1Erato goldgelockt und du auch, holde Leier,
Den Menschen als ein Trost in Leid und Sorgen teuer,
Stillt auf ein Weilchen nur mir den gequälten Sinn,
Eh eine Säul' aus Stein ich noch im Felde bin,
5Aus deren Marmel es wie blut’ge Tränen quillt,
Ein Denkmal schweren Leids, ein unglückselig Bild!
Irr ich, dass wenn der Mensch auf andrer Nöte blicket,
Er sich in eigenen Verlust viel leichter schicket?
Unsel’ge Mutter, (wenn dem Unglück man zu Schulden
10Das buchen kann, was wir durch unsre Torheit dulden),
Wo sind die Söhne dir, die Töchter hin entschwunden?
Wohin der Trost, wohin die Freude froher Stunden?
Der Hügel vierzehn seh ich, und du, Leidbeschwerte,
Der wider Willen wohl so lang das Leben währte,
15An kalte Gräber, ach, schmiegst, Arme, du dein Haupt,
Drin deine Kinder ruhn, so grausam dir geraubt:
So liegen Blumen, von der Sichel weggefegt,
Oder vom Regenschwall zu Boden hingelegt.
Was nährst für Hoffnung du? Was mehr erwartest du?
20Was bringst du nicht dein Leid schnell durch den Tod zur Ruh?
Wo sind die Pfeile schnell oder der Bogen hin,
Der nie gefehlt, Phoebus und Göttin-Rächerin?
Aus Zorn (denn sie trägt Schuld), wenn nicht aus Mitgefühl,
Setzt ihrer Qual, bei Gott, der kläglichen, ein Ziel! —
25Ein neues Strafgericht brach auf die Stolze ein:
In ihrem Mutterschmerz ward Niobe zu Stein,
Und auf dem Sipylos als ew’ges Marmorbild
Steht sie, doch lebt ihr Weh auch unterm Stein verhüllt,
So dass selbst durch den Fels des Herzens Tränen fließen
30Und wie ein Sturzbach hell von oben sich ergießen,
Draus Tier und Vogel trinkt; und sie, in ew’gen Banden,
Fußt an des Felsens Rand, wo Stürme sie umbranden.
Dies Grab deckt Toten nicht, der Tote nicht im Grab,
Doch selber ist er tot und selbst für sich ein Grab.