUNGE FRAU
284Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.
DER JUNGE HERR
285Ich werde auch daran immer mit tausend Freuden
denken. Für mich ist jede Minute, die ich an Ihrer
Seite verbringen durfte, eine süße Erinnerung.
DIE JUNGE FRAU
286Erinnern Sie sich noch an den Industriellenball?
DER JUNGE HERR
287Ob ich mich daran erinnere… ? Da bin ich ja
während des Soupers neben Ihnen gesessen,
ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann hat Champagner…
Die Junge Frau sieht ihn klagend an.
288Ich wollte nur vom Champagner reden. Sagen
Sie, Emma, wollen Sie nicht ein Glas Kognak
trinken?
DIE JUNGE FRAU
289Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher ein
Glas Wasser.
DER JUNGE HERR
290Ja… Wo ist denn nur — ach ja…
Er schlägt
die Portiere zurück und geht ins Schlafzimmer. Die Junge Frau sieht ihm nach. Der Junge Herr kommt zurück mit einer Karaffe Wasser und zwei Trinkgläsern.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
Schenkt ein Glas Wasser ein.
DIE JUNGE FRAU
293Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred — und
schwören Sie mir, daß Sie mir die Wahrheit
sagen werden.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
295War in diesen Räumen schon jemals eine andere
Frau?
DER JUNGE HERR
296Aber Emma — dieses Haus steht schon zwanzig
Jahre! —
DIE JUNGE FRAU
297Sie wissen, was ich meine, Alfred… Mit Ihnen!
Bei Ihnen!
DER JUNGE HERR
298Mit mir hier — Emma! — Es ist nicht schön,
daß Sie an so etwas denken können.
DIE JUNGE FRAU
299Also Sie haben… wie soll ich… Aber
nein, ich will Sie lieber nicht fragen. Es ist
besser, wenn ich nicht frage. Ich bin ja selbst
schuld. Alles rächt sich.
DER JUNGE HERR
300Ja, was haben Sie denn? Was ist Ihnen denn?
Was rächt sich?
DIE JUNGE FRAU
301Nein, nein, nein, ich darf nicht zum Bewußtsein kommen… Sonst müßte ich vor Scham in die Erde sinken.
DER JUNGE HERR
mit der Karaffe Wasser in der Hand,
schüttelt traurig den Kopf.
302Emma, wenn Sie ahnen könnten, wie weh Sie
mir tun.
Die Junge Frau schenkt sich ein Glas Kognak ein.
303Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn Sie
sich schämen, hier zu sein — wenn ich Ihnen
also gleichgültig bin — wenn Sie nicht fühlen,
daß Sie für mich alle Seligkeit der Welt bedeuten — so gehn Sie lieber.
DIE JUNGE FRAU
304Ja, das werd ich auch tun.
DER JUNGE HERR
sie bei der Hand fassend.
305Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie nicht
leben kann, daß ein Kuß auf Ihre Hand
für mich mehr bedeutet, als alle Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der ganzen Welt… Emma, ich bin nicht wie die anderen jungen Leute, die den Hof machen können — ich bin vielleicht zu naiv… ich…
DIE JUNGE FRAU
306Wenn Sie aber doch sind wie die anderen
jungen Leute?
DER JUNGE HERR
307Dann wären Sie heute nicht da — denn Sie
sind nicht wie die anderen Frauen.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
hat sie zum Diwan gezogen, sich
nahe neben sie gesetzt.
309Ich habe viel über Sie nachgedacht. Ich weiß,
Sie sind unglücklich.
DIE JUNGE FRAU
erfreut.
DER JUNGE HERR
311Das Leben ist so leer, so nichtig — und dann,
— so kurz — so entsetzlich kurz! Es gibt nur
ein Glück… einen Menschen finden, von
dem man geliebt wird —
Die Junge Frau hat eine kandierte Birne vom Tisch genommen, nimmt sie in den Mund.
Sie reicht sie ihm mit den Lippen.
DIE JUNGE FRAU
faßt die Hände des jungen Herrn,
die sich zu verirren drohen.
313Was tun Sie denn, Alfred… Ist das Ihr
Versprechen.
DER JUNGE HERR
die Birne verschluckend, dann kühner.
314Das Leben ist so kurz.
DIE JUNGE FRAU
schwach.
315Aber das ist ja kein Grund —
DER JUNGE HERR
mechanisch.
DIE JUNGE FRAU
schwächer.
317Schauen Sie Alfred, und Sie haben doch versprochen, brav… Und es ist so hell…
DER JUNGE HERR
318Komm, komm, du einzige, einzige…
Er
hebt sie vom Diwan empor.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
320Da drin ist es gar nicht hell.
DIE JUNGE FRAU
321Ist denn da noch ein Zimmer?
DER JUNGE HERR
zieht sie mit.
322Ein schönes… und ganz dunkel.
DIE JUNGE FRAU
323Bleiben wir doch lieber hier.
Der Junge Herr bereits mit ihr hinter der Portiere, im Schlafzimmer, nestelt ihr die Taille auf.
324Sie sind so… o Gott, was machen Sie aus
mir! — Alfred!
DER JUNGE HERR
325Ich bete dich an, Emma!
DIE JUNGE FRAU
326So wart doch, wart doch wenigstens… schwach.
Geh… ich ruf' dich dann.
DER JUNGE HERR
327Laß mir dich — laß dir mich — er verspricht sich … laß… mich — dir — helfen.
DIE JUNGE FRAU
328Du zerreißt mir ja alles.
DER JUNGE HERR
329Du hast kein Mieder an?
DIE JUNGE FRAU
330Ich trag' nie ein Mieder. Die Odilon trägt auch
keines. Aber die Schuh kannst du mir aufknöpfeln.
Der Junge Herr knöpfelt die Schuhe auf, küßt ihre Füße.
DIE JUNGE FRAU
ist ins Bett geschlüpft.
DER JUNGE HERR
332Gleich wird's warm werden.
DIE JUNGE FRAU
leise lachend.
DER JUNGE HERR
unangenehm berührt, für sich.
334Das hätte sie nicht sagen sollen.
Entkleidet sich
im Dunkel.
DIE JUNGE FRAU
zärtlich.
DER JUNGE HERR
dadurch wieder in besserer Stimmung.
DIE JUNGE FRAU
337Es riecht hier so nach Veilchen.
DER JUNGE HERR
338Das bist du selbst… Ja zu ihr du selbst.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
DER JUNGE HERR
341Ich habe dich offenbar zu lieb… ja… ich
bin wie von Sinnen.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
343Die ganzen Tage über bin ich schon wie verrückt. Ich hab' es geahnt.
DIE JUNGE FRAU
344Mach dir nichts draus.
DER JUNGE HERR
345Oh gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbstverständlich, wenn man…
DIE JUNGE FRAU
346Nicht… nicht… Du bist nervös. Beruhige
dich nur…
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
349Die „Psychologie de l'amour”?
DIE JUNGE FRAU
350Nein, warum fragst du mich?
DER JUNGE HERR
351Da kommt eine Geschichte drin vor, die sehr
bezeichnend ist.
DIE JUNGE FRAU
352Was ist das für eine Geschichte?
DER JUNGE HERR
353Da ist eine ganze Gesellschaft von Kavallerieoffizieren zusammen —
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
355Und die erzählen von ihren Liebesabenteuern.
Und jeder berichtet, daß ihm bei der Frau, die
er am meisten, weißt du, am leidenschaftlichsten
geliebt hat… daß ihn die, daß er die — also
kurz und gut, daß es jedem bei dieser Frau so
gegangen ist, wie jetzt mir.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
357Das ist sehr charakteristisch.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
359Es ist noch nicht aus. Ein einziger behauptet… es sei ihm in seinem ganzen Leben noch
nicht passiert, aber, setzt Stendhal hinzu —
das war ein berüchtigter Bramarbas.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
361Und doch verstimmt es einen, das ist das
Dumme, so gleichgültig es eigentlich ist.
DIE JUNGE FRAU
362Freilich. Überhaupt weißt du… du hast
mir ja versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR
363Geh, nicht lachen, das bessert die Sache
nicht.
DIE JUNGE FRAU
364Aber nein, ich lache ja nicht. Das von Stendhal ist wirklich interessant. Ich habe immer
gedacht, daß nur bei älteren… oder bei
sehr… weißt du, bei Leuten, die viel gelebt
haben…
DER JUNGE HERR
365Was fällt dir ein. Das hat damit gar nichts
zu tun. Ich habe übrigens die hübscheste Geschichte aus dem Stendhal ganz vergessen.
Da ist einer von den Kavallerieoffizieren,
der erzählt sogar, daß er drei Nächte oder
gar sechs… ich weiß nicht mehr, mit der
Frau zusammen war, die er durch Wochen
hindurch verlangt hat — désirée — verstehst
du — und sie haben alle diese Nächte hindurch
nichts getan als vor Glück geweint — beide —
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
367Ja. Wundert dich das? Ich find' das so begreiflich — gerade wenn man sich liebt.
DIE JUNGE FRAU
368Aber es gibt gewiß viele, die nicht weinen.
DER JUNGE HERR
nervös.
369Gewiß… das ist ja auch ein exzeptioneller
Fall.
DIE JUNGE FRAU
370Ah — ich dachte, Stendhal sagte, alle Kavallerieoffiziere weinen bei dieser Gelegenheit.
DER JUNGE HERR
371Siehst du, jetzt machst du dich doch lustig.
DIE JUNGE FRAU
372Aber was fällt dir ein! Sei doch nicht kindisch,
Alfred!
DER JUNGE HERR
373Es macht nun einmal nervös… Dabei
habe ich die Empfindung, daß du ununterbrochen daran denkst. Das geniert mich erst
recht.
DIE JUNGE FRAU
374Ich denke absolut nicht daran.
DER JUNGE HERR
375O ja. Wenn ich nur überzeugt wäre, daß du
mich liebst.
DIE JUNGE FRAU
376Verlangst du noch mehr Beweise?
DER JUNGE HERR
377Siehst du… immer machst du dich lustig.
DIE JUNGE FRAU
378Wieso denn? Komm, gib mir dein süßes
Kopferl.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
381Oh, ich bin ja so glücklich.
DIE JUNGE FRAU
382Aber du brauchst nicht auch noch zu weinen.
DER JUNGE HERR
sich von ihr entfernend, höchst irritiert.
383Wieder, wieder. Ich hab dich ja so gebeten…
DIE JUNGE FRAU
384Wenn ich dir sage, daß du nicht weinen
sollst…
DER JUNGE HERR
385Du hast gesagt: Auch noch zu weinen.
DIE JUNGE FRAU
386Du bist nervös, mein Schatz.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
388Aber du sollst es nicht sein. Es ist mir sogar lieb, daß es… daß wir sozusagen als gute
Kameraden…
DER JUNGE HERR
389Schon wieder fängst du an.
DIE JUNGE FRAU
390Erinnerst du dich denn nicht! Das war
eines unserer ersten Gespräche. Gute Kameraden haben wir sein wollen, nichts weiter.
Oh, das war schön… das war bei meiner
Schwester, im Jänner auf dem großen Ball,
während der Quadrille… Um Gotteswillen, ich sollte ja längst fort sein…
meine Schwester erwartet mich ja — was
werd' ich ihr denn sagen… Adieu,
Alfred —
DER JUNGE HERR
391Emma —! so willst du mich verlassen!
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
394Gut. Noch fünf Minuten. Aber du mußt mir
versprechen… dich nicht zu rühren?… Ja?… Ich will dir noch einen Kuß zum Abschied
geben… Pst… ruhig… nicht rühren,
hab' ich gesagt, sonst steh' ich gleich auf, du mein
süßer… süßer…
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
397Ah, bei dir ist der Himmel.
DIE JUNGE FRAU
398Aber jetzt muß ich wirklich fort.
DER JUNGE HERR
399Ach, laß deine Schwester warten.
DIE JUNGE FRAU
400Nach Haus muß ich. Für meine Schwester
ist's längst zu spät. Wie viel Uhr ist es denn
eigentlich?
DER JUNGE HERR
401Ja, wie soll ich das eruieren?
DIE JUNGE FRAU
402Du mußt eben auf die Uhr sehen.
DER JUNGE HERR
403Meine Uhr ist in meinem Gilet.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
steht mit einem mächtigen Ruck auf.
DIE JUNGE FRAU
erhebt sich rasch.
406Um Gotteswillen… Rasch, Alfred, gib mir
meine Strümpfe. Was soll ich denn nur sagen?
Zu Hause wird man sicher schon auf mich
warten… acht Uhr…
DER JUNGE HERR
407Wann seh' ich dich denn wieder?
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
409Emma! Hast du mich denn nicht mehr lieb?
DIE JUNGE FRAU
410Eben darum. Gib mir meine Schuhe.
DER JUNGE HERR
411Niemals wieder? Hier sind die Schuhe.
DIE JUNGE FRAU
412In meinem Sack ist ein Schuhknöpfler. Ich bitt'
dich, rasch…
DER JUNGE HERR
413Hier ist der Knöpfler.
DIE JUNGE FRAU
414Alfred, das kann uns beide den Hals kosten.
DER JUNGE HERR
höchst unangenehm berührt.
DIE JUNGE FRAU
416Ja, was soll ich denn sagen, wenn er mich fragt:
Woher kommst du?
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
418Ja, wenn ich lügen könnte.
DER JUNGE HERR
419Na, du mußt es eben tun.
DIE JUNGE FRAU
420Alles für so einen Menschen. Ach, komm her… laß dich noch einmal küssen. Sie umarmt ihn.
— Und jetzt — — laß mich allein, geh ins
andere Zimmer. Ich kann mich nicht anziehen,
wenn du dabei bist.
Der Junge Herr geht in den Salon, wo er sich ankleidet. Er ißt etwas von der Bäckerei, trinkt ein Glas
Kognak.
DIE JUNGE FRAU
ruft nach einer Weile.
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
423Es ist doch besser, daß wir nicht geweint haben.
DER JUNGE HERR
nicht ohne Stolz lächelnd.
424Wie kann man so frivol reden? —
DIE JUNGE FRAU
425Wie wird das jetzt nur sein — wenn wir uns
zufällig wieder einmal in Gesellschaft begegnen?
DER JUNGE HERR
426Zufällig — einmal… Du bist ja morgen
sicher auch bei Lobheimers?
