”ss” geändert zu ”ß”, Beispiel:
gross -> groß; hinreissen -> hinreißen; fliesst -> fließt; zerfliessen -> zerfließen; draussen -> draußen; Schoss -> Schoß
Stanisław WyspiańskiDie WarschauerinEin Lied vom Jahre 1831tłum. nieznany
PERSONEN
- General Chłopicki
- General Jan Skrzynecki
- General Graf Pac
- Kasimir Małachowski
- Der junge Offizier
- Maria
- Anna
- Deren Mutter
- Der alte Veteran
- Der Dichter
-
Generäle, Offiziere, Edelleute.
Die Szene spielt am 25. Februar 1831, dem dritten
Tage der Schlacht bei Grochowo
Vor der Stadt, ein Landhaus; im Erdgeschoss. Ein
geräumiger Salon im Empiregeschmack, licht und
weiß; die Wände von hohen Pfeilern unterbrochen;
hier und da etwas Goldverzierung. Im Hintergrunde
zwei breite Fenster, dicht beieinander knapp durch
Pfeiler getrennt, nehmen fast die ganze Wand ein.
Links und rechts hohe Türen, darüber nachgedunkelte Bilder: Porträts in der Tracht von 1810. Zwischen den Fenstern auf hohem Postament eine Büste
Napoleons als Kaiser Augustus aus weißem Marmor
mit einem Lorbeerkranz. Der Estrich ist dunkel, fast
schwarz. Alte weiße Empiremöbel; die Lehnen der
Sessel sind zu Lauten in Filigranarbeit gedrechselt.
Mitten im Salon ein Spinett. Eine Bronzekrone hängt
von der Decke herab.
Durch die weißen Tüllgardinen an den Fenstern
sieht man die Landstraße; in der Ferne Gärten
und die Stadt im Schnee; es schneit. Morgen; vor
sieben. —
Ununterbrochener ferner Kanonendonner, kaum hörbar, dauert während des ganzen Spieles an. Zahlreiche Personen, Generäle, Offiziere, Herren in der Tracht der dreißiger Jahre gehen und stehen in
Gruppen und unterhalten sich halblaut; die Mienen
der Militärs — älterer, unter Napoleon gedienter, und
jüngerer Freiwilliger — haben etwas Herausforderndes. Im Vordergrunde links steht Chłopicki in dunkelm
bürgerlichem Anzuge, einen sehr weiten grauen Mantel nachlässig umgeschlagen, die Hände über der
Brust gekreuzt, den Blick nach oben gerichtet; die
ganze steife, stolze, verächtliche Haltung strömt Willensstärke, Kraft und Unnahbarkeit aus. Er steht
allein, nachdenklich, gleichsam ungeduldig über seine
Gedanken.
Im Saale befinden sich General Jan Skrzynecki, General Ludwig Michael Graf Pac, General Jan Nepomuk Umiński, Peter Wysocki, Barzykowski, Kasimir Malachowski, Rybiński, die beiden Mycielski, Ledóchowski, Wołowski, Błendowski, Borzewski, Zawisza, Plichta. Maria und Anna, erwachsene junge Mädchen, Töchter des Hauses, beide weiß gekleidet;
weite Reifröcke, steife bauschige Ärmel, die dicht
unter den Achseln ansetzen; sie sitzen mit dem Rücken gegen den Zuschauer am Spinett und spielen; bereiten sich zum Singen vor. — Im Saal laute Unterhaltung, die mit dem einsetzenden Spiele verstummt…
— als Stille eingetreten ist:
MARIA
zu Anna
1
— — — — — — — — — — — —
Er ritt davon —, mir ist so weh und bang
Ums Herz. — Als er aufs Pferd sich grade schwang,
Trat ich ans Fenster. — Draußen ward es Tag, —
5Allein sein scharfgewohntes Auge mag
Das Leuchten meines Kleids getrunken haben;
Denn seinen Kopf nach mir zurückgewandt
Legt er die Hand wie grüßend auf sein Herz. —
Der Ersten einer ritt er von uns fort.
10Der General hat selbst ihn fortgesandt
Auf seinen Posten. Stolz gestand er mir,
Wie neidisch alle andern auf ihn sind …
ANNA
Warum musst er, da doch die andern hier
Noch weilen, in der Frühe von uns fort?
MARIA
15
Ich wollte ihn als Helden sehen, Kind.
ANNA
MARIA
Nenns nicht Befehl,
Was meine Seele atmen lässt und schwingen; —
Er soll sich jungen Heldenruhm erringen. —
20Das Schicksal ängstigt mich — und fern verliert
Sich meines Glückes Lied in stummer Ruh.
Unruhe deckt mit nebelhaften schwarzen,
Gespenstischen Flügeln meine Seele zu.
— — — — — — — — — — —
DER JUNGE OFFIZIER
zu Chłopicki
25
Ich lieb, Herr General, die Jüngre, Blonde.
CHŁOPICKI
wendet plötzlich den Kopf zu den Mädchen, misst sie mit einem
Blick, nimmt dann wieder seine frühere Haltung ein
Die Ältere gefällt mir mehr;
— Also auch Sie verliebt und wohl
Sterblich verliebt.
Warum die andre nicht —?
30Beneidenswerter Stolz,
Der diese Stirne krönt.
DER JUNGE OFFIZIER
Ihr Bräutigam, Herr General, gehört
Zu unserm Regiment, zu Ihrer Suite.
CHŁOPICKI
Ist sicher jung an Jahren, kaum dass er
35Die ersten Epauletts sich angesteckt,
Verliebt er sich. — Wer ist es?
ANNA
die gelauscht hat
Wir verratens,
Wenn er die erste schöne Tat vollbracht.
CHŁOPICKI
Ich zweifle nicht, er wird schon über Nacht
40Zum Helden werden, da ers werden will. —
Dass doch die Jungen stets romantisch schwärmen,
Poeten sind und unbeschränkte Herrscher
Im Reich der Phantasie; spielt nicht ein jeder
Von ihnen hier die große Rolle schon
45Des Oberkommandierenden? Weiß Gott!
Ich blicke auf die Stirnen und ich lese
Auf allen Byrons stolzen Herrenwillen.
Schon der Soldat verbirgt im Portefeuille
Der eignen Heldentaten Ruhmgesang.
50In Frankreich würden sie sich Marschallstäbe
Vielleicht verdienen können, — doch in Polen
Bringen sie es zu nichts — das alte Lied. —
Wir brauchen einen Cäsar, damit sie
Gehorchen lernen und gehorchend herrschen.
PAC
55
Ja, wenn ein Mann wie Cromwell, Bonaparte
Plötzlich des Weltgeschehens Seele würde —
CHŁOPICKI
Wir, die wir Bonapartes Geist verspürt,
Wir haben seine Adler in den Lüften
Gepackt und sie in unser Land geführt. —
60Jeder von uns dünkt sich ein Cincinnatus,
Glaubt sich der Urquell aller Tugenden
Und wähnt, hat er die Würde, die ihn ziert,
Sich selber beigelegt, er imponiert
Der Welt, die vor Erstaunen in den Fugen kracht.
PAC
65
Und wird dabei von ihr nur ausgelacht.
CHŁOPICKI
Die Adler sinken schmerzbetäubt zur Erde;
Die flugbereiten Fittiche zertrat
Das überlegne Neidervolk der Krähen;
Der Adler Herzen zucken und verbluten
70An ihrer Brüder schmählichem Verrat.
Schon einmal, als mir die Liktorenruten
Nicht freie Bahn zu schaffen wussten, legte
Ich das Kommando nieder. Denn ich sah
Zur Ohnmacht mich verdammt, da ich tagein,
75Tagaus von Königen umgeben war.
SKRZYNECKI
Ein stolzes Urteil, dass nur du berufen
Vollbringer dieses großen Werks zu sein.
CHŁOPICKI
Lass immer Diktatoren aufeinander folgen; —
Sieh dich doch um, wie alle die Statisten
80Sich blähn; hat einer auch nur einen Schatten
Eines Gedankens eingeheckt, den Zipfel
Eines Gedankens irgendwo erwischt,
Der nicht aus meiner Welt geboren, gleich
Schreibt er ein Buch und kritzelt Memoiren;
85Es wird ein Werk politischen Gehalts
Mit Felddienstordnung, Taktik und Strategik,
Ein Meisterwerk der Kriegskunst aller Zeit;
In Friedenszeiten lässt sich allenfalls
Nachdenken über die Gelehrsamkeit. —
90Ich sehe schon, wie eine nahe Zukunft
Ihr Haupt verhüllt und heiße Tränen weint,
Wenn sie das Buch zur Hand nimmt, das die Fehler,
Die wir begangen, schonungslos vereint.
Wenn ein Erwachen läuten graue Sorgen — ,
95Der Ruhm ein Wahn ist, nach dem Kriege, — morgen.
SKRZYNECKI
Jetzt zielt der General mit der Satire
Und trifft ins Herz der vaterländschen Sache
Noch besser als mit des Diktators Faust.
CHŁOPICKI
Von der Satire selbst zu gut getroffen
100Hab ich den Saft der rohen Gifte mir
Ins Herzblut eingeimpft, — das kocht und wallt.
SKRZYNECKI
Lass gut sein! Wenn die Faust nur wie bisher
Dem Vaterlande dient.
MARIA und ANNA
spielen und singen
„Tag des Kampfes, Tag der Ehre
Führ die Freiheit uns zurück.
Weißer Adler steigt gen Himmel,
Langt von Polens Stern das Glück.
Hoffnungstrunken dich zu retten
Ruft er dich aus deiner Not:
Auf, mein Polen…………”
Allgemeine Bewegung; Rufe, leises Mitsingen; der Gesang der
Mädchen taucht in der allgemeinen Unruhe unter; nach einer Weile
hört man wieder
MARIA und ANNA
singen
„Auf, mein Polen, brich die Ketten,
105Auf zum Siege oder Tod!”
— — — — — — —
CHŁOPICKI
während der allgemeinen Unterhaltung
Ja, ja — das ist es, in den Tod! Da Mars
Kraftglühend übers Schlachtfeld rasen sollte.
Hier liegt im malerischen Bild des Todes
110Verborgen des Zerfalls Miasma. Wollte
Gott! Ein Poem romantischer Gemüter:
Schlingt um die Stirnen schwarze Trauerflore
Und lasst die schwarzen Federbüsche wallen —
Schmückt euch nur zu, ihr Helden aus Romanen …
115„Mein Schicksal ruft, — ich bin bereit — und sterbe,
Doch meine Seele lebt und ich erwerbe
Mir die Unsterblichkeit in alle Zeit.”
Der Kaiser applaudierte Talma und auch ich —
Ich applaudierte.
120Jetzt bin ich vom Parkett emporgestiegen
Zur Bühne
Und stehe mitten im Tragödienspiel,
Umringt von Männern, die dem Grabe sich
Vermählen …
125Maria!! Wir stürmten durch den Kugelregen
Den Berg hinan, und auf den steilen Wegen,
Die felsengleich die Sonne ausgesengt,
Sprüht Sand uns in die Augen und vermengt
Mit Staub zu einer dichten Mauer sich.
130Wir brachen durch — und eh der Tag verblich,
Erklommen wir der Felsenkuppe Grat —
Und rechts und links der Abgrund gähnend klafft.
— Des Todes dachte da nicht ein Soldat.
Des Krieges Ungestüm, sein Dämon war
135Speerschüttelnd mit uns und verlieh uns Kraft;
Uns brauste nach ein Sturmwind wunderbar
Gewaltgen Rauschens, und an unserm Ohr
Brach sich der einzge Ruf: Viktoria!!
Die Sonne hatte mit sieghaften Strahlen
140Uns zu des Ruhmes Höhn emporgerissen.
Ja, unsern kriegerischen Idealen
Hat ganz Europa Beifall zollen müssen.
Auf tausend Meilen wohl sah man die Mienen
Von Angst verzerrt und rings im ganzen Land
145Herrschte der Schrecken, öffnete die Tore
Von tausend Städten, jeder Widerstand
Sank vor dem Schwerte Bolesławs des Kühnen.
Ich wollte schwören, dass der Geist der Polen,
Der große Geist uns allen sichtbar ward.
150Von allen Höhen donnerten Kanonen
Und spieen gleich Vulkanen Dampf und Glut.
Wir waren Sieger, unsere Parole
Hieß: Sieg! Das war. Und heute … wollt ihr sterben.
Erlosch denn Ares’ Stern? —
155Ihr Jungen, nur zu gern
Schmückt ihr mit Epauletten, Federbüschen
Euch auf und tastet nach dem trügerischen
Lorbeer des Grabes mit verblasster Hand.
Die Senatorenstirnen Rom verwandt,
160Die Herzen keusch, die Seelen gottgebannt
Zwängt ihr in Uniformen und von Degen
Zerfetzt bringt ihr der Zukunft sie entgegen. —
— Warum so trüb, so kraftlos, todesbleich?
Welch Leidens Schatten senkte sich auf euch? —
165Euere Lieder, euere Gespräche
Künden das Grab und künden eure Schwäche.
Um die Standarten schlingt ihr Trauerflore,
Bezahlt im voraus Charons stumme Fracht.
Habt ihrs so eilig, in dem Reich der Toten
170Die schattendunkeln Pfade zu durchwandeln;
Lockt euch der Leichenfeier düstre Pracht?
Habt ihr genügt des Erdenrufs Geboten?
SKRZYNECKl
Ein groß Geheimnis grau und düster hängt
Wie eine Wolke überm Erlenwald.
175Der Oberfeldherr, grad als hätte er
Schon mit der Unterwelt den Pakt geschlossen,
Verkündet seinen Leuten sichern Tod.
CHŁOPICKI
Das ist ein Krieger, wahrlich, kühner Ritter,
Ein Falke, Adler eines Zeus, der bitter
180Weint, wenn er leidet, und der die Gedanken
Des Schlafes Wahngebilde lässt umranken, —
Der an den Tod glaubt.
SKRZYNECKl
Einen schlechten Einfluss
Übt er auf seine Leute aus. Es weckt
185Zymirski wahrhaft eine Todessehnsucht.
CHŁOPICKI
Wie auch dieser Knabe —, so jung und so schmuck;
In seinen Augen strahlte des Himmels
Blau, als am Wilnaer Schloss in den Fluten
Des Flusses die Jungens sich spiegelten, —
190Und trunken rauschten die Wellen fort. —
Wie bat er, bettelte mit kindlich trotzig
Und männlich großen flehenden Gebärden, —
Nur um Zymirskis Grabgenoss zu werden.
Er hats gewollt, ich habs erlaubt, sein starker
195Eiserner Wille kämpfte meinen nieder.
Er ging … und doch könnt ich mit einem Wort
Ihn halten. Doch ich sah in seine Augen,
Auf seine Mienen, seine stolze Haltung,
Auf meinen Lippen starb das eine Wort — ,
200Er ging zur Tat und ging weithin — viel weiter,
Weit über jener Schanzen Grenzen fort,
Fernhin zum Schlaf, zur Ewigkeit, als Streiter
Fürs Polentum, als polnischer Soldat …
Ich seh ein frisches Grab die Erde furchen —
205Wie? Tränen? … Tränen reihen sich
Zu Perlenschnüren auf der Uniform?
Gilt es der Schwermut, gilt es dem Entzücken?
Oder sind Schmerz und Jubel hier vereint?
Ah! Wenn der Kaiser säh: Ein Krieger weint!
210— — — — — — — — — — —
Er kehrt nicht wieder — niemals wieder — Amen
Stand auf der Stirne deutlich ihm geschrieben
Und tief in seinem Herzen, da er ging. —
Noch heute früh erhalten wir Gewissheit.
215Ich kenne wohl die Chancen meiner Spieler.
Ich weiß, er wird mir seine letzte Bitte
Gehorsam unterbreiten im Rapport, —
Ein Band, ein andres Angedenken, das
Ich seiner Braut zurückerstatten muss.
SKRZYNECKI
220
Der Meldereiter ist noch nicht zurück.
CHŁOPICKI
Ich warte — weiche keinen Schritt von hier;
Die Stellung ist für unsre heutge Schlacht
Von großem Wert; sie wird den Kampf entscheiden.
SKRZYNECKl
Sie kämpfen dort zu lässig.
CHŁOPICKI
225
Sollten dort
Den letzten Tropfen Blut in sich verdoppeln.
Schon längst verdientest du den Feldherrnstab.
Die Tölpel, deine Gaben nicht zu nutzen.
SKRZYNECKl
Auguren sind sie, haben Visionen
230Und werden Sklaven schlimmer Ahnungen.
Mit ihrer Herrlichkeit ists bald zu Ende;
Ich mach das Kreuzeszeichen über ihnen.
CHŁOPICKI
Hol sie der Satan! Da sie doch nur schaden,
Sind sie am Ruder viel zu lange schon.
235Zeit wärs, es holte sie der Sensenmann.
SKRZYNECKI
Einmal verliehenes Kommando kann
Man niemandem entziehen, kann auch nicht
Die Division in andre Hände legen.
CHŁOPICKI
Der erste Grundsatz aller Disziplin!
SKRZYNECKl
240Zymirski ist seit Tagen wunderbar
Verändert. Jeden macht er zum Beichtvater
Der eignen Ahnungen; bannt den Soldaten
Gespenster vor die Seele, redet von
Gespensterkämpfen überm Schlachtfeld,
245Da wo der allgewaltge Tod …
CHŁOPICKI
Cagliostro,
Weissagst du? — Krieger! Und der Sturmwind sollte
Dich zum Altar des Vaterlandes führen.
Das Traumbild solcher Schlacht, solch großen Ringens
250Traumbild die Seele schmeichelnd mir umgaukelt … —
Von fernher höre ich: der große Kampf —
Der große Zaubrer meine Sinne schaukelt —
So viele Jahre …
DER JUNGE OFFIZIER
in der Unterhaltung mit Anna
… Es verblieb ein Teil
255In den Quartieren in der Stadt, wir bilden
Hier die Reserve.
ANNA
in der Unterhaltung mit dem jungen Offizier
So sind Sie in steter
Verbindung mit dem Erlenwäldchen wohl.
DER JUNGE OFFIZIER
Ununterbrochen eilen Meldereiter
260Hier ein und aus; hat einer eine Meldung,
So bringt er sie hier vor den General.
Vielleicht dass grade Josef …
CHŁOPICKI
der gelauscht hat
DER JUNGE OFFIZIER
265Die Damen wüssten gern den Namen …
ANNA
Dass er so ungestüm dem blühnden Lorbeer
Nacheilen musste.
CHŁOPICKI
Jungen Hirnen winkt
Im Traum der Ruhm nur zu verführerisch; —
270Sie raubten wohl Heroen ihre Herzen
Und pflanzten sie sich in die eigne Brust
Ein, wenn sie könnten. Nein, ich nenn den Namen
Nicht, um etwaige Verwandte, die
Hier im Salon vielleicht anwesend sind,
275Nicht grundlos zu betrüben.
Zu Maria
Wie ich höre
Und wie ich merke, sind Sie verlobt?
Maria steht auf, verbeugt sich und nickt ernst
280Sie sehen in dem Glücklichen gewiss
So eine Art homerischen Helden —, wie?
ANNA
Herr General, den Helden kennen Sie,
Er ist Ihnen sehr nah, wenn auch zurzeit —
Abwesend.
CHŁOPICKI
285
Einer meiner Adjutanten?
In meiner Nähe? — Alle sind um mich.
Unmöglich — doch sein Name?
ANNA
scherzend
Wen plagt jetzt
Die Neugier? — Nun, ich dacht, es wurde schon
290Einmal nach ihm gefragt.
MARIA
— Oh, diese Qual …
So leugnen Sie es denn, Herr General,
Was sich geheimnisvoll und halb bewusst,
Ein Trauerfalter in das Herz uns stiehlt,
295So dass das Lächeln auf den Lippen stirbt.
CHŁOPICKI
Mein wertes Fräulein, Herzen, welche lieben,
Sind gar besondre Frager.
MARIA
Schlimm, dass mein Herz ein dumpfes Grauen fasst
Und harte Worte meine Lippen trüben;
300Die goldnen Sehnsuchtsträume meiner Seele
Zerstieben.
CHŁOPICKI
Schaun Sie mir eine Weile in die Augen.
Wie schade, dass ein Tränenflor umzieht
Dies Sternenpaar von strahlenden Saphiren;
305Der Haare Flut ein goldnes Diadem,
Der stolze Zug zur Leidenschaft erblüht
Und die Gestalt, die Geste, die Allüren,
Der Stimme Timbre gleich dumpfem Silberklang
Erwecken die Erinnrung an ein lang
310Geschautes Bild von wundersamem Reiz.
Es war in Fontainebleau in meiner Jugend,
Da ich im Parke mit dem Kniazewicz
Zum ersten Male Josephinen sah. —
Erröten? — Oh! Nicht um im Morgenrot
315Der Scham Sie schöner noch zu sehen, pries
Ich Ihre Anmut, nicht darum ergoss
Ich Purpur übers bleiche Antlitz meiner
Schwermütig düsteren Corinna.
Das kaiserliche Antlitz, kummerbleich,
320Verbarg die schwarzen Sorgen vor dem Volke
Ängstlich verschwiegen hinter einer Wolke,
Die undurchdringlich ihre Stirn umgab.
Sie zog Unheil auf andere herab —
Wem künden Sie Verderben? —
MARIA
325Mein Herz nur kennt die Sorge und das Leid;
Darinnen sollen sie verschlossen sterben;
Icb wünscht, sie würden niemals Wirklichkeit.
Wendet sich wieder zur Schwester und sinkt langsam auf einen
Stuhl, andere Personen umringen sie.
CHŁOPICKI
blickt sie einen Augenblick an, ruft dann
Der Offizier vom Dienste!
DER JUNGE OFFIZIER
salutiert
CHŁOPICKI
etwas unsicher
330
Die Ordonnanz zurück? — So sehn Sie nach —
DER JUNGE OFFIZIER
CHŁOPICKI
DER JUNGE OFFIZIER
Ja, ein Soldat nur. Soll ich ihm entgegen
Eilen und seine Meldung an mich nehmen?
CHŁOPICKI
335
Nein, — bleiben Sie. — Gar sterblich ist mein Geist,
Da er das Unheil nicht zu bannen wusste.
MARIA
wieder zu sich gekommen, verfolgt Chłopicki mit den Augen; zu Anna
Mir scheint, sein Geist hat der geheimen Kraft,
Die mir das Herz erbeben lässt, gelauscht.
ANNA
Ich kenne ihn nicht anders, rätselhaft
340War er mir immer; er verstummt zu Zeiten
Wie eine Sphinx, ein unterbrochner Donner,
Dann ist er plötzlich wieder wie vertauscht
Und schnelle Gluten seine Wangen brennen.
Es ist, als kämpfte er mit den Gedanken;
345Die Kämpfe mag nur sein Gewissen kennen.
MARIA
Nein, Schwester — was mich zittern lässt, es ist
Bereits geschehn, ich seh es vor mir, nur
Wahnsinnge Angst und das Entsetzen ziehen
Einen Gedanken groß, davon die Spur
350Auf seiner Stirn in diesem Augenblick
Zu lesen ist; es nahen die Harpyien.
Entsetzlich Mitleidsloser! Dieser gleiche
Gedanke quält seit frühem Morgen mich
Und bohrt und wühlt geheim und schauerlich.
ANNA
355
Was willst du, Kind —?
MARIA
erhebt sich
ANNA
MARIA
blickt prüfend, zittert
…Sie wollten seinen Namen wissen, —
Meines Verlobten Namen. — Er
360Heißt Josef Rudzki.
CHŁOPICKI
als er gehört, schnell, kurz
ANNA
MARIA
erhebt sich
Schwester! Er nannte Gottes Namen
In einem Zug mit seinem Namen!
Andere Personen umringen die Schwestern und verbergen sie einen
Augenblick vor den übrigen.
CHŁOPICKI
365
Wo bleibt der Soldat —? Die Ordonnanz?
DER JUNGE OFFIZIER
CHLOPICKI
DER JUNGE OFFIZIER
CHŁOPICKI
leise, angstvoll
Die Stellung ist verloren; unsere Feste
370Dahin. Verflucht die tölpelhafte Führung.
Wie spät?
DER JUNGE OFFIZIER
CHŁOPICKI
Ich hab es gewusst,
Dass bis zu dieser Stund mit Stumpf und Stiel
375Die ganze Division vernichtet wird. —
Noch eine halbe Stunde — nicht so viel —
Und wir erhalten die Gewissheit. Ich
Befahls.
DER JUNGE OFFIZIER
Soeben kommt er auf den Hof …
CHŁOPICKI
ohne sich umzuwenden, wie einem inneren Gesicht folgend
380Als hätte ich mit eignen Augen alles …
Nur ein Soldat —?
DER JUNGE OFFIZIER
CHŁOPICKI
DER JUNGE OFFIZIER
CHŁOPICKI
385
Man hätte ihm auflauern sollen, —
So geben Sie ihm einen Wink, er schweige!
DER JUNGE OFFIZIER
Zu spät, ’s ist einer von den alten, der
Gewiss so klug sein wird, nichts zu verraten;
Gibt man ihm einen Wink, so fällt es auf.
CHŁOPICKI
390
Die Damen sehn auf uns. —
Als er sich beobachtet fühlt, zu allen gewandt
Militaria!
Ich bitte, meine Damen, singen Sie.
Vielleicht ein neues Lied, ich bitte Sie.
DIE DAME DES HAUSES
395
Ein neues Lied, das bei des Aufstands Kunde
Uns ward beschert. Herrn Delavignes Munde,
Des glänzenden französischen Poets,
Entquollen einge Strophen und mit stets
Bewundernswerter Leidenschaft und Kunst.
CHLOPICKI
400
Frankreich gab die Gedanken.
DIE DAME DES HAUSES
den Dichter vorstellend
Unser Dichter,
Der sie in polnischen Rhythmen abgefasst,
Zwar nicht so klangvoll, aber unserm Fühlen
Und unserm Lieben besser angepasst.
DER POET
405Unsern Elan fasst ich in polnische Worte,
Eh die Begeistrung des moments verrann;
Welsche Gedanken zwar, — doch der Franzose
Erstaunt, dass Schmerz ein Lied erzeugen kann.
MARIA
hat sich plötzlich schnell erhoben, wendet den Blick nicht von
Chłopicki
CHŁOPICKI
fiihlt ihren Blick auf sich ruhen, steht unbeweglich, etwas abgewandt
410Musst es denn sein, dass ich sie heute traf,
Ihr Herz mit schicksalschwerem Gram erfüllte,
Zwar unbewusst, doch drum nicht minder bitter.
Musste es sein, dass ich verwegen spielte
Mit des Geliebten Leben und sie jetzt
415In ihrem Schmerze kennen lernen muss?
Sie, deren Lippen Ruhmeslieder singen
Von unsrer Größe und die doch zuletzt
Von heisren Flüchen werden widerklingen? —
O Tod! Du unsrer Jugend Blüte grauser Schnitter.
ANNA
spielt indessen den Kehrreim des Liedes.
DER POET
nähert sich dem Spinett, lehnt sich mit Pose an, indem er den Takt
angibt; allgemeine Unterhaltung
Lied
„Polen, auf zu neuem Leben!
Auf zur Freiheit, Polens Sohn!
Dieses Feldrufs hohes Streben
Straf der Feinde frechen Hohn!”
Während des Gesanges erscheint ein Soldat, ein alter Veteran, Gemeiner von Zymirskis Division; er ist beschmutzt, durchnässt und
mit Schnee bedeckt; — die Anwesenden treten zurück; … er bleibt
zwei Schritt vor dem General stehen, salutiert … Chłopicki streckt,
ohne ihn anzusehen, die Hand aus; der Soldat reicht ihm ein Schriftstück; Chłopicki liest es schweigend und übergibt es dann dem jungen Offizier, der es hinter der Uniform birgt.
Am Spinett wird jetzt die Melodie des Liedes gespielt. Chłopicki
fühlt, dass sich der Soldat nicht rührt, wendet den Kopf; … der
Soldat übergibt ihm ein kleines Päckchen, ein Stückchen Band, —
Chłopicki nimmt es schnell und verbirgt es in der Hand. — Der Soldat salutiert schweigend; ab.
MARIA
hat alle Bewegungen des Generals verfolgt
420Er erbleicht, — runzelt die Stirn, — das kleine Päckchen…,
Der Soldat überbringt den Rapport … alles stimmt. — Der Bericht. —
Ja. — Ah! Welch furchtbarer Schmerz verzerrt sein Gesicht —
Es ist das Regiment, dem er diente — die Uniform, die er trug …
Trug … ? Gott! Was denk ich? — Da sind Flecken … Blut —
425Das Päckchen gerötet, — das Band war weiß.
Gott, — ist weiß! — Was hab ich Unglückselige gedacht —?
CHŁOPICKI
verbirgt das Päckchen an der Brust, zum Offizier
Sie wissen alles. — Nicht ein Wort. — Habt acht
Auf unsre Damen.
ANNA
zu Maria
Du singst nicht mehr, Maria, du bist bleich.
MARIA
halblaut
430
Die Saite sprang, des Liedes Worte fliehen;
Und goldne Kränze welken Blumen gleich.
SKRZYNECKl
mitten im Saal
Mir ists, als ob grad über unsern Häuptern
Im satten Klang des Liedes Riesenleiber
Wie Schlachtengötter rauschend uns umbrüllten:
435„Auf in die Schlacht!” — Gesteh, mein General,
Mit Mühe nur kann man noch an sich halten
Und das bewegte Herz beruhigen.
Die Stimme, die uns ruft, weist dort hinaus,
Dort auf das blutgetränkte Feld! —
CHŁOPICKI
halblaut
440
Im Seherwahn besingt sie unser Unglück.
MARIA
— So wünschen Sie mein Lied, Herr General?
CHŁOPICKI
schweigt einen Augenblick, mit veränderter Stimme
— Ich bitte drum. In Ihrem Liede klingen
Gar wundersame Töne und dies Lied
Lässt längst verstummte Harmonieen schwingen. —
445Die Wahrheit tritt vor meine Seele und sieht
Gespensterhaft mich an. — Ein Augenblick —
Und sie durchschaut mich ganz und sie erkennt
Ganz die Verzweiflung, die mein Herz verbrennt.
MARIA
steht, die Augen fest auf Chłopicki gerichtet
Schwester, lass klingen den Akkord, —
450Er rolle fort!
CHŁOPICKI
Ein Sturmwind rauschen die Akkorde weit —
Durch Raum und Zeit.
MARIA
flüsternd
Er ist gepackt. Im Rhythmus der Musik
Beschleicht die Furcht ihn, — fliege Ton und sieg!
CHŁOPICKI
von ihrem Blick gebannt
455
Sie blickt mich unverwandt und prüfend an;
Kennt sie die Stürme, die mein Herz durchtoben?
MARIA
zittert am ganzen Körper; ein Nebel senkt sich vor ihre Augen
Ich sehe mehr, denn meines Glückes Tod,
Der eines Zufalls launenhaftes Spiel;
Ich seh mein eigenes Geschick mit viel
460Gewaltigerem Schicksal eng verwoben.
Musik, Lied, rausche, trüb die Harmonie
Des Heldenlieds, — ich will mein Schicksal loben.
Lied
„Teures Polen, deine Kinder
Sind an ihrer Sehnsucht Ziel,
Erben jener Überwinder
Einst am Kreml, Tiber, Nil.
Zwanzig Jahre mussten siegen
ln der Ferne sie verstreut:
Mutter, die heut unterliegen,
Ruhn von deinem Schoss betreut. ”
MARIA
langsam, wie im Halbschlaf
„Mutter, die heut unterliegen,
Ruhn von deinem Schoss betreut. ”
Man hört das Hornsignal des abziehenden Heeres, alle eilen an die
Fenster; einige gehen hinaus; — nur Chłopicki und Maria bleiben
unbeweglich stehen.
MARIA
mit veränderter, fast männlicher Stimme
CHŁOPICKI
MARIA
465
Der im Herzen
Mir lieb und wert, er kommt mir doch zurück?!
CHŁOPICKI
Der Ihnen lieb und wert, mein Fräulein, ist
Soldat. — Wir haben Krieg und heute Schlacht.
MARIA
Auch nach dem Kriege braucht das Land Soldaten:
470Die Scholle zu beackern, … sorgenschwere
Künftige Zeiten heischen seine Rückkehr.
CHŁOPICKI
Gott geb es, Fräulein, ich bin selbst besorgt
Um ihn, — noch hoff ich; — und bin doch in Sorge. —
MARIA
Weil Sie sich schuldig fühlen, General.
475Sie schweigen, Sie verheimlichen, Sie wagen
Es mir nicht zu gestehn. Er kehrt nicht wieder. —
Mein Gott, — Sie können es mir nicht versprechen,
Dass er zurückkommt; — und das eitle Wort:
„Vielleicht” — des Schicksals Unbeständigkeit —
480Kann Sie nicht retten. Sprechen Sie! Sie fühlen,
Wie Sie vergeblich sich zur Lüge zwingen,
Da Sie ein Herz belügen müssten; das
Gleich einer wunden Taube scheu und zitternd
Sich Ihnen naht. Ich weiß, — als ob ich wüsste —
485Ein furchtbar Ahnen dämmert in mir auf,
Das Ihres Herzens angstverstärkten Schlägen
Gewissheit abgelauscht hat. — Und was hilfts,
Zu überwinden sich, sich einzureden,
Die Furcht sei grundlos; — Ah! Sie wussten alles
490Im voraus!! Es ist schändlich, mitleidslos
Dem sichern Tode ihn zu überliefern.
Ich seh das ganze Land in Blut ertrinken,
Durch diesen Krieg in Schmerz und Leid versinken.
Gebt acht, Herr General, euch allen winken
495Die offnen Gräber dort. All euer Ruhm,
All eure Schönheit, euer Heldentum
Vergehen und verderben…
…Schrecklich Flüche bringt mein Mund hervor, —
Weit gähnt des Hades finstres Tor…
500Bereitet euch zum Sterben.
CHŁOPICKI
Um Gottes willen, Fräulein, Ihres Wahnes
Entsetzlich dunkle Macht greift mir ans Herz
Und schnürt es seltsam ein.
MARIA
Ich spiel zum Sieg, und meine Worte lügen!
505Sie kommen um, im Kugelregen liegen
Sie reihenweis; ich seh die Haufen stürzen:
Jetzt breit ich meine Hände über sie.
Geheimnisvolle starke Mächte biegen
Und brechen trockne Äste über ihren Reihn.
510Die Winde brausen, Kugeln fliegen,
Die Kanonade dröhnt und heult
Und scharenweise die Soldaten liegen
Vom Donnerkeil des Schicksals hingemäht. —
Sie haben nun den wahren Schmerz empfunden:
515Herr General! Eh noch die heutge Sonne
Den Waldabhang bescheint mit junger Glut —
Fließt durch Schneefurchen rotes Blut …
CHŁOPICKI
betroffen
Das ist unsere Stellung, — Mädchen?
Drohend, lauter, wie um Maria zur Besinnung zurückzurufen
520Mädchen!
MARIA
groß, stark und drohend, weist auf ihn
Du fürchtest wie ich; — und du warst unser Gott!
Erkenne die Hand des Verbrechers.
Erkenne die Stimme des Rächers.
Die Klage zerreißt und zerwühlt mir das Herz
525Im dumpfen Erkennen der Not.
Ertrag ich des Jammers Unendlichkeit,
Die Allmacht der Klage, das bittere Leid,
Ertrag ich den reißenden Schmerz?
Mit dumpfem, gewaltigem Harfenklang
530Stöhnt es und ächzt es verzweifelt und bang.
Donner, wie an des Felsens Granit
An meiner Brust zerschelle, zerbrich.
Was da geschehen wird, verkünde ich
Euch, was noch heute geschieht.
535Frei war ich, trotzte den stolzesten Mächten,
Jetzt schmacht ich in dunkelster von allen Nächten.
Ich durfte befehlen, — jetzt bin ich die niedrigste
Von allen niederen Mägden.
Die kaum ganz vernarbten noch brennenden Wunden
540Quellen von neuem in mir.
Kraftlos, zertreten, in Ohnmacht gebunden
Steh ich vor dir.
CHŁOPICKI
Du unglückselige Seherin!
Das Heer zieht in den Kampf, — der nahen Schlacht
545Kanonendonner zittert durch die Luft.
MARIA
Mit mir ist Geistermacht!!
Berge von Leichen — Titanengruft!!!
Das Schlachtfeld kennst du fein!!
CHŁOPICKI
Der heutge Kampf entscheidet unser Sein; —
550Mir ist, als müsst ich heut in dunkle Nacht
Mich tasten. Auf des Ruhmes goldnen Wegen
Tritt deiner Seele Schatten mir entgegen.
Alle rüsten sich zum Aufbruch; die Generäle warten und sehen auf
Chłopicki; draußen ertönt das Abmarschsignal
PAC
Wir warten, General, was zögerst du?
CHŁOPICKI
So wartet nur. Hab ich die Führung hier?
555Wer führt euch an? Der Fürst! — So geht zu ihm.
PAC
Du hast durch Zögern schon genug gefehlt.
Du bist der einzge, der uns führen kann;
Willst du die Niederlage und dass man
Dir Schuld gibt? Sag doch, was hat dich gequält,
560Dass du die Führung, einmal übernommen,
Nicht weiter beibehalten?
CHŁOPICKI
Ach, der Teufel
Hat sie gegeben und hat sie genommen.
PAC
Wehe dem Volk, das Wankelmut regiert.
CHŁOPICKI
schnell
565Kennt ihr ihn, der da führt
Blitzesgleich — donnergleich?
Kriegsheroen leiten ihn,
Sturmwinde begleiten ihn.
Es ist Mars, ist der Geist,
570Der da schwebt, der da kreist.
Nur ein Wink und ein Volk
Steht in Waffen starrend, —
Kampfgetöse ringsumher,
Rosse schnauben scharrend.
575Über Feldern schwebt der Tod —
Über Feldern blutigrot.
Langsamer
Ich bin ein einfacher Soldat und will
Kein Störenfried bei der Beratung sein;
580Will Wunder tun; befiehlt nur, euer Ziel
Soll meines sein; ich will euch Diener sein.
Bedenket, wie gewaltig groß Er war,
Wie mit Gigantenkraft er Wunder konnte schaffen,
Indess in meiner Brust heut Wunderdinge schlafen.
585Wendet sich zur Büste Napoleons
O Kaiser!?
Wir taten Wunder angesichts Europas
Für dich, für deinen Glanz und deinen Ruhm,
Um deine Siege rang das Heldentum
590Unserer Söhne. Heut, da unser Los,
Da unsre Zukunft auf dem Spiele steht,
Lähmt Ohnmacht unsern Mut, die Kraft vergeht;
Die Welt verhüllt ihr Antlitz im Gebet.
Mein Kaiser, — war dein großer Ruf nur Lüge —?
595Wir führten ungezählte Legionen
Zum Kampf ums Glück für dich ins Feld zum Siege;
Du konntst mit manchem Lorbeer uns belohnen,
Das gierge Ohr trank manches schöne Lob.
Heut sind vom Weltenruhm, der uns umwob,
600Sind von dem geisterstarken Adlerbunde
Die Scherben und die Fetzen nur geblieben.
O Heimat, Vaterland, der letzten Stunde
Eilt schwankend deines Schicksals Zeiger zu. —
Mein Kaiser, — das Verhängnis trifft uns schwer.
605Den vom Geschick Verfluchten werden nimmer
Sich willge Arme leihen. Du, mein Kaiser,
Wie oft hast du mich bei der Hand genommen,
— Die Schläge meines Herzens wurden leiser —
Du wiesest mit der Rechten in die Ferne
610Auf Grodno, Wilna — und es fielen Sterne. —
Ah, ich verstand, dass du ein größer Polen
Erstehen lassen wolltest, um den blassen
Bajazzi von Europa unverhohlen
Die Größe deiner Macht fühlen zu lassen.
615Und heut empfangen wir von Frankreichs Throne
Worte, in Harmonie getaucht, zum Lohne.
— Geht nur allein. Mich packt ein dumpfes Ahnen
Und führt den Geist auf wundersame Bahnen.
Ich kann nicht mit euch gehn. Gebrochen sind die Schwingen, —
620Der feste Glaube nur lässt solch ein Werk gelingen.
Der Glaube, der da auf Granit gegründet,
Den Stürmen widersteht, der fest gebaut;
Der rein und unberührt nur sich vertraut
Und seiner Kraft, und im Gebet sich findet. —
625Ein andrer führe euch, mag sein, dass er
Vom Glück begünstigt ist …
PAC
Nein — nimmermehr.
Du musst. Denk an die unberührte Jugend,
An ihres Feuers schlackenlose Tugend;
630Sie blickt auf uns. Zeig uns nun, wer du bist
Und quäl uns nicht mit Klagen — du Statist.
SKRZYNECKI
Nur du allein kannst, was zu retten ist,
Noch retten. Komm und keine Zeit vertan!
Ich weiß bestimmt, du hast den fertgen Plan
635Im Kopfe. Geh und zeige dich den Leuten,
Dein Anblick schon wird ihnen Sieg bedeuten.
CHŁOPICKI
Das Flammenmeer des Mutes, der Begeisterung
Hat einst vor Sarragossas Tor geloht.
Wir haben unsrer Jugend Kraft und Schwung
640Frankreich geopfert.
SKRZYNECKI
Zymirski ist tot;
Der Eigensinn, der böse Wille hat
Sein Opfer schon. — Die Stellung ist verloren.
Die schlimme Kunde eilt schon durch die Stadt.
645Er fiel …
CHŁOPICKI
Ich weiß, das einzge Unglück ist.
Dass er nicht eine Stunde früher fiel.
SKRZYNECKI
Du kränkst uns immer ärger, General.
CHŁOPICKI
Dort hätt ein andrer kommandieren müssen.
650Ich hab von Anfang an vorausgesehn,
Dass er verloren war. Der Fürst konnts wissen,
Der ihn dorthin gestellt. Der Fürst konnts wagen.
Radziwiłł führe! Ich hab nichts zu sagen.
PAC
Radziwiłł? Meinst du? Nun, man muss sie kennen; —
655Untrüglich ist des Fürsten Stern im Sinken; —
Man hört auf Radziwiłł, solang er nicht
Befiehlt.
SKRZYNECKI
Sie waren, Graf, als erster wohl
Am Steuer. Nun geht es von Hand zu Hand
660Wie einst der Ball Nausikaas.
PAC
Es ist
Unter Fortunas billigem Losungswort
Das alte Spiel polnischer Amulette.
SKRZYNECKI
Und vor uns, hinter uns der Feuerschein
665Von Bränden rings. Ja, hätte man …
PAC
Gar nichts.
Redseligkeit und engelsgute Herzen
Und Adlersinn vollbringens nicht allein.
Ein Schiff, das ohne Mast, muss untergehen.
CHŁOPICKI
670
Sache des Fürsten! Mag er selber sehen,
Wie er es schafft.
PAC
Er wird zu deinen Gunsten
Verzichten aufs Kommando.
CHŁOPICKI
Sollte es
675Nicht tun, — kennt er doch den Spott.
SKRZYNECKl
MAŁACHOWSKI
Mit uns, den Alten!
So sieh doch, wie es glimmt in den Ruinen.
Der Augenblick ist heilig, — führe sie,
680Da sie dich bitten. — Lies in ihren Mienen:
Dein Wort ist heilig, — ist Befehl für sie.
Der Fürst tritt ab, — er lässt dir seinen Platz;
Weigre dich nicht, — du weißt, nur du allein
Kannst uns noch retten, — trittst du jetzt zurück,
685Gehn wir entgegen sicherm Untergang.
SKRZYNECKI
Du kannst den Fürsten zwingen. — Schon zu lang
Währt uns sein Zögern. Jeder Augenblick
Ist kostbar.
CHŁOPICKI
Wie würde es dir wohl taugen,
690Wenn der Befehl in deinen Händen läge
Und wenn dem stolzen Bau vor deinen Augen
Der Einsturz drohte. Nun? Bedenke wohl,
Die Stunde kommt, — sie ist noch stets gekommen —
Da du den Helmbusch mit dem Sterne zierst,
695Wenn du den Gipfel höchster Macht erklommen,
Wenn du, wie jetzt der Fürst, sie kommandierst.
Gib acht, man stellt auch dir alsdann ein Bein. —
Aus meinen Worten spricht der Wahn allein.
SKRZYNECKI
Ich werds vergessen. Furchtbare Dämonen
700Sind es, die tief in deiner Seele wohnen.
Noch drang zu mir bis heute nicht der Ruf.
Mag sein, dass Gott auch mich zum Führer schuf; —
Reicht er das Schwert mir, soll es mir nicht rosten,
Ich steh auf meinem gottbestimmten Posten
705Und wehr mich redlich meiner Haut. Doch du,
Du bist des Schlachtengottes Lieblingskind, —
Bedenk, in welcher Lage wir jetzt sind, —
Besinn dich und erkenne deinen Wert.
CHŁOPICKI
Schmeichelt mir nicht. Die Zeit wird kommen und
710Das Los entscheidet, was entscheidenswert.
Der Geist in mir wird von dem Erdenrund
Empor sich schwingen wie in den Erwählten,
Zu deren Füßen ganze Völker liegen.
Ich weiß nicht, ob an Stelle der verfehlten
715Und halben Maßnahmen die Eintracht siegen
Wird hierzulande. Eines weiß ich nur,
Mein ist der Tod auf rotbetauter Flur,
Wenn mir der Himmel nicht den Sieg beschert.
Nicht daran denk ich, wer von uns als erster
720Im Kampfe fällt, nur daran, dass das Gold
Der nächsten Morgensonne über schwerster
Doch schönster Siegestat erstrahlen sollt.
SKRZYNECKI
So lass den Kampf, den Ruhm, den Siegespreis
Den stolzen Führergeist in dir beseelen.
725Bei den Beratungen schweigst du allein,
Wenn alle ihre Ansichten erzählen
Und doch im Grund von dir belehrt zu sein
Allein verlangen. Und du fühlst genau,
Dass alle Pläne, wohl bedacht, ins Grau
730Des Nichts zerfließen. Dass wir den Befehlen,
Die wir erteilt, durch Gegenordre gleich
Die Möglichkeit, sich zu bewähren, stehlen.
Dann schiltst du uns. Du hast es ja gewusst,
Wohnt doch der reichre Geist in deiner Brust.
735Doch statt mit deinem Rate uns zu leiten,
Lässt du uns auf der Bahn des Irrtums gleiten.
Da ists doch wahrlich besser, selbst zu raten
Und selbst zu handeln nach dem eignen Plan.
CHŁOPICKI
So achtet euren Führer; schweigt wie er.
740Nur mit gebundnen Zungen sollte man
Bei uns ans Rekrutieren gehn. Das Plaudern
Verdirbt uns alles. Arme brauchen wir,
Nicht Zungen. Starre Herzen, die nicht schaudern,
Nicht Prunk und goldner Stickereien Zier.
SKRZYNECKI
745
Eil uns voraus, entfalte deine Schwingen,
Da Gott dir Adlermut und Geist verlieh.
CHŁOPICKI
Könnt einer mir den Glauben wiederbringen …
SKRZYNECKI
Der Glaube ruht in dir, mein General!
Glaub an des Volkes Stern, glaub herzlich, innig
750Und überlass das Schicksal allemal
Seiner Bestimmung. — Mut! …
CHŁOPICKI
verändert
Mut, ruft ihr, wohl,
Den Mut, den hab ich, tausendfältgen Mut …
Ich bin der eure!
ALLE
begeistert
755Führ uns, Held, Diktator!
Der Glaube folgt dir, unser aller Glaube.
Chłopicki lebe! hoch! mit dir der Glaube!
CHŁOPICKI
leiser
…Mit euch dorthin zum Kampfe, wie zum Spiel…
Euch Feuerschlünden, der Kanonen wild
760Gefräßgem Todeshunger, dem Gewühl
Zuckender Leiber euch entgegenführen, —
Hört mich…
Bricht plötzlich ab — Stille, alle lauschen.
MARIA
laut, seltsam ruhig
Dahin ist euer Glaube. Fern
Vorübergleitend rückt Ihr Schicksalsstern, …
765Und so sind Mannen, ist die Schlacht verloren —
Einige sehen sie mit Verwunderung an.
CHŁOPICKI
blickt ihr unverwandt ins Auge
Aus Ihren Worten dringt an meine Ohren
Ein Rätsellaut, der lang verstummte Saiten
Mittönen lässt, die alte Ritterweise
Erwacht und es erwacht in mir der Held.
770In Ihren Augen seh ich meiner Augen
Abglanz. Auf langer Wimper zitternd gleiten
Die Tränen nieder und der feuchte Tau
Senkt sich auf ein verlornes Leben nieder,
Auf eines großen Wollens Trümmerwelt.
775Der Flug misslang, und es schleift das Gefieder
Kraftlos im Schnee; der Horizont ist fern,
Fern ist des Schlachtfelds blutigrote Bahn …
Wie viele traf die Kugel schon im Kampf;
Mich hat ein wunderbar Geschick bewahrt.
780Warum denn mich? War es nicht wohlgetan,
Ich stiege auch zur Nacht des Grabes nieder,
Der ich meine Gedanken aufgebahrt
Seit langem schon und wieder — immer wieder
Genarrt, geblendet, in der Gegenwart
785Ein Zerrbild einer Größe nur erlebte,
Die mir vom Hochmut vorgegaukelt ward.
— — — — — — — — — —
Der Kriegsruf scholl, der große Geist erbebte
In mir aufs neu, ich zittre — ich erschaure
790Vor Freude tönend — — stolzen Traumes Glück
Atmet das ewig waltende Geschick.
Gefaltet meine Hände steh ich, — laure,
Bis sich der Traum erfüllt, ein Nebelflor
Die Wirklichkeit verhüllt … dort rückt mein Stern —
795Mein Glücksstern … heller als ein Meteor
Erstrahlt sein Glanz, — ereilt … er fällt — ganz fern —
Sinkt in den Abgrund — in des Abgrunds Tiefen
Funkelt er noch irrlichternd bis zuletzt …
— Schicksal, erfülle dich … ; mich narrt das Fatum.
800Mag sein, seis drum, ich bin der eure jetzt!
Mein Pferd! Mein Schimmel trägt mich weit voran.
Mein Pferd! Sind alle schon versammelt? Gut.
Ich führe an!
Bewegung unter den Offizieren. Anna steht am Spinett, spielt mit
einer Hand und singt; einige singen leise mit, wie um die Worte
des Liedes zu lernen.
CHŁOPICKI
zu Maria, indem er die allgemeine Bewegung benutzt; ernst, bedrückt
Leben Sie wohl, Fräulein Maria.
805Zu den Offizieren, Generälen
Vorwärts denn, meine Herren! Ha! Ich sehe,
Das Heer zieht schon vorbei. — Ich kommandiere!
Leiser
Wie sie mit ihrem Blick mich bannt.
SKRZYNECKl
halblaut
810Strohfeuer —?
Er zögert, blickt dem Mädchen unverwandt
Ins Auge…
CHŁOPICKI
zu Maria
Sie wünschen keinen Händedruck von mir; —
Und ich ertrage Ihre Worte nicht.
815Vielleicht steh ich schon an dem großen Tor
Des Schattenreiches, daraus kein Entrinnen;
Drum von der Schwelle, eh ich geh von hinnen —
Ein letztes Lebewohl.
ANNA
ahnend
Schwester, du zitterst.
820Du wankst, was ist dir, Teure, Liebe? Sprich!
Sie tritt neben die Schwester, stützt sie; alle, außer den Mädchen,
gehen hinaus.
Anna
am Fenster, sieht auf die Straße.
MARIA
inmitten des Salons, nahe dem Spinett; — halblaut
— Warum frag ich? — Warum forsch ich?
Weiß ich nicht nur zu genau … ?
Gott, was ist mir? dunkel ist mir
Vor den Augen … nebelgrau. — Von dem Felde hallen dumpf
825Die Kanonen, Schnee bedeckt
Felder, Wälder, Kampfgefild.
Geister stehen auf und tanzen
Übers Land in rasend wild
Tollem Wirbel über Schnee …
830Durch den Schnee — den weißen Schnee.
In dem bleichen Totenbild
Glüht ein Blutfleck, dran sie starben. —
Stolze Stirnen …
Führten ihn zum Altar …
835Adler — ihn, der mein war.
Gott, was ist mir —?
Hab ich denn all das Leid
Vorgeahnt? Doch es kann
Täuschung sein. Nein! — Nicht das!! —
840Ach! — Liegt meine Seele im Bann
Ewiger Nacht?
Blickt regungslos vor sich hin.
ANNA
am Fenster links
Maria, sieh doch, sieh — sie reiten fort —
Siehst du Chłopicki dort …, er steht allein —
Sie führen ihm sein Pferd zu — wie der Schecke
845Sich bäumt … ah! … Doch sie haltens, er steigt auf; —
Welch herrlich stolzer Mann, — welch Kriegerblick;
Auf unser Fenster sieht er unverwandt,
Fast nimmt michs wunder. Hat er uns erkannt? —
So komm doch zu mir — immer blickt er her,
850Doch scheint sein Blick mir über uns hinweg
Gerichtet in die Weite……….
MARIA
Überm Heer
Sieht er zwei schwarze Flügel ausgebreitet,
Unheilbedeutende —
ANNA
855Da Małachowski! —
Skrzynecki! Sie besteigen ihre Pferde;
Enteilen wie die Winde. — Gott! Ulanen!
Die müssen siegen!!
MARIA
— und sie ziehn hinaus
860Weit zu des Schicksals Schmiede.
Geht langsam zum Fenster.
ANNA
Sieh nur! Sieh,
Wie schön sie sind, wie jung, wie göttlich stolz.
Die ganze Straße füllen sie, es wogt
Ein Meer von Rossen und von Reitern — — — Schwester,
865Ich weiß nicht, aber der Gedanke selbst,
Es könnte einer fallen, von der Kugel
Getroffen werden, dünkt unfassbar mich —
Sie fluten hin, wo sie ein Kugelschauer
Erwartet. — Schwester, mir müsste mein Herz
870Zerspringen. Oh, die Unsern, Unsern, Unsern!
MARIA
Mein Herz erstirbt. Die Schönheit schmückt sie reich
Für ihres Lebens letzte Augenblicke.
Sie sieht hinaus und fährt zusammen; plötzlich beugt sie sich zum
Fenster vor
Ist das Chłopicki, der sein Pferd jetzt wendet —?
875Er sieht hierher, er ruft, winkt mit der Gerte…
ANNA
Und schon ist Jan beim General; siehst du,
Ihn hatte er herbeigerufen. Nun
Spricht er mit ihm, gibt ihm ein kleines Päckchen.
MARIA
zitternd
Dasselbe Päckchen, das ihm der Soldat
880Gegeben hat.
ANNA
Mein Liebster salutiert.
Wie? Hier zu uns? — Er eilt zu uns! — Zu uns?
MARIA
begreift schnell
Zu mir …
Er wagte nicht, es selber mir zu sagen,
885Er schickt den Adjutanten, … einen Boten. —
Auch dieser Bote wird bei meinem Anblick
Verstummen; Tränen werden ihm die Botschaft
Unausgesprochen in der Kehle ersticken.
Laut
890Nein! — Nein! — Halt ein, mein flinker Bote,
Mach mich nicht unglücklich!! — Dein lebend Wort
Soll mir das letzte bisschen Leben nicht
Ertöten …
Schliesst schnelt die Seitentür links
895Noch lebt er in mir, ich sehe
Ihn deutlich noch vor mir, an meiner Seite, —
Beim Abschied — ja, er lebt, … er lebt, … er lebt …
ANNA
erschreckt, spricht durch die Tür
Sie sinds, Herr Jan! —
Zu Maria
900Was ist dir —?
MARIA
heftig
ANNA
leiser — schamhaft
Doch sieh, mein Schwesterchen, wir wollen auch
Lieb voneinander Abschied nehmen —
drängt sie leise von der Tür ab
905bitte,
So lass mich, Schwester, — du verstehst, … du liebst
Ja selber —
Der junge Offizier stürzt herein und bleibt beim Anblick Marias
an der Tür stehen, Anna eilt auf ihn zu; Maria zittert heftig, lässt
sich regungslos am Spinell nieder, folgt in äußerster Spannung jeder Bewegung des Offiziers; dieser küsst Anna die Hand. Sie löst mit der Linken ein Band aus ihrem Haar und gibt es ihm.
ANNA
Hier, nehmen Sie dies Band…
DER JUNGE OFFIZIER
betroffen
ANNA
910Ah! — So haben Sie mein Band wohl gar
Sich nicht einmal gewünscht? Sie zögern ja
Es anzunehmen —?
MARIA
in Träumen
Jenes Band, es war
Vom Blute rot; vielleicht bracht er es her,
915Hierher…
ANNA
zum Offizier
Ich schenke Ihnen Glück und Ruhm.
MARIA
laut
Heute morgen, als der Tag erwachte,
Schmückt ich meinen Ritter mit dem Band;
Schenkte ihm mein Glück, und mein Verlangen
920Nach dem Ruhm gab ich ihm auf den Weg.
Meines Helden Schicksal lässt Sie bangen —!
DER JUNGE OFFIZIER
nimmt das Band ernst, den Blick auf Maria gerichtet
Mein Leben für mein Vaterland! Das ist
Das Glück, der Gipfel allen Ruhms.
Maria
sieht ihm ins Auge; — geht dann durch die erste Tür rechts ins
Nebenzimmer.
ANNA
Sie erbleichen, Herr Jan, was ist Ihnen? Warum sind
925Sie plötzlich so blass geworden?
DER JUNGE OFFIZIER
nach Marias Abgang, schnell, den Blick auf die Tür gerichtet,
durch die Maria gegangen ist
926Um Gottes willen, Fräulein Anna, hören Sie mich
ruhig an; — Josef ist vor einer halben Stunde gefallen; — heute früh beim Morgengrauen hat der General ihn selbst in eine Stellung geschickt, die er bereits für verloren hielt. Nur aus Eigensinn, um die
Unfähigkeit des Fürsten darzutun, befolgte er die
erteilten Befehle; — Josef meldete sich dorthin, er
bat darum; wusste er doch, dass einer von uns würde
gehen müssen. — Von der ganzen Division ist nicht
einer übrig geblieben; der Soldat, der vor einer Weile
hier war, jener alte Veteran, war, wie sich herausstellte,
schwer verwundet; er wollte es sich nur nicht merken lassen. — Draußen auf der Diele wurde er zur
Ruhe gebettet; — dieser Soldat überbrachte die Meldung, dass die ganze Division aufgerieben ist.
ANNA
DER JUNGE OFFIZIER
928Gestern abend, als Josef schon die Erlaubnis vom
General erwirkt hatte, bat er ihn, und dabei lachte
er, für den Fall, dass er nicht zurück käme, das Band
von seiner Brust eigenhändig seiner Braut zurückzugeben …
929Der General versprach es. Wir lachten und scherzten.
Niemand von uns ahnte, dass die Stellung dermaßen
bedroht war und dass Chłopicki sie für unrettbar verloren hielt …
930Jetzt eilt er selbst dorthin, dem Tode nach,
Der ihm so viele seiner besten Leute
Geraubt. Vorn an der Spitze sprengt er hin
Unsern Schwadronen weit voraus. — Man muss
Ihn sehen, wie der kriegerische Geist
935Im Taumel ihn gepackt …
Abmarschsignale
— Hier ist das Band; —
Der General fand nicht den Mut, es ihr
Zurückzugeben.
ANNA
nimmt das Band
Mein Gott! Ganz blutgetränkt!
DER JUNGE OFFIZIER
ANNA
auf ihn zu, schlingt die Arme um seinen Hals; wirft dabei das
blutige Band auf die Tasten des Spinetts
Herr Jan, — mein Lieber … du … ach du!
DER JUNGE OFFIZIER
presst sie an sich, halt sie umschlungen und dreht sie einige Male
herum; setzt sie dann auf einen Stuhl und eilt hinaus; in der Türe
wendet er sich um und ruft, aufs Fenster weisend
ANNA
springt auf schnell
Eilt ihm nach
Wiederholtes Abmarschsignal, bald lauter, bald leiser, tönt aus verschiedener Entfernung, von der Straße her; vor den Fenstern ziehen
Truppen zu Fuß und zu Pferde vorüber. Man sieht die Pferdeköpfe und die Oberkörper der Reiter. Ununterbrochenes Getrappel, Dröhnen und Geklirr.
MARIA
kommt aus der Tür rechts; ihre Haare sind in Unordnung; sie
geht wie eine Bildsäule; ihre Augen, weit geöffnet, glänzen; — sie
schreitet wie im Traum, die Hände leicht vorgestreckt
Ich weiß, ich weiß.
945Sie wagen nicht vor mir zu sprechen. —
Ihr schweigt; doch ich errate, lese in euren Mienen;
Seht mir ins Auge, ich errate alles …
Sausen, Dröhnen — so viele Männer … Männer
Allbeieinander …
öffnet mechanisch beide Fenster; die vorüberreitenden Offiziere und
die Truppen sehen sie.
Gesang der vorüberziehenden Truppen
„Adler, flieg mit leichten Schwingen,
Polens Ruhm und Hort der Welt…”
MARIA
geht zum Spinett; als sie die Tasten berührt, schlingt sich das Band
um ihre Finger, das blutigrot sich über die Tasten schlängelt; —
schluchzend fällt sie vornüber auf die Hände, auf die Tasten.
Dumpf stöhnen die Saiten des Spinetts und seufzen. — Man hört
Marias Schluchzen — Sie hebt den Kopf ein Strom überirdischer Kraft geht durch ihren Körper: sie strahlt gleichsam davon; — sie spielt kraftvoll und singt
„Adler, flieg mit leichten Schwingen,
Polens Ruhm und Hort der Welt.
Frei wird, wem die Glocken klingen,
Frei ist, wer im Kampfe fällt.”
Erhebt sich vom Spinett und geht zum Fenster
„Dien dem Ruhme, Adlerbrut.
Reiß die Brust und hack das Herz.
Weiß Gefieder tränk in Blut;
Eile, fliege himmelwärts.
Nimm die blutgen Opfer hin:
Da die Deinen, da die Deinen
Hoch zu Ross, in Waffen starr
Folgen dir — immerdar.
Eile, fliege, Heldentum,
Nach dem Ruhm, dem Ruhm, dem Ruhm!!!”
Zittert, wankt am offenen Fenster, die Hand gegen die Vorüberziehenden ausgestreckt; Anna stürzt herein.
ANNA
schließt das Fenster links; dann
950Die Fenster zu! Wie kalt! Oh, deine Hände
Sind ja wie Eis! Du bist ja außer dir …
MARIA
streckt die Hand gegen die Vorüberziehenden aus
Aus tausend Wunden der gequälten Erde
Spritzt rotes Blut; — Blut unsrer Brüder färbt
Die ungebornen Saaten in dem Schoß
955Der Erde rot. Rings atmet roter Dampf. —
Wer ists, der mit allmächtiger Gebärde
Euch ruft zum Kampf,
Damit ihr sterbt
Und meines Liebsten Los
960Euch werde? —
Siehst du sie zu den Gräbern ziehen?
Da werden Kreuze blühen,
Wo Sträucher unter frostgen Steinen
Jetzt weinen.
ANNA
weicht entsetzt von ihr zurück
965Maria, welche Worte? Gott! Maria!!
Sie ziehen für ihr Vaterland hinaus
Und du stößt solche harten Worte aus,
So schrecklich harte Worte, Schwester —
MARIA
besinnungslos
Sieh! Ihnen im Gefolge, über ihnen
970Wer ists? — Schneeflocken tanzen einen Reigen
Im Sonnenlicht, — die Sonne zieht sie an,
Sie eilen, eilen alle Mann für Mann.
Ah! Siehst du dort die weißen Adler steigen,
Die weißen Adler, hunderte an Zahl?
975Es scheint der Adler eine dichte Wolke.
Siehst du auf ihrer Brust das rote Mal?
ANNA
MARIA
Fluch! Fluch! höchste Lust!!
Rasender Schmerz zerreiß mir die Brust;
980Was kann dein Lieben mir geben. — Hörst du sie singen, hörst du es klingen,
Es sind die Adler, — die Adler, die singen,
Sie singen, sie schwingen, sie weben.
Sieh dort oben, dort oben im Schnee,
Dort auf der sonnedurchglühten Höh: —
985Adler fliege, flieg Adler, flieg!
Gesang der vorüberziehenden Truppen
„Adler, flieg mit leichten Schwingen,
Polens Ruhm und Hort der Welt.”
MARIA
Mein Herz ist tot,
Weck auf mein Herz, —
Schwester … ich fühl es nicht mehr. —
Gib mir die Hand — tot — alles tot. —
990Rufe doch, schreie … wecke mich auf;
Gib mir mein Fühlen zurück.
Sieh, meine Hände sind kalt und steif
Und die Gedanken erstarren zu Eis.
— — — — — — — — —
995Ah! was seh ich? Und was wollt ich —? —
Forderte den Ruhm heraus!
Mit dem fluchbeladnen sollt ich
Tränen ernten, Nacht und Graus:
Und er nahm mein Herze sich
1000Mit der eisgen Hand. — Hat wie eine Blume mich
Mitleidlos verbrannt.
Die Schwester führt sie in die rechts gelegenen Zimmer.
Gesang der voriiberziehenden Truppen
„Adler flieg mit leichten Schwingen,
Polens Ruhm und Hort der Welt.”
Vorbemerkung
1002Die dramatischen Werke des leider dem deutschen
Publikum völlig unbekannten Neuromantikers Stanisław Wyspiański, eines der stärksten Talente
der letzten Zeit, erscheinen in deutscher Bearbeitung
von Dr. St. v. Odrowonsch innerhalb der von Dr. A.
v. Guttry und W. von Kościelski begründeten und
herausgegebenen „Polnischen Bibliothek”.
1003Der bekannte Literarhistoriker W. Feldman schreibt
in dem Vorwort zu den Werken Wyspiańskis über
die „Warschauerin”:
1004„Der polnische Aufstand vom Jahre 1830/31
musste auf den Dichter seinen Zauber ausüben: Wyspiańskis durchaus männlicher Natur entsprach dieses Bild
des polnischen Heroismus mehr, als der Aufstand
vom Jahre 1863, wo keine nationale polnische Armee
bestanden hat und wo das Volk in erster Linie als
Dulder erscheint. Im Jahre 183o/31 kämpften noch
an der Spitze des Aufstandes Generäle, deren Namen
schon in den Napoleonischen Kriegen mit Ruhm bedeckt waren: ein Chłopicki, ein Skrzynecki, ein Chłapowski, ein Dwernicki und andere und auch der jüngere Nachwuchs war ihrer würdig. Sie errangen
Siege über die Moskowiter, die in ganz Europa Bewunderung auslösten. Auch das Malerische, Dekorative des Aufstandes von 183o musste der Eigenart der
Wyspiańskischen Phantasie zusprechen. Der Dichter und Maler hing deshalb an dem Jahre 183o;
der Denker musste sich indessen die Frage vorlegen, weshalb, trotz der glänzendsten Führer und ihrer
Siege — der Aufstand selbst mit einer Niederlage
endete. Der Seher sah aber auch in diesen traurigen
Bildern die Anzeichen einer freien, besseren Zukunft.
1005Nicht Drama, sondern „Lied aus dem Jahre
1831” heisst das erste Stück, das am 29. November
1898, dem Gedenktage des Novemberaufstandes, in
Krakau aufgeführt wurde. Zum ersten Male hat der
Dichter damals von der Bühne aus gesprochen; der
Eindruck — besonders auf die Jugend — war groß
und anhaltend. Keine Spur von der herkömmlichen
Technik der „Einakter”, keine Spur des üblichen
patriotischen Schlagers. Glänzend im malerischen
Sinne des Wortes gestaltet sich das Bühnenlied: der
Empire-Salon, die Gesellschaft der illustren, auf allen
Napoleonischen Schlachtfeldern erprobten Helden,
die tiefergreifende Handlung, die doch weit davon
entfernt war, Bühnenhandlung im gewöhnlichen
Sinne des Wortes zu sein, die Neuheit und der Flug
der Gedanken, mussten hinreißen. Zwei Welten
kreuzen sich hier: die klassizistische Empirewelt der
alten Generäle, die nur den Tatendrang und den
Sieg kannten, und die junge, von Byron und der
Romantik durchwehte Welt, die sich von der Sehnsucht nach Ruhm und dem Heldentod leiten lässt …
Wie viel dramatischen Inhalt wusste der Dichter hier
einzuflechten! Individuelle Tragödien: Marie, die
ihren Bräutigam um des Ruhmes willen in den Kampf
schickt, erfährt seinen Tod und verwandelt sich
unter diesem Eindruck in eine polnische Kassandra;
der harte, rücksichtslose Soldat Chłopicki hat zuerst
den Bräutigam Marias in den sicheren Tod gesandt,
leichten Herzens, um die Unfähigkeit des kommandierenden Generals zu erweisen — die Verzweiflung
Marias umgibt aber auch diesen Soldaten mit einer
weichen, romantischen Todesstimmung. Und die tragische Schuld, die auf den Führern lastet und die
Niederlage der ganzen nationalen Bewegung bedingt?
„Jeder von ihnen war als ob er geistig krank sei” —
urteilt Kasimir der Große in dem Poem gleichen
Namens; das lässt sich auch hier wiederholen. Ihnen
fehlt der Glaube, sie haben nur Mut. Sie sind unter
Umständen glänzende Soldaten, die für das Vaterland
zu sterben wissen, aber sie sind keine Männer, die
voll Siegeszuversicht und zielbewusst handeln. Der
Kampf ist also vergeblich.”
1006Der visionäre und prophetische Dichter verfügt,
„durch die Plastik und vorstürmende Beweglichkeit
seiner Visionen zum Bühnendichter prädestiniert”,
über ein „seltenes Gefühl für Bühnenwirksamkeit und
eine geniale Eigenart in seiner Verwirklichung. Seine
reifen Werke sind unübertrefflich in ihrem Aufbau,
in der Steigerung der Spannung, in den Schlussakkorden, wobei sie ganz frei von jeder banalen Effekthascherei bleiben. — Symbolische Ornamentik, musikalische Stimmung und tiefbewegtes Seelenleben
vereinigen sich, um eine in ihrer Schönheit einzige
Welt zu schaffen”.
1007Wyspiańskis überwältigende Dramen wurden auf
allen polnischen Bühnen mit größtem Erfolge aufgeführt und enthusiastisch aufgenommen.