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
428Freilich. Darf ich dich um den Kotillon bitten?
DIE JUNGE FRAU
429O, ich werde nicht hinkommen. Was glaubst
du denn? — Ich würde ja… sie tritt völlig angekleidet in den Salon, nimmt eine Schokoladebäckerei…
in die Erde sinken.
DER JUNGE HERR
430Also morgen bei Lobheimer, das ist schön.
DIE JUNGE FRAU
431Nein, nein… ich sage ab; bestimmt —
DER JUNGE HERR
432Also übermorgen… hier.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
435Hier an der Ecke stehen Wagen, nicht
wahr? —
DER JUNGE HERR
436Ja, so viel du willst. Also übermorgen hier, um sechs. So sag doch ja, mein geliebter
Schatz.
DIE JUNGE FRAU
437…Das besprechen wir morgen beim Kotillon.
DER JUNGE HERR
umarmt sie.
DIE JUNGE FRAU
439Nicht wieder meine Frisur ruinieren.
DER JUNGE HERR
440Also morgen bei Lobheimers und übermorgen
in meinen Armen.
DIE JUNGE FRAU
DER JUNGE HERR
plötzlich wieder besorgt.
442Und was wirst du — ihm heut sagen? —
DIE JUNGE FRAU
443Frag nicht… frag nicht… es ist zu
schrecklich. — Warum hab' ich dich so lieb!
— Adieu. — Wenn ich wieder Menschen auf
der Stiege begegne, trifft mich der Schlag. —
Pah! —
Der Junge Herr küßt ihr noch einmal die Hand. Die Junge Frau geht.
DER JUNGE HERR
bleibt allein zurück. Dann setzt
er sich auf den Diwan. Er lächelt vor sich hin und sagt zu
sich selbst:
444Also jetzt hab' ich ein Verhältnis mit einer anständigen Frau.
DIE JUNGE FRAU UND
DER EHEMANN
Ein behagliches Schlafgemach.
Es ist halb elf Uhr nachts. Die Frau liegt zu Bette und
liest. Der Gatte tritt eben, im Schlafrock, ins Zimmer.
DIE JUNGE FRAU
ohne aufzuschauen.
445Du arbeitest nicht mehr?
DER GATTE
446Nein. Ich bin zu müde. Und außerdem…
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
448Ich hab' mich an meinem Schreibtisch plötzlich
so einsam gefühlt. Ich habe Sehnsucht nach
dir bekommen.
DIE JUNGE FRAU
schaut auf.
DER GATTE
setzt sich zu ihr aufs Bett.
450Lies heute nicht mehr. Du wirst dir die Augen
verderben.
DIE JUNGE FRAU
schlägt das Buch zu.
DER GATTE
452Nichts, mein Kind. Verliebt bin ich in dich!
Das weißt du ja!
DIE JUNGE FRAU
453Man könnte es manchmal fast vergessen.
DER GATTE
454Man muß es sogar manchmal vergessen.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
456Weil die Ehe sonst etwas unvollkommenes
wäre. Sie würde… wie soll ich nur
sagen… sie würde ihre Heiligkeit verlieren.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
458Glaube mir — es ist so… Hätten wir in
den fünf Jahren, die wir jetzt miteinander verheiratet sind, nicht manchmal vergessen, daß
wir ineinander verliebt sind — wir wären es
wohl gar nicht mehr.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
460Die Sache ist einfach die: wir haben vielleicht
schon zehn oder zwölf Liebschaften miteinander gehabt… Kommt es dir nicht auch
so vor?
DIE JUNGE FRAU
461Ich hab' nicht gezählt! —
DER GATTE
462Hätten wir gleich die erste bis zum Ende
durchgekostet, hätte ich mich von Anfang
an meiner Leidenschaft für dich willenlos hingegeben, es wäre uns gegangen wie den Millionen von anderen Liebespaaren. Wir wären
fertig miteinander.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
464Glaube mir — Emma — in den ersten Tagen
unserer Ehe hatte ich Angst, daß es so kommen
würde.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
466Siehst du? Hab' ich nicht recht gehabt? Darum ist es gut, immer wieder für einige Zeit
nur in guter Feundschaft miteinander hinzuleben.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
468Und so kommt es, daß wir immer wieder
neue Flitterwochen miteinander durchleben
können, da ich es nie drauf ankommen lasse,
die Flitterwochen…
DIE JUNGE FRAU
469Zu Monaten auszudehnen.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
471Und jetzt… scheint also wieder eine
Freundschaftsperiode abgelaufen zu sein — ?
DER GATTE
sie zärtlich an sich drückend.
DIE JUNGE FRAU
473Wenn es aber… bei mir anders wäre.
DER GATTE
474Es ist bei dir nicht anders. Du bist ja das
klügste und entzückendste Wesen, das es gibt.
Ich bin sehr glücklich, daß ich dich gefunden
habe.
DIE JUNGE FRAU
475Das ist aber nett, wie du den Hof machen
kannst — von Zeit zu Zeit.
DER GATTE
hat sich auch zu Bett begeben.
476Für einen Mann, der sich ein bißchen in der
Welt umgesehen hat — geh, leg den Kopf
an meine Schulter — der sich in der Welt
umgesehen hat, bedeutet die Ehe eigentlich
etwas viel geheimnisvolleres als für euch junge
Mädchen aus guter Familie. Ihr tretet uns rein
und… wenigstens bis zu einem gewissen
Grad unwissend entgegen, und darum habt ihr
eigentlich einen viel klareren Blick für das Wesen
der Liebe als wir.
DIE JUNGE FRAU
lachend.
DER GATTE
478Gewiß. Denn wir sind ganz verwirrt und
unsicher geworden durch die vielfachen Erlebnisse, die wir notgedrungen vor der
Ehe durchzumachen haben. Ihr hört ja
viel und wißt zu viel und lest ja wohl eigentlich auch zu viel, aber einen rechten Begriff von
dem, was wir Männer in der Tat erleben,
habt ihr ja doch nicht. Uns wird das, was
man so gemeinhin die Liebe nennt, recht
gründlich widerwärtig gemacht, denn was sind
das schließlich für Geschöpfe, auf die wir angewiesen sind!
DIE JUNGE FRAU
479Ja, was sind das für Geschöpfe?
DER GATTE
küßt sie auf die Stirn.
480Sei froh, mein Kind, daß du nie einen Hinblick
in diese Verhältnisse erhalten hast. Es sind
übrigens meist recht bedauernswerte Wesen —
werfen wir keinen Stein auf sie.
DIE JUNGE FRAU
481Bitt' dich — dieses Mitleid — Das kommt mir
da gar nicht recht angebracht vor.
DER GATTE
mit schöner Milde.
482Sie verdienen es. Ihr, die ihr junge Mädchen
aus guter Familie wart, die ruhig unter Obhut
eurer Eltern auf den Ehrenmann warten
konntet, der euch zur Ehe begehrt; — ihr
kennt ja das Elend nicht, das die meisten von
diesen armen Geschöpfen der Sünde in die
Arme treibt.
DIE JUNGE FRAU
483So verkaufen sich denn alle?
DER GATTE
484Das möchte ich nicht sagen. Ich mein' ja auch
nicht nur das materielle Elend. Aber es gibt
auch — ich möchte sagen — ein sittliches
Elend; eine mangelhafte Auffassung für das,
was erlaubt, und insbesondere für das, was
edel ist.
DIE JUNGE FRAU
485Aber warum sind sie zu bedauern? — Denen
geht's ja ganz gut?
DER GATTE
486Du hast sonderbare Ansichten, mein Kind. Du
darfst nicht vergessen, daß solche Wesen von
Natur aus bestimmt sind, immer tiefer und
tiefer zu fallen. Da gibt es kein Aufhalten.
DIE JUNGE FRAU
sich an ihn schmiegend.
487Offenbar fällt es sich ganz angenehm.
DER GATTE
peinlich berührt.
488Wie kannst du so reden, Emma. Ich denke
doch, daß es gerade für euch, anständige Frauen,
nichts Widerwärtigeres geben kann, als alle diejenigen, die es nicht sind.
DIE JUNGE FRAU
489Freilich, Karl, freilich. Ich hab's ja auch nur so
gesagt. Geh, erzähl weiter. Es ist so nett, wenn
du so red'st. Erzähl mir was.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
491Nun — von diesen Geschöpfen.
DER GATTE
492Was fällt dir denn ein?
DIE JUNGE FRAU
493Schau, ich hab' dich schon früher, weißt du,
ganz im Anfang hab' ich dich immer gebeten, du sollst mir aus deiner Jugend was erzählen.
DER GATTE
494Warum interessiert dich denn das?
DIE JUNGE FRAU
495Bist du denn nicht mein Mann? Und ist das
nicht geradezu eine Ungerechtigkeit, daß ich von
deiner Vergangenheit eigentlich gar nichts
weiß?
DER GATTE
496Du wirst mich doch nicht für so geschmacklos
halten, daß ich — Genug, Emma… das
ist ja wie eine Entweihung.
DIE JUNGE FRAU
497Und doch hast du… wer weiß wieviel
andere Frauen gerade so in den Armen gehalten, wie jetzt mich.
DER GATTE
498Sag doch nicht „Frauen”. Frau bist du.
DIE JUNGE FRAU
499Aber eine Frage mußt du mir beantworten… sonst… sonst… ist's nichts mit den
Flitterwochen.
DER GATTE
500Du hast eine Art, zu reden… denk doch,
daß du Mutter bist… daß unser Mäderl
da drin liegt…
DIE JUNGE FRAU
an ihn sich schmiegend.
501Aber ich möcht' auch einen Buben.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
503Geh, sei nicht so… freilich bin ich deine
Frau… aber ich möchte auch ein bissel
deine Geliebte sein.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
505Also — zuerst meine Frage.
DER GATTE
gefügig.
DIE JUNGE FRAU
507War… eine verheiratete Frau unter ihnen?
DER GATTE
508Wieso? — wie meinst du das?
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
leicht beunruhigt.
510Wie kommst du auf diese Frage?
DIE JUNGE FRAU
511Ich möchte wissen, ob es… das heißt —
es gibt solche Frauen… das weiß ich. Aber
ob du…
DER GATTE
ernst.
512Kennst du eine solche Frau?
DIE JUNGE FRAU
513Ja, ich weiß das selber nicht.
DER GATTE
514Ist unter deinen Freundinnen vielleicht eine solche
Frau?
DIE JUNGE FRAU
515Ja wie kann ich das mit Bestimmtheit behaupten
— oder verneinen?
DER GATTE
516Hat dir vielleicht einmal eine deiner Freundinnen… Man spricht über gar manches,
wenn man so — die Frauen unter sich — hat
dir eine gestanden —?
DIE JUNGE FRAU
unsicher.
DER GATTE
518Hast du bei irgendeiner deiner Freundinnen den
Verdacht, daß sie…
DIE JUNGE FRAU
519Verdacht… oh… Verdacht.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
521Gewiß nicht Karl, sicher nicht. Wenn ich
mir's so überlege — ich trau es doch keiner
zu.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
523Von meinen Freundinnen keiner.
DER GATTE
524Versprich mir etwas, Emma.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
526Daß du nie mit einer Frau verkehren wirst,
bei der du auch den leisesten Verdacht hast,
daß sie… kein ganz tadelloses Leben
führt.
DIE JUNGE FRAU
527Das muß ich dir erst versprechen?
DER GATTE
528Ich weiß ja, daß du den Verkehr mit solchen
Frauen nicht suchen wirst. Aber der Zufall
könnte es fügen, daß du… Ja, es ist sogar sehr häufig, daß gerade solche Frauen, deren
Ruf nicht der beste ist, die Gesellschaft von
anständigen Frauen suchen, teils um sich ein
Relief zu geben, teils aus einem gewissen…
wie soll ich sagen… aus einem gewissen
Heimweh nach der Tugend.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
530Ja. Ich glaube, daß das sehr richtig ist,
was ich da gesagt habe. Heimweh nach der
Tugend. Denn, daß diese Frauen alle eigentlich sehr unglücklich sind, das kannst du mir
glauben.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
532Du fragst, Emma? — Wie kannst du denn
nur fragen? — Stell dir doch vor, was
diese Frauen für eine Existenz führen!
Voll Lüge, Tücke, Gemeinheit und voll Gefahren.
DIE JUNGE FRAU
533Ja freilich. Da hast du schon recht.
DER GATTE
534Wahrhaftig — sie bezahlen das bißchen Glück… das bißchen…
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
536Warum Vergnügen? Wie kommst du darauf,
das Vergnügen zu nennen?
DIE JUNGE FRAU
537Nun, — etwas muß es doch sein —! Sonst
täten sie's ja nicht.
DER GATTE
538Nichts ist es… ein Rausch.
DIE JUNGE FRAU
nachdenklich.
DER GATTE
540Nein, es ist nicht einmal ein Rausch. Wie
immer — teuer bezahlt, das ist gewiß!
DIE JUNGE FRAU
541Also… du hast das einmal mitgemacht —
nicht wahr?
DER GATTE
542Ja, Emma. — Es ist meine traurigste Erinnerung.
DIE JUNGE FRAU
543Wer ist's? Sag! Kenn' ich sie?
DER GATTE
544Was fällt dir denn ein?
DIE JUNGE FRAU
545Ist's lange her? War es sehr lang, bevor du
mich geheiratet hast?
DER GATTE
546Frag nicht. Ich bitt' dich, frag nicht.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
550Ja… es klingt fast lächerlich, aber ich habe
die Empfindung, daß alle diese Frauen jung
sterben.
DIE JUNGE FRAU
551Hast du sie sehr geliebt?
DER GATTE
552Lügnerinnen liebt man nicht.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
556Sprich nicht mehr davon, ich bitt' dich. Alles
das ist lang vorbei. Geliebt hab' ich nur eine
— das bist du. Man liebt nur, wo Reinheit
und Wahrheit ist.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
558Oh, wie sicher, wie wohl fühlt man sich in
solchen Armen. Warum hab' ich dich nicht
schon als Kind gekannt? Ich glaube, dann hätt'
ich andere Frauen überhaupt nicht angesehen.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
560Und schön bist du!… schön!… Oh
komm…
Er löscht das Licht aus.
DIE JUNGE FRAU
561Weißt du, woran ich heute denken muß?
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
566Was denn —? So sag's doch!
DIE JUNGE FRAU
567So lieb hast du mich heut.
DER GATTE
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
in ihren Armen.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
572Was meintest du? Wenn ich immer… ?
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
574Nun, was wär' denn, wenn ich immer…
DIE JUNGE FRAU
575Dann wüßt' ich eben immer, daß du mich
lieb hast.
DER GATTE
576Ja. Du mußt es aber auch so wissen. Man
ist nicht immer der liebende Mann, man muß
auch zuweilen hinaus ins feindliche Leben,
muß kämpfen und streben! Das vergiß nie,
mein Kind! Alles hat seine Zeit in der
Ehe — das ist eben das Schöne. Es gibt
nicht viele, die sich noch nach fünf Jahren
an — ihr Venedig erinnern.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE
578Und jetzt… gute Nacht, mein Kind.
DIE JUNGE FRAU
DER GATTE UND
DAS SÜSSE MÄDEL
Ein Cabinet particulier im Riedhof. Behagliche, mäßige
Eleganz. Der Gasofen brennt. —
Der Gatte. Das süße Mädel.
Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen, Obersschaumbaisers, Obst, Käse. In den Weingläsern ein
ungarischer weißer Wein.
Der Gatte raucht eine Havannazigarre, er lehnt in
der Ecke des Divans.
Das süsse Mädel sitzt neben ihm auf dem Sessel und
löffelt aus einem Baiser den Obersschaum heraus, den sie
mit Behagen schlürft.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
läßt sich nicht stören.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
583Nein, ich hab' so schon zu viel gegessen.
DER GATTE
584Du hast keinen Wein mehr.
Er schenkt ein.
DAS SÜSSE MÄDEL
585Nein… aber schaun' S', ich laß ihn ja eh
stehen.
DER GATTE
586Schon wieder sagst du Sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
587So? — Ja wissen S', man gewöhnt sich halt so
schwer.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
590Weißt du, sollst du sagen, nicht wissen S'. —
Komm setz dich zu mir.
DAS SÜSSE MÄDEL
591Gleich… bin noch nicht fertig.
Der Gatte steht auf, stellt sich hinter den Sessel und
umarmt das süsse Mädel, indem er ihren Kopf zu sich
wendet.
DER GATTE
593Einen Kuß möcht' ich haben.
DAS SÜSSE MÄDEL
gibt ihm einen Kuß.
594Sie sind… oh pardon, du bist ein kecker
Mensch.
DER GATTE
595Jetzt fällt dir das ein?
DAS SÜSSE MÄDEL
596Ah nein, eingefallen ist es mir schon
früher… schon auf der Gassen. — Sie
müssen —
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
598Du mußt dir eigentlich was schönes von mir
denken.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
600Daß ich gleich so mit Ihnen ins Chambre séparée
gegangen bin.
DER GATTE
601Na, gleich kann man doch nicht sagen.
DAS SÜSSE MÄDEL
602Aber Sie können halt so schön bitten.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
604Und schließlich, was ist denn dabei?
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
606Ob man spazieren geht oder —
DER GATTE
607Zum Spazierengehen ist's auch viel zu kalt.
DAS SÜSSE MÄDEL
608Natürlich ist's zu kalt gewesen.
DER GATTE
609Aber da ist es angenehm warm; was?
Er hat
sich wieder niedergesetzt, umschlingt das süße Mädel und
zieht sie an seine Seite.
DAS SÜSSE MÄDEL
schwach.
DER GATTE
611Jetzt sag einmal… Du hast mich schon
früher bemerkt gehabt, was?
DAS SÜSSE MÄDEL
612Natürlich. Schon in der Singerstraßen.
DER GATTE
613Nicht heut, mein' ich. Auch vorgestern und
vorvorgestern, wie ich dir nachgegangen
bin.
DAS SÜSSE MÄDEL
614Mir gehn gar viele nach.
DER GATTE
615Das kann ich mir denken. Aber ob du mich
bemerkt hast.
DAS SÜSSE MÄDEL
616Wissen S'… ah… weißt, was mir neulich
passiert ist? Da ist mir der Mann von meiner
Cousine nachg'stiegen in der Dunkeln und hat
mich nicht kennt.
DER GATTE
617Hat er dich angesprochen?
DAS SÜSSE MÄDEL
618Aber was glaubst denn? Meinst, es ist jeder
so keck wie du?
DER GATTE
619Aber es kommt doch vor.
DAS SÜSSE MÄDEL
620Natürlich kommt's vor.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
622Na, nichts — Keine Antwort geb' ich halt.
DER GATTE
623Hm… mir hast du aber eine Antwort gegeben.
DAS SÜSSE MÄDEL
624Na sind S' vielleicht bös?
DER GATTE
küßt sie heftig.
625Deine Lippen schmecken nach dem Obersschaum.
DAS SÜSSE MÄDEL
626Oh, die sind von Natur aus süß.
DER GATTE
627Das haben dir schon viele gesagt?
DAS SÜSSE MÄDEL
628Viele!! Was du dir wieder einbildest!
DER GATTE
629Na, sei einmal ehrlich. Wie viele haben den
Mund da schon geküßt?
DAS SÜSSE MÄDEL
630Was fragst mich denn? Du möchtest mir's ja
doch nicht glauben, wenn ich dir's sag'!
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
633Na, sagen wir, — aber du darfst nicht bös
sein?
DAS SÜSSE MÄDEL
634Warum sollt' ich denn bös sein?
DER GATTE
635Also ich schätze… zwanzig.
DAS SÜSSE MÄDEL
sich von ihm losmachend.
636Na — warum nicht gleich hundert?
DER GATTE
637Ja, ich hab' eben geraten.
DAS SÜSSE MÄDEL
638Da hast du aber nicht gut geraten.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
beleidigt.
640Freilich. Eine, die sich auf der Gassen anreden läßt und gleich mitgeht ins Chambre séparée!
DER GATTE
641Sei doch nicht so kindisch. Ob man auf der
Straßen herumläuft oder in einem Zimmer
sitzt… Wir sind doch da in einem Gasthaus. Jeden Moment kann der Kellner hereinkommen — da ist doch wirklich gar nichts
dran…
DAS SÜSSE MÄDEL
642Das hab' ich mir eben auch gedacht.
DER GATTE
643Warst du schon einmal in einem Chambre
séparée?
DAS SÜSSE MÄDEL
644Also, wenn ich die Wahrheit sagen soll: ja.
DER GATTE
645Siehst du, das g'fallt mir, daß du doch wenigstens aufrichtig bist.
DAS SÜSSE MÄDEL
646Aber nicht so — wie du dir's wieder denkst.
Mit einer Freundin und ihrem Bräutigam bin
ich im Chambre séparée gewesen, heuer im
Fasching einmal.
DER GATTE
647Es wär' ja auch kein Malheur, wenn du einmal
— mit deinem Geliebten —
DAS SÜSSE MÄDEL
648Natürlich wär's kein Malheur. Aber ich hab'
kein Geliebten.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
650Meiner Seel, ich hab' keinen.
DER GATTE
651Aber du wirst mir doch nicht einreden wollen,
daß ich…
DAS SÜSSE MÄDEL
652Was denn?… Ich hab' halt keinen — schon
seit mehr als einem halben Jahr.
DER GATTE
653Ah so… Aber vorher? Wer war's denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
654Was sind S' denn gar so neugierig?
DER GATTE
655Ich bin neugierig, weil ich dich liebhab'.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
657Freilich. Das mußt du doch merken. Erzähl
mir also.
Drückt sie fest an sich.
DAS SÜSSE MÄDEL
658Was soll ich dir denn erzählen?
DER GATTE
659So laß dich doch nicht so lang bitten. Wer's
gewesen ist, möcht ich wissen.
DAS SÜSSE MÄDEL
lachend.
DER GATTE
661Also — also — wer war's?
DAS SÜSSE MÄDEL
662Ein bissel ähnlich hat er dir gesehen.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
664Wenn du ihm nicht so ähnlich schauen
tät'st —
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
666Na also frag nicht, wennst schon siehst,
daß…
DER GATTE
versteht.
667Also darum hast du dich von mir anreden
lassen.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
669Jetzt weiß ich wirklich nicht, soll ich mich freuen
oder soll ich mich ärgern.
DAS SÜSSE MÄDEL
670Na, ich an deiner Stell tät' mich freuen.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
672Und auch im Reden erinnerst du mich so an
ihn… und wie du einen anschaust…
DER GATTE
673Was ist er denn gewesen?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
675Wie hat er denn geheißen?
DAS SÜSSE MÄDEL
676Nein, schau mich nicht so an, ich bitt' dich.
Der Gatte umfängt sie. Langer, heißer Kuß.
Das süsse Mädel schüttelt sich, will aufstehen.
DER GATTE
677Warum gehst du fort von mir?
DAS SÜSSE MÄDEL
678Es wird Zeit zum Z'hausgehen.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
680Nein, ich muß wirklich schon zuhaus gehen.
Was glaubst denn, was die Mutter sagen
wird.
DER GATTE
681Du wohnst bei deiner Mutter?
DAS SÜSSE MÄDEL
682Natürlich wohn' ich bei meiner Mutter. Was
hast denn geglaubt?
DER GATTE
683So — bei der Mutter. Wohnst du allein mit
ihr?
DAS SÜSSE MÄDEL
684Ja freilich allein! Fünf sind wir! Zwei Buben
und noch zwei Mädeln.
DER GATTE
685So setz dich doch nicht so weit fort von mir.
Bist du die älteste?
DAS SÜSSE MÄDEL
686Nein, ich bin die zweite. Zuerst kommt die
Kathi; die ist im G'schäft, in einer Blumenhandlung, dann komm' ich.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
690Es muß doch eine z'haus sein.
DER GATTE
691Freilich. Ja — und was sagst du denn eigentlich deiner Mutter, wenn du — so spät nach
Haus kommst?
DAS SÜSSE MÄDEL
692Das ist ja so eine Seltenheit.
DER GATTE
693Also heut zum Beispiel. Deine Mutter fragt
dich doch?
DAS SÜSSE MÄDEL
694Natürlich fragt's mich. Da kann ich Obacht
geben so viel ich will — wenn ich nach Haus
komm', wacht s' auf.
DER GATTE
695Also was sagst du ihr da?
DAS SÜSSE MÄDEL
696Na, im Theater werd' ich halt gewesen sein.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
698Na, warum soll s' mir denn nicht glauben?
Ich geh' ja oft ins Theater. Erst am Sonntag war ich in der Oper mit meiner Freundin und ihrem Bräutigam und mein ältern
Bruder.
DER GATTE
699Woher habt ihr denn da die Karten?
DAS SÜSSE MÄDEL
700Aber, mein Bruder ist ja Friseur!
DER GATTE
701Ja, die Friseure… ah, wahrscheinlich
Theaterfriseur.
DAS SÜSSE MÄDEL
702Was fragst mich denn so aus?
DER GATTE
703Es interessiert mich halt. Und was ist denn
der andere Bruder?
DAS SÜSSE MÄDEL
704Der geht noch in die Schul'. Der will ein Lehrer
werden. Nein… so 'was!
DER GATTE
705Und dann hast du noch eine kleine Schwester?
DAS SÜSSE MÄDEL
706Ja, die ist noch ein Fratz, aber auf die muß
man schon heut so aufpassen. Hast du denn
eine Idee, wie die Mädeln in der Schule
verdorben werden! Was glaubst! Neulich hab'
ich sie bei einem Rendezvous erwischt.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
708Ja! mit einem Buben von der Schul' vis-á-vis
ist sie abends um halber acht in der Strozzigasse spazierengegangen. So ein Fratz!
DER GATTE
709Und, was hast du da gemacht?
DAS SÜSSE MÄDEL
710Na, Schläg hat s' kriegt!
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
712Na, wer solls denn sein? Die ältere ist im
G'schäft, die Mutter tut nichts als raunzen; —
kommt immer alles auf mich.
DER GATTE
713Herrgott, bist du lieb! Küßt sie und wird zärtlicher.
Du erinnerst mich auch an wen.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
715An keine bestimmte… an die Zeit…
na, halt an meine Jugend. Geh, trink, mein
Kind!
DAS SÜSSE MÄDEL
716Ja, wie alt bist du denn?… Du… ja…
ich weiß ja nicht einmal, wie du heißt.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
718Ist's möglich! Karl heißt du?
DER GATTE
719Er hat auch Karl geheißen?
DAS SÜSSE MÄDEL
720Nein, das ist aber schon das reine Wunder…
das ist ja nein die Augen… Das G'schau…
schüttelt den Kopf.
DER GATTE
721Und wer er war — hast du mir noch immer
nicht gesagt.
DAS SÜSSE MÄDEL
722Ein schlechter Mensch ist er gewesen —
das ist g'wiß, sonst hätt' er mich nicht sitzen
lassen.
DER GATTE
723Hast ihn sehr gern g'habt?
DAS SÜSSE MÄDEL
724Freilich hab' ich ihn gern g'habt.
DER GATTE
725Ich weiß, was er war, Leutnant.
DAS SÜSSE MÄDEL
726Nein, bei Militär war er nicht. Sie haben
ihn nicht genommen. Sein Vater hat ein Haus
in der… aber was brauchst du das zu
wissen?
DER GATTE
küßt sie.
727Du hast eigentlich graue Augen, anfangs hab'
ich gemeint, sie sind schwarz.
DAS SÜSSE MÄDEL
728Na sind's dir vielleicht nicht schön genug?
Der Gatte
küßt ihre Augen.
729Nein, nein — das vertrag' ich schon gar
nicht… o bitt' dich — o Gott… nein,
laß mich aufstehn… nur für einen Moment —
bitt' dich.
DER GATTE
immer zärtlicher.
DAS SÜSSE MÄDEL
731Aber ich bitt' dich, Karl…
DER GATTE
732Wie alt bist du? — achtzehn, was?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
736Und einige drüber. — Reden wir nicht
davon.
DAS SÜSSE MÄDEL
737Er war auch schon zweiunddreißig, wie ich ihn
kennen gelernt hab'.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
739Ich weiß nimmer… Du, in dem Wein muß
was drin gewesen sein.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
741Ich bin ganz… weißt — mir dreht sich
alles.
DER GATTE
742So halt dich fest an mich. So… Er drückt
sie an sich und wird immer zärtlicher, sie wehrt kaum ab.
Ich werd' dir was sagen, mein Schatz, wir
könnten jetzt wirklich gehn.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
745Was meinst denn?… O nein, o nein…
ich geh' nirgends hin, was fallt dir denn ein —
DER GATTE
746Also hör mich nur an, mein Kind, das nächste
Mal, wenn wir uns treffen, weißt du, da richten
wir uns das so ein, daß… Er ist zu Boden gesunken, hat seinen Kopf in ihrem Schoß. Das ist
angenehm, oh, das ist angenehm.
DAS SÜSSE MÄDEL
747Was machst denn? Sie küßt seine Haare. Du in
dem Wein muß was drin gewesen sein — so
schläfrig… du was g'schieht denn, wenn ich
nimmer aufstehn kann? Aber, aber, schau,
aber Karl… und wenn wer hereinkommt… ich bitt' dich… der Kellner.
DER GATTE
748Da… kommt sein Lebtag… kein Kellner… herein…
Das süsse Mädel lehnt mit geschlossenen Augen in der Diwanecke. Der Gatte geht in dem kleinen Raum auf und ab, nachdem er sich eine Zigarette angezündet. Längeres Schweigen.
DER GATTE
betrachtet das süße Mädel lange, für sich.
749Wer weiß, was das eigentlich für eine Person
ist — Donnerwetter… So schnell…
War nicht sehr vorsichtig von mir…
Hm…
DAS SÜSSE MÄDEL
ohne die Augen zu öffnen.
750In dem Wein muß was drin gewesen sein.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
753Warum schiebst du denn alles auf den
Wein?…
DAS SÜSSE MÄDEL
754Wo bist denn? Warum bist denn so weit?
Komm doch zu mir.
Der Gatte zur ihr hin, setzt sich.
755Jetzt sag mir, ob du mich wirklich gern hast.
DER GATTE
756Das weißt du doch… Er unterbricht sich rasch.
Freilich.
DAS SÜSSE MÄDEL
757Weißt… es ist doch… Geh, sag mir
die Wahrheit, was war in dem Wein?
DER GATTE
758Ja, glaubst du ich bin ein… ich bin ein Giftmischer?
DAS SÜSSE MÄDEL
759Ja, schau, ich versteh's halt nicht. Ich bin
doch nicht so… Wir kennen uns doch
erst seit… Du, ich bin nicht so…
meiner Seel' und Gott, — wenn du das von
mir glauben tät'st —
DER GATTE
760Ja — was machst du dir denn da für Sorgen.
Ich glaub' gar nichts schlechtes von dir. Ich
glaub' halt, daß du mich lieb hast.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
762Schließlich, wenn zwei junge Leut' allein in
einem Zimmer sind, und nachtmahlen und
trinken Wein… es braucht gar nichts
drin zu sein in dem Wein.
DAS SÜSSE MÄDEL
763Ich hab's ja auch nur so g'sagt.
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
eher trotzig.
765Ich hab' mich halt g'schämt.
DER GATTE
766Das ist lächerlich. Dazu liegt gar kein Grund
vor. Um so mehr als ich dich an deinen ersten
Geliebten erinnere.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
770Jetzt möcht' es mich interessieren, wer die
anderen waren.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
772Das ist ja nicht wahr, das kann ja nicht wahr
sein.
DAS SÜSSE MÄDEL
773Geh, bitt' dich, sekier mich nicht. —
DER GATTE
774Willst eine Zigarette?
DAS SÜSSE MÄDEL
775Nein, ich dank' schön.
DER GATTE
776Weißt du, wie spät es ist?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
780Na… und die Mutter? Die ist es gewöhnt,
was?
DAS SÜSSE MÄDEL
781Willst mich wirklich schon z'haus schicken?
DER GATTE
782Ja, du hast doch früher selbst —
DAS SÜSSE MÄDEL
783Geh, du bist aber wie ausgewechselt. Was
hab' ich dir denn getan?
DER GATTE
784Aber Kind, was hast du denn, was fällt dir
denn ein?
DAS SÜSSE MÄDEL
785Und es ist nur dein G'schau gewesen, meiner
Seel, sonst hättst du lang… haben mich
schon viele gebeten, ich soll mit ihnen ins
Chambre séparée gehen.
DER GATTE
786Na, willst du… bald wieder mit mir hieher… oder auch wo anders —
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
788Was heißt das wieder: du weißt nicht.
DAS SÜSSE MÄDEL
789Na, wenn du mich erst fragst?
DER GATTE
790Also wann? Ich möcht' dich nur vor allem
aufklären, daß ich nicht in Wien lebe. Ich
komme nur von Zeit zu Zeit auf ein paar Tage
her.
DAS SÜSSE MÄDEL
791Ah geh, du bist kein Wiener?
DER GATTE
792Wiener bin ich schon. Aber ich lebe jetzt in
der Nähe…
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
794Ach Gott, das ist ja egal.
DAS SÜSSE MÄDEL
795Na, fürcht dich nicht, ich komm' nicht hin.
DER GATTE
796O Gott, wenn es dir Spaß macht, kannst du
auch hinkommen. Ich lebe in Graz.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
798Na ja, was wundert dich denn daran?
DAS SÜSSE MÄDEL
799Du bist verheiratet, wie?
DER GATTE
höchst erstaunt.
800Ja, wie kommst du darauf?
DAS SÜSSE MÄDEL
801Mir ist halt so vorgekommen.
DER GATTE
802Und das würde dich gar nicht genieren?
DAS SÜSSE MÄDEL
803Na, lieber ist mir schon, du bist ledig. —
Aber du bist ja doch verheiratet!
DER GATTE
804Ja, sag mir nur, wie kommst du denn darauf?
DAS SÜSSE MÄDEL
805Wenn einer sagt, er lebt nicht in Wien und
hat nicht immer Zeit —
DER GATTE
806Das ist doch nicht so unwahrscheinlich.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
808Und da möchtest du dir gar kein Gewissen
machen, daß du einen Ehemann zur Untreue
verführst?
DAS SÜSSE MÄDEL
809Ah was, deine Frau macht's sicher nicht anders
als du.
DER GATTE
sehr empört.
810Du, das verbitt' ich mir. Solche Bemerkungen.
DAS SÜSSE MÄDEL
811Du hast ja keine Frau, hab' ich geglaubt.
DER GATTE
812Ob ich eine hab' oder nicht — man macht keine
solche Bemerkungen.
Er ist aufgestanden.
DAS SÜSSE MÄDEL
813Karl, na Karl, was ist denn? Bist bös? Schau,
ich hab's ja wirklich nicht gewußt, daß du verheiratet bist. Ich hab' ja nur so g'redt. Geh,
komm und sei wieder gut.
DER GATTE
kommt nach ein paar Sekunden zu ihr.
814Ihr seid wirklich sonderbare Geschöpfe,
ihr… Weiber.
Er wird wieder zärtlich an ihrer
Seite.
DAS SÜSSE MÄDEL
815Geh… nicht… es ist auch schon so
spät. —
DER GATTE
816Also jetzt hör mir einmal zu. Reden wir einmal im Ernst miteinander. Ich möcht' dich
wiedersehen, öfter wiedersehen.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
818Aber dazu ist notwendig… also verlassen
muß ich mich auf dich können. Aufpassen kann
ich nicht auf dich.
DAS SÜSSE MÄDEL
819Ah, ich pass' schon selber auf mich auf.
DER GATTE
820Du bist… na also, unerfahren kann man
ja nicht sagen — aber jung bist du — und —
die Männer sind im allgemeinen ein gewissenloses Volk.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
822Ich mein' das nicht nur in moralischer Hinsicht. — Na, du verstehst mich sicher. —
DAS SÜSSE MÄDEL
823Ja, sag mir, was glaubst du denn eigentlich
von mir?
DER GATTE
824Also — wenn du mich lieb haben willst —
nur mich — so können wirs uns schon einrichten — wenn ich auch für gewöhnlich in Graz wohne. Da wo jeden Moment wer
hereinkommen kann, ist es ja doch nicht das
rechte.
Das süsse Mädel schmiegt sich an ihn.
825Das nächste Mal… werden wir woanders
zusammen sein, ja?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
827Wo wir ganz ungestört sind.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER GATTE
umfängt sie heiß.
829Das andere besprechen wir im Nachhausfahren.
Steht auf, öffnet die Tür. Kellner… die Rechnung!
DAS SÜSSE MÄDEL UND
DER DICHTER
Ein kleines Zimmer, mit behaglichem Geschmack eingerichtet. Vorhänge, welche das Zimmer halbdunkel
machen. Rote Stores. Großer Schreibtisch, auf dem Papiere
und Bücher herumliegen. Ein Pianino an der Wand.
Das süße Mädel. Der Dichter.
Sie kommen eben zusammen herein. Der Dichter schließt zu.
DER DICHTER
küßt sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
mit Hut und Mantille.
831Ah! Da ist aber schön! Nur sehen tut man
nichts!
DER DICHTER
832Deine Augen müssen sich an das Halbdunkel gewöhnen. — Diese süßen Augen —
küßt sie auf die Augen.
DAS SÜSSE MÄDEL
833Dazu werden die süßen Augen aber nicht Zeit
genug haben.
DER DICHTER
DAS SÜSSE MÄDEL
835Weil ich nur eine Minuten dableib'.
DER DICHTER
DAS SÜSSE MÄDEL
837Wegen der einen Minuten?
DER DICHTER
nimmt die Nadel aus ihrem Hut und
legt den Hut fort.
DAS SÜSSE MÄDEL
839Was willst denn? — Ich muß ja gleich wieder
fortgehen.
DER DICHTER
840Aber du mußt dich doch ausruhn! Wir sind
ja drei Stunden gegangen.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
842Ja nach Haus — aber in Weidling am Bach
sind wir doch drei volle Stunden herumgelaufen. Also setz dich nur schön nieder, mein
Kind… wohin du willst; — hier an den
Schreibtisch; — aber nein, das ist nicht bequem.
Setz dich auf den Diwan. So. Er drückt sie
nieder. Bist du sehr müd, so kannst du dich
auch hinlegen. So. Er legt sie auf den Diwan.
Da das Kopferl auf den Polster.
DAS SÜSSE MÄDEL
lachend.
843Aber ich bin ja gar nicht müd!
DER DICHTER
844Das glaubst du nur. So — und wenn du
schläfrig bist, kannst du auch schlafen. Ich werde
ganz still sein. Übrigens kann ich dir ein
Schlummerlied vorspielen… von mir…
Geht zum Pianino.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
DAS SÜSSE MÄDEL
847Ich hab' glaubt, Robert, du bist ein Doktor.
DER DICHTER
848Wieso? Ich hab' dir doch gesagt, daß ich
Schriftsteller bin.
DAS SÜSSE MÄDEL
849Die Schriftsteller sind doch alle Dokters.
DER DICHTER
850Nein, nicht alle. Ich zum Beispiel nicht. Aber wie
kommst du jetzt darauf.
DAS SÜSSE MÄDEL
851Na, weil du sagst, das Stück, was du da
spielen tust, ist von dir.
DER DICHTER
852Ja… vielleicht ist es auch nicht von mir. Das
ist ja ganz egal. Was? Überhaupt wer's gemacht hat, das ist immer egal. Nur schön muß
es sein — nicht wahr?
DAS SÜSSE MÄDEL
853Freilich… schön muß es sein — das ist die
Hauptsach'! —
DER DICHTER
854Weißt du, wie ich das gemeint hab'?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
856Na, was ich eben gesagt hab'.
DAS SÜSSE MÄDEL
schläfrig.
DER DICHTER
steht auf; zu ihr, ihr das Haar streichelnd.
858Kein Wort hast du verstanden.
DAS SÜSSE MÄDEL
859Geh, ich bin doch nicht so dumm.
DER DICHTER
860Freilich bist du so dumm. Aber gerade
darum hab' ich dich lieb. Ah, das ist so schön,
wenn ihr dumm seid. Ich mein' in der Art
wie du.
DAS SÜSSE MÄDEL
861Geh, was schimpfst denn?
DER DICHTER
862Engel, kleiner. Nicht wahr, es liegt sich gut
auf dem weichen, persischen Teppich?
DAS SÜSSE MÄDEL
863O ja. Geh, willst nicht weiter Klavier
spielen?
DER DICHTER
864Nein, ich bin schon lieber da bei dir.
Streichelt sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
865Geh, willst nicht lieber Licht machen?
DER DICHTER
866O nein… Diese Dämmerung tut ja so
wohl. Wir waren heute den ganzen Tag wie
in Sonnenstrahlen gebadet. Jetzt sind wir sozusagen aus dem Bad gestiegen und schlagen… die Dämmerung wie einen Bademantel —
lacht — ah nein — das muß anders gesagt werden… Findest du nicht?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
sich leicht von ihr entfernend.
868Göttlich, diese Dummheit!
Nimmt ein Notizbuch
und schreibt ein paar Worte hinein.
DAS SÜSSE MÄDEL
869Was machst denn? Sich nach ihm umwendend.
Was schreibst dir denn auf?
DER DICHTER
leise.
870Sonne, Bad, Dämmerung, Mantel… so…
steckt das Notizbuch ein. Laut. Nichts… Jetzt
sag einmal, mein Schatz, möchtest du nicht
etwas essen oder trinken?
DAS SÜSSE MÄDEL
871Durst hab' ich eigentlich keinen. Aber Appetit.
DER DICHTER
872Hm… mir wär' lieber, du hättest Durst.
Kognak hab' ich nämlich zu Haus, aber Essen
müßte ich erst holen.
DAS SÜSSE MÄDEL
873Kannst nichts holen lassen?
DER DICHTER
874Das ist schwer, meine Bedienerin ist jetzt nicht
mehr da — na wart — ich geh' schon selber… was magst du denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
875Aber es zahlt sich ja wirklich nimmer aus, ich
muß ja sowieso zu Haus.
DER DICHTER
876Kind, davon ist keine Rede. Aber ich werd'
dir was sagen: wenn wir weggehn, gehn wir
zusammen wohin nachtmahlen.
DAS SÜSSE MÄDEL
877Oh nein. Dazu hab' ich keine Zeit. Und dann,
wohin sollen wir denn? Es könnt' uns ja wer
Bekannter sehn.
DER DICHTER
878Hast du denn gar so viel Bekannte?
DAS SÜSSE MÄDEL
879Es braucht uns ja nur einer zu sehn, ist's
Malheur schon fertig.
DER DICHTER
880Was ist denn das für ein Malheur?
DAS SÜSSE MÄDEL
881Na, was glaubst, wenn die Mutter was hört…
DER DICHTER
882Wir können ja doch irgendwohin gehen, wo uns
niemand sieht, es gibt ja Gasthäuser mit einzelnen Zimmern.
DAS SÜSSE MÄDEL
singend.
883Ja, beim Souper im Chambre séparée!
DER DICHTER
884Warst du schon einmal in einem Chambre
séparée?
DAS SÜSSE MÄDEL
885Wenn ich die Wahrheit sagen soll — ja.
DER DICHTER
886Wer war der Glückliche?
DAS SÜSSE MÄDEL
887Oh das ist nicht, wie du meinst… ich war
mit meiner Freundin und ihrem Bräutigam.
Die haben mich mitgenommen.
DER DICHTER
888So. Und das soll ich dir am End' glauben?
DAS SÜSSE MÄDEL
889Brauchst mir ja nicht zu glauben!
DER DICHTER
nah bei ihr.
890Bist du jetzt rot geworden? Man sieht nichts
mehr! Ich kann deine Züge nicht mehr ausnehmen. Mit seiner Hand berührt er ihre Wangen.
Aber auch so erkenn' ich dich.
DAS SÜSSE MÄDEL
891Na, pass' nur auf, daß du mich mit keiner andern
verwechselst.
DER DICHTER
892Es ist seltsam, ich kann mich nicht mehr erinnern,
wie du aussiehst.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
ernst.
894Du, das ist beinah unheimlich, ich kann
mir dich nicht vorstellen — In einem gewissen
Sinne hab' ich dich schon vergessen — Wenn
ich mich auch nicht mehr an den Klang deiner
Stimme erinnern könnte… was wärst du
da eigentlich? — Nah und fern zugleich…
unheimlich.
DAS SÜSSE MÄDEL
895Geh, was red'st denn —?
DER DICHTER
896Nichts, mein Engel, nichts. Wo sind deine
Lippen…
Er küßt sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
897Willst nicht lieber Licht machen?
DER DICHTER
898Nein… Er wird sehr zärtlich. Sag, ob du mich
liebhast.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
900Hast du schon irgendwen so liebgehabt wie
mich?
DAS SÜSSE MÄDEL
901Ich hab' dir ja schon gesagt — nein.
DER DICHTER
er seufzt.
DAS SÜSSE MÄDEL
903Das ist ja mein Bräutigam gewesen.
DER DICHTER
904Es wär mir lieber, du würdest jetzt nicht an
ihn denken.
DAS SÜSSE MÄDEL
905Geh… was machst denn… schau…
DER DICHTER
906Wir können uns jetzt auch vorstellen, daß wir
in einem Schloß in Indien sind.
DAS SÜSSE MÄDEL
907Dort sind s' gewiß nicht so schlimm wie du.
DER DICHTER
908Wie blöd! Göttlich — Ah wenn du ahntest,
was du für mich bist…
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
910Stoß mich doch nicht immer weg; ich tu' dir
ja nichts — vorläufig.
DAS SÜSSE MÄDEL
911Du, das Mieder tut mir weh.
DER DICHTER
einfach.
DAS SÜSSE MÄDEL
913Ja. Aber du darfst deswegen nicht schlimm
werden.
DER DICHTER
Das süsse Mädel
hat sich erhoben und zieht in der
Dunkelheit ihr Mieder aus.
DER DICHTER
der währenddessen auf dem Diwan sitzt:
915Sag, interessiertes dich denn gar nicht, wie ich
mit dem Zunamen heiß'?
DAS SÜSSE MÄDEL
916Ja, wie heißt du denn?
DER DICHTER
917Ich werd' dir lieber nicht sagen, wie ich heiß',
sondern wie ich mich nenne.
DAS SÜSSE MÄDEL
918Was ist denn da für ein Unterschied?
DER DICHTER
919Na, wie ich mich als Schriftsteller nenne.
DAS SÜSSE MÄDEL
920Ah, du schreibst nicht unter deinem wirklichen
Namen?
Der Dichter
nah zu ihr.
DER DICHTER
922Was einem da für ein Duft entgegensteigt.
Wie süß.
Er küßt ihren Busen.
DAS SÜSSE MÄDEL
923Du zerreißt ja mein Hemd.
DER DICHTER
924Weg… weg… alles das ist überflüssig.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
926Und jetzt komm in unser indisches Schloß.
DAS SÜSSE MÄDEL
927Sag mir zuerst, ob du mich wirklich liebhast.
DER DICHTER
928Aber ich bete dich ja an. Küßt sie heiß. Ich bete
dich ja an, mein Schatz, mein Frühling…
mein…
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
930Das war überirdische Seligkeit… Ich nenne
mich…
DAS SÜSSE MÄDEL
931Robert, oh mein Robert!
DER DICHTER
932Ich nenne mich Biebitz.
DAS SÜSSE MÄDEL
933Warum nennst du dich Biebitz?
DER DICHTER
934Ich heiße nicht Biebitz — ich nenne mich
so… nun, kennst du den Namen vielleicht
nicht?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
936Du kennst den Namen Biebitz nicht? Ah —
göttlich! Wirklich? Du sagst es nur, daß du
ihn nicht kennst, nicht wahr?
DAS SÜSSE MÄDEL
937Meiner Seel, ich hab' ihn nie gehört!
DER DICHTER
938Gehst du denn nie ins Theater?
DAS SÜSSE MÄDEL
939Oh ja — ich war erst neulich mit einem —
weißt, mit dem Onkel von meiner Freundin
und meiner Freundin sind wir in der Oper gewesen bei der Cavalleria.
DER DICHTER
940Hm, also ins Burgtheater gehst du nie.
DAS SÜSSE MÄDEL
941Da krieg ich nie Karten geschenkt.
DER DICHTER
942Ich werde dir nächstens eine Karte schicken.
DAS SÜSSE MÄDEL
943Oh ja! Aber nicht vergessen! Zu was Lustigem
aber.
DER DICHTER
944Ja… lustig… zu was Traurigem willst
du nicht gehn?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
946Auch wenn's ein Stück von mir ist.
DAS SÜSSE MÄDEL
947Geh — ein Stück von dir? Du schreibst fürs
Theater?
DER DICHTER
948Erlaube, ich will nur Licht machen. Ich habe
dich noch nicht gesehen, seit du meine Geliebte bist. — Engel!
Er zündet eine Kerze an.
DAS SÜSSE MÄDEL
949Geh, ich schäm' mich ja. Gib mir wenigstens
eine Decke.
DER DICHTER
Er kommt mit dem Licht zu ihr, betrachtet sie
lang.
DAS SÜSSE MÄDEL
bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
DER DICHTER
952Du bist schön, du bist die Schönheit, du bist
vielleicht sogar die Natur, du bist die heilige
Einfalt.
DAS SÜSSE MÄDEL
953Oh weh, du tropfst mich ja an! Schau, was gibst
denn nicht acht!
DER DICHTER
stellt die Kerze weg.
954Du bist das, was ich seit langem gesucht
habe. Du liebst nur mich, du würdest mich
auch lieben, wenn ich Schnittwarenkommis
wäre. Das tut wohl. Ich will dir gestehen,
daß ich einen gewissen Verdacht bis zu
diesem Moment nicht losgeworden bin. Sag
ehrlich, hast du nicht geahnt, daß ich Biebitz
bin?
DAS SÜSSE MÄDEL
955Aber geh, ich weiß gar nicht, was du von mir
willst. Ich kenn' ja gar kein Biebitz.
DER DICHTER
956Was ist der Ruhm! Nein, vergiß, was ich
gesagt habe, vergiß sogar den Namen, den ich
dir gesagt hab'. Robert bin ich und will ich für
dich bleiben. Ich hab' auch nur gescherzt. Leicht.
Ich bin ja nicht Schriftsteller, ich bin Commis
und am Abend spiel' ich bei Volkssängern
Klavier.
DAS SÜSSE MÄDEL
957Ja, jetzt kenn' ich mich aber nicht mehr
aus… nein, und wie du einen nur anschaust. Ja, was ist denn, ja was hast denn?
DER DICHTER
958Es ist sehr sonderbar — was mir beinah noch
nie passiert ist, mein Schatz, mir sind die
Tränen nah. Du ergreifst mich tief. Wir
wollen zusammenbleiben, ja? Wir werden
einander sehr liebhaben.
DAS SÜSSE MÄDEL
959Du, ist das wahr mit den Volkssängern?
DER DICHTER
960Ja, aber frag nicht weiter. Wenn du mich liebhast, frag überhaupt nichts. Sag, kannst du
dich auf ein paar Wochen ganz frei machen?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
DAS SÜSSE MÄDEL
963Aber!! Wie kann ich das! Was möcht' die
Mutter sagen? Und dann, ohne mich ging ja
alles schief zu Haus.
DER DICHTER
964Ich hatte es mir schön vorgestellt, mit dir zusammen, allein mit dir, irgendwo in der Einsamkeit draußen, im Wald, in der Natur ein paar Wochen zu leben. Natur… in der Natur.
Und dann, eines Tages adieu — voneinander
gehen, ohne zu wissen, wohin.
DAS SÜSSE MÄDEL
965Jetzt red'st schon vom Adieusagen! Und ich
hab' gemeint, daß du mich so gern hast.
DER DICHTER
966Gerade darum — beugt sich zu ihr und küßt sie auf
die Stirn. Du süßes Geschöpf!
DAS SÜSSE MÄDEL
967Geh, halt mich fest, mir ist so kalt.
DER DICHTER
968Es wird Zeit sein, daß du dich ankleidest.
Warte, ich zünde dir noch ein paar Kerzen
an.
DAS SÜSSE MÄDEL
erhebt sich.
DER DICHTER
970Nein. Am Fenster. Sag mir, mein Kind, bist
du glücklich?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
972Ich mein' im allgemeinen, ob du glücklich bist?
DAS SÜSSE MÄDEL
973Es könnt schon besser gehen.
DER DICHTER
974Du mißverstehst mich. Von deinen häuslichen
Verhältnissen hast du mir ja schon genug erzählt. Ich weiß, daß du keine Prinzessin bist.
Ich mein', wenn du von alledem absiehst, wenn
du dich einfach leben spürst. Spürst du dich
überhaupt leben?
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
geht zum Toilettentisch, gibt ihr den
Kamm, betrachtet das süße Mädel.
976Herrgott, siehst du so entzückend aus!
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
978Geh, bleib noch da, bleib da, ich hol' was zum
Nachtmahl und…
DAS SÜSSE MÄDEL
979Aber es ist ja schon viel zu spät.
DER DICHTER
980Es ist noch nicht neun.
DAS SÜSSE MÄDEL
981Na, sei so gut, da muß ich mich aber tummeln.
DER DICHTER
982Wann werden wir uns denn wiedersehen?
DAS SÜSSE MÄDEL
983Na, wann willst mich denn wiedersehen?
DER DICHTER
DAS SÜSSE MÄDEL
985Was ist denn morgen für ein Tag?
DER DICHTER
DAS SÜSSE MÄDEL
987Oh da kann ich nicht, da muß ich mit meiner
kleinen Schwester zum Vormund.
DER DICHTER
988Also Sonntag… hm… Sonntag…
am Sonntag… jetzt werd' ich dir was
erklären. — Ich bin nicht Biebitz, aber
Biebitz ist mein Freund. Ich werd' dir ihn
einmal vorstellen. Aber Sonntag ist das Stück
von Biebitz, — ich werd' dir eine Karte schicken
und werde dich dann vom Theater abholen.
Du wirst mir sagen, wie dir das Stück gefallen
hat, ja?
DAS SÜSSE MÄDEL
989Jetzt, die G'schicht mit dem Biebitz — da bin
ich schon ganz blöd.
DER DICHTER
990Völlig werd' ich dich erst kennen, wenn ich
weiß, was du bei diesem Stück empfunden
hast.
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
Sie gehen.
DER DICHTER UND DIE
SCHAUSPIELERIN
Ein Zimmer in einem Gasthof auf dem Land.
Es ist ein Frühlingsabend, über den Wiesen und Hügeln
liegt der Mond, — die Fenster stehen offen.
Große Stille.
Der Dichter und die Schauspielerin treten ein, — wie sie
hereintreten, verlöscht das Licht, das der Dichter in der
Hand hält.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
995Das Licht. — Aber wir brauchen keins. Schau,
es ist ganz hell. Wunderbar!
Schauspielerin sinkt am Fenster plötzlich nieder mit gefalteten Händen.
DICHTER
Schauspielerin schweigt.
DICHTER
zu ihr hin:
SCHAUSPIELERIN
empört:
998Siehst du nicht, daß ich bete? —
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1000Gewiß, ich bin ja kein blasser Schurke.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1002Komm doch zu mir, knie dich neben mich hin.
Kannst wirklich auch einmal beten. Wird dir
keine Perle aus der Krone fallen.
Dichter kniet neben sie hin und umfaßt sie.
SCHAUSPIELERIN
1003Wüstling! — Erhebt sich. Und weißt du auch,
zu wem ich gebetet habe?
DICHTER
1004Zu Gott, nehm' ich an.
SCHAUSPIELERIN
Großer Hohn.
1005Jawohl! Zu dir hab' ich gebetet.
DICHTER
1006Warum hast du denn da zum Fenster hinausgeschaut?
SCHAUSPIELERIN
1007Sag mir lieber, wo du mich da hingeschleppt
hast, Verführer!
DICHTER
1008Aber Kind, das war ja deine Idee. Du wolltest
ja aufs Land — und gerade hieher.
SCHAUSPIELERIN
1009Nun, hab' ich nicht recht gehabt?
DICHTER
1010Gewiß, es ist ja entzückend hier. Wenn
man bedenkt, zwei Stunden von Wien — und
die völlige Einsamkeit. Und was für eine
Gegend!
SCHAUSPIELERIN
1011Was? Da könntest du wohl mancherlei dichten,
wenn du zufällig Talent hättest.
DICHTER
1012Warst du hier schon einmal?
SCHAUSPIELERIN
1013Ob ich hier schon war? Ha! Hier hab' ich jahrelang gelebt!
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1015Nun, mit Fritz natürlich.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1017Den Mann hab' ich wohl angebetet! —
DICHTER
1018Das hast du mir bereits erzählt.
SCHAUSPIELERIN
1019Ich bitte — ich kann auch wieder gehen, wenn
ich dich langweile!
DICHTER
1020Du mich langweilen?… Du ahnst ja gar
nicht, was du für mich bedeutest… Du
bist eine Welt für sich… Du bist das
Göttliche, du bist das Genie… Du bist — Du bist eigentlich die heilige Einfalt…
Ja, du… Aber du solltest jetzt nicht von
Fritz reden.
SCHAUSPIELERIN
1021Das war wohl eine Verirrung! Na! —
DICHTER
1022Es ist schön, daß du das einsiehst.
SCHAUSPIELERIN
1023Komm her, gib mir einen Kuß!
DICHTER küßt sie.
1024Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht sagen!
Leb wohl, mein Schatz!
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1026Nun, ich werde mich schlafen legen!
DICHTER
1027Ja — das schon, aber was das Gutenachtsagen anbelangt… Wo soll denn ich übernachten?
SCHAUSPIELERIN
1028Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesem
Haus.
DICHTER
1029Die anderen haben aber keinen Reiz für mich.
Jetzt werd' ich übrigens Licht machen, meinst
du nicht?
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
zündet das Licht an, das auf dem Nachtkästchen steht.
1031Was für ein hübsches Zimmer… und
fromm sind die Leute hier. Lauter Heiligenbilder… Es wäre interessant, eine Zeit
unter diesen Menschen zu verbringen…
doch eine andre Welt. Wir wissen eigentlich
so wenig von den andern.
SCHAUSPIELERIN
1032Rede keinen Stiefel und reiche mir lieber diese
Tasche vom Tisch herüber.
DICHTER
Schauspielerin nimmt aus dem Täschchen ein kleines, gerahmtes Bildchen, stellt es auf das Nachtkästchen.
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1036Die hast du immer mit?
SCHAUSPIELERIN
1037Die ist doch mein Talisman. Und jetzt geh,
Robert!
DICHTER
1038Aber was sind das für Scherze? Soll ich dir
nicht helfen?
SCHAUSPIELERIN
1039Nein, du sollst jetzt gehn.
DICHTER
1040Und wann soll ich wiederkommen?
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
küßt sie.
SCHAUSPIELERIN
1043Wo willst du denn hin?
DICHTER
1044Ich werde vor dem Fenster auf und ab gehen.
Ich liebe es sehr, nachts im Freien herumzuspazieren. Meine besten Gedanken kommen
mir so. Und gar in deiner Nähe, von deiner
Sehnsucht sozusagen umhaucht… in deiner
Kunst webend.
SCHAUSPIELERIN
1045Du redest wie ein Idiot…
DICHTER
schmerzlich.
1046Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen würden… wie ein Dichter.
SCHAUSPIELERIN
1047Nun geh endlich. Aber fang mir kein Verhältnis mit der Kellnerin an. —
Dichter
geht.
kleidet sich aus. Sie hört, wie der
Dichter über die Holztreppe hinuntergeht und hört jetzt
seine Schritte unter dem Fenster. Sie geht, sobald sie
ausgekleidet ist, zum Fenster, sieht hinunter, er steht da;
sie ruft flüsternd hinunter.
Dichter kommt rasch herauf, stürzt zu ihr, die sich unterdessen ins Bett gelegt und das Licht ausgelöscht hat;
er sperrt ab.
SCHAUSPIELERIN
1049So, jetzt kannst du dich zu mir setzen und mir
was erzählen.
DICHTER
setzt sich zu ihr aufs Bett.
1050Soll ich nicht das Fenster schließen? Ist dir nicht
kalt?
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1052Was soll ich dir denn erzählen?
SCHAUSPIELERIN
1053Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?
DICHTER
1054Ich bin es ja leider noch nicht.
SCHAUSPIELERIN
1055Nun, tröste dich, ich betrüge auch jemanden.
DICHTER
1056Das kann ich mir denken.
SCHAUSPIELERIN
1057Und was glaubst du, wen?
DICHTER
1058Ja Kind, davon kann ich keine Ahnung
haben.
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1060Warte… Na, deinen Direktor.
SCHAUSPIELERIN
1061Mein Lieber, ich bin keine Choristin.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1064Also du betrügst deinen Kollegen… Benno —
SCHAUSPIELERIN
1065Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keine
Frauen… weißt du das nicht? Der Mann
hat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1067So gib mir lieber einen Kuß.
Dichter
umschlingt sie.
1068Aber was tust du denn?
DICHTER
1069So quäl mich doch nicht so.
SCHAUSPIELERIN
1070Höre, Robert, ich werde dir einen Vorschlag
machen. Leg dich zu mir ins Bett.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1072Komm schnell, komm schnell!
DICHTER
1073Ja… wenn es nach mir gegangen wäre,
wär ich schon längst… Hörst du…
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1075Draußen zirpen die Grillen.
SCHAUSPIELERIN
1076Du bist wohl wahnsinnig, mein Kind, hier gibt
es ja keine Grillen.
DICHTER
1077Aber du hörst sie doch.
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
Zu ihr.
SCHAUSPIELERIN
1080So, jetzt bleib schön ruhig liegen…
Pst… nicht rühren.
DICHTER
1081Ja, was fällt dir denn ein?
SCHAUSPIELERIN
1082Du möchtest wohl gerne ein Verhältnis mit
mir haben?
DICHTER
1083Das dürfte dir doch bereits klar sein.
SCHAUSPIELERIN
1084Nun, das möchte wohl mancher…
DICHTER
1085Es ist aber doch nicht zu bezweifeln, daß
in diesem Moment ich die meisten Chancen
habe.
SCHAUSPIELERIN
1086So komm, meine Grille! Ich werde dich von
nun an Grille nennen.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1088Nun, wen betrüg' ich?
DICHTER
1089Wen?… Vielleicht mich…
SCHAUSPIELERIN
1090Mein Kind, du bist schwer gehirnleidend.
DICHTER
1091Oder einen… den du selbst nie gesehen… einen, den du nicht kennst, einen —
der für dich bestimmt ist und den du nie finden
kannst…
SCHAUSPIELERIN
1092Ich bitte dich, rede nicht so märchenhaft blöd.
DICHTER
1093… Ist es nicht sonderbar… auch du —
und man sollte doch glauben. — Aber nein,
es hieße dir dein Bestes rauben, wollte man
dir… komm, komm — — komm —
SCHAUSPIELERIN
1094Das ist noch schöner, als in blödsinnigen Stücken
spielen… was meinst du?
DICHTER
1095Nun, ich mein', es ist gut, daß du doch zuweilen in vernünftigen zu spielen hast.
SCHAUSPIELERIN
1096Du arroganter Hund meinst gewiß wieder das
deine?
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
ernst.
1098Das ist wohl ein herrliches Stück!
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1100Ja, du bist ein großes Genie, Robert!
DICHTER
1101Bei dieser Gelegenheit könntest du mir übrigens sagen, warum du vorgestern abgesagt
hast. Es hat dir doch absolut gar nichts gefehlt.
SCHAUSPIELERIN
1102Nun, ich wollte dich ärgern.
DICHTER
1103Ja warum denn? Was hab' ich dir denn
getan?
SCHAUSPIELERIN
1104Arrogant bist du gewesen.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1106Alle im Theater finden es.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1108Aber ich hab' ihnen gesagt: Der Mann hat
wohl ein Recht, arrogant zu sein.
DICHTER
1109Und was haben die anderen geantwortet?
SCHAUSPIELERIN
1110Was sollen mir denn die Leute antworten?
Ich rede ja mit keinem.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1112Sie möchten mich am liebsten alle vergiften.
Aber das wird ihnen nicht gelingen.
DICHTER
1113Denke jetzt nicht an die anderen Menschen.
Freue dich lieber, daß wir hier sind und sage
mir, daß du mich liebhast.
SCHAUSPIELERIN
1114Verlangst du noch weitere Beweise?
DICHTER
1115Bewiesen kann das überhaupt nicht werden.
SCHAUSPIELERIN
1116Das ist aber großartig! Was willst du denn
noch?
DICHTER
1117Wie vielen hast du es schon auf diese Art beweisen wollen… hast du alle geliebt?
SCHAUSPIELERIN
1118Oh nein. Geliebt hab' ich nur einen.
DICHTER
umarmt sie.
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1121Ich heiße Robert. Was bin denn ich für dich,
wenn du jetzt an Fritz denkst?
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1123Gut, daß ich es weiß.
SCHAUSPIELERIN
1124Nun sag, bist du nicht stolz?
DICHTER
1125Ja, weshalb soll ich denn stolz sein?
SCHAUSPIELERIN
1126Ich denke, daß du wohl einen Grund dazu
hast.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1128Jawohl, deswegen, meine blasse Grille!
Nun, wie ist das mit dem Zirpen? Zirpen sie
noch?
DICHTER
1129Ununterbrochen. Hörst du's denn nicht?
SCHAUSPIELERIN
1130Freilich hör' ich. Aber das sind Frösche, mein
Kind.
DICHTER
1131Du irrst dich, die quaken.
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1133Aber nicht hier, mein Kind, hier wird gezirpt.
SCHAUSPIELERIN
1134Du bist wohl das Eigensinnigste, was mir je
untergekommen ist. Gib mir einen Kuß, mein
Frosch!
DICHTER
1135Bitte sehr, nenn mich nicht so. Das macht mich
direkt nervös.
SCHAUSPIELERIN
1136Nun, wie soll ich dich nennen.
DICHTER
1137Ich hab' doch einen Namen: Robert.
SCHAUSPIELERIN
1138Ach, das ist zu dumm.
DICHTER
1139Ich bitte dich aber, mich einfach so zu nennen,
wie ich heiße.
SCHAUSPIELERIN
1140Also Robert, gib mir einen Kuß… Ah! Sie
küßt ihn. Bist du jetzt zufrieden, Frosch? Hahahaha.
DICHTER
1141Würdest du mir erlauben, mir eine Zigarette
anzuzünden?
SCHAUSPIELERIN
Er nimmt die Zigarettentasche vom Nachtkästchen, entnimmt ihr zwei Zigaretten, zündet beide an, gibt ihr eine.
SCHAUSPIELERIN
1143Du hast mir übrigens noch kein Wort über
meine gestrige Leistung gesagt.
DICHTER
1144Über welche Leistung?
SCHAUSPIELERIN
DICHTER
1146Ach so. Ich war nicht im Theater.
SCHAUSPIELERIN
1147Du beliebst wohl zu scherzen.
DICHTER
1148Durchaus nicht. Nachdem du vorgestern
abgesagt hast, habe ich angenommen, daß
du auch gestern noch nicht im Vollbesitze
deiner Kräfte sein würdest und da hab' ich
lieber verzichtet.
SCHAUSPIELERIN
1149Du hast wohl viel versäumt.
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1151Es war sensationell. Die Menschen sind blaß
geworden.
DICHTER
1152Hast du das deutlich bemerkt?
SCHAUSPIELERIN
1153Benno sagte: Kind, du hast gespielt wie eine
Göttin.
DICHTER
1154Hm!… Und vorgestern noch so
krank.
SCHAUSPIELERIN
1155Jawohl; ich war es auch. Und weißt du warum?
Vor Sehnsucht nach dir.
DICHTER
1156Früher hast du mir erzählt, du wolltest mich
ärgern und hast darum abgesagt.
SCHAUSPIELERIN
1157Aber was weißt du von meiner Liebe zu dir.
Dich läßt ja alles kalt. Und ich bin schon
nächtelang im Fieber gelegen. Vierzig
Grad!
DICHTER
1158Für eine Laune ist das ziemlich hoch.
SCHAUSPIELERIN
1159Laune nennst du das? Ich sterbe vor Liebe zu
dir und du nennst es Laune — ?!
DICHTER
SCHAUSPIELERIN
1161Fritz?… Rede mir nicht von diesem
Galeerensträfling! —
DIE SCHAUSPIELERIN
UND DER GRAF
Das Schlafzimmer der Schauspielerin. Sehr üppig eingerichtet. Es ist zwölf Uhr mittags, die Rouleaux sind
noch herunter gelassen, auf dem Nachtkästchen brennt
eine Kerze, die Schauspielerin liegt noch in ihrem Himmelbett. Auf der Decke liegen zahlreiche Zeitungen.
Der Graf tritt ein in der Uniform eines Dragonerrittmeisters.
Er bleibt an der Tür stehen. —
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1163Die Frau Mama hat mir erlaubt, sonst wär'
ich nicht —
SCHAUSPIELERIN
1164Bitte, treten Sie nur näher.
GRAF
1165Küß die Hand. Pardon — wenn man von
der Straßen hereinkommt… ich seh'
nämlich noch rein gar nichts. So… da wären
wir ja am Bett: Küß die Hand.
SCHAUSPIELERIN
1166Nehmen Sie Platz, Herr Graf.
GRAF
1167Frau Mama sagte mir, Fräulein sind unpäßlich… Wird doch hoffentlich nichts ernstes sein.
SCHAUSPIELERIN
1168Nichts ernstes? Ich bin dem Tode nahe
gewesen!
GRAF
1169Um Gottes willen, wie ist denn das möglich?
SCHAUSPIELERIN
1170Es ist jedenfalls sehr freundlich, daß Sie sich
zu mir bemühen.
GRAF
1171Dem Tode nahe! Und gestern abend haben
Sie noch gespielt wie eine Göttin.
SCHAUSPIELERIN
1172Es war wohl ein großer Triumph.
GRAF
1173Kolossal!… Die Leute waren auch alle
hingerissen. Und von mir will ich gar nicht
reden.
SCHAUSPIELERIN
1174Ich danke für die schönen Blumen.
GRAF
1175Aber bitt' Sie Fräulein.
SCHAUSPIELERIN
mit den Augen auf einen großen
Blumenkorb weisend, der auf einem kleinen Tischchen
auf dem Fenster steht.
GRAF
1177Sie sind gestern förmlich überschüttet worden
mit Blumen und Kränzen.
SCHAUSPIELERIN
1178Das liegt noch alles in meiner Garderobe.
Nur Ihren Korb habe ich mit nach Hause
gebracht.
GRAF
küßt ihr die Hand.
1179Das ist lieb von Ihnen.
Schauspielerin
nimmt die seine plötzlich und küßt sie.
SCHAUSPIELERIN
1181Erschrecken Sie nicht, Herr Graf, das verpflichtet Sie zu gar nichts.
GRAF
1182Sie sind ein sonderbares Wesen… rätselhaft könnte man fast sagen. —
Pause.
SCHAUSPIELERIN
1183Das Fräulein Birken ist wohl leichter aufzulösen.
GRAF
1184Ja die kleine Birken ist kein Problem, obzwar… ich kenne sie ja auch nur oberflächlich.
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1186Sie können mir's glauben. Aber Sie sind
ein Problem. Danach hab' ich immer Sehnsucht gehabt. Es ist mir eigentlich ein
großer Genuß entgangen, dadurch, daß ich
Sie gestern… das erste Mal spielen gesehen habe.
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1188Ja. Schauen Sie, Fräulein, es ist so schwer
mit dem Theater. Ich bin gewöhnt, spät
zu dinieren… also wenn man dann
hinkommt, ist's beste vorbei. Ist's nicht
wahr?
SCHAUSPIELERIN
1189So werden Sie eben von jetzt an früher
essen.
GRAF
1190Ja, ich hab' auch schon daran gedacht. Oder
gar nicht. Es ist ja wirklich kein Vergnügen,
das Dinieren.
SCHAUSPIELERIN
1191Was kennen Sie jugendlicher Greis eigentlich
noch für ein Vergnügen?
GRAF
1192Das frag ich mich selber manchmal! Aber ein
Greis bin ich nicht. Es muß einen anderen
Grund haben.
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1194Ja. Der Lulu sagt beispielsweise, ich bin ein
Philosoph. Wissen Sie, Fräulein, er meint, ich
denk' zu viel nach.
SCHAUSPIELERIN
1195Ja… denken, das ist das Unglück.
GRAF
1196Ich hab' zu viel Zeit, drum denk' ich nach.
Bitt' Sie, Fräulein, schauen S', ich hab' mir
gedacht, wenn s' mich nach Wien transferieren, wird's besser. Da gibt's Zerstreuung,
Anregung. Aber es ist im Grund doch nicht anders als da oben.
SCHAUSPIELERIN
1197Wo ist denn das da oben?
GRAF
1198Na, da unten, wissen S' Fräulein, in Ungarn,
in die Nester, wo ich meistens in Garnison
war.
SCHAUSPIELERIN
1199Ja, was haben Sie denn in Ungarn gemacht?
GRAF
1200Na, wie ich sag', Fräulein, Dienst.
SCHAUSPIELERIN
1201Ja, warum sind Sie denn so lang in Ungarn geblieben?
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1203Da muß man ja wahnsinnig werden.
GRAF
1204Warum denn? Zu tun hat man eigentlich
mehr wie da. Wissen S' Fräulein, Rekruten
ausbilden, Remonten reiten… und dann
ist's nicht so arg mit der Gegend, wie man
sagt. Es ist schon ganz was schönes, die
Tiefebene — und so ein Sonnenuntergang,
es ist schade, daß ich kein Maler bin, ich
hab mir manchmal gedacht, wenn ich ein
Maler wär', tät' ich's malen. Einen haben
wir gehabt beim Regiment, einen jungen
Splany, der hat's können. — Aber was erzähl ich Ihnen da für fade G'schichten, Fräulein.
SCHAUSPIELERIN
1205Oh bitte, ich amüsiere mich königlich.
GRAF
1206Wissen S' Fräulein, mit Ihnen kann man
plaudern, das hat mir der Lulu schon g'sagt,
und das ist's, was man so selten find't.
SCHAUSPIELERIN
1207Nun freilich, in Ungarn.
GRAF
1208Aber in Wien gradso! Die Menschen sind
überall dieselben; da wo mehr sind, ist halt das
Gedräng' größer, das ist der ganze Unterschied.
Sagen S' Fräulein, haben Sie die Menschen
eigentlich gern?
SCHAUSPIELERIN
1209Gern — ?? Ich hasse sie! Ich kann keine sehn!
Ich seh' auch nie jemanden. Ich bin immer allein,
dieses Haus betritt niemand.
GRAF
1210Sehn S', das hab' ich mir gedacht, daß Sie
eigentlich eine Menschenfeindin sind. Bei
der Kunst muß das oft vorkommen. Wenn
man so in den höheren Regionen… na,
Sie haben's gut, Sie wissen doch wenigstens,
warum Sie leben!
SCHAUSPIELERIN
1211Wer sagt Ihnen das? Ich habe keine Ahnung,
wozu ich lebe!
GRAF
1212Ich bitt' Sie, Fräulein, — berühmt — gefeiert —
SCHAUSPIELERIN
1213Ist das vielleicht ein Glück?
GRAF
1214Glück? Bitt' Sie Fräulein, Glück gibt's nicht.
Überhaupt gerade die Sachen, von denen am
meisten g'redt wird, gibt's nicht… zum Beispiel Liebe.
Das ist auch so was.
SCHAUSPIELERIN
1215Da haben Sie wohl recht.
GRAF
1216Genuß… Rausch… also gut, da läßt
sich nichts sagen… das ist was Sicheres.
Jetzt genieße ich… gut, weiß ich, ich
genieß'. Oder ich bin berauscht, schön. Das
ist auch sicher. Und ist's vorbei, so ist es halt
vorbei.
SCHAUSPIELERIN
groß.
GRAF
1218Aber sobald man sich nicht, wie soll ich
mich denn ausdrücken, sobald man sich
nicht dem Moment hingibt, also an später
denkt oder an früher… na, ist es doch gleich
aus. Später… ist traurig… früher ist
ungewiß… mit einem Wort… man wird
nur konfus. Hab' ich nicht recht?
SCHAUSPIELERIN
nickt mit großen Augen.
1219Sie haben wohl den Sinn erfaßt.
GRAF
1220Und sehen S', Fräulein, wenn einem das einmal klar geworden ist, ist's ganz egal, ob
man in Wien lebt oder in der Pußta oder in
Steinamanger. Schaun S' zum Beispiel…
wo darf ich denn die Kappen hinlegen? So,
ich dank' schön… wovon haben wir denn
nur gesprochen?
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1222Richtig. Also wie ich sag', der Unterschied
ist nicht groß. Ob ich am Abend im
Kasino sitz' oder im Klub, ist doch alles
eins.
SCHAUSPIELERIN
1223Und wie verhält sich denn das mit der
Liebe?
GRAF
1224Wenn man dran glaubt, ist immer eine da,
die einen gern hat.
SCHAUSPIELERIN
1225Zum Beispiel das Fräulein Birken.
GRAF
1226Ich weiß wirklich nicht, Fräulein, warum
Sie immer auf die kleine Birken zu reden
kommen.
SCHAUSPIELERIN
1227Das ist doch Ihre Geliebte.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1229Jeder Mensch weiß das.
GRAF
1230Nur ich nicht, es ist merkwürdig.
SCHAUSPIELERIN
1231Sie haben doch ihretwegen ein Duell gehabt!
GRAF
1232Vielleicht bin ich sogar tot geschossen worden
und hab's gar nicht bemerkt.
SCHAUSPIELERIN
1233Nun, Herr Graf, Sie sind ein Ehrenmann.
Setzen Sie sich näher.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1235Hierher. Sie zieht ihn an sich, fährt ihm mit der Hand
durch die Haare. Ich hab' gewußt, daß Sie heute
kommen werden!
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1237Ich hab' es bereits gestern im Theater gewußt.
GRAF
1238Haben Sie mich denn von der Bühne aus gesehen?
SCHAUSPIELERIN
1239Aber Mann! Haben Sie denn nicht bemerkt,
daß ich nur für Sie spiele?
GRAF
1240Wie ist das denn möglich?
SCHAUSPIELERIN
1241Ich bin ja so geflogen, wie ich Sie in der ersten
Reihe sitzen sah!
GRAF
1242Geflogen? Meinetwegen? Ich hab' keine Ahnung
gehabt, daß Sie mich bemerken!
SCHAUSPIELERIN
1243Sie können einen auch mit Ihrer Vornehmheit
zur Verzweiflung bringen.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1245„Ja, Fräulein”!… So schnallen Sie doch wenigstens Ihren Säbel ab!
GRAF
Schnallt ihn ab, lehnt ihn ans Bett.
SCHAUSPIELERIN
1247Und gib mir endlich einen Kuß.
Graf küßt sie, sie läßt ihn nicht los.
1248Dich hätte ich auch lieber nie erblicken
sollen.
GRAF
1249Es ist doch besser so!
SCHAUSPIELERIN
1250Herr Graf, Sie sind doch ein Poseur!
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1252Was glauben Sie, wie glücklich wär' mancher,
wenn er an Ihrer Stelle sein dürfte!
GRAF
1253Ich bin sehr glücklich.
SCHAUSPIELERIN
1254Nun, ich dachte, es gibt kein Glück. Wie
schaust du mich denn an? Ich glaube Sie haben
Angst vor mir, Herr Graf!
GRAF
1255Ich sag's ja, Fräulein, Sie sind ein Problem.
SCHAUSPIELERIN
1256Ach laß du mich in Frieden mit der Philosophie… komm zu mir. Und jetzt bitt' mich um
irgendwas… du kannst alles haben, was du
willst. Du bist zu schön.
GRAF
1257Also ich bitte um die Erlaubnis ihre Hand
küssend, daß ich heute abends wiederkommen
darf.
SCHAUSPIELERIN
1258Heut abend… ich spiele ja.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1260Um was anderes bittest du nicht?
GRAF
1261Um alles andere werde ich nach dem Theater
bitten.
SCHAUSPIELERIN
verletzt.
1262Da kannst du lange bitten, du elender Poseur.
GRAF
1263Ja schauen Sie, oder schau, wir sind doch
bis jetzt so aufrichtig miteinander gewesen…
Ich fände das alles viel schöner am Abend
nach dem Theater… gemütlicher als jetzt,
wo… ich hab' immer so die Empfindung, als
könnte die Tür aufgehn…
SCHAUSPIELERIN
1264Die geht nicht von außen auf.
GRAF
1265Schau, ich find', man soll sich nicht leichtsinnig
von vornherein was verderben, was möglicherweise sehr schön sein könnte.
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1267In der Früh, wenn ich die Wahrheit sagen
soll, find' ich die Liebe gräßlich.
SCHAUSPIELERIN
1268Nun — du bist wohl das Irrsinnigste, was mir
je vorgekommen ist!
GRAF
1269Ich red' ja nicht von beliebigen Frauenzimmern… schließlich im allgemeinen
ist's ja egal. Aber Frauen wie du… nein,
du kannst mich hundertmal einen Narren
heißen. Aber Frauen wie du… nimmt man
nicht vor dem Frühstück zu sich. Und so…
weißt… so…
SCHAUSPIELERIN
1270Gott, was bist du süß!
GRAF
1271Siehst du das ein, was ich g'sagt hab', nicht
wahr. Ich stell' mir das so vor —
SCHAUSPIELERIN
1272Nun, wie stellst du dir das vor?
GRAF
1273Ich denk' mir… ich wart' nach dem Theater
auf dich in ein Wagen, dann fahren wir zusammen also irgendwohin soupieren —
SCHAUSPIELERIN
1274Ich bin nicht das Fräulein Birken.
GRAF
1275Das hab' ich ja nicht gesagt. Ich find' nur,
zu allem g'hört Stimmung. Ich komm' immer
erst beim Souper in Stimmung. Das ist dann
das Schönste, wenn man so vom Souper zusamm nach Haus fahrt, dann…
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1277Also dann… liegt das in der Entwicklung
der Dinge.
SCHAUSPIELERIN
1278Setz dich doch näher. Näher.
GRAF
sich aufs Bett setzend.
1279Ich muß schon sagen, aus den Polstern kommt
so ein… Reseda ist das — nicht?
SCHAUSPIELERIN
1280Es ist sehr heiß hier, findest du nicht?
Graf neigt sich und küßt ihren Hals.
1281Oh, Herr Graf, das ist ja gegen Ihr Programm.
GRAF
1282Wer sagt denn das? Ich hab' kein Programm.
SCHAUSPIELERIN zieht ihn an sich.
1283Es ist wirklich heiß.
SCHAUSPIELERIN
1284Findest du? Und so dunkel, wie wenn's
Abend wär… reißt ihn an sich. Es ist
Abend… es ist Nacht… Mach die
Augen zu, wenn's dir zu licht ist. Komm!
Komm!…
Graf wehrt sich nicht mehr.
SCHAUSPIELERIN
1285Nun, wie ist das jetzt mit der Stimmung, du
Poseur?
GRAF
1286Du bist ein kleiner Teufel.
SCHAUSPIELERIN
1287Was ist das für ein Ausdruck?
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1289Und du hättest Schauspieler werden sollen!
Wahrhaftig! Du kennst die Frauen! Und
weißt du, was ich jetzt tun werde?
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1291Ich werde dir sagen, daß ich dich nie wiedersehen will.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1293Nein, nein. Du bist mir zu gefährlich! Du
machst ja ein Weib toll. Jetzt stehst du plötzlich vor mir, als wär nichts geschehn.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1295Ich bitte sich zu erinnern, Herr Graf, ich bin
soeben Ihre Geliebte gewesen.
GRAF
1296Ich werd's nie vergessen!
SCHAUSPIELERIN
1297Und wie ist das mit heute abend?
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1299Nun du wolltest mich ja nach dem Theater
erwarten?
GRAF
1300Ja, also gut, zum Beispiel übermorgen.
SCHAUSPIELERIN
1301Was heißt das, übermorgen? Es war doch von
heute die Rede.
GRAF
1302Das hätte keinen rechten Sinn.
SCHAUSPIELERIN
GRAF
1304Du verstehst mich nicht recht. Ich mein' das
mehr, was, wie soll ich mich ausdrücken, was
die Seele anbelangt.
SCHAUSPIELERIN
1305Was geht mich deine Seele an.
GRAF
1306Glaub mir, sie gehört mit dazu. Ich halte das
für eine falsche Ansicht, daß man das so voneinander trennen kann.
SCHAUSPIELERIN
1307Laß mich mit deiner Philosophie in Frieden.
Wenn ich das haben will, lese ich Bücher.
GRAF
1308Aus Büchern lernt man ja doch nie.
SCHAUSPIELERIN
1309Das ist wohl wahr! Drum sollst du mich
heut abend erwarten. Wegen der Seele
werden wir uns schon einigen, du Schurke!
GRAF
1310Also wenn du erlaubst, so werde ich mit
meinem Wagen…
SCHAUSPIELERIN
1311Hier in meiner Wohnung wirst du mich erwarten —
GRAF
SCHAUSPIELERIN
Er schnallt den Säbel um.
SCHAUSPIELERIN
1314Was machst du denn da?
GRAF
1315Ich denke, es ist Zeit, daß ich geh'. Für einen
Anstandsbesuch bin ich doch eigentlich schon
ein bissel lang geblieben.
SCHAUSPIELERIN
1316Nun, heut abend soll es kein Anstandsbesuch
werden.
GRAF
SCHAUSPIELERIN
1318Dafür laß nur mich sorgen. Und jetzt gib
mir noch einen Kuß, mein kleiner Philosoph.
So, du Verführer, du… süßes Kind, du
Seelenverkäufer, du Iltis… du…
Nachdem sie ihn ein paarmal heftig geküßt, stößt sie ihn heftig von sich. Herr Graf, es war mir eine große Ehre!
GRAF
1319Ich küss' die Hand, Fräulein! Bei der Tür. Auf
Wiederschaun.
SCHAUSPIELERIN
DER GRAF
UND DIE DIRNE
Morgen, gegen sechs Uhr.
Ein ärmliches Zimmer, einfenstrig, die gelblichschmutzigen
Rouletten sind heruntergelassen. Verschlissene grünliche
Vorhänge. Eine Kommode, auf der ein paar Fotografien
stehen und ein auffallend geschmackloser, billiger Damenhut liegt. Hinter dem Spiegel billige japanische Fächer.
Auf dem Tisch, der mit einem rötlichen Schutztuch überzogen ist, steht eine Petroleumlampe, die schwach brenzlich
brennt, papierener, gelber Lampenschirm, daneben ein
Krug, in dem ein Rest von Bier ist, und ein halbgeleertes
Glas. Auf dem Boden neben dem Bett liegen unordentlich
Frauenkleider, als wenn sie eben rasch abgeworfen worden
wären. Im Bett liegt schlafend die Dirne, sie atmet ruhig.
— Auf dem Diwan, völlig angekleidet, liegt der Graf, im
Drapp-Überzieher, der Hut liegt zu Häupten des Diwans
auf dem Boden.
GRAF
bewegt sich, reibt die Augen, erhebt sich rasch,
bleibt sitzen, schaut um sich.
1321Ja, wie bin ich denn… Ah so… Also
bin ich richtig mit dem Frauenzimmer nach
Haus… Er steht rasch auf, sieht ihr Bett. Da
liegt s' ja… Was einem noch alles in
meinem Alter passieren kann. Ich hab' keine
Idee, haben s' mich da heraufgetragen?
Nein… ich hab' ja gesehn — ich komm
in das Zimmer… ja… da bin ich noch
wach gewesen oder wach worden…
oder… oder ist vielleicht nur, daß mich
das Zimmer an was erinnert?… Meiner
Seel, na ja… gestern hab' ich's halt
g'sehn Sieht auf die Uhr. Was! Gestern, vor ein paar Stunden — Aber ich hab's g'wußt, daß
was passieren muß… ich hab's g'spürt — wie ich ang'fangen hab' zu trinken gestern,
hab' ich's g'spürt, daß… Und was ist
denn passiert?… Also nichts…
Oder ist was…? Meiner Seel…
seit… also seit zehn Jahren ist mir sowas nicht vorkommen, daß ich nicht weiß…
Also kurz und gut, ich war halt b'soffen. Wenn
ich nur wüßt', von wann an… Also das weiß
ich noch ganz genau, wie ich in das
Hurenkaffeehaus hinein bin mit dem Lulu
und… nein, nein… vom Sacher sind wir ja
noch weggangen… und dann auf dem Weg
ist schon… Ja richtig, ich bin ja in meinem Wagen
g'fahren mit'm Lulu… Was zerbrich ich mir
denn viel den Kopf. Ist ja egal. Schaun wir,
daß wir weiterkommen. Steht auf. Die Lampe
wackelt. Oh! Sieht auf die Schlafende. Die hat
halt einen g'sunden Schlaf. Ich weiß zwar
von gar nix — aber ich werd' ihr 's Geld
aufs Nachtkastel legen… und Servus…
Er steht vor ihr, sieht sie lange an. Wenn man
nicht wüßt, was sie ist! Betrachtet sie lang. Ich
hab' viel kennt, die haben nicht einmal im
Schlafen so tugendhaft ausg'sehn. Meiner
Seel… also der Lulu möcht' wieder sagen,
ich philosophier', aber es ist wahr, der
Schlaf macht auch schon gleich, kommt mir
vor; — wie der Herr Bruder, also der
Tod… Hm, ich möcht' nur wissen, ob…
Nein, daran müßt' ich mich ja erinnern…
Nein, nein, ich bin gleich da auf den Diwan
herg'fallen… und nichts is g'schehn…
Es ist unglaublich, wie sich manchmal alle
Weiber ähnlich schauen… Na, gehn wir.
Er will gehen. Ja richtig.
Er nimmt die Brieftasche
und ist eben daran eine Banknote herauszunehmen.
DIRNE
wacht auf.
1322Na … wer ist denn in aller Früh — ?
Erkennt ihn. Servus, Bubi!
GRAF
1323Guten Morgen. Hast gut g'schlafen?
DIRNE
reckt sich.
1324Ah, komm her. Pussi geben.
GRAF
beugt sich zu ihr herab, besinnt sich, wieder fort.
1325Ich hab' grad fortgehen wollen …
DIRNE
GRAF
1327Es ist wirklich die höchste Zeit.
DIRNE
1328So willst du fortgehn?
GRAF
fast verlegen.
DIRNE
1330Na, Servus; kommst halt ein anderes Mal.
GRAF
1331Ja, grüß dich Gott. Na, willst nicht das
Handerl geben?
nimmt die Hand und küßt sie mechanisch, bemerkt
es, lacht.
1332Wie einer Prinzessin. Übrigens, wenn man
nur…
DIRNE
1333Was schaust mich denn so an?
GRAF
1334Wenn man nur das Kopferl sieht, wie
jetzt… beim Aufwachen sieht doch eine
jede unschuldig aus… meiner Seel, alles
mögliche könnt' man sich einbilden, wenn's
nicht so nach Petroleum stinken möcht'…
DIRNE
1335Ja, mit der Lampen ist immer ein G'frett.
GRAF
1336Wie alt bist denn eigentlich?
DIRNE
GRAF
DIRNE
GRAF
DIRNE
1341Ins Zwanzigste geh' i.
GRAF
1342Und wie lang bist du schon…
DIRNE
1343Bei dem G'schäft bin i ein Jahr.
GRAF
1344Da hast du aber früh ang'fangen.
DIRNE
1345Besser zu früh als zu spät.
GRAF
setzt sich aufs Bett.
1346Sag mir einmal, bist du eigentlich glücklich?
DIRNE
GRAF
1348Also ich mein', geht's dir gut?
DIRNE
1349Oh, mir geht's alleweil gut.
GRAF
1350So… Sag, ist dir noch nie eing'fallen, daß
du was anderes werden könntest?
DIRNE
1351Was soll i denn werden?
GRAF
1352Also… Du bist doch wirklich ein hübsches
Mädel. Du könntest doch zum Beispiel einen Geliebten
haben.
DIRNE
1353Meinst vielleicht, ich hab' kein?
GRAF
1354Ja, das weiß ich — ich mein' aber einen,
weißt, einen, der dich aushalt, daß du nicht
mit einem jeden zu gehn brauchst.
DIRNE
1355I geh' auch nicht mit ein jeden. Gott sei
Dank, das hab' i net notwendig, ich such' mir
s' schon aus.
Graf sieht sich im Zimmer um.
bemerkt das.
1356Im nächsten Monat ziehn wir in die Stadt, in
die Spiegelgasse.
GRAF
DIRNE
1358Na, die Frau, und die paar anderen Mädeln,
die noch da wohnen.
GRAF
1359Da wohnen noch solche —
DIRNE
1360Da daneben… hörst net… das ist die
Milli, die auch im Kaffeehaus g'wesen ist.
GRAF
DIRNE
1362Das ist schon die Milli, die schnarcht jetzt
weiter 'n ganzen Tag bis um zehn auf d'
Nacht. Dann steht s' auf und geht ins Kaffeehaus.
GRAF
1363Das ist doch ein schauderhaftes Leben.
DIRNE
1364Freilich. Die Frau gift sich auch genug.
Ich bin schon um zwölfe Mittag immer auf
der Gassen.
GRAF
1365Was machst denn um zwölf auf der Gassen?
DIRNE
1366Was werd' ich denn machen? Auf den Strich
geh' ich halt.
GRAF
1367Ah so… natürlich… steht auf, nimmt die
Brieftasche heraus, legt ihr eine Banknote auf das Nachtkastel. Adieu!
DIRNE
1368Gehst schon… Servus… Komm bald
wieder.
Legt sich auf die Seite.
GRAF
bleibt wieder stehen.
1369Du, sag einmal, dir ist schon alles egal —
was?
DIRNE
GRAF
1371Ich mein', dir macht's gar keine Freud mehr.
DIRNE
gähnt.
GRAF
1373Dir ist alles eins ob einer jung ist oder alt oder
ob einer…
DIRNE
GRAF
1375… Also — plötzlich auf etwas kommend — meiner
Seel, jetzt weiß ich, an wen du mich erinnerst,
das ist…
DIRNE
GRAF
1377Unglaublich, unglaublich, jetzt bitt' ich dich aber
sehr, red gar nichts, eine Minute wenigstens… Schaut sie an. Ganz dasselbe G'sicht, ganz
dasselbe G'sicht.
Er küßt sie plötzlich auf die Augen.
DIRNE
GRAF
1379Meiner Seel, es ist schad, daß du… nichts
andres bist… Du könntst ja dein Glück
machen!
DIRNE
1380Du bist grad wie der Franz.
GRAF
DIRNE
1382Na der Kellner von unserm Kaffeehaus…
GRAF
1383Wieso bin ich grad so wie der Franz?
DIRNE
1384Der sagt auch alleweil, ich könnt' mein Glück
machen und ich soll ihn heiraten.
GRAF
1385Warum tust du's nicht?
DIRNE
1386Ich dank' schön… ich möcht' nicht heiraten, nein, um keinen Preis. Später einmal
vielleicht.
GRAF
1387Die Augen… ganz die Augen… Der
Lulu möcht' sicher sagen, ich bin ein Narr —
aber ich will dir noch einmal die Augen
küssen… so… und jetzt grüß dich Gott,
jetzt geh' ich.
DIRNE
GRAF
bei der Tür.
1389Du… sag… wundert dich das gar nicht…
DIRNE
GRAF
1391Daß ich nichts von dir will.
DIRNE
1392Es gibt viele Männer, die in der Früh nicht aufgelegt sind.
GRAF
1393Na ja… Für sich. Zu dumm, daß ich will,
sie soll sich wundern… Also Servus…
Er ist bei der Tür. Eigentlich ärger' ich mich.
Ich weiß doch, daß es solchen Frauenzimmern
nur aufs Geld ankommt… was sag' ich —
solchen… es ist schön… daß sie sich wenigstens nicht verstellt, das sollte einen eher
freuen… Du — weißt, ich komm nächstens
wieder zu dir.
DIRNE
mit geschlossenen Augen.
GRAF
1395Wann bist du immer zu Haus?
DIRNE
1396Ich bin immer zu Haus. Brauchst nur nach der
Leocadia zu fragen.
GRAF
1397Leocadia… Schön — Also grüß dich Gott.
Bei der Tür. Ich hab' doch noch immer den
Wein im Kopf. Also das ist doch das Höchste… ich bin bei so einer und hab' nichts getan,
als ihr die Augen geküßt, weil sie mich an wen
erinnert hat… Wendet sich zu ihr. Du, Leocadia, passiert dir das öfter, daß man so weggeht
von dir?
DIRNE
GRAF
DIRNE
GRAF
1401Nein… ob schon manchmal wer bei dir war,
— und nichts von dir wollen hat?
DIRNE
1402Nein, das ist mir noch nie g'schehn.
GRAF
1403Also, was meinst denn? Glaubst, du g'fallst
mir nicht?
DIRNE
1404Warum soll ich dir denn nicht g'fallen? Bei
der Nacht hab' ich dir schon g'fallen.
GRAF
1405Du g'fallst mir auch jetzt.
DIRNE
1406Aber bei der Nacht hab' ich dir besser g'fallen.
GRAF
1407Warum glaubst du das?
DIRNE
1408Na, was fragst denn so dumm?
GRAF
1409Bei der Nacht… ja, sag', bin ich denn nicht
gleich am Diwan hing'fallen?
DIRNE
1410Na freilich… mit mir zusammen.
GRAF
DIRNE
1412Ja, weißt denn du das nimmer?
GRAF
1413Ich hab'… wir sind zusammen… ja…
DIRNE
1414Aber gleich bist eing'schlafen.
GRAF
1415Gleich bin ich… So… Also so war
das!…
DIRNE
1416Ja, Bubi. Du mußt aber ein ordentlichen
Rausch g'habt haben, daß dich nimmer erinnerst.
GRAF
1417So… — Und doch… es ist eine entfernte
Ähnlichkeit… Servus… Lauscht. Was ist
denn los?
DIRNE
1418Das Stubenmädl ist schon auf. Geh, gib ihr
was beim Hinausgehn. Das Tor ist auch offen,
ersparst den Hausmeister.
GRAF
1419Ja. Im Vorzimmer. Also… Es wär' doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Augen geküßt hätt'. Das wäre beinahe ein Abenteuer
gewesen… Es war mir halt nicht bestimmt.
Das Stubenmädel steht da, öffnet die Tür. Ah — da
haben S'… Gute Nacht. —
STUBENMÄDCHEN
GRAF
1421Ja freilich… guten Morgen… guten Morgen